Lars Rinsdorf: Redaktionelle Strategien entwickeln rezensiert von Kristina Wied

Die Medienlandschaft verändert sich tagtäglich. Digitalisierung und technologische Innovationen treiben diese Veränderungen wesentlich an. Damit wandeln sich auch die Rahmenbedingungen, unter denen Journalismus in Redaktionen entsteht. Die Medienhäuser ebenso wie die journalistischen Redaktionen müssen mit diesem steten Wandel und dem Risiko, der Unsicherheit und der Ungewissheit, die mit Zukunfts-Entscheidungen verbunden sind, umgehen. Aber wie? Durch planvolles Handeln und mit Hilfe redaktioneller Strategien, wie Lars Rinsdorf in seinem Buch Redaktionelle Strategien entwickeln vielschichtig ausführt. Zeitgemäße Strategiearbeit sei, so hebt er mehrfach hervor, in Hyperwettbewerben “unter hoher Ungewissheit wichtiger denn je“ (10; vgl. z.B. auch 37). Zugleich stuft er “ein traditionelles Strategieverständnis“ als “anachronistisch“ (10) ein.

Rinsdorf lehrt Journalistik an der Hochschule der Medien in Stuttgart und leitet dort den Studiengang Crossmedia-Redaktion/Public Relations. Mit seinem Lehrbuch verfolgt er das Ziel, “Studierenden vielfältige Eindrücke von Strategiearbeit zu vermitteln“ (5). Um es vorwegzunehmen: Dies gelingt ihm auch. Aber der Reihe nach.

Das Buch ist in zwei Abschnitte geteilt. Im ersten Abschnitt zeigt Rindsdorf zum einen aktuelle Bedingungen von Journalismus auf. Zum anderen definiert er den Begriff Strategie und grenzt ihn ab vom Strategieprozess, aus dem Strategien hervorgehen, und erläutert “strategische Fitness“. Bei seiner Definitionsarbeit rekurriert er unter anderem auf Giddens Strukturationstheorie und Schimanks Verständnis von Strukturen, Akteuren und deren Handeln. In Anlehnung an Ortmann definiert er Strategien als “Set von Regeln und Ressourcen“ (11) einer Organisation, so dass kurzfristig Antworten auf strategische Fragen gegeben werden können.

Im zweiten Abschnitt steht der redaktionelle Strategieprozess im Fokus. Rinsdorf präsentiert anhand eines idealtypischen Prozesses, wie redaktionelle Strategiearbeit aussehen und eine journalistische Organisation davon profitieren kann. Als charakteristische Kennzeichen redaktioneller Strategieprozesse arbeitet er die Eigenschaften induktiv, reflexiv und kommunikativ sowie performativ, evaluativ, zyklisch, reversibel und sensitiv heraus (vgl. 59ff.). An Beispielen veranschaulicht und gut nachvollziehbar adaptiert Rinsdorf dabei immer wieder Prinzipien qualitativer Sozialforschung, inklusive Verweisen auf einschlägige Literatur (vgl. z. B. 58ff., 79, 99ff.). Zudem beschreibt der Autor verschiedene Phasen redaktioneller Strategieprozesse: von der Initiierung und aktiven Steuerung von Strategieprozessen über eine breite Analyse, handlungsleitende Szenarien und Handlungsalternativen bis hin zur Auswahl und Umsetzung von Handlungsmöglichkeiten mit Blick auf Wertschöpfung und Geschäftsmodelle.

Auffallend ist, dass Rinsdorf mehrfach betont, wie wichtig es im Strategieprozess und bei der Einführung von Neuerungen – seien es Produkte oder Strukturen – ist, die Mitarbeiter des eigenen Unternehmens bzw. der eigenen Redaktion einzubinden. Schon bei der Zusammenstellung des Teams, das sich um die Strategien kümmert, sollte darauf geachtet werden, Akteure aus allen Hierarchieebenen, mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen, ressortübergreifend und interdisziplinär über prozessrelevante und ergebnisrelevante Rollen einzubinden (vgl. 45, 76, 137 ff., 148). Eine maximale Varianz sei anzustreben (vgl. 79), ein Umsetzungsnetzwerk zu schaffen, das Änderungen aus eigenem Antrieb voran bringt (vgl. 148).

Schaut man sich aktuelle Befunde des gerade erst veröffentlichten Digital News Projects 2018 “Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2018“ des Reuters Instituts für Journalismusstudien der Universität von Oxford an, für die 196 Führungskräfte der Medienbranche aus 29 Ländern befragt worden sind, so ist diese Hervorhebung absolut berechtigt. Ein zentrales Ergebnis unterstreicht die Bedeutung der Einbindung der eigenen Mitarbeiter in Strategieprozesse für deren Erfolg: “The biggest barriers to success, they say, are not tech platforms but internal factors (36%) such as resistance to change and inability to innovate.” (Newman 2018: 5; vgl. auch 47).

Zu den weiteren Stärken des Buches zählt die äußere Gliederung: Rinsdorf stellt jedem Kapitel ein kurzes Abstract voran und endet jeweils mit zum Teil persönlich formulierten Lesetipps. Ein toller Service für alle Leser. Die 16 Abbildungen dienen der Anschaulichkeit; ein Abbildungsverzeichnis wäre noch nützlich gewesen. Die Sprache an sich ist angemessen, wenngleich viele Fachausdrücke und Fremdwörter verwendet werden, von denen Studierende wohl einige nachschlagen müssen. Der Autor formuliert varianten- und abwechslungsreich, liefert Beispiele nicht nur aus Journalismus und redaktioneller Arbeit und erschafft Szenarien, in die sich der Leser hineinversetzen kann. Auf diese Weise verhilft er seinem Text zu Verständlichkeit.

Die Wiederholung von bereits Geschriebenem in Rückbezügen oder die Vorwegnahme von Künftigem sowie die Überleitung von Kapiteln beabsichtigt wohl ebenfalls, die Verständlichkeit zu erhöhen. Die Redundanzen erweisen sich jedoch an mancher Stelle als zu viel des Guten. Im Gegensatz dazu wäre eine Zusammenfassung im letzten Kapitel wünschenswert gewesen, denn es endet abrupt.

Um den Charakter des Buches als Lehrbuch zu stärken, wäre es bei einer erneuten Auflage überlegenswert, am Ende eines jeden Kapitels rekapitulierende Fragen zu stellen, damit Studierende den eigenen Lese- und Lernerfolg selbst testen können. Diese Fragen könnte man in einem Kapitel am Ende des Buches auflösen.

Dafür, dass das Buch als Lehrbuch konzipiert wurde, ist es alles in allem sehr anspruchsvoll geworden. Nicht nur die Vielfalt der Hinweise, wie man an Strategieentwicklung herangehen und was man dabei alles berücksichtigen kann, ist herausfordernd. Die Lektüre erfordert insgesamt – im positiven Sinne – harte Arbeit. Um es mit den Worten meiner Bamberger Kollegin Prof. Dr. Anna Maria Theis-Berglmair zu sagen: Im Studium geht es ja auch darum, seine “Denkwerkzeuge“ zu benutzen.

Zum praktischen Nutzwert: Das Buch bietet mannigfache Anregungen für die praktische Strategiearbeit in Redaktionen. Aber jede Redaktion muss ihren eigenen Weg finden. Rinsdorf stellt dafür zahlreiche Wegweiser auf. Und verweist zum Schluss auf zwei Erfolgsfaktoren, die “sich allerdings nicht aus Büchern lernen [lassen]: der Mut, Veränderungen anzugehen, und die Hartnäckigkeit, sie in hierarchischen Strukturen durchzusetzen“.

Diese Rezension ist zuerst in rezensionen:kommunikation:medien (r:k:m) erschienen.

 

Literatur

Newman, Nic (2018): Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2018. Digital News Projects 2018. Online abrufbar unter: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/our-research/journalism-media-and-technology-trends-and-predictions-2018 (zuletzt aufgerufen am 10.01.2018)

 

 

 

 Über die Rezensentin

Dr. Kristina Wied vertritt seit Januar 2017 die Professur für Print- und Onlinejournalismus am Institut für Journalistik der Universität der Bundeswehr München. Sie ist Akademische Oberrätin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zu ihren Schwerpunkten in der Forschung gehören Journalismusforschung (Medieninhalte, Redaktionsforschung), visueller Journalismus (insbesondere Fotos und Bewegtbild), PR-Forschung (Inhalte auch Online/neuer Medien), politische Kommunikation (vor allem Wahlberichterstattung) und Rundfunkgeschichte (insbesondere TV).

 

Über das Buch

Lars Rinsdorf: Redaktionelle Strategien entwickeln. Analyse – Geschäftsmodelle – Konzeption.Konstanz/München [UVK] 2017, 160 Seiten, 17,99 Euro.