Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet. rezensiert von Guido Keel

Mit einem breiten Lachen begrüsst Stephan Russ-Mohl den Leser auf der Umschlag-Innenseite. Das war es dann aber schon mit der Fröhlichkeit. Was er als Autor des Buches Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde auf den nächsten gut 300 Seiten beschreibt, lässt einen nicht nur alarmiert, sondern auch weitgehend hilflos zurück.

Im Untertitel des Buches wird klar, worüber sich Stephan Russ-Mohl Sorgen macht: »Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet«. Wer den öffentlichen Diskurs über eben diesen öffentlichen Diskurs in den vergangenen Jahren ansatzweise verfolgt hat, dem dürfte die These bekannt vorkommen. Viel wurde in letzter Zeit über den Niedergang des Qualitätsjournalismus, über Filterblasen, News-Deprivierte und wahlentscheidende Fake-News berichtet. Stephan Russ-Mohl spannt in seinem Buch den großen Bogen und verbindet die verschiedenen Aspekte zu einem Gesamtbild. Und es ist durch das ganze Buch hindurch spürbar, wie sehr sich der Autor sorgt und gleichzeitig echauffiert – vor allem über schlampige Journalisten, aber auch über skrupellose Betreiber von Social-Media-Plattformen, machtgierige Politiker oder Fachidioten in der Kommunikationswissenschaft.

Die Publikation weist zwar ein 28-seitiges, dicht geschriebenes Quellenverzeichnis auf und ist somit enorm breit abgestützt. Aber vorangetrieben wird das Argument vom Eifer des Autors. Russ-Mohl legt hier ein Buch vor, das sich an ein breites Publikum wendet: An Medien- und Kommunikationswissenschaftler, an Journalisten und Medienmanager, an Ökonomen und Sozialpsychologen, an Mediennutzer und die breite Öffentlichkeit an sich. Fast schon entschuldigend schreibt der Autor in der Einleitung, es handle sich hier um ein sehr persönliches Buch, und Schreibe und Präsentation folgten eher journalistischen als wissenschaftlichen Standards. Dagegen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil – mit diesem Buch leistet er das, was er gegen Ende des Buchs als einen möglichen Lösungsansatz vorschlägt: Die Einmischung der Wissenschaft in die öffentliche Debatte mit allgemein verständlichen Beiträgen in öffentlichen Medien.

Aber von vorne: Ausgehend von Fake News und bösartiger Falschinformation kommt Russ-Mohl auf die allgemeine Desinformation einer in der Aufmerksamkeitsfalle steckenden Gesellschaft. Als Trends im Journalismus identifiziert er weiter den zunehmenden Vertrauensverlust des Journalismus und dessen Beschleunigung durch die Digitalisierung, bevor er dann auf die Verantwortung der Journalistinnen und Journalisten an der ganzen Malaise zu sprechen kommt. Dieser widmet er unter dem Titel »Die verlorene Unschuld des Mainstream-Journalismus« einen substanziellen Teil des Buchs. Weiter geht es mit der Rolle der Populisten in der öffentlichen Desinformation. Das Buch endet mit möglichen Maßnahmen des Gegensteuerns, denen Russ-Mohl immerhin rund hundert Seiten einräumt. Dabei richtet er seinen Appell an Medienmanager, Journalisten, Wissenschaftler und nicht zuletzt Mediennutzer, die Bürger in der Demokratie, also uns alle.

Dieser knappe inhaltliche Abriss zeigt: Das Buch lässt kaum etwas aus. Russ-Mohl schöpft aus dem Vollen, um die großen Zusammenhänge aufzuzeigen. Gleichzeitig belegt er jede Aussage mit Verweisen auf Quellen, manchmal wissenschaftlichen Ursprungs, oft auch Zeitungsartikel und gelegentlich persönliche Gespräche.

Wie Russ-Mohl auch selbst schreibt, ziehen Wissenschaftler es sonst üblicherweise vor, sich in die sichere Nische ihrer Forschungsschwerpunkte zurückzuziehen und für ein ausgewähltes Publikum zu publizieren. Mit diesem Buch tut Russ-Mohl das Gegenteil. Damit macht er sich natürlich angreifbar. So wirken gewisse Feststellungen stark vereinfachend, sodass ihnen die analytische Schärfe abgeht. Zum Beispiel, wenn er verschiedene Formen und Fälle von Fake News in einem Atemzug abhandelt, egal ob dreiste Lügen aus dem Trump-Wahlkampf, medienkritische Satire oder Orson Welles’ Radio-Sendung über eine Invasion von Marsmenschen aus dem Jahr 1938 (vgl. 22ff.). Den Begriff »Wahrheit« wagt angesichts all der erkenntnistheoretischen Diskurse der letzten Jahrzehnte kaum ein Journalist und schon gar kein Wissenschaftler in den Mund zu nehmen – Russ-Mohl scheut sich nicht, an diesem Begriff festzuhalten, um seine Einschätzungen prägnant zu vermitteln. Die Wortwahl macht auch an anderen Stellen stutzig. So schreibt Russ-Mohl durchgängig von den sogenannten Mainstream-Medien, ohne sich mit der zweifelhaften Instrumentalisierung dieses Begriffs durch die von ihm kritisierten populistischen Kräfte zu befassen.

Fast schon genüsslich wirkt der Autor in seiner Journalistenschelte. Ausgehend von den Erkenntnissen von Uwe Krüger zu den Ursachen des öffentlichen Misstrauens in die Medien macht Russ-Mohl aus seiner Geringschätzung der journalistischen Qualität keinen Hehl. Zugespitzte Aufmacher bezeichnet er als gravierende Fehler und Fake News, so zum Beispiel ein Titelbild, das Angela Merkel in blau-weißer Schwesterntracht und der Schlagzeile »Mutter Angela« zeigte. Beim Aufzählen anderer Fehlleistungen bleibt offen, worin die Problematik genau liegt, so zum Beispiel beim gleich anschließenden Verweis auf eine Story im Guardian, der offenbar eine zweifelhafte Übersetzung eines Interviews mit Julian Assange publizierte (vgl. 136).

Was Russ-Mohl als krasse Fehlleistungen empfindet, wirkt gelegentlich etwas gar spitzfindig. So sieht er es als »gedankenlos, vielleicht sogar zynisch« (181) an, wenn Journalisten – und Wissenschaftler – von der Kommerzialisierung des Journalismus sprächen, wenn doch ganze Märkte verschwänden und deshalb eher von De-Kommerzialisierung die Rede sein müsse. Dass mit der Kommerzialisierung die Orientierung an kommerziellen statt publizistischen Zielen gemeint ist und deshalb sehr wohl von Kommerzialisierung gesprochen werden kann, unterschlägt Russ-Mohl. Irgendwann schlägt dann definitiv die persönliche Meinung des Autors durch, wenn er z. B. die »fantasielose Programmgestaltung« (192) von ARD und ZDF beklagt, die zu viel Sport und Krimis zeigten; gleichzeitig würden anspruchsvolle Bildungs- und Kultur-Angebote von »Quassel-Talks« wie Maischberger verdrängt.

Gleichzeitig trägt der manchmal polemische Ton nicht viel zur Sache bei, zum Beispiel wenn er kritikunfähige Journalisten als »empfindsame Seelchen« (169) bezeichnet. Oder er bemängelt, in der Tradition des Medienwissenschaftlers Hans-Mathias Kepplinger, dass Journalisten nicht ergebnisoffen recherchieren würden und nur Experten zitierten, die der eigenen Meinung entsprächen; um dann gleichzeitig zu schreiben, der Reaktorunfall in Fukushima habe nur drei Todesopfer gefordert, und dabei als Experten Kepplinger zitiert, ohne aber darauf hinzuweisen, dass andere Experten die Zahl der Krebstoten aufgrund der erhöhten Werte an Radioaktivität zwischen 14 und 1100 schätzten.

Und während Russ-Mohl Kepplinger mehrere Seiten widmet, erwähnt er Kepplingers Antipoden, den Journalismusforscher Siegfried Weischenberg, erst gegen Schluss seiner Journalistenschelte, um die Aussagen von Kepplinger zu relativieren. Wessen Erkenntnisse Russ-Mohl bevorzugt, bleibt dabei unverkennbar. Während er Kepplingers Arbeiten über mehrere Seiten zitiert und sie als »besonders überzeugendes Beispiel dafür, was Journalisten in den letzten Jahrzehnten hätten lernen können, wenn sie […] ein Fünkchen Interesse gehabt hätten« sieht, beschreibt er Weischenberg nur gerade als denjenigen, der »Journalisten eher umschmeichelte und verklärte« (169). Weitere Erkenntnisse Weischenbergs fehlen, ja er schafft es nicht einmal ins angehängt Personenregister, während auf Kepplinger gleich acht Mal verwiesen wird. So kann man zwar Russ-Mohl nicht vorwerfen, Gegenpositionen zu ignorieren, allerdings hinterlässt die krasse Einseitigkeit in der Wahl der Quellen einen zweifelhaften Eindruck.

Angesichts der unzähligen Aussagen und Thesen, die sich im Buch finden, ist es verzeihlich, dass gelegentlich Widersprüche auftauchen. Dann scheint es, als hätte der Autor zwischenzeitlich die Übersicht über seine Argumente verloren. Augenfällig wird dies beispielsweise, wenn zu lesen ist, die Medien würden einerseits Terrorangst schüren (vgl. 146), andererseits mit ihrem Angebot die Masse der Bevölkerung ruhig und friedfertig stellen und pazifierend wirken, nur um im nächsten Satz zu bemängeln, als TV-Zuschauer werde einem ständig Mord und Totschlag vorgesetzt (vgl. 159). Hier kann man zwar als Leser die gegenteiligen Sichtweisen nachvollziehen; trotzdem wünschte man sich vom Autor einen bewussteren und differenzierteren Umgang mit solchen Feststellungen. Auch neigt der Autor in seiner Skizzierung der Missstände gelegentlich zu Wiederholungen, wie beispielsweise angesichts der Überschriften auf Seite 162 (»Auslandsberichterstattung: Lücken und Übersetzungsfehler«) und 164 (»Kompetenz-Illusio­nen und Übersetzungsfehler«) ersichtlich wird.

Zudem wäre es fair gewesen, nicht nur auf die Missstände im Journalismus hinzuweisen, sondern auch die Initiativen zu würdigen, mit denen Medien diesen Missständen begegnen. So wirft Russ-Mohl den Medien vor, sich von islamistischen Attentätern instrumentalisieren zu lassen, indem sie deren Botschaft von blindem Terror willig verbreiten (vgl. 145); es fehlt aber der Hinweis, dass sich Medien öffentlich erklärt haben, gewisse Bilder und Inhalte nicht mehr zu vermitteln, eben um Terroristen keine Plattform zu geben.

In seinen Lösungsansätzen bleibt Russ-Mohl zunächst pessimistisch: Zwischen den Zwischentiteln »Was also lässt sich tun?« (233) und »Was jeder von uns tun kann« liegen rund 100 Seiten, in denen Russ-Mohl sucht und wenig findet. Von staatlicher Seite sieht er gar keine Hilfe, bei der Finanzierung durch Crowd-Funding oder Stiftungen ist er ebenfalls skeptisch, die Förderung der Medienkompetenz sieht er düster, und auch die Social-Media-Plattformen lassen sich kaum für ein sinnvolles Fact-Checking gewinnen. So bleiben am Schluss einerseits eine engere Zusammenarbeit mit einer kooperationswilligeren Wissenschaft und andererseits eine Rückbesinnung – im Journalismus auf die alten Tugenden, und in der Gesellschaft auf jene »Menschen mit Rückgrat« (330), die für ihre Grundrechte immer wieder einstehen.

Das Buch macht wenig Hoffnung. Schon einleitend warnt der Autor, sein Werk würde eher zur Spekulation über einen bevorstehenden Desinformations-GAU als zu Optimismus verleiten. Es ist ein breit angelegter, leidenschaftlicher Weckruf, der nichts beschönigt. Denn die Situation verlangt ein solches Buch, das wird auf jeder Seite klar. Es bleibt zu hoffen, dass er im Journalismus, in den Medienhäusern, in der Politik, aber auch beim Publikum und in der Gesellschaft Gehör findet.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 4. Dezember 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21561.

Über den Rezensenten

Prof. Dr. Guido Keel ist Leiter des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Zu seinen Schwerpunkten in der Forschung gehören Qualität im Journalismus, Wandel im Journalismus und Journalismus in nicht-europäischen Kontexten.

Über das Buch

Stephan Russ-Mohl: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet. Reihe: edition Medienpraxis, Bd. 16. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2017, 368 Seiten, 23 Euro