Wann darf die Nationalität von Straftätern genannt werden? Journalistische Antidiskriminierungsregeln und der Migrationsdiskurs in Deutschland und Österreich

von Petra Herczeg und Horst Pöttker

Abstract: In dem Text werden aus deutscher und österreichischer Perspektive die Regelungen des Presserates im Umgang mit Antidiskriminierungsregeln am Beispiel der Migrations- und Flüchtlingsproblematik beschrieben, kommentiert und analysiert. Diese berufsethischen Fragen sind sowohl aus integrations- als auch aus medienpolitischer Perspektive relevant. Das Ziel des Beitrags ist es, für das Problem der Diskriminierung von Migranten in der Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufzuzeigen wie sich unterschiedliche Spruchpraxen auf den öffentlichen Diskurs auswirken können. Der Beitrag ist so aufgebaut, dass die Autoren wechselseitig auf ein Kapitel reagieren. [1]

Ziffer 12 und Richtlinie 12.1 der „Publizistischen Grundsätze“ des Deutschen Presserats

von Horst Pöttker

Ziffer 12 des deutschen Pressekodex schreibt vor: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Dazu gibt es eine Richtlinie 12.1, die bis vor kurzem lautete:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Nachdem im Zuge des verstärkten Zustroms von Geflüchteten seit 2015 und der zunächst zurückhaltenden Medienberichterstattung über damit verbundene Probleme unter Journalisten und Journalisten, aber auch in der breiten Öffentlichkeit eine kritische Diskussion über ihre Brauchbarkeit aufgekommen war, hat der Deutsche Presserat die Richtlinie 12.1 im Frühjahr 2017 überarbeitet. Seit 22. März dieses Jahres gilt:

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Die folgende Darstellung befasst sich mit dieser konkreten Antidiskriminierungsregel in beiden Fassungen, die sich im Wortlaut, aber kaum in der Bedeutung unterscheiden.

Entstehung und Entwicklung

Die Richtlinie 12.1 geht auf die Zeit zwischen 1956 und 1973 zurück, als der Presserat noch ohne aufgeschriebene Regeln auskam. Unter den US-amerikanischen Besatzungstruppen, seit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland Verbündete, gab es auch Afro-Amerikaner. So entstandene deutsch-amerikanische Freundschaftsvereine hatten sich beschwert, dass in der Berichterstattung über Straftaten von Besatzungssoldaten deren Hautfarbe erwähnt worden war. Der Presserat reagierte am 7.12.1971 mit einer „Entschließung zur Bekämpfung rassischer Diskriminierung und Vorurteile“:

Aufgrund einer Anregung des Verbandes der Deutsch-Amerikanischen Clubs empfiehlt der Deutsche Presserat, bei der Berichterstattung über Zwischenfälle mit US-Soldaten darauf zu verzichten, die Rassenzugehörigkeit der Beteiligten ohne zwingend sachbezogenen Anlass zu erwähnen. (Deutscher Presserat 1974: 84)

Daraus wurde später die Richtlinie 12.1. In der ursprünglichen Formulierung schrieb sie vor, dass die Erwähnung einer Minderheitenzugehörigkeit von Straftätern nur zulässig sei, wenn sie für das Verständnis der Tat „von Bedeutung“ ist (Trägerverein 1989, 16f.). Die bis Frühjahr 2017 gültige Formulierung geht auf ein Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Helmut Simon von 1993 zurück, das er im Auftrag des „Zentralrats deutscher Sinti und Roma“ erstellt hatte (vgl. Simon 1993, o.V.).

Seit Beginn der 1970er Jahre lässt sich eine Tendenz des Presserats feststellen, das Diskriminierungsverbot enger und konkreter zu fassen. Wissenschaftlich unterstützt wird diese Tendenz durch eine reichhaltige medienpädagogische Literatur, die sich der Bildung und den Funktionen diskriminierender Vorurteile widmet.

Untersuchungen zu Akzeptanz und Wirksamkeit der Richtlinie 12.1

Die kommunikationswissenschaftliche Literatur, die sich direkt mit Inhalten und Wirkungen der Antidiskriminierungsregeln befasst, wirkt dagegen schmal. Es lässt sich nicht vermeiden, dass der Autor auf eigene Studien hinweist.

Zunächst ist mir aufgefallen, dass bei Beschwerden über Diskriminierungen von Homosexuellen in Leserbriefen eine beträchtliche Unsicherheit in der Spruchpraxis des Presserats herrscht. Der Abdruck von Briefen, in denen Schwule als „abartig“ bezeichnet werden, wird mal gerügt, mal wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Meine nächste Studie war eine Vollanalyse der Entscheidungen des Presserats über Diskriminierungs-Beschwerden (vgl. Pöttker 2005a). Qualitativ trat auch da die Inkonsistenz der Spruchpraxis zutage. Beschwerden über ethnische Kennzeichnungen von Tätern wurden abgewiesen, obwohl ein „begründbarer Sachbezug“ nicht gegeben war. Es zeigten sich sowohl diskriminierende Effekte bei vorhandenem Sachbezug als auch eine Unbedenklichkeit in Bezug auf das Schüren von Vorurteilen, wenn er fehlte. Außerdem wurde deutlich, dass die Nicht-Nennung der Gruppenzugehörigkeit von Straftätern ebenfalls diskriminierend sein kann [2].

Quantitativ stellte sich eine große Zahl mit Richtlinie 12.1 begründeter Standardbeschwerden heraus, bei denen nur der Zeitungstitel und das Erscheinungsdatum in ein fertiges Formular eingefügt wurden. Dass auf Richtlinie 12.1 bezogene Beschwerden vom Presserat seltener für begründet gehalten werden als Beschwerden, die auf die allgemeine Ziffer 12 Bezug nehmen (vgl. Pöttker 2005a: 202), führt zu der These, dass diese Richtlinie beim Presserat und bei Journalisten weniger Akzeptanz findet, weil sie deren Ermessensspielraum einschränkt.

Diese These wurde anhand einer repräsentativen Zufallsauswahl von Journalisten überprüft (vgl. Pöttker 2009). Es zeigte sich, dass Antidiskriminierungsregeln von Redakteuren besser akzeptiert werden, wenn sie – wie die Ziffer 12 – den Sinn der Regel ansprechen, als wenn sie – wie der erste, in der neuen Formulierung seit März 2017 der zweite Satz von Richtlinie 12.1 – nur bestimmte Formulierungen untersagen.

Daniel Müller ist anhand von Regionalzeitungen der Frage nachgegangen, ob und wie oft Journalisten die Herkunft von Strafverdächtigen ohne die Bedingung eines „begründbaren Sachbezugs“ nennen (vgl. Müller 2009). Ergebnis: „Vielen Artikeln war das Bemühen um ein Vermeiden von Diskriminierung deutlich anzumerken.“ (Müller 2009: 213) In einem Prozessbericht zeigte sich allerdings auch die Kehrseite dieses Bemühens, wenn es als bloßer Regelgehorsam praktiziert wird: Ohne die Nennung der kurdischen Herkunft des Angeklagten waren Vorgeschichte und Ablauf von Tat und Verfahren kaum zu verstehen (vgl. Müller 2009).

Diesem Problem, das zum Misstrauen gegenüber Informationsmedien beitragen kann, sind Cornelia Mohr et al. mit einer Umfrage zur Rezeption von Kriminalitätsberichterstattung im Lokalteil nachgegangen (vgl. Mohr/Bader/Wicking 2009). Resultat:

Die Richtlinie zur Antidiskriminierung 12.1 erfüllt ihren Zweck (…) überwiegend nicht. Rezipienten ergänzen fehlende Informationen meistens durch Inferenzen, die auf Vorurteilen oder Erfahrungswerten basieren. Dass diese Ergänzungen oft fehlerhaft sein können, Tätern also fälschlicherweise einen Migrationshintergrund unterstellen, kann dem Zweck der Richtlinie sogar zuwiderlaufen. (Mohr/Bader/Wicking 2009: 231)

Wirkungen einer Berichterstattung, die der Richtlinie 12.1 gehorcht, hat auch ein Mainzer Forscherteam mit einem Experiment untersucht (vgl. Hefner/Klimmt/Daschmann 2007). Die Ergebnisse widersprechen der Annahme, dass die Nennung der Herkunft von Kriminellen negative Vorurteile schürt. „Die explizite Nennung der türkischen Herkunft führte (…) für den türkischen Straftäter sogar im Gegenteil zu einer positiveren Bewertung“ (Hefner/Klimmt/Daschmann 2007: 587) als dies bei einem deutschen Täter der Fall gewesen wäre. Das passt zu dem Befund, dass das Publikum bei Nicht-Nennung oft Inferenzschlüsse zieht, was Vorurteile ebenso „schüren“ kann wie die explizite Nennung.

Antidiskriminierungsregeln und journalistische Professionalität

Aufgabe von Journalisten ist das Herstellen von Öffentlichkeit. Weil das Veröffentlichen der Normalfall ist, müssen sie begründen können, warum sie etwas nicht veröffentlichen. Die Richtlinie 12.1 kehrt dieses Verhältnis um, sie macht das Nicht-Publizieren zum Normalfall und das Publizieren zur begründungspflichtigen Ausnahme. Und sie mahnt Journalisten nur, Folgen des Veröffentlichens von Tatsachen zu bedenken, während sie davon entlastet, Folgen des Nicht-Veröffentlichens zu verantworten.

Damit Journalisten ihre Aufgabe erfüllen können, brauchen sie, wie es in Art. 5 des deutschen Grundgesetzes heißt, „Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film“. Art. 5 GG formuliert in Absatz 2 auch die Schranken der Medienfreiheit, die „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ bestehen. Richtlinie 12.1 ist durch keine dieser notwendigen Schranken der Pressefreiheit gedeckt. Auch die journalistische Wahrheitspflicht ist hier ohne Bedeutung, weil die Nicht-Nennung zutreffender Minderheitenzugehörigkeiten gemeint ist.

Richtlinie 12.1 unterstellt dem Publikum im letzten Satz „Vorurteile gegenüber Minderheiten“. Journalisten haben nicht die Aufgabe, Vorurteile zu bekämpfen. Eine hochkomplexe Gesellschaft will sich darauf verlassen können, dass dieser Beruf sich auf seine besondere Aufgabe konzentriert – die Welt transparent zu machen wie sie ist. Dass der Jugendschutz im Grundgesetz als Schranke der Pressefreiheit genannt wird, weist im Umkehrschluss darauf hin, dass Journalisten grundsätzlich von einem erwachsenen, mündigen Publikum auszugehen haben.

In einer früheren Fassung der Richtlinie 12.1 hieß der letzte Satz: „Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen schüren könnte.“ Dass die Polizei dort, wo Asylbewerberheime brennen, Migranten besonderen Schutz gewährt, ist ebenso notwendig wie der Polizeischutz für Politiker. Aber einen Schutz vor Journalismus und Öffentlichkeit verdienen Migranten ebenso wenig wie Politiker.

Die zögerliche Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht 2015 hat gezeigt: Kritik an der Richtlinie 12.1 ist keine akademische Spielerei. Diese Regel kann Öffentlichkeit blockieren, die nötig ist, damit Probleme erkannt und bearbeitet werden. An einem grundsätzlichen Schweigegebot wie der Regel 12.1 festzuhalten, muss zum Glaubwürdigkeitsverlust der Medien beitragen – zumal in der digitalen Medienwelt, in der sich nichts verheimlichen lässt,.

Es geht um die Freiheit von Journalisten, unter Berücksichtigung aller Umstände selbst zu entscheiden und zu verantworten, was berichtet wird und was nicht. Für sensibles Abwägen in diesem Sinne genügt das Diskriminierungsverbot durch Ziffer 12.

Welche Alternative bietet sich an?

Nimmt man trotzdem an, dass eine konkrete Regel notwendig ist, um bei Journalisten Aufmerksamkeit für das Diskriminierungsproblem zu wecken, bietet sich eine Umkehr der Beweislast an. Richtlinie 12.1 könnte empfehlen, die Zugehörigkeit von Straftätern zu einer Minderheit nicht zu nennen, wenn sie für Verständlichkeit und Anschaulichkeit des Berichts ohne Bedeutung ist. Das würde das Berichten als Normalfall voraussetzen.

Ehrenkodex für die österreichische Presse, Punkt 7 – Schutz vor Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierungen

von Petra Herczeg

7.2. Jede Diskriminierung wegen des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts sowie aus ethnischen, nationalen, religiösen, sexuellen, weltanschaulichen oder sonstigen Gründen ist unzulässig.[3]

Das ist der einzige Punkt im Ehrenkodex des österreichischen Presserats, in dem u.a. auf ethnische Diskriminierung eingegangen wird. Im Punkt 10 „Öffentliches Interesse“ wird festgehalten, dass dieses dann gegeben sei, „wenn es um die Aufklärung schwerer Verbrechen, den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit oder um die Verhinderung der Irreführung der Öffentlichkeit geht.“

Entwicklung

1961 wurde der Presserat von Verlegerverbänden und Vertretern der Journalistengewerkschaft gegründet, und 2001 kündigte der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) seine Mitwirkung am Presserat mit dem Argument auf, dass die Selbstkontrolle nicht von den Interessensvertretungen wie der Journalistengewerkschaft selbst ausgeführt werden kann, sondern dass dies von den Medien selbst initiiert werden muss (vgl. Föderl-Schmid 2008)[4]. 2007 versuchte der VÖZ über den neu gegründeten Verein der Chefredakteure ein Organ der Selbstkontrolle zu verankern. Zu diesem Zweck wurde eine Leseranwaltschaft eingerichtet, in der sich angesehene Journalisten mit den eingegangenen Leserbriefen auseinandersetzen sollten. Diese Form der Selbstkontrolle funktionierte aber nicht, denn: „Selbst Chefredakteure von Zeitungen, die in führenden Positionen in dem Verein tätig waren, fühlten sich nicht bemüßigt, auf Nachfragen der Leseranwälte zu reagieren. Sie hatten weder die Infrastruktur noch Sanktionsmethoden.“ (Föderl-Schmid 2008: 324).

Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin und Herausgeberin von „Der Standard“, engagierte sich, um mit allen beteiligten Akteuren wieder einen funktionsfähigen Presserat zu installieren. 2010 wurde der Presserat wieder aktiv.

Trägerorganisationen des Presserats sind der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ), der Österreichische Gewerkschaftsbund, vertreten durch die Journalistengewerkschaft[5], der Österreichische Zeitschriften- und Fachmedienverband (ÖZV), der Verband der Regionalmedien Österreichs (VRM), der Verein der Chefredakteure und der Presseclub Concordia (PCC)[6]. Über die Beschwerden und Mitteilungen entscheiden nicht die Trägerorganisationen, sondern die Senate.

Die großen Boulevardmedien wie „Neue Kronen Zeitung“, „Österreich“ und die Gratiszeitung „Heute“ sind nicht Mitglieder, alternative Medien wie „das biber“ (das transkulturelle Magazin), genauso wie das „Bum Magazin“ (das sich an „Menschen mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien“ [7] richtet) sind aktiv dabei. Hier zeigt sich bereits die Problematik, dass sich gerade die Medien, die zumeist gegen den Pressekodex verstoßen, nämlich die Boulevardzeitungen, nicht beteiligen und sich daher auch nicht an die Urteile der Senate des Presserates gebunden fühlen.

Gamillscheg dokumentierte für den Zeitraum von 1979-1989 ca. 300 eingegangene Zuschriften und Beschwerden. Die behandelten Verstöße fasste Gamillscheg in drei Bereiche zusammen: „Recherche- und Methodenfehler; Nichteinhaltung von Grenzen; Tendenzen“ (Gamillscheg 1990: 11), dazu kamen Verstöße bei visuellen Darstellungen. Vor allem Politiker regten sich über die journalistische Berichterstattung auf.

In Punkt 4 des damaligen Ehrenkodex hieß es: „Jede Diskriminierung aus rassischen, religiösen, nationalen oder sonstigen Beweggründen ist unzulässig.“ (Gamillscheg 1990: 43) [8]

In diesem Zusammenhang ging es vor allem um Antisemitismus in der Berichterstattung der „Kronen Zeitung“ und der „Tiroler Tageszeitung“.

Ethnische Herkunftsbezeichnungen in österreichischen Medien

Im Gegensatz zu den von Horst Pöttker angeführten Studien in Deutschland fehlen systematische Studien und Analysen für den österreichischen Presserat. Der Diskurs, der hier geführt wird, findet vor allem in den Medien und über die Medien statt. Im Folgenden soll die österreichische Spruchpraxis und der Umgang der Journalisten mit ethnischen Herkunftsbezeichnungen explorativ beschrieben werden.

Im ECRI-Report über Österreich 2015 gibt es u.a. folgende Empfehlungen:

(i) den Beitritt weiterer Medien zum Presserat, (ii) die Achtung und Veröffentlichung seiner Entscheidungen durch Nichtmitglieder, (iii) die Ausweitung des Mandats des Presserats auf alle Medien oder die Einrichtung ähnlicher Gremien für andere Arten von Medien, einschließlich Radio und Fernsehen, (iv) das Prinzip, dass die Medien nur dann die ethnische Zugehörigkeit von mutmaßlichen Tätern offenlegen, wenn dies absolut notwendig ist und einem legitimen Zweck dient. (ECRI 2015: 24)

In dieser Empfehlung wird deutlich auch auf die Defizite des neu gegründeten österreichischen Presserates verwiesen und explizit gemacht, dass in den traditionellen Medien „eindeutig rassistische Inhalte“ (ECRI 2015, 24) veröffentlicht werden und „häufig die ethnische Abstammung der Verdächtigen“ (ECRI 2015: 24) angeführt wird, wenn über Straftaten berichtet wird.

Einigen Medien wirft man die Produktion fremdenfeindlicher Inhalte vor, die nicht ordnungsgemäß recherchiert wurden; Vorurteile werden geschürt und Roma, Asylsuchende und andere schutzbedürftige Gruppen werden als Kriminelle dargestellt. (ECRI 2015: 24)

In einem Artikel, der in der Wiener Zeitung am 25. April 2014 veröffentlicht wurde, befasste sich der Geschäftsführer des österreichischen Presserats Alexander Warzilek unter dem Titel „Wenn Südländer Schlagzeile machen“ (Warzilek 2014: o.S.) mit den österreichischen Medien, die Menschen diskriminieren. Er warf die Frage auf, wo die Grenzen der Berichterstattung liegen bzw. verwies auf die Funktion des Presserats, die „in erster Linie Mahncharakter und Appellfunktion“ (Warzilek 2014: o.S.) habe und „ein ethisch korrektes und verantwortungsvolles journalistisches Verhalten“ (Warzilek 2014) einfordere. Und er beschrieb in dem Artikel, dass der Presserat die Kurzmeldung in der Vorarlberg-Ausgabe der „Kronen Zeitung“ über einen Raubüberfall für nicht akzeptabel gehalten habe, da der unbekannte Täter als „Südländer“ beschrieben wurde, der einer von vielen Ausländern sei, die Österreich unsicher machen würden. Andererseits wurde die Verwendung der Begriffe „Ost-Banden“ und „Ost-Kriminelle“, die in der „Kronen-Zeitung“ vorkommen, für vertretbar qualifiziert, da es diese Form von Kriminalität aus „dem Osten“ (Warzilek 2014: o.S.) sehr wohl gebe.

Keine konkrete Antidiskriminierungsregel für die Kriminalitätsberichterstattung

2015 wurden 253 Fälle vom österreichischen Presserat behandelt, davon wurde bei 44 Fällen ein Verstoß gegen den Ehrenkodex festgestellt, 35 Verstöße bezogen sich dabei auf Boulevardzeitungen. Die „Kronen Zeitung“ wurde in 19 Fällen gerügt, „Österreich“ neunmal und „Heute“ siebenmal (vgl. Tätigkeitsbericht des Österreichischen Presserats).

Prinzipiell sind durch den österreichischen Presserat zur Frage der Herkunftsnennung keine spezifischen Regelungen im Ehrenkodex verankert. Im Gegensatz zum deutschen Pressekodex gibt es im österreichischen also nicht das Kriterium des „begründeten Sachbezugs“ zur Straftat.

Die Kölner Vorfälle aus österreichischer Sicht

Über die Vorkommnisse in der Kölner Silvesternacht 2015/16 wurde auch in den österreichischen Medien berichtet und in der Folgeberichterstattung die Frage erörtert, ob und wenn ja wie über ethnische Zugehörigkeiten von Tätern oder Verdächtigen berichtet werden soll. Wazilek bezieht in einem Brief an den Chefredakteur der „Kronen Zeitung“ Klaus Herrmann vom 9.2.2016 Stellung zu einem Artikel von Herrmann. Darin hatte Herrmann aus der Stellungnahme des Senats 2 des Presserats zur Nennung der Nationalität von Straftätern (Artikel v. 20.10.2015) zitiert, ohne auf die wesentlichen Informationen einzugehen, dass die bloße Erwähnung der Herkunft keinen Ethikverstoß darstellen würde, sondern dass es um ein Abwägen gehe, wann die Nennung der Herkunft im Einzelfall angebracht ist und wann nicht. In dem „Krone“-Kommentar schreibt Herrmann, dass der Presserat von der „Kronen Zeitung“ verlangen würde „alles durch die rosarote Brille zu sehen“ (Hermann 2016: o.S.) und dass die „Kronen Zeitung“ den „Auftrag“ hätte, nicht die ethnische Herkunft zu nennen. Diese Information werde die „Krone“ aber nicht verschweigen. Herrmann schließt seinen Kommentar mit der Conclusio:

Weder lassen wir uns die rosarote Brille auf die Nase picken, um so zu tun, als würden uns Asylanten keine Probleme im Land verursachen. Genauso wenig lassen wir uns aber schwarzmalerisch “Lügenpresse“ schimpfen, die die Wahrheit verheimliche. (Hermann 2016: o.S.)

In seiner Magisterarbeit konnte Rusch zeigen, dass die Herkunft ausländischer Täter ungleich häufiger und prominenter genannt wird als die inländische Herkunft von Tätern. Leserbriefschreiber greifen diese Berichterstattungen auf und „konstruieren daraus Wirklichkeiten, in denen „die Ausländer“ bedrohlich, gewalttätig und kriminell sind.“ (Rusch 2007: 139)

„Kronen Zeitungs“-Leser verwenden diese Zuschreibungen immer wieder als Legitimation, ihre bestehenden Vorurteile mit „Fakten“ zu untermauern.

Einstellungen österreichischer Journalisten

Der veröffentlichte Brief von Warzilek geht über den Anlassfall hinaus und bezieht sich auch auf die Vorfälle in Köln. Um die Argumentation besser nachvollziehen zu können, werden die entsprechenden Passagen auszugsweise angeführt, um daraus ableitend zu diskutieren, wie die österreichische Herangehensweise beurteilt werden kann. Warzilek schreibt:

Die bloße Erwähnung der Herkunft stellt – nach Auffassung unserer Senate – für sich alleine keinen Ethikverstoß dar. (…) Trotzdem sollten Journalistinnen und Journalisten nach unserem Dafürhalten abwägen, ob die Nennung der Herkunft im Einzelfall erforderlich ist.

Wir sprechen uns für eine verantwortungsvolle Herangehensweise der Medien aus, damit keine Ressentiments und Vorurteile geschürt werden können. Journalistinnen und Journalisten verfügen bei der Frage der Nennung der Nationalität über einen Ermessungsspielraum – gefragt ist dabei neben Besonnenheit und Sachlichkeit vor allem auch Fingerspitzengefühl. Bei einer Kurzmeldung über einen Taschendiebstahl ist es z.B. fraglich, ob die Nationalität des Täters gebracht werden muss. Für das Verständnis der Leserinnen und Leser ist die Nennung nicht relevant. (Warzilek 2016: o.S.)

Die Aufgabe von Journalisten ist es, fair zu berichten und sich dessen bewusst sein, dass „auch sie selbst aktiv an der Konstruktion von Realität mitbeteiligt sind.“ (Bonfadelli 2015: 9)

In einer Onlineerhebung wurden von Albrich (2013) Chronik- und Lokaljournalisten [9] befragt, die über Kriminalitätsfälle berichten. Eine der Forschungsfragen bezog sich darauf, wie wichtig welche Informationen über die Tatverdächtigen für die Journalisten sind (vgl. Albrich 2013: 76). Für die meisten Befragten ist die Ethnie und Herkunft wenig relevant. Beim näheren Nachfragen zeigte sich, dass die befragten Journalisten genauer differenzieren, wann sie es für angebracht halten, dass die Nationalität und Ethnie genannt werden: Für nicht notwendig wird die Angabe bei gewöhnlichen Kriminalfällen erachtet, sehr wohl für notwendig bei organisierter Kriminalität und Bandenkriminalität. Wenn es um rassistische und ethnisch motivierte (politische) Konflikte „oder Straftaten aus ‚Ehre’ [geht, dann] sei die Information aus Sicht der Befragten durchaus wichtig.“ (Albrich 2013: 83) Für manche gehört die Angabe der Ethnie zur umfassenden Berichterstattung. Denn: „Es handle sich bei der Nationalität um eine Fakten-Information, die man wenn sie bekannt ist, durchaus nennen könne/solle.“ (Albrich 2013: 83) Die Journalisten wägen sehr wohl ab, wann die ethnische Herkunft genannt werden soll und welche Auswirkungen die ethnische Herkunftsbenennung auf das Publikum haben kann. In diesem Kontext wurde argumentiert, dass das Publikum ohnehin auf Basis weiterer Informationen selbst zu der Schlussfolgerung kommen könne, dass es sich bei der tatverdächtigen Person um einen Migranten bzw. um jemanden mit einer anderen ethnischen Herkunft handelt (vgl. Albrich 2013).

In dem bereits zitierten Brief an Herrmann differenziert Warzilek nochmals, wann es ein öffentliches Interesse an der Nennung der Herkunft gibt:

Ähnliches gilt, wenn ein Flüchtling oder Asylwerber in terroristische Aktivitäten des IS verwickelt ist. Selbstverständlich gibt es auch hier ein öffentliches Interesse daran zu erfahren, dass ein IS-Terrorist als Flüchtling an Europa gelangt ist. (…) Die Veröffentlichung von bloßen Gerüchten und Pauschalverunglimpfungen (wie sie oft in den sozialen Medien kursieren) stufen unsere Senate hingegen als klaren Ethikverstoß ein. (Warzilek 2016, o.S.)

In der öffentlichen Wahrnehmung vermischen sich unterschiedliche Aspekte, es leidet der differenzierte Zugang zu den Themen und zur Selbstreflexion des journalistischen Handelns – vor allem im Boulevardjournalismus. Zu beobachten ist eine zunehmende Ethnisierung der Berichterstattung, es fehlen Bewusstseinsprozesse und ein öffentlicher Diskurs, der sich intensiver mit Ursachendeutungen und Lösungsvorschlägen befasst, „die Deutungshoheit im kontroversen Diskurs durchzusetzen versuchen.“ (Bonfadelli 2015: 11)

In Österreich gibt es keine Richtlinie 12.1, aber viele Diskussionen über die ethnische Herkunftsbezeichnung von Menschen in der Berichterstattung. Diese Diskussionen werden vor allem in der „Kronen Zeitung“ bzw. in den sozialen Netzwerken geführt. Medienethische Verantwortung ist von Seiten der Journalisten zu fordern. Sie setzt außerdem voraus, dass ein Vertrauen in die Mündigkeit der Bürgern besteht. Die Journalisten müssen sich darauf verlassen können, dass das Publikum an einer umfassenden, aufklärenden Berichterstattung interessiert ist.

Das lange Fehlen eines Presserates in Österreich, die wenig daran interessierte Politik und Öffentlichkeit dokumentieren, dass hier der Wunsch nach einer Auseinandersetzung über die Rolle der Journalisten in der Gesellschaft wenig gegeben ist. Der Diskurs über journalistische Antidiskriminierungsregeln findet nicht grundsätzlich statt, sondern wird nur kasuistisch an bestimmten Fällen diskutiert.

Kommentar zur dargestellten österreichischen Situation des Diskriminierungsschutzes in der Kriminalitätsberichterstattung

von Horst Pöttker

Vergleicht man die Situationen in Österreich und Deutschland, zeigen sich in der Tiefenstruktur Ähnlichkeiten. Für beide Länder gilt:

  • Es existieren allgemeine Regeln für journalistisches Arbeiten, die (auch) ethnische, nationale oder religiöse Gruppen vor Diskriminierung schützen sollen.
  • Es werden Wirksamkeitsdefizite einer Medienselbstkontrolle angenommen, die (auch) den Antidiskriminierungsregeln zur Geltung verhelfen soll.
  • Viele Journalisten zeigen Sensibilität für die Diskriminierungsproblematik.
  • Es gibt eine kontroverse öffentliche Diskussion über das Nennen der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit von (mutmaßlichen) Straftätern, die sich seit der verzögerten Berichterstattung über die Kölner Silvesterereignisse 2015 intensiviert hat.

Jenseits dieser grundlegenden Gemeinsamkeiten sind Unterschiede erkennbar:

  • Im Ehrenkodex des österreichischen Presserats gibt es keine Regel, die konkret untersagt, die Minderheitenzugehörigkeit von Straftätern zu nennen.
  • Anders als in Deutschland stellen sich die „Kronen-Zeitung“ und andere österreichische Boulevardblätter außerhalb der Zuständigkeit des Presserats.
  • Während der Deutsche Presserat auf eine relativ kontinuierliche Entwicklung zurückblickt, lag der Presserat in Österreich lange brach. In Deutschland ist die journalistische Selbstkontrolle institutionell gefestigter, aber daher auch traditionsgebundener und weniger flexibel.
  • In Deutschland existiert eine schmale kommunikationswissenschaftliche Forschungsliteratur zu Voraussetzungen, Inhalten und Auswirkungen von journalistischen Antidiskriminierungsregeln, während in Österreich eine solche Forschung fast völlig fehlt.

Vergleich der Darstellungsperspektiven

Beiden Darstellungen ist der normative Hintergrund gemeinsam, einen wissenschaftlichen Beitrag zum Schutz von Migranten vor Diskriminierungen durch Medieninhalte leisten zu wollen. Rückhalt findet dies in den Gleichheitsgrundsätzen, die in beiden Verfassungen verankert sind.

In den Verfassungen verankert ist allerdings auch der Grundsatz der Presse- und Kommunikationsfreiheit, der für die Problemverarbeitungskapazität moderner Gesellschaften und ihren Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung ist. Zwischen dem Grundrecht auf Diskriminierungsschutz und dem auf Äußerungs- und Informationsfreiheit können Widersprüche entstehen, die in meiner Darstellung stärker betont werden; im Unterschied dazu geht die Darstellung Petra Herczegs von der Prämisse aus, dass ein tatsächliches, verständiges Interesse des Publikums an umfassender und aufklärender Berichterstattung eine Bedingung dafür wäre, dass Journalisten alle Fakten zutreffend mitteilen können, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Reformmöglichkeiten und -empfehlungen

Die „European Commission aganist Racism and Intolerance“ (ECRI) empfiehlt

  • den Beitritt weiterer Medien zum Presserat. Da Boulevard-Zeitungen, die sich am Massengeschmack orientieren und deshalb besonders gefährdet sind, Stereotype zu bedienen, die Zuständigkeit des österreichischen Presserats nicht anerkennen, ist das eine außerordentlich sinnvoll Empfehlung;
  • Beachtung und Veröffentlichung der Entscheidungen des Presserats durch Nichtmitglieder. Als allfälliger Ersatz für den Beitritt weiterer Medien zum Presserat ist auch dieser Empfehlung zuzustimmen.
  • Ausweitung des Mandats des Presserats auf alle Medien oder die Einrichtung ähnlicher Gremien für andere Arten von Medien. Auch das ist sinnvoll, da Diskriminierungen durch alle Arten von Medien erfolgen können. Online-Medien sollten dabei nicht vergessen werden.
  • das Prinzip, dass die Medien nur dann die ethnische Zugehörigkeit von (mutmaßlichen) Tätern offenlegen, wenn dies absolut notwendig ist und einem legitimen Zweck dient. Dieser Empfehlung folge ich nicht, weil die Öffentlichkeitsaufgabe des Journalistenberufs bereits ein legitimer Zweck ist. Zustimmungsfähiger wäre eine Regel, die Journalisten untersagt, die Minderheitenzugehörigkeit von Straftätern offenzulegen, wenn dies unter Berücksichtigung aller Umstände diskriminierend erscheint (umgekehrte Beweislast).

Es ist nicht empfehlenswert, eine Regel in den Ehrenkodex österreichischer Journalisten aufzunehmen, die die Nennung der Minderheitenzugehörigkeit von Straftätern grundsätzlich untersagt. Österreich hat hier die Chance, Probleme von vornherein zu vermeiden, die zum Glaubwürdigkeitsverlust der Medien beitragen.

Die journalistische Selbstkontrolle hat eine Alternative, um ihren Wirksamkeitsmängeln entgegenzuwirken – auch wo sie Diskriminierungen von Migranten verhindern soll. Sie liegt in der ureigensten journalistischen Methode, die Öffentlichkeit breit und intensiv zu unterrichten – auch über Prinzipien und Probleme der journalistischen Berufsethik sowie ihre eigenen Entscheidungen. Das kann wirksame, aber zwanglose Sanktionen herbeiführen, die aus der Öffentlichkeit selbst kommen: abschalten, nicht kaufen, nicht klicken.

Kommentar zur dargestellten deutschen Situation des Diskriminierungsschutzes in der Kriminalitätsberichterstattung

von Petra Herczeg

Horst Pöttker dokumentiert in seiner vergleichenden Analyse sowohl die deutsche als auch die österreichische (Spruch-)Praxis und zeigt damit die zum Teil heterogenen Zugänge und ein von normativen Vorstellungen dominiertes Bild von journalistischer Arbeit und Öffentlichkeit auf. Pöttker ist von der aufklärerischen Aufgabe von Journalisten in der Gesellschaft überzeugt und davon, dass Journalisten keine erzieherische Funktion haben. Konstitutiv ist dennoch, dass Journalisten durch die Beschreibung und Berichterstattung, auch durch die Darstellung von Fremdheit eine maßgebliche Rolle in der Vermittlung von Konzeptionen des/der „Anderen“ spielen. Journalismus kann – wie es Rath formuliert – als „kontrollierender Repräsentant des Bürgers gegenüber seinen politisch agierenden Repräsentanten“ (Rath 2014: 51) gesehen werden, der nach professionellen und berufsethischen Kriterien vorgeht. Journalisten sollen dabei – auch hier ein normativer Anspruch – investigativ arbeiten, faktenfremde Impulse hinterfragen und Informationen aufbereiten. Journalistische Qualifikationsprofile müssen besser abgestimmt werden, sowohl bezüglich der Herausforderungen, vor denen Gesellschaften stehen, als auch bei der Frage des bewussten Umgangs mit Diskriminierungsregeln. Hier hat der professionelle Journalismus in Deutschland und Österreich Defizite. Die gesellschaftlichen Transformations- und Diversifizierungsprozesse lassen es notwendig erscheinen, sich mit daraus resultierenden Spannungen noch mehr zu befassen. Die Presseräte in Deutschland und Österreich sollten aus meiner Sicht eine Vermittlungsperspektive übernehmen: zwischen der Einhaltung der Regeln für guten Journalismus einerseits und der Auseinandersetzung mit journalistischen Fehlentwicklungen andererseits. Journalisten sind keine Pädagogen, sie haben nicht die Aufgabe ihr Publikum zu erziehen – dieses Verständnis würde sich eher an autokratischen Vorstellungen von Journalismus orientieren – sondern ihre Aufgabe ist es, wie es Horst Pöttker bereits dargelegt hat, professionell zu agieren und sich an berufsethische Standards zu halten. Problematisch wird dieser Zugang aber dann, wenn in der Öffentlichkeit ein zu diffuses Bild von „Journalismus“ vorherrscht, konnotative Metaphern wie „Lügenpresse“ in den Diskurs diffundieren und Journalisten diesen Entwicklungen oftmals ohnmächtig gegenüber stehen.

Skepsis gegenüber der Öffentlichkeit

Die Diskussionen über die publizistischen Grundsätze der Unabhängigkeit und Freiheit der Information, der Meinungsäußerung und Kritik müssen – darauf weist Pöttker immer wieder hin – in einer breiten Öffentlichkeit geführt werden. Selbstkontrolle bedeutet nicht, dass sich die Presseräte abschotten und als eine Art Ersatzgerichtsbarkeit operieren. Dies ist in Österreich der Fall:

Im Beschwerdeverfahren verpflichtet sich der Beschwerdeführer durch die Unterzeichnung einer Erklärung, den Österreichischen Presserat in der gegenständlichen Angelegenheit als Schiedsgericht anzuerkennen und dadurch auf die Anrufung der ordentlichen Gerichte zu verzichten. Das bedeutet insbesondere, dass wegen des Beschwerdegegenstandes keine Schadenersatzansprüche vor Gericht geltend gemacht werden können. (Presserat 2016)

Die teilnehmenden Medien sind – wenn einer Beschwerde durch das Schiedsgericht des Presserates stattgegeben wird – verpflichtet, die Entscheidung zu veröffentlichen. Denn: „Die Veröffentlichung ist für das Medium, das sich der Schiedsgerichtsbarkeit des Presserates unterworfen hat, zwingend.“ (Presserat 2016) Die anlassbezogenen Entscheidungen führen aber nicht zu einer grundsätzlichen Debatte darüber, wie etwa mit Diskriminierungen umgegangen werden soll, inwieweit hier die Öffentlichkeit involviert werden kann, und wie konkrete Gegenmaßnahmen gesetzt werden können.

Die nicht teilnehmenden Medien, d.h. die Medien, die sich nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen, kommentieren – wie bereits exemplarisch dargelegt – die Entscheidungen des Presserates oft polemisch. In diesem Kontext zeigt sich auch das Dilemma freiwilliger journalistischer Selbstkontrolle, denn Medien, die nicht daran teilnehmen, entziehen sich den Sanktionen, grenzen sich ab und versuchen auf diese Art ihr Publikum stärker an das Medium zu binden.

Über journalistische Professionalität wird auch bei Sensibilisierung gegen Diskriminierung zu wenig nachgedacht. Unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen wie sozialer Wandel, Transformations- und Diversifizierungsprozesse, der Umgang mit unterschiedlichen Ressourcen wie Diversität sind Herausforderungen für Journalisten. Wie können Zusammenhänge aufgezeigt werden, wie groß ist das Interesse des Publikums an den Sachverhalten, an Hintergrundberichterstattung und erklärenden Darstellungen? Und wie können Medien den kulturellen Austausch verstärken?

Gesellschaftliche Spannungen wirken sich auch auf den Journalismus und das Verständnis von Journalismus aus. Die freiwillige journalistische Selbstkontrolle sollte als eine Möglichkeit demokratischer Kontrolle betrachtet werden, die es erlaubt, dass freie Medien unabhängig vom Staat ihr eigenes Handeln kontrollieren (vgl. Baum 2010). Dies setzt aber eine breite gesellschaftliche Diskussion voraus „und bedarf der kritischen Solidarität einer möglichst breiten Öffentlichkeit“ (Baum 2010: 211). Und eben diese kritische Solidarität der Öffentlichkeit sehe ich nicht, sondern – im Unterschied zu Pöttker – sehe ich ein Problem einer nicht an Aufklärung interessierten Öffentlichkeit. Nicht nur Journalisten haben ethische Normen zu erfüllen, auch das Publikum spielt dabei eine wichtige Rolle. Funiok spricht in diesem Kontext von der Publikumsethik, „da die Mediennutzer an der Sphäre der medienvermittelten Öffentlichkeit teilnehmen.“ (Funiok 2010: 233) An diesem Punkt sollte angesetzt werden, denn – wie Funiok weiter ausführt – es besteht ein Zusammenhang zwischen verantwortlicher Mediennutzung und der (zu erwerbenden) Fähigkeit kompetent mit Medien umzugehen (vgl. Funiok 2010: 240f). Dazu gehört, dass auch die Vielfalt unterschiedlicher journalistischer Zugänge durch das Publikum wahrgenommen wird. Das Publikum trägt eine Mitverantwortung bei Fragen der Qualitätssicherung im Journalismus. Dies setzt voraus, dass eine lebenslange Medienbildung stattfindet und dass ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Teilhabe an einer kritischen Öffentlichkeit entsteht. Pöttker spricht von einer „zivilgesellschaftlichen Notwendigkeit“ (vgl. Pöttker 2005b).

Die angeführten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und österreichischen Presseräte zeigen, dass es durchaus weiterer Diskussionen bedarf, um einerseits Einschränkungen der Pressefreiheit durch den Gesetzgeber zu verhindern und andererseits verstärkt Strategien gegen Diskriminierung(en) zu etablieren.

Vor allem in den sozialen Netzwerken ist eine Dynamik von unterschiedlichen Argumentationen zu verfolgen, die sich in verschiedene Richtungen ausbreiten, sehr oft affirmativ und affekthaft für weitere Diskussionen sorgen und damit dem Ziel, eine aufgeklärten Öffentlichkeit zu erreichen diametral entgegengesetzt sind. Wie weit die Dynamiken in den sozialen Medien professionellen Journalismus – besonders in den Bereichen mit Publikumsbeteiligung – von den Zielen faktentreu, unbiased und nicht diskriminierend zu berichten wegführen, bedarf einer gesonderten Debatte, die über Fragen der Selbstkontrolle professionell hergestellter journalistischer Produkte hinausgeht.

Über die Autoren

Petra Herczeg, Privdoz. Mag. Dr., 1966, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.

Der Beitrag bezieht sich auf meine Forschungsinteressen im Bereich Journalismus und Migrationsforschung. E-Mail an die Autorin.

Horst Pöttker, Univ.-Prof. Dr. phil.-hist., Jg. 1944, Technische Universität Dortmund (i.R.)/Universität Hamburg (Seniorprofessur); hat im
Rahmen eines DFG-Projekts zur medialen Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland und Nordamerika die Wirksamkeit von journalistischen Antidiskriminierungsregeln untersucht. E-Mail an den Autor.

Literatur

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Fußnoten

[1] Der Text beruht auf einem Vortrag vom 12. 9. 2016 in Wien bei der 4. Jahrestagung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zur Migrations- und Integrationsforschung. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen weibliche und männliche Personen; alle sind damit gleichermaßen angesprochen.

[2] z. B. wenn es sich um eine andere Zugehörigkeit handelt, als das Publikum aufgrund der geschilderten Umstände annehmen muss.

[3] Diese Formulierung wurde 2013 vorgenommen, der Geschäftsführer des Österreichischen Presserates Alexander Warzilek begründete die Adaption damit, dass dadurch Relikte aus den 1960er Jahren wie „rassische Diskriminierung“ gestrichen und neu formuliert wurden.

[4] Es soll darauf hingewiesen werden, dass der journalistische Ehrenkodex – trotz fehlender Sanktionsmöglichkeiten – dennoch grundsätzlich durch den Kollektivvertrag für Journalisten weiterbestanden hat.

[5] in der GPA-DJP: Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier.

[6] Finanziert wird der Presserat durch Mitgliedsbeiträge seiner Trägervereine und aus Mitteln der Presseförderung (vgl. § 12a PresseFördG).

[7] vgl. www. bummedia.at (abgerufen am 2.8.2016).

[8] Dieser Passus wurde – wie bereits erwähnt – 2013 geändert.

[9] In seiner Magisterarbeit bezeichnet Albrich (2013) die Journalisten als KriminalberichterstatterInnen. In der Stichprobe wurden insgesamt 94 Journalisten (Print- und Online) erfasst, von denen 68% angaben als Kriminalberichterstatter tätig zu sein.