Social Media als Quelle journalistischer Arbeit Einfluss der Facebook- und Twitter-Beiträge von PolitikerInnen auf die Berichterstattung von Tageszeitungen

von Anna Spatzenegger

Abstract: Der vorliegende Artikel analysiert, inwiefern JournalistInnen die Auftritte von PolitikerInnen in Sozialen Netzwerken als Quelle für die Berichterstattung nutzen. Mittels einer Inhaltsanalyse wurden sechs Tageszeitungen und die Facebook- und Twitter-Accounts von neun PolitikerInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz untersucht. PolitikerInnen haben durch ihre Social-Media-Beiträge teilweise einen Einfluss auf das Agenda-Setting der Tageszeitungen. Außerdem hat die Zahl der Fans beziehungsweise Follower und die Anzahl der Interaktionen bei den einzelnen Beiträgen einen Einfluss darauf, ob JournalistInnen diese zitieren. Des Weiteren wurden große Unterschiede hinsichtlich der Social-Media-Nutzung einerseits und der Chance auf eine Übernahme eines Facebook- oder Twitter-Beitrages in eine Tageszeitung andererseits zwischen den drei Ländern und den politischen Parteien gefunden.

Einleitung

»What we do on social networks leads to extra attention on television and in the newspapers« (de Volkskrant 2010: o.S., zit. n. Broersma/Graham 2012: 408), so die Begründung des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, weshalb PolitikerInnen auf Soziale Netzwerke zurückgreifen. Auch zahlreiche deutschsprachige PolitikerInnen sind auf Facebook und Twitter aktiv – unabhängig davon, ob sie auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene tätig sind. Mit Präsenz in den Sozialen Netzwerken versuchen sie, möglichst viele potenzielle WählerInnen mit ihren Botschaften zu erreichen.

Nicht nur Fans und Follower rezipieren die Social-Media-Beiträge, sondern auch JournalistInnen. Greifen diese auf die Botschaften der PolitikerInnen in den Sozialen Netzwerken zurück und thematisieren sie in ihrer Berichterstattung, erreichen die PolitikerInnen dadurch eine größere Bekanntheit. Außerdem erhalten die Aussagen der PolitikerInnen eine größere Glaubwürdigkeit, da für Informationen zum aktuellen Geschehen klassische Nachrichtenmedien nach wie vor dominierend sind (vgl. Engel/Rühle 2017: 396). Der vorliegende Beitrag untersucht, welchen Einfluss die Social-Media-Aktivitäten ausgewählter österreichischer, deutscher und Schweizer PolitikerInnen auf die journalistische Berichterstattung von Tageszeitungen haben. Als Übernahme wurde dabei gewertet, wenn Facebook- und Twitter-Beiträge der PolitikerInnen in Zeitungsartikeln zitiert oder erwähnt wurden.

Geprüft wurden folgende Hypothesen:

• Je umstrittener Facebook- und Twitter-Beiträge sind, desto eher werden sie in die untersuchten Tageszeitungen übernommen.

• Die Boulevardzeitungen übernehmen mehr Facebook- und Twitter-Beiträge in ihre Berichterstattung als die Qualitätszeitungen in den jeweiligen Ländern.

• Je mehr Facebook-Fans beziehungsweise Twitter-Follower die PolitikerInnen haben, desto eher werden ihre Posts und Tweets in der Berichterstattung der Tageszeitungen zitiert.

Das Ziel war, unter Berücksichtigung der verschiedenen politischen Kulturen und Parteien, einen möglichen Einfluss der Facebook-Posts und Tweets der PolitikerInnen auf das Agenda-Setting der Tageszeitungen festzustellen.

Nutzung von Sozialen Netzwerken durch PolitikerInnen und JournalistInnen

Mithilfe von Social Media erreichen Organisationen, Unternehmen, Parteien und auch einzelne PolitikerInnen ihre Zielgruppen zusätzlich zur Berichterstattung der traditionellen, journalistischen Medien. PolitikerInnen können via Twitter, Facebook & Co ihre eigenen Themen präsentieren und sich zu aktuellen Berichten und Ereignissen äußern. Und sie können sich der Debatte in journalistischen Medien verweigern, indem sie Anfragen unbeantwortet lassen, bestimmten Medien keine Interviews geben, sondern sich stattdessen lediglich auf Facebook oder Twitter äußern (vgl. Broersma/Graham 2013: 461f.). Soziale Netzwerke fördern – da sie auf den sozialen und emotionalen Beziehungen der NutzerInnen basieren – vor allem die Verbreitung von emotionalen und moralischen Beiträgen, sogenannte Soft News (vgl. Imhof 2015: 19f.). Sie befördern die Personalisierung wie die Trivialisierung von Politik.

Im österreichischen Wahlkampf 2017 griffen vermehrt jene Parteien und AkteurInnen auf Soziale Netzwerke zurück, die diese bisher weniger bespielten (vgl. Klinger/Russmann 2017: 304). Deutlich erkennbar war, dass statt Sachfragen verstärkt Personen in den Vordergrund gerückt wurden mit dem Ziel, ihren Bekanntheitsgrad sowie Sympathie- und Glaubwürdigkeitswerte zu erhöhen (vgl. Puhle 2003: 41). Ein weiteres Ziel der WahlkampfstrategInnen bestand darin, über die Social-Media-Präsenz der KandidatInnen auch journalistische Medien zu erreichen und somit die Medien- und Publikumsagenda zu beeinflussen.

Für JournalistInnen stellen Social Media ein schier unerschöpfliches Reservoir an Quellen dar (vgl. Hermida 2010: 298f.). Zitiert werden Social-Media-Beiträge in journalistischen Medien entweder, weil sie als solche berichtenswert erscheinen, oder weil JournalistInnen sie für geeignet halten, eine Aussage oder Haltung zu belegen (vgl. Broersma/Graham 2012: 405). Social-Media-Inhalte erleichtern insofern die Arbeit der JournalistInnen, als dass sie nicht selbst Interviewanfragen stellen und verschiedene Meinungen einholen müssen. Statt PolitikerInnen zu befragen, kann einfach ein Tweet aufgegriffen und in den Bericht eingebaut werden (vgl. Broersma/Graham 2012: 408). Auch wenn in den Sozialen Netzwerken unterschiedliche Meinungen existieren, greifen JournalistInnen tendenziell vor allem die Aussagen prominenter und mächtiger AkteurInnen auf. Dadurch werden bestehende Machtstrukturen eher gestärkt als in Frage gestellt (vgl. Knight 2012: 61).

Politik und Journalismus gehen so gesehen auch bei der Nutzung von Social Media eine symbiotische Beziehung ein. Kritik und Kontrolle kommen zu kurz, wenn PolitikerInnen an journalistischen Medien vorbei ihre eigenen Kanäle bespielen oder JournalistInnen unkritisch zitieren, was PolitikerInnen via Social Media verbreiten. Überwiegend erlangen Tweets und Posts keine so große Reichweite wie die Berichterstattung in traditionellen, journalistischen Medien (vgl. Theis-Berglmaier 2014: 154-159f.). Dies bedeutet, dass Soziale Netzwerke die traditionellen Medien nicht ersetzen, sondern als weitere Kanäle ergänzen. Dennoch ist der verstärkte Einsatz von Social Media durch PolitikerInnen zwecks Umgehung journalistischer Medien eine Entwicklung, die aufmerksam beobachtet werden sollte.

Methodisches Vorgehen

Für die Untersuchung wurden sechs deutschsprachige Tageszeitungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz ausgewählt, jeweils eine Qualitäts- und eine Boulevardzeitung pro Land: Der Standard, Heute, Süddeutsche Zeitung, Bild-Zeitung, Blick und Neue Zürcher Zeitung. Bei den österreichischen und deutschen Zeitungen wurde nicht nur die Druckvariante der Zeitungen, sondern auch das Online-Angebot der Zeitungen untersucht, da die Interaktivität von Facebook- und Twitter-Beiträgen in Online-Artikel besser eingebaut werden kann und dadurch möglicherweise öfter verwendet wird. Mittels der Suchbegriffe »Facebook« und »Twitter« bzw. »Tweet« wurde in den Online-Archiven und der APA-DeFacto-Datenbank möglichst breit nach Zeitungsartikeln der sechs Tageszeitungen gesucht. Während des Erhebungszeitraums von zwölf Wochen, vom 09.03.2019 bis 31.05.2019, wurden für zahlreiche deutschsprachige PolitikerInnen laufend die Facebook- und Twitter-Beiträge abgespeichert, da nicht abzusehen war, welche PolitikerInnen in den Zeitungsartikeln zitiert werden würden. Nach Abschluss der Erhebung wurde die Häufigkeit der in den Artikeln zitierten PolitikerInnen erhoben. Aufgrund dessen wurden für Österreich, Deutschland und die Schweiz die drei am häufigsten genannten PolitikerInnen ermittelt, deren Facebook- und Twitter-Beiträge näher untersucht werden. Bei den ausgewählten PolitikerInnen handelt es sich um Heinz-Christian Strache (FPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP), Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Heiko Maas (SPD), Christian Lindner (FDP), Natalie Rickli (SVP), Jacqueline Fehr (SP) und Thomas Aeschi (SVP).

Somit wurden in der Untersuchung insgesamt 3054 Beiträge mittels eines Codebuches codiert und ausgewertet. Diese Beiträge setzen sich aus 1156 Facebook-Posts, 1036 Tweets und 862 Tageszeitungsartikeln zusammen. 245 Artikel – etwa 28 Prozent und somit über ein Viertel – beschäftigen sich mit den Beiträgen der ausgewählten neun PolitikerInnen in den Sozialen Netzwerken und wurden noch weitergehend codiert.

Deskriptive Ergebnisse der Untersuchung

Anzahl der Facebook-Fans und Twitter-Follower

Die genannten PolitikerInnen unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl der Facebook-Fans und Twitter-Follower stark voneinander. Dies ist teilweise auf die Bevölkerungszahl der einzelnen Länder zurückzuführen. Allerdings zeigt sich deutlich, dass die Sozialen Netzwerke in Österreich, Deutschland und der Schweiz eine unterschiedliche Bedeutung bei den PolitikerInnen und den BürgerInnen haben. In Österreich stellt insbesondere Facebook ein wichtiges Kommunikationsinstrument für die PolitikerInnen dar. In der Schweiz hingegen spielen die Sozialen Netzwerke eine wesentlich geringere Rolle. Auch wenn Deutschland zehnmal mehr EinwohnerInnen als Österreich hat, liegen dennoch die österreichischen SpitzenpolitikerInnen im Vergleich der Anzahl der Facebook-Fans weit vorne. Bereits vor der Ibiza-Affäre stellte Straches Facebook-Seite einen wichtigen und stark beachteten Kommunikationskanal dar und »war lange der Prototyp direkter politischer Kommunikation in Österreich und das Rückgrat einer eigenen Medienwelt« (Fidler 2019: 8). Dies zeigt sich auch deutlich in der Anzahl der Fans und Follower in der folgenden Tabelle (Stand September 2019):

Anzahl der Zeitungsartikel mit Facebook- und Twitter-Beiträgen

Politiker/Politikerin Anzahl
Facebook-Fans
Anzahl
Twitter-Follower
Heinz-Christian Strache (FPÖ) 792.000 62.000
Sebastian Kurz (ÖVP) 800.000 348.000
Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) 102.000 16.300
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) 40.000 83.500
Christian Lindner (FDP) 250.000 354.000
Heiko Maas (SPD) 50.000 333.000
Thomas Aeschi (SVP) 3.700 1.200
Jacqueline Fehr (SP) 7.200 10.800
Natalie Rickli (SVP) 29.000 45.800

Die Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Artikel, die sich mit den Facebook- und Twitter-Beiträgen von einem der neun ausgewählten PolitikerInnen beschäftigen. Während die österreichischen Zeitungen Der Standard und Heute sehr viele Artikel über die neun PolitikerInnen verfassten, waren dies bei den deutschen Zeitungen deutlich weniger. Insbesondere die Online-Ausgaben von Der Standard und Heute veröffentlichten zahlreiche Artikel. In den österreichischen und deutschen Zeitungen wurden insgesamt 813 Artikel veröffentlicht. Dies bedeutet, dass nur wenige Artikel in den beiden Schweizer Medien herausgegeben wurden; elf Artikel im Blick und 38 Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung.

Über 70 Prozent der Beiträge wurden auf den Online-Plattformen der Zeitungen veröffentlicht. Die Verteilung der Beiträge zeigt deutlich, dass JournalistInnen vermehrt in online veröffentlichten Artikeln auf die Facebook-Posts und Tweets von PolitikerInnen zurückgreifen. Der deutliche Unterschied könnte sich vor allem durch die Interaktivität und grafische Darstellung von Beiträgen auf Sozialen Netzwerken erklären lassen.

Abbildung 1:
Anzahl der Artikel nach Medium, die einen Facebook- oder Twitter-Beitrag von einem der neun ausgewählten PolitikerInnen zitieren

Anzahl der Facebook- und Twitter-Beiträge

Während des Untersuchungszeitraums veröffentlichten die neun PolitikerInnen insgesamt 1156 Facebook-Posts und 1036 Tweets. Dabei nutzen die österreichischen PolitikerInnen Facebook am intensivsten. Insbesondere Heinz-Christian Strache sticht durch die Anzahl von 330 Posts hervor. Sebastian Kurz veröffentlicht mit 217 Posts zwar deutlich weniger als Strache, allerdings nutzt er die Plattform häufiger als die anderen untersuchten PolitikerInnen. Pamela Rendi-Wagner folgt knapp hinter Kurz mit 183 Posts. In den beiden anderen Ländern nutzen lediglich Christian Lindner (145 Posts) in Deutschland und Jacqueline Fehr (111 Posts) in der Schweiz die Plattform häufiger.

Im Vergleich dazu fällt auf, dass Twitter von anderen PolitikerInnen intensiver genutzt wird als Facebook. Laut Udris, Vogler und Lucht (2018: o.S.) nutzen rechtspopulistische Parteien eher Facebook. Da von der deutschen Partei AfD nur sehr wenige Facebook-Posts beziehungsweise Tweets gesammelt werden konnten, die in Tageszeitungen aufgegriffen wurden, wurde kein/e AfD-PolitikerIn zur näheren Untersuchung ausgewählt. Deshalb kann bezüglich der Nutzung von Facebook durch rechtspopulistische PolitikerInnen in Deutschland keine Aussage getroffen werden. In Österreich bestätigt sich die Feststellung von Udris, Vogler und Lucht. Strache veröffentlichte lediglich 32 Tweets im Untersuchungszeitraum. Dies bedeutet, dass er nur etwa jeden zweiten bis dritten Tag einen Beitrag auf Twitter veröffentlichte. In der Schweiz lässt sich die Aussage bezüglich der Nutzung von Sozialen Medien durch rechtspopulistische PolitikerInnen nicht bestätigen. Thomas Aeschi nutzte Twitter häufiger als Facebook und schrieb 140 Tweets, was bedeutet, dass er ein bis zwei Twitter-Beiträge täglich publizierte.

Am häufigsten nutzte Sebastian Kurz Twitter und veröffentlichte 296 Tweets, also zwischen drei und vier Beiträge jeden Tag. Auch Heiko Maas verwendete Twitter häufig und schrieb im Untersuchungszeitraum 172 Beiträge. Ebenso veröffentlichten Pamela Rendi-Wagner (106 Tweets), Christian Lindner (109 Tweets) und Jacqueline Fehr (100 Tweets) oft Beiträge in dem Kurznachrichtendienst. Dies zeigt, dass PolitikerInnen die beiden Sozialen Netzwerke unterschiedlich häufig nutzen und nicht einfach dieselben Beiträge sowohl auf Facebook als auch auf Twitter verbreiten.

Übernahme in die Berichterstattung

Nur ein kleiner Teil der von den neun PolitikerInnen veröffentlichten Social-Media-Beiträge wurde in die Tageszeitungen aufgenommen. Von den 2192 Facebook-Posts und Tweets wurden nur 112 – somit etwa fünf Prozent aller veröffentlichten Beiträge in den Sozialen Netzwerken – von JournalistInnen in die Berichterstattung übernommen.

Inhaltliche Merkmale

Themen der zitierten Social-Media-Beiträge

Allgemein lässt sich feststellen, dass Beiträge von Facebook und Twitter zu vielen unterschiedlichen Themenfeldern in den Zeitungsartikeln aufgenommen wurden. Am häufigsten wurden Beiträge zitiert, in denen PolitikerInnen ihre Meinung über andere PolitikerInnen, in der Öffentlichkeit stehende Personen oder öffentliche Institutionen schrieben (165 Mal) oder sich mit der derzeitigen gesellschaftlichen Situation und aktuellen Vorgängen sowie den Werten und Normen im Land auseinandersetzten (123 Mal).

Des Weiteren griffen JournalistInnen häufig auf Stellungnahmen der Politiker­Innen zu aktuellen Ereignissen weltweit zurück oder berichteten über Beiträge, in denen PolitikerInnen über ihre eigene Partei schrieben. Kommentare zur eigenen politischen Zukunft wurden in 68 Fällen in die Tageszeitungen übernommen, vor allem Stellungnahmen nach dem Bekanntwerden der Ibiza-Affäre, in deren Folge es zu einem Bruch der Regierungskoalition zwischen ÖVP und FPÖ kam. Selten wurden Stellungnahmen aus den Sozialen Netzwerken zu politischen Projekten oder internationaler Politik zitiert. Dies zeigt, dass Facebook- und Twitter-Beiträge zu politischen Forderungen der PolitikerInnen wenig in der Berichterstattung berücksichtigt wurden.

Themen der Zeitungsartikel

Bei der Betrachtung der 245 Artikel, die einen Facebook- oder Twitter-Beitrag der neun PolitikerInnen zitieren, zeigt sich ein großer Unterschied hinsichtlich der Themen. Während sich die Zeitungsartikel am häufigsten mit der innenpolitischen Situation des jeweiligen Landes auseinandersetzten, war dieses Thema in den Beiträgen aus den Sozialen Netzwerken weniger wichtig. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Themen der Beiträge aus den Sozialen Netzwerken nicht das Thema des gesamten Zeitungsartikels bestimmten. Bereits am zweithäufigsten beschäftigten sich die Artikel mit dem Ibiza-Skandal, obwohl jener erst in den letzten Tagen des Untersuchungszeitraums publik wurde. Seltener beschäftigen sich die Artikel mit tragischen Ereignissen weltweit, sportlichen Erfolgen oder den Facebook- und Twitter-Auftritten der PolitikerInnen allgemein.

Themen der Facebook-Posts und Tweets

Am häufigsten insgesamt wurden Posts und Tweets gefunden, welche als Ankündigung/Livestream/Pressekonferenz codiert wurden (354 Beiträge). Beinahe ebenso oft beschäftigen sich die PolitikerInnen mit der Kommunikation mit beziehungsweise über andere PolitikerInnen (338 Beiträge). Des Weiteren wurden 287 Beiträge gefunden, die sich mit dem Thema Wahl auseinandersetzen.

Auffallend war, dass im Vergleich zu den in den Tageszeitungen zitierten Beiträgen der neun PolitikerInnen diese in den Sozialen Netzwerken sehr viel über aktuelle und zukünftige politische Projekte schreiben. Dies bedeutet, dass obwohl viele Beiträge zu politischen Anliegen auf Facebook und Twitter verbreitet werden, die Tageszeitungen nur sehr wenige davon in ihre Berichterstattung aufnehmen. Beiträge zur gesellschaftlichen Situation (211 Mal) oder Sportliche Ereignisse/Todesfälle/Tragische Ereignisse (198 Mal) sind für die Kommunikation der PolitikerInnen in den Sozialen Netzwerken somit weniger wichtig als politische Forderungen oder Projekte.

Stilitische Merkmale

Tonalität

Hinsichtlich der Tonalität sind die Artikel zum größten Teil entweder neutral (40 Prozent) oder eher negativ (48 Prozent) verfasst. Beinahe zehn Prozent der Artikel sind sehr negativ. Nur etwa zwei Prozent wurden als eher positiv eingestuft. Bei den Beiträgen der PolitikerInnen auf Facebook und Twitter überwiegt mit 31 Prozent ebenfalls die Ausprägung neutral. Im Unterschied zu den Zeitungsartikeln wurden bei den Beiträgen in den Sozialen Netzwerken über 25 Prozent als sehr positiv und über 14 Prozent als eher positiv bewertet. Weniger Beiträge wurden mit einer negativen Tonalität verfasst.

Stil

Des Weiteren wurde der Stil der Tageszeitungen erfasst. Etwa zwei Drittel der Artikel sind sachbetont verfasst, während etwa ein Drittel boulevardesk ist. Dabei lässt sich ein großer Unterschied zwischen der Berichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen feststellen. Boulevardzeitungen verfassen nur etwa ein Viertel der Beiträge sachbetont. Qualitätszeitungen hingegen verwenden in ihrer Berichterstattung zu über 97 Prozent einen sachbetonten Stil, auch wenn sie Facebook-Posts und Tweets in der Berichterstattung heranziehen.

Verlinkung von Zeitungsartikeln

In Social-Media-Beiträgen, in denen PolitikerInnen auf Zeitungsartikel verlinken, ist auffällig, dass eine große Anzahl an unterschiedlichen Nachrichtenquellen verwendet wird. Dies lässt darauf schließen, dass sich die PolitikerInnen nicht auf die Berichterstattung eines bestimmten Mediums konzentrieren, sondern sich auf unterschiedliche Quellen beziehen, die am besten ihre eigenen Aussagen oder ihre politischen Einstellungen unterstützen.

Zitierte PolitikerInnen

Häufigkeit der Zitation der ausgewählten PolitikerInnen

Bei der Häufigkeit, mit der die ausgewählten PolitikerInnen zitiert wurden, zeigen sich starke Unterschiede. Die Aktivitäten von Heinz-Christian Strache werden am häufigsten in die Berichterstattung übernommen und in 156 Artikeln behandelt. Deutlich seltener – in 56 Artikeln – setzen sich die Tageszeitungen mit den Social-Media-Aktvitäten von Sebastian Kurz auseinander. Pamela Rendi-Wagner wird in lediglich neun Artikeln mit ihren Beiträgen aus den Sozialen Netzwerken erwähnt.

In Deutschland werden die Beiträge der drei PolitikerInnen beinahe gleich oft in den Tageszeitungen aufgegriffen. Die Facebook- oder Twitter-Beiträge von Annegret Kramp-Karrenbauer werden in 13, von Christian Lindner in 15 und von Heiko Maas in 18 Artikeln erwähnt. Mit den Social-Media-Accounts der beiden Schweizer PolitikerInnen Thomas Aeschi und Natalie Rickli beschäftigen sich lediglich je zwei Artikel. Jacqueline Fehrs Online-Aktivitäten werden von JournalistInnen in sechs Berichten aufgegriffen. Dies zeigt, dass die Beiträge in Sozialen Netzwerken von österreichischen PolitikerInnen sehr viel öfter in die Berichterstattung einbezogen werden als von ihren KollegInnen in der Schweiz und in Deutschland.

Nationalität aller zitierter PolitikerInnen

Während des Untersuchungszeitraums wurden 265 verschiedene deutschsprachige PolitikerInnen erfasst, deren Facebook- oder Twitter-Beiträge zumindest einmal in einer der sechs Tageszeitungen genannt wurden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Facebook- und Twitter-Aktivitäten von Schweizer Politiker­Innen im Vergleich zu österreichischen und deutschen KollegInnen kaum von Tageszeitungen beachtet werden (36 Artikel). Die Beiträge von österreichischen PolitikerInnen werden hingegen in 445 Artikeln genannt. Deutsche PolitikerInnen werden am häufigsten von Tageszeitungen zitiert; dies geschieht in 516 Fällen. Während in Deutschland die Social-Media-Aktivitäten von mehr unterschiedlichen AkteurInnen vorkommen, die seltener zitiert werden, findet in Österreich eine Konzentration auf einige wenige zentrale PolitikerInnen wie Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz statt.

Parteifamilien im deutschsprachigen Raum

Insgesamt im deutschsprachigen Raum wurden PolitikerInnen, die rechtspopulistischen Parteien zuzuordnen sind, am häufigsten mit ihren Auftritten in den Sozialen Netzwerken von den Zeitungen zitiert (296 Artikel). Sozialdemokratische PolitikerInnen wurden in 265 Artikeln erwähnt, während die Social-Media-Aktivitäten von bürgerlich-konservativen PolitikerInnen in 218 Zeitungsberichten beschrieben werden.

In Österreich werden am häufigsten – in insgesamt 257 Fällen – die Social-Media-Aktivitäten der PolitikerInnen der FPÖ in den Tageszeitungen aufgegriffen. Mit großem Abstand folgt die ÖVP (69 Artikeln), wovon 56 Nennungen auf Sebastian Kurz zurückzuführen sind. Die Beiträge auf Facebook und Twitter von SPÖ-PolitikerInnen werden in 56 Artikeln erwähnt. Dies zeigt, dass sich JournalistInnen bei der ÖVP sehr auf Sebastian Kurz konzentrieren, während bei der SPÖ und FPÖ auch die Social-Media-Aktivitäten weiterer PolitikerInnen in den Blick genommen werden.

Bei den deutschen PolitikerInnen werden am häufigsten die Social-Media-Aktivitäten der AkteurInnen der SPD in den Tageszeitungen zitiert (197 Artikel). Die AkteurInnen der Union erreichen mit 146 Artikeln weniger Nennungen als die SPD-PolitikerInnen. Bei den deutschen Parteien kommen unterschiedliche PolitikerInnen durch ihre Social-Media-Aktivitäten in den Tageszeitungen zu Wort und es findet keine Konzentration auf einzelne Personen wie in Österreich statt. Die FDP-PolitikerInnen werden in lediglich 29 Artikeln aufgegriffen. Dabei fällt auf, dass Christian Lindner, der in 15 Artikeln zitiert wird, ein zentraler Akteur ist.

In der Schweiz fällt die sehr geringe Anzahl an Artikeln auf, die sich mit den Facebook- und Twitter-Aktivitäten der Schweizer PolitikerInnen beschäftigen. Die SVP und SP erreichen beide zwölf Artikel, in denen die Social-Media-Beiträge ihrer Parteimitglieder genannt werden.

Politische Position

Die in den Artikeln zitierten PolitikerInnen sind überwiegend auf bundespolitischer Ebene tätig (548 Mal). Beinahe gleich oft griffen JournalistInnen auf die Facebook- und Twitter-Beiträge von Regional- und LokalpolitikerInnen zurück (161 Mal und 158 Mal). Überraschenderweise wurden mehr Regional- und LokalpolitikerInnen als EU-PolitikerInnen (63 Mal) in den Zeitungsartikeln zitiert, obwohl sie weniger Einfluss im Bundesgebiet der jeweiligen Zeitung haben, als AkteurInnen, die auf EU-Ebene tätig sind.

Facebook-Posts und Tweets als Quelle

Aktualität der Social-Media-Beiträge

Ausgewertet wurde auch die Aktualität der Facebook-Posts und Tweets, die in die Berichterstattung der Tageszeitungen aufgenommen wurden. Dabei zeigt sich, dass etwa zwei Drittel der Beiträge aktuell sind und somit weniger als eine Woche vor der Veröffentlichung des Tageszeitungsartikels auf Facebook oder Twitter publiziert wurden. Belegt ist damit, dass JournalistInnen in den meisten Fällen auf aktuelle Posts und Tweets reagieren und die Accounts der PolitikerInnen regelmäßig beobachten. 15 Prozent der Beiträge waren älter als eine Woche. Dies bedeutet, dass JournalistInnen die Sozialen Netzwerke ähnlich wie ein Archiv verwenden und in bestimmten Nachrichtensituationen auch auf ältere Beiträge zurückgreifen.

Agenda-Setting-Analyse

Facebook- oder Twitter-Beiträge als Hauptthema eines Artikels

Ein weiterer Indikator, der Aufschluss darüber gibt, inwiefern Facebook-Posts und Tweets die Berichterstattung der Tageszeitungen bestimmen, ist die Zahl der Beiträge, in denen ein Facebook-Beitrag oder Tweet das Hauptthema darstellt. Die Variable »Facebook- und Twitter-Beitrag als Hauptthema« bedeutet, dass sich der gesamte Zeitungsartikel mit den Beiträgen aus den beiden Sozialen Netzwerken beschäftigt hat. Allerdings wurde festgestellt, dass das bei lediglich neun der insgesamt 245 Artikel der Fall ist und damit nur 3,7 Prozent der Artikel sich mit den Beiträgen der PolitikerInnen aus den Sozialen Netzwerken als Hauptthema beschäftigen.

Zentralität der Facebook- und Twitter-Beiträge

Im Gegensatz zu der Variable »Facebook- und Twitter-Beitrag als Hauptthema« muss sich bei der Variable Zentralität nicht der gesamte Artikel ausschließlich um den Post oder Tweet drehen, sondern diesen als zentralen inhaltlichen Ausgangspunkt oder Gegenstand der Berichterstattung haben. In 52 Artikeln, also nur etwa einem Fünftel der Zeitungsartikel, hatten die Beiträge der PolitikerInnen aus den Sozialen Netzwerken einen großen Einfluss auf die Berichterstattung. In den meisten Berichten nahmen die Posts und Tweets eine eher geringere oder gar keine zentrale Rolle für die Berichterstattung ein.

Facebook- und Twitter-Beiträge wurden oftmals herangezogen, um einen Sachverhalt durch ein Beispiel zu untermauern, wie im Fall des Blick-Artikels, der einen Tweet von Thomas Aeschi zitiert. Der Artikel beschäftigt sich mit einer umstrittenen politischen Aussage des Schweizer Staatssekretärs Roberto Balzaretti und greift als Beispiel für eine kritische Stimme in einem Satz auf den Tweet von Aeschi zurück (vgl. Blick 2019: 2). Broersma und Graham stellten bereits 2012 fest, dass die Illustration einer Geschichte einer der wichtigsten Gründe ist, warum Facebook-Posts und Tweets in die Berichterstattung aufgenommen werden (vgl. Broersma/Graham 2012: 405).

Relevanz der Facebook- und Twitter-Beiträge

In einem weiteren Schritt wurde die Relevanz der einzelnen Posts und Tweets für die Verständlichkeit der jeweiligen Zeitungsartikel bestimmt. Etwa bei einem Drittel der Tageszeitungsartikel waren die zitierten Facebook- oder Twitter-Beiträge relevant, sodass ohne deren Informationen der Artikel nicht vollständig verständlich gewesen wäre. Bei 166 Artikel – etwa zwei Drittel – waren die Facebook-Posts und Tweets hingegen nicht von Relevanz. Dies war vor allem der Fall, wenn Posts oder Tweets zur besseren Darstellung eines Beispiels oder nur in einem Teil des Artikels, der nicht zentral war, zitiert wurden.

Zitation: Direkt vs. indirekt

Ein weiterer Indikator für den Einfluss der Social-Media-Beiträge auf das Agenda-Setting der Tageszeitungen, ist die Art und Weise, in der Facebook-Posts und Tweets übernommen und zitiert werden. Am häufigsten – in über 45 Prozent – zitierten die JournalistInnen die Facebook- und Twitter-Beiträge direkt. Am seltensten, zu elf Prozent, wurden Beiträge indirekt zitiert. Unter »zusammenfassend« wurden all jene Beiträge codiert, die den Facebook- oder Twitter-Account der PolitikerInnen allgemein beschrieben (22 Prozent). Bei etwa einem Fünftel der Beiträge wurden die Tweets und Facebook-Posts als Bild in die Artikel übernommen.

Bereits in einer anderen Untersuchung wurde festgestellt, dass JournalistInnen Beiträge aus Sozialen Netzwerken hauptsächlich vollständig und direkt zitieren (vgl. Broersma/Graham 2012: 413). Das ist zu einem überwiegenden Teil auch in der vorliegenden Untersuchung der Fall. Sowohl bei der Übernahme als Bild als auch bei der direkten Zitation übernehmen die JournalistInnen den Wortlaut der PolitikerInnen. Broersma und Graham nahmen als Grund für das direkte Zitieren der Social-Media-Beiträge an, dass JournalistInnen sich von den Aussagen der PolitikerInnen distanzieren wollen. Durch das direkte Zitat geben sie die Verantwortung für die Äußerungen ab (vgl. Broersma/Graham 2012: 413).

Kritische Auseinandersetzung

Als weitere Kategorie wurde untersucht, inwiefern sich die Tageszeitungen kritisch mit den Beiträgen aus den Sozialen Netzwerken auseinandersetzen. Dabei wurde angenommen, dass eine unkritische Übernahme einen höheren Einfluss auf das Agenda-Setting nehmen kann, da die Aussagen von JournalistInnen nicht in den Kontext eingeordnet, kritisch hinterfragt oder mit gegenteiligen Meinungen verglichen werden. PolitikerInnen versuchen, ihre Deutung eines Sachverhaltes in die Medien zu bringen und dadurch ihre Sicht der Dinge zu etablieren (vgl. Bulkow/Schweiger 2013: 175). Es zeigte sich bei der Auswertung, dass sich jeweils ein Drittel der Tageszeitungsartikel kritisch mit den zitierten Posts und Tweets auseinandersetzte, ein Drittel sich eher kritisch damit beschäftigte und ein Drittel keine kritische Einordnung vornahm.

Überprüfung von drei Hypothesen

1) Einfluss der Interaktion in den Sozialen Netzwerken

Die Hypothese 1 (H1) lautet: Je umstrittener Facebook- und Twitter-Beiträge sind, desto eher werden sie in die untersuchten Tageszeitungen übernommen.

Intensiver diskutierte Facebook-Posts und Tweets, die mehr Kommentare, Likes, Shares oder Emoticons von den RezipientInnen erhalten, erreichen durch die Algorithmen der Netzwerke eine größere Reichweite. Deshalb wird angenommen, dass diese Social-Media-Beiträge eher von JournalistInnen in die Berichterstattung übernommen werden als Posts und Tweets mit weniger Interaktion.

Mittels SPSS wurde der Zusammenhang zwischen Interaktion und Übernahme durch eine bivariate Pearson-Korrelation festgestellt, mit der analysiert wurde, ob mit steigender Interaktion die Wahrscheinlichkeit der Übernahme der Facebook-Posts und Tweets in Zeitungen steigt. Dabei zeigte sich ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen Interaktion und Übernahme (r=.28, p<0.01). In die Analyse wurden 2190 Beiträge eingeschlossen, durchschnittlich wurde mit diesen Beiträgen 1433 Mal interagiert (M=1433.46, SD=3415.80). Dies bedeutet, dass Social-Media-Beiträge der PolitikerInnen mit mehr Interaktionen eher von den JournalistInnen aufgegriffen und zitiert werden.

2) Boulevard vs. Qualität

Die Hypothese 2 (H2) lautet: Die Boulevardzeitungen übernehmen mehr Facebook- und Twitter-Beiträge in ihre Berichterstattung als die Qualitätszeitungen in den jeweiligen Ländern.

Im ersten Schritt wurde untersucht, in wie vielen Beiträge die sechs Boulevard- beziehungsweise Qualitätszeitungen im Untersuchungszeitraum Facebook- und Twitter-Beiträge zitieren. Dabei wird sichtbar, dass beinahe zwei Drittel aller gesammelten Zeitungsartikel von Qualitätszeitungen stammen. Das widerspricht der Annahme, dass Boulevardzeitungen vermehrt auf Facebook- und Twitter-Beiträge zurückgreifen. Allerdings lässt es noch keinen Rückschluss auf die Anzahl der zitierten Facebook-Posts und Tweets zu, da in einem Artikel auch mehrere Beiträge aus den Sozialen Netzwerken zitiert werden könnten.

Deshalb wurde in einem weiteren Auswertungsschritt untersucht, ob ein signifikanter Unterschied zwischen Boulevard- und Qualitätszeitungen hinsichtlich der Anzahl der zitierten Facebook- und Twitter-Beiträge in der Berichterstattung besteht. Zur empirischen Prüfung der Hypothese wurden in einem T-Test Unterschiede in der Übernahmehäufigkeit zwischen Boulevard und Qualitätsmedien analysiert.

Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen (t(514) = 0.88, p = .38). Boulevardzeitungen übernehmen im Durchschnitt (M = 1.32, SD = .87) nicht häufiger Inhalte aus Tweets und Facebook-Posts als Qualitätsmedien (M = 1.27, SD = .63). Folglich konnte die Hypothese nicht bestätigt werden. Da sich Boulevardzeitungen seltener mit Hard Facts wie beispielsweise politischen Vorgängen auseinandersetzen als Qualitätszeitungen, sondern mehr mit emotionalisierten und personalisierten Geschichten (vgl. Raabe 2013: 33f.), könnte dies eine Erklärung sein, warum Qualitätszeitungen öfter auf die Social-Media-Aktivitäten von PolitikerInnen zurückgreifen.

3) Einfluss der Facebook-Fans beziehungsweise Twitter-Follower

Die Hypothese 3 (H3) lautete: Je mehr Facebook-Fans beziehungsweise Twitter-Follower die PolitikerInnen haben, desto eher werden ihre Posts und Tweets in der Berichterstattung der Tageszeitungen zitiert.

Bei dieser Hypothese wurde angenommen, dass PolitikerInnen mit mehr Fans auf Facebook beziehungsweise Follower auf Twitter bekannter sind. Aufgrund dessen wird von einer intensiveren Beobachtung der Sozialen Netzwerke dieser PolitikerInnen durch JournalistInnen ausgegangen. Konkret bedeutet dies, dass übernommene und nicht-übernommene Facebook Posts sich signifikant hinsichtlich der Follower/Fananzahlen unterscheiden.

Hypothese 3 wurde quantitativ mittels T-Test für unabhängige Stichproben überprüft: Dabei wurde untersucht, inwiefern ein Unterschied hinsichtlich der Übernahme von Posts und Tweets in die Zeitungsberichte durch die unterschiedliche Anzahl der Facebook-Fans und Twitter-Follower der neun PolitikerInnen besteht. Übernommene und nicht übernommene Facebook-Posts unterscheiden sich signifikant (t(2190) = 4.03, p<0.01) hinsichtlich der Follower/Fanzahlen. Dies bedeutet, dass sich ein hoch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen ergibt. Übernommene Posts haben im Durchschnitt (M = 433580.36, SD = 27649.20) mehr Follower/Fanzahlen als nicht übernommene Posts (M = 316143.80, SD = 6590.09).

Es verdeutlicht, dass die Anzahl der Facebook-Fans und Twitter-Follower nicht nur in den Sozialen Netzwerken eine Bedeutung hat, sondern auch die weitere Verbreitung von Beiträgen durch Tageszeitungs-JournalistInnen beeinflusst.

Zusammenfassung und Fazit

Die Auswertung zeigt, dass Facebook und Twitter in Österreich, Deutschland und der Schweiz von den untersuchten PolitikerInnen unterschiedlich häufig verwendet werden. Die stark differierenden Zahlen an Fans und Follower verdeutlichen, dass die Social Media Kanäle von potentiellen WählerInnen verschieden häufig rezipiert werden. Trotz der geringeren Bevölkerungsanzahl sticht Österreich durch die hohe Relevanz von vor allem Facebook hervor. Dies wird durch das Bekanntwerden der Ibiza-Affäre im Untersuchungszeitraum noch verstärkt, als insbesondere die Social Media Aktivitäten des FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache von besonderem Interesse sind. Jedoch zeigt der Blick auf die im Vergleich mit den anderen beiden Ländern überdurchschnittlich hohe Anzahl von Facebook-Fans der PolitikerInnen, dass unabhängig von der Mitte Mai 2019 publik werdenden Ibiza-Affäre insbesondere Facebook eine größere Bedeutung für österreichische PolitikerInnen hat als für PolitikerInnen in Deutschland oder der Schweiz.

Ein Unterschied zwischen den drei untersuchten Ländern konnte hinsichtlich der parteilichen und ideologischen Ausrichtung der zitierten PolitikerInnen festgestellt werden. Während in Österreich ein großer Teil der Facebook-Beiträge und Tweets von der rechtspopulistischen FPÖ – vor allem von Heinz-Christian Strache – stammen, zeigt sich in Deutschland, dass viele Beiträge der SPD zugeordnet werden können. In der Schweiz wurden insgesamt nur sehr wenige Beiträge der Sozialen Netzwerke in den Zeitungen zitiert.

Zusammenfassend stellt sich ein ambivalentes Bild des Einflusses der Beiträge aus den Sozialen Netzwerken auf das Agenda-Setting der Tageszeitungen dar. Teilweise nehmen Facebook-Posts und Tweets einen Einfluss auf die Tageszeitungen, indem sie etwa der Ausgangspunkt der Berichterstattung sind oder eine zentrale Rolle darin einnehmen. Auch durch die direkte Zitation oder die Veröffentlichung eines Bildes der Beiträge aus den Sozialen Netzwerken und eine unkritische Übernahme in einigen Fällen können PolitikerInnen ihre Themen und ihre Formulierungen in die traditionellen Massenmedien bringen. Dies zeigt, dass die PolitikerInnen durch ihre Facebook- und Twitter-Beiträge, die in den Tageszeitungen zitiert werden, einen Einfluss auf die Artikel und in weiterer Folge möglicherweise auf die RezipientInnen haben.

Die Untersuchung zeigt, dass Österreich eine Sonderrolle hinsichtlich der großen Bedeutung von Sozialen Netzwerken einerseits für die PolitikerInnen und andererseits für die Berichterstattung der JournalistInnen einnimmt. Insbesondere Heinz-Christian Strache (bis zur Löschung seines Facebook-Accounts) und Sebastian Kurz sind auf Facebook äußerst erfolgreich und konnten im Sommer 2019 beide etwa 800.000 Fans verzeichnen. Dies sind mehr LeserInnen als die Kronen Zeitung, die auflagenstärkste Zeitung Österreichs, erreichen kann (vgl. ÖAK Österreichische Auflagenkontrolle 2018; Kurz 2019; Strache 2019). Falter-Chefredakteur Florian Klenk bezeichnet die Social- Media-Auftritte der beiden genannten Politiker als »eigene Mediennetzwerke« (Süddeutsche Zeitung 2019: 9) und beschreibt sie folgendermaßen:

»Es werden willfährige Kommunikatoren eingekauft, eigene Videos gedreht und im Netz verbreitet. Das ist sozusagen die Wiederkehr der Parteizeitung. Die Medien als Korrektiv, als kritische Fragesteller interessieren da nicht« (Süddeutsche Zeitung 2019: 9).

Gerade deshalb haben JournalistInnen bei der Recherche, der Auswahl ihrer Quellen und der Themen eine große Verantwortung. Durch einen steigenden Zeit- und Gelddruck in der Branche stellen die Sozialen Netzwerke durch ihre schnellen und einfachen Informationen eine Alternative zu aufwendiger und persönlicher Recherchearbeit dar. Deswegen wird es auch in Zukunft essentiell sein, dass JournalistInnen bedachtsam und kritisch mit Facebook- und Twitter-Beiträgen als Quellen ihrer Arbeit umgehen.

Über die Autorin

Anna Spatzenegger (*1994), MA, absolvierte von 2017 bis 2019 ihr Masterstudium der Kommunikationswissenschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg. In ihrer Masterstudie untersuchte sie, welchen Einfluss Facebook- und Twitter-Beiträge von PolitikerInnen auf die Tageszeitungs-Berichterstattung haben. Kontakt: anna.spatzenegger@gmx.at

Literatur

Blick (2019): Staatssekretär nimmt Bundesratsentscheid zur EU vorweg. In: Blick vom 10.5.2019, S. 2.

Broersma, Marcel; Graham, Todd (2012): Social Media as Beat. Tweets as a news source during the 2010 British and Dutch elections. In: Journalism Practice, 6(3), S. 403-419.

Broersma, Marcel; Graham, Todd (2013): Twitter as a news source. How Dutch and British newspapers used tweets in their news coverage, 2007-2011. In: Journalism Practice, (7)4, S. 446-464.

Eisenegger, Mark; Orizet, Joël; Schranz, Mario (2015): #Journalismus 2.0 – Ein Beitrag zur Qualitätssteigerung? In: Imhof, Kurt; Blum, Roger; Bonfadelli, Heinz; Jarren, Otfried; Wyss, Vinzenz (Hrsg.): Demokratisierung durch Social Media? Mediensymposium 2012. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 233-258.

Engel, Bernhard; Rühle, Angela (2017): Medien als Träger politischer Information. Ergebnisse aus der Studienreihe »Medien und ihr Publikum« (MiP). In: Media Perspektiven, 6-7, S. 388-407.

Fidler, Harald (2019): Ist der ORF dem Kanzler womöglich egal? In: Der Standard. https://www.derstandard.at/story/2000099342254/krone-oesterreich-facebook-und-whatsapp-ist-der-orf-dem-kanzler (16.08.2020)

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019): Robert Habeck verlässt Twitter und Facebook. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gruenen-chef-robert-habeck-verlaesst-twitter-und-facebook-15976385.html (28.08.2019)

Hermida, Alfred (2010): Twittering the News. In: Journalism Practice, (4)3, S. 297-308.

Imhof, Kurt (2015): Demokratisierung durch Social Media? In: Imhof, Kurt; Blum, Roger; Bonfadelli, Heinz; Jarren, Otfried; Wyss, Vinzenz (Hrsg.): Demokratisierung durch Social Media? Mediensymposium 2012. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 15-26.

Kleine Zeitung (2019): SPÖ holt auf. Politik gab seit März rund eine Million Euro für Facebook-Werbung aus. In: Kleine Zeitung. https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5638364/SPOe-holt-auf_Politik-gab-seit-Maerz-rund-eine-Million-Euro-fuer?xtor=CS1-15 (17.09.2019)

Klenk, Florian; Rabinovici, Doron (2019): Wie es sich lebt, wenn die Rechtspopulisten an der Macht sind. In: Süddeutsche Zeitung, 18.3.2019. https://www.sueddeutsche.de/kultur/alles-kann-passieren-tweets-theater-1.4372891?reduced=true (21.10.2019)

Klinger, Ulrike; Russmann, Uta (2017): »Beer is more efficient than social media« – Political parties and strategic communication in Austria and Swiss national elections. Journal of Information Technology & Politics, (14)4, S. 299-313.

Knight, Megan (2012): Journalism as usual: The use of social media as a news­gathering tool in the coverage of the Iranian elections in 2009. In: Journal of Media Practice, (13)1, S. 61-74.

Kurz, Sebastian (2019): Facebookprofil Sebastian Kurz. https://www.facebook.com/sebastiankurz.at/ (10.07.2019)

ÖAK Österreichische Auflagenkontrolle (2018): Auflagedetails Kronen Zeitung 2018. https://www.oeak.at/auflagedetails/ (10.07.2019)

Parmelee, John H. (2014): The agenda-building function of political tweets. In: new media & society, (16)3, S. 434-450.

Puhle, Hans-Jürgen (2003): Zwischen Protest und Politikstil: Populismus, Neo-Populismus und Demokratie. In: Werz, Nikolaus (Hrsg.): Populismus. Populisten in Übersee und Europa. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 15-44.

Raabe, Johannes (2013): Boulevardpresse. In: Bentele, Günter; Brosius, Hans-Bernd; Jarren, Otfried (Hg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 33-34.

Strache, Heinz-Christian (2019): Facebookprofil HC Strache. https://www.facebook.com/HCStrache/ (04.02.2019)

Theis-Berglmaier, Anna Maria (2014): Meinungsbildung in der Mediengesellschaft: Akteure und Prozesse öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Social Web. In: Zerfaß, Ansgar; Piwinger, Manfred (Hg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 145-162.

Udris, Linards; Vogler, Daniel; Lucht, Jens (2018): Germany’s AfD: With the Media and Against the Media. In: European Journalism Observatory. Online unter: https://en.ejo.ch/media-politics/with-the-media-and-against-the-media (06.09.2019).


Über diesen Artikel

 

Copyright

Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

Zitationsvorschlag

Anna Spatzenegger: Social Media als Quelle journalistischer Arbeit. Einfluss der Facebook- und Twitter-Beiträge von PolitikerInnen auf die Berichterstattung von Tageszeitungen. In: Journalistik, 3, 2020, 3. Jg., S. 197-215. DOI: 10.1453/2569-152X-32020-10976-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-32020-10976-de

Erste Online-Veröffentlichung

Dezember 2020