Liebe Leserinnen und Leser,
drei Fragen vorab: In welchem Land werden Bücher in öffentlichen Schulen verboten, weil sie angeblich Moralvorstellungen nicht entsprechen? In welchem Land erhalten Journalistinnen und Journalisten keinen Zugang zu Pressekonferenzen, wenn sie Sprachregelungen der Regierung nicht befolgen? In welchem Land stützt sich die Regierung auf milliardenschwere Tech-Oligarchen, streicht aber humanitären Organisationen die Mittel, überzieht Zeitungen und Sender mit Klagen und nennt Medien »Feinde des Volkes«?
Wenn Sie jetzt auf Russland tippen, liegen Sie natürlich nicht falsch. Wir haben aber eigentlich an die USA gedacht. Denn es steht nicht gut um die Schutzmacht der westlichen Welt. In bemerkenswerter Skrupellosigkeit legt die Regierung Trump gerade die Axt an Medien- und Kommunikationsfreiheit im eigenen Land – um dieses Grundrecht dann aber, wie unlängst auf der Münchner Sicherheitskonferenz, von anderen einzufordern. Und nicht nur bei Medien wird geholzt. Kulturelle Errungenschaften und Freiheitsrechte insgesamt sind in den USA auf nie gekannte Weise bedroht. Für uns Grund genug, in dieser Ausgabe der Journalistik über den Atlantik zu schauen.
Fred Vultee zeigt in seinem Debattenbeitrag auf, wie das soziale Klima durch gezielte Irritation der Bevölkerung ins Inhumane kippen kann. Dies ist für unseren Autor von der Wayne State University der Fall, wenn die Menschen bei allen möglichen gesellschaftlichen Problemen das Gefühl überkommt, ein Notstand sei erreicht, dem sich nur mit rigorosen Mitteln begegnen lasse. Als Rettung bietet sich dann eine rechtsgerichtete Politik an (Einwanderungsstopp, Ausweisung von Fremden oder Unterdrückung von Gendervielfalt). Treibende Kraft in diesem Prozess aber, so Vultee, sind in den Vereinigten Staaten Medien wie Fox News oder Internet-Plattformen, die über negative Einzelereignisse pausenlos schrill, falsch oder verallgemeinernd berichten – bis sich die Vorstellung nationaler Bedrohung einstellt.
Die »zunehmende Oligarchisierung der US-Politik« und den Einfluss von Technologiekonzernen auf die Medien in den USA beschreiben Journalistik-Herausgeberin Mandy Tröger und Hendrik Theine (Linz/University of Pennsylvania). Ihre Analyse ist ebenso umsichtig wie nüchtern. Sie führt vor Augen, welchen Einfluss Mega- (und »MAGA«-) Unternehmer wie Elon Musk auch auf die journalistische Arbeit und die Medienregulierung in Europa nehmen. Der Debattenbeitrag lässt keinen Zweifel daran, dass das Vorgehen der Trump-Regierung die Kontrollfunktion des Journalismus und damit die Demokratie diesseits wie jenseits des Atlantiks bedroht. Tröger und Theine skizzieren aber auch Gegenmaßnahmen, die Journalismus und Kommunikationsforschung hierzulande ergreifen könnten.
Einen Spot auf die mediale Berichterstattung in den USA noch vor der zweiten Amtszeit von Donald Trump werfen Alfred Cotton und Jeffrey Blevins (University of Cincinnati). In einer kritischen Diskursanalyse belegen sie, wie unterschiedlich vier große Tageszeitungen die Proteste der »Black Lives Matter«-Bewegung nach der Ermordung von George Floyd in Minneapolis dargestellt haben – je nachdem, welche (Online-)Quellen die Redaktionen für ihre Recherchen nutzten. Die Studie macht deutlich, wie gegensätzlich die mediale Interpretation der Unruhen vom Sommer 2020 in einer schon damals tief gespaltenen Nation ausfiel.
In weiteren Aufsätzen dieser ersten Ausgabe 2025 unserer Zeitschrift beleuchten Teodora Trifonova und Joy Jenkins (University of Missouri) Recherchewege und Rollenverständnis rumänischer, bulgarischer und ungarischer Berichterstatter über den Ukraine-Krieg. Die personelle Zusammensetzung deutscher Zeitungsredaktionen thematisieren Roxane Biller, Seraina Cadonau und Marion Frank (Hamburg Media School). Sie können belegen, dass dort immer noch zu wenige Frauen, zu wenige Personen mit Migrationshintergrund und zu wenige junge Journalistinnen und Journalisten arbeiten, was sich negativ auf eine einfühlsame und adäquate Berichterstattung auswirkt. Grundsätzlicher setzt sich Thomas Hauser mit der Entwicklung des Journalismus in Deutschland auseinander. Ökonomisierung und Digitalisierung gefährdeten ihn in seiner Substanz, warnt der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Badischen Zeitung in seinem Essay. Die einstige »Symbiose« von Journalismus und Gesellschaft sieht Hauser zerstört. Alarmismus und Anprangerung im Nachrichtenangebot verstärkten Aggressionen und Hysterie in der politischen Auseinandersetzung. Hausers Beobachtungen lenken den Blick zurück auf Fred Vultees Analyse des »Kulturkampfs« in den USA – und damit schließt sich der Themenkreis unserer neuen Ausgabe.
Alle Beiträge unserer Autorinnen und Autoren erinnern daran, worauf es immer und immer wieder ankommt: Vielfalt, Unabhängigkeit und Qualität des Journalismus zu sichern. Das ist unsere Aufgabe als Zeitschrift für Journalismusforschung, und es ist die Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft – gerade in der augenblicklichen historischen Situation.
Ihr Gunter Reus