von Lutz Frühbrodt
Abstract: Wiederholt haben führende Köpfe aus dem Content Marketing (CM) die Funktionstüchtigkeit des Mediensystems in Deutschland in Frage gestellt: Dem Journalismus fehlten Ressourcen, er sei nicht unabhängig und bewege sich in nutzerfeindlichen Filterblasen. Content Marketing als Werbung mit redaktionellen Mitteln sei dagegen nutzerfreundlich und nutzwertig, mithin habe „Unternehmensjournalismus“ qualitativ oftmals sogar die Nase vorne. Eine Analyse der vorgebrachten Argumente zeigt jedoch, dass die CM-Lobbyisten weitgehend einer verqueren Logik folgen.
„#Journalismus: So manches Content Marketing-Projekt könnte die Medien ersetzen, weil wir dafür nicht zahlen müssen“, twitterte Klaus Eck am 4. Juli 2018. Eck ist Chef der Münchner Agentur d.Tales, die sich der ‚Werbung mit journalistischen Mitteln‘, eben dem Content Marketing (CM), verschreibt.[i] Eck gilt nicht nur als ein ausgewiesener Experte, der seine praktische Erfahrung in diversen CM-Ratgebern zusammengetragen hat (vgl. z.B. Eck/ Eichmeier 2014), sondern auch als führender Lobbyist eines Standes, der diese spezifische Ausformung der kommerziellen Kommunikation in der Fachöffentlichkeit legitimieren will. So hat sich Klaus Eck in den vergangenen Jahren wiederholt mit markigen Sprüchen als öffentlicher Vorkämpfer des Content Marketing profiliert.
Content Marketing contra Journalismus
Eck ist beileibe nicht der einzige Branchenvertreter, der sich öffentlich ins Zeug legt. So äußert sich zum Beispiel auch Karsten Lohmeyer, bis Anfang 2018 Chefredakteur von The Digitale, der CM-Agentur der Deutschen Telekom, in angriffslustigen Blog-Beiträgen und mit offensiven Panel-Auftritten, bei denen er den klassischen Medien weitgehend die Unabhängigkeit abspricht. Ein weiterer führender CM-Lobbyist ist Andreas Siefke, Vorsitzender des Verbands Content Marketing Forum. Siefke betont, dass es sich bei CM um „Unternehmensjournalismus“ handele, der den klassischen Medientiteln mindestens auf Augenhöhe begegne.
Die Stoßrichtung und das Ziel solcher Einlassungen sind immer dieselben: Es sollen Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der journalistischen Medien genährt bzw. verstärkt werden. Und: Das Content Marketing soll öffentliche Anerkennung finden als unausweichliche Alternative zum Journalismus, die diesem funktional und qualitativ ebenbürtig sei. Es ist klar, dass sich die CM-Lobbyisten nicht als neutrale Sachverständige, sondern immer pro domo äußern. Dies muss aber nicht heißen, dass sie von vornherein verzerrt oder gar falsch sind. Wie berechtigt sind also Journalismus-Kritik und CM-Anspruch? Um dies zu überprüfen, sollen im Folgenden einzelne Kernaussagen, gebündelt in einschlägigen Zitaten, auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt hin analysiert werden.
1. Content Marketing verdrängt journalistische Angebote, weil es kostenlos ist.
Ausgangspunkt ist der eingangs erwähnte Tweet von Klaus Eck: „#Journalismus: So manches Content Marketing-Projekt könnte die Medien ersetzen, weil wir dafür nicht zahlen müssen.“ Eck bezog sich mit seinem Tweet auf einen Artikel von Thomas Knüwer, den der frühere Handelsblatt-Redakteur und heutige Medienberater kurz zuvor auf seinem eigenen Blog Indiskretion Ehrensache veröffentlicht hatte. Der Artikel „Journalismus: Bald nur noch ein Luxus der Wohlhabenden“ (Knüwer 2018) verarbeitet zwar verschiedene Themenaspekte, bildet in erster Linie aber eine Abrechnung mit digitalen Bezahlschranken und steigenden Print-Preisen für journalistische Medien. Knüwer beschwört eine Sonderform der digitalen Spaltung herauf: „qualitativ hochwertiger Journalismus und exklusive Meldungen – das wird bald ein Luxus sein, den sich nur ein kleiner Teil der Gesellschaft leisten wird. Der Rest muss sich begnügen können mit Fake News und politisch radikalen Seiten.“
Ecks Kommentierung basiert auf der Annahme, dass Knüwers düstere Prognose auch tatsächlich eintritt. Knüwers Vorhersage ist jedoch zu bezweifeln, es handelt sich wohl mehr um eine polemische Zuspitzung. Denn Preise pendeln sich in marktwirtschaftlichen Systemen bekanntlich über Angebot und Nachfrage ein. Entscheidend ist im vorliegenden Fall die sogenannte Nachfrage-Elastizität. Ab einer bestimmten Preishöhe nimmt die Nachfrage sehr stark ab und die Umsätze brechen ein. Für die reale Welt bedeutet dies, dass sich weder gedruckte Tageszeitungen noch digitale Paywall-Modelle dazu eignen, bestimmte Preispunkte zu übersteigen. Eine Medienwelt, in der sich nur Geld- und Funktionseliten verlässliche Informationen leisten können, erscheint hochgradig surreal, zumal journalistische Produkte sich wenig als Luxusgüter eignen, deren primäre Funktion in der sozialen Distinktion besteht. Weder Zeitungen noch Zeitschriften sind vergleichbar mit Handtaschen von Louis Vuitton oder mit Herrenanzügen von Brioni.
Vielmehr handelt es sich bei der großen Mehrheit der Medien (mit Ausnahme von Hochglanzblättern) um sogenannte Zitronenmärkte, also um Massengüter, für die Nutzer nicht viel bezahlen wollen. Weshalb Medien in der Regel bei den Konsumenten nur einen meist zwei- oder niedrigen dreistelligen Euro-Betrag des monatlich verfügbaren Budgets ausmachen. Insofern ist also bereits Knüwers These nicht sehr überzeugend. Zudem unterstellt sie, dass jenseits der klassischen Medien nur Fake News-Produzenten und politisch radikale Webseiten existierten. Will Knüwer damit allen Ernstes seinen eigenen Blog in diese Extremisten-Phalanx einreihen?
Fakt ist, dass das Gros seriöser journalistischer Online-Angebote trotz Bezahlschranken den Nutzern (weiterhin) kostenlos zur Verfügung steht. Fakt ist auch, dass viele klassische Medien die Digitalisierung zunächst verschlafen haben und das eine oder andere Medienhaus bei der Einführung neuer Erlösmodelle strategische Fehler gemacht hat. Die zentrale Hürde, die Manager wie auch Redakteure und Autoren zu überwinden haben, ist jedoch die Kostenlos-Kultur des Internet. Sie hat sich sehr früh etabliert und lässt sich auch 25 Jahre nach dem Start des World Wide Web kaum verändern. Die meisten Konsumenten bestellen zwar sehr gerne Waren über das Internet, aber nur wenige sind bereit, für Dienste, die im Netz selbst angeboten werden, zu bezahlen.
Das ist das grundlegende Dilemma der journalistischen Medien. Basisinformationen über wichtige Ereignisse und Entwicklungen mögen zwar an vielen Stellen des Internet abrufbar sein, die seriöse Bestätigung solcher Informationen, ihre abwägende Einordnung oder auch exklusiv recherchierte eigene Informationen stellen nicht nur eine publizistische Leistung dar, sondern bedingen auch personelle und finanzielle Investitionen. Diese Kosten müssen eingespielt werden, weshalb grundsätzlich nachvollziehbar ist, dass journalistische Medien ihre ‚veredelten‘ Informationen von den Nutzern bezahlt sehen wollen. Ob dies nun durch Anzeigen auf ihren Webseiten erfolgt, durch Paywalls oder durch Rundfunkbeiträge für die öffentlich-rechtlichen Anstalten.
Alle (vermeintlich) rein kostenlosen Alternativangebote müssen freilich die Bemühungen der klassischen Medien torpedieren, in dieser schwierigen Situation Land zu gewinnen. Allerdings muss man auch ganz klar differenzieren: Content Marketing greift bisher nur punktuell den Politik- und Wirtschaftsjournalismus an. Das CM tummelt sich vor allem auf den Spielfeldern der Populärkultur, in den Bereichen Mode, Fashion und Lifestyle, aber auch sehr stark bei allem, wo bisher der klassische Journalismus eine Art Ratgeber-Monopol innehatte. Dies reicht von medizinischer Beratung bis hin zum Kauf des neuen Smartphones. Während der Nutzer bei test.de der Stiftung Warentest einige wenige Euro bezahlen muss, um einen vollständigen Produkttest herunter zu laden, bekommt er diesen bei Turn On der Elektronikkette Saturn oder bei Curved des Mobilfunkbetreibers Telefónica kostenlos. Ohne immer zu wissen, wer genau hinter diesen ‚Tests‘ steht und welches – möglicherweise kommerzielle – Interesse die Tester verfolgen.
Abgesehen davon: Die CM-Angebote sind nur scheinbar kostenlos. Die Inhalte von Themenseiten, Blogs und Videos werden von Agenturen wie Klaus Ecks d.Tales erstellt, für die werbetreibende Unternehmen sehr viel Geld bezahlen. Dieses stammt aus den Budgets der PR-Abteilungen, noch öfter aber aus dem Topf des Marketings. Wie bei der klassischen Werbung fließen hier alle entstehenden Kosten letztlich in den Verkaufspreis der Produkte ein, die mit dem Content Marketing zumindest indirekt promotet werden sollen. Der eine Konsument mag sich bei Turn On informieren und dann das neue Tablet nicht bei Saturn, sondern bei der Konkurrenz erstehen. Der andere, der bei Saturn zugreift, bezahlt die ‚Tarnkappen‘-Werbung jedoch mit. Dieses ewig währende Prinzip der Werbung wirkt beim Content Marketing genauso wie bei klassischen Methoden. Wenn ein Unternehmen eine Anzeige auf einer journalistischen Nachrichtenseite schaltet, werden auch hier die Ausgaben mittelbar auf den Kunden umgeschlagen – egal, ob er nun der Werbemaßnahme als Medienkonsument Beachtung geschenkt hat oder nicht.
Ob es sich nun um anzeigenfinanzierte Medien handelt, um welche, die stärker mit Paywalls und Abo-Modellen arbeiten oder um Content-Marketing-Angebote, die von Unternehmen finanziert werden – dem Werbungtreibenden entstehen immer Kosten, die er über den Verkaufspreis wieder einspielen will und muss. Insofern mag Klaus Ecks Tweet beim oberflächlichen Lesen zwar logisch erscheinen, ist letztlich aber doch eine Milchmädchenrechnung.
2. Der klassische Journalismus befindet sich in einem desolaten Zustand. Also müssen Unternehmen verstärkt ihre eigenen Kommunikationswege aufbauen, um sich Gehör zu verschaffen.
In einem Interview über das Verhältnis von Journalismus und Public Relations (PR) formulierte Eck: „Wenn die Medien nicht mehr für Unternehmen erreichbar sind, weil die Redaktionen ausgedünnt sind und kaum Zeit für das Ansinnen der PR haben, bleibt den Öffentlichkeitsarbeitern nichts Anderes übrig: Sie müssen selbst ihre Themen aktiv publizieren, um darüber ihre jeweiligen Zielgruppen zu erreichen. Aus Pressearbeitern werden dadurch Content Marketiers“ (Duran 2018). Fachmedien hält Eck gar für weitgehend überflüssig, weil personell dürftig besetzte Redaktionen eh oft nur ‚Gastbeiträge‘ aus Unternehmen in ihren Publikationen platzierten (Sohn 2017).
Ecks Urteil über den aktuellen Journalismus fällt deshalb negativ aus: „Das Vertrauen in die Medien hat in der Vergangenheit nicht unter dem Content Marketing gelitten, sondern unter vermeintlich schlechtem Journalismus. Viele Medienkonsumenten wollen ihre persönliche Wirklichkeit wiedererkennen und sind enttäuscht, wenn journalistische Angebote anderes als die eigene Filterblase anbieten.“ Immerhin relativiert der Agentur-Chef im nächsten Satz seine Aussage schon wieder und räumt ein, die journalistischen Medien hätten Vertrauen zurückgewonnen.
Karsten Lohmeyer, ehemals selbst Redakteur für TV-Programmzeitschriften von Hubert Burda Media, geht mit den klassischen Medien noch deutlich härter ins Gericht. „Ich würde Content Marketing niemals in seiner reinen, wahren Definitionsform als Journalismus bezeichnen“, schreibt er. „Aber das sind (gefühlt) rund 95 Prozent dessen, was sich heute als Journalismus bezeichnet, auch nicht.“ Und weiter: „Ein großer Teil des täglich produzierten Medienbreis besteht aus belanglosem Entertainment, zusammengestrichenen Pressemitteilungen, schlecht recherchiertem Nutzwert und leider viel zu oft aus armselig versteckter Schleichwerbung“ (Lohmeyer 2017). An anderer Stelle kritisiert er, dass sich Journalisten nur für „die gute Geschichte“ interessierten, sich aber nicht um Suchmaschinen-Optimierung (SEO) und Reichweitenaufbau kümmerten (Sohn 2017).
Zusammengefasst stehen hinter diesen Zitaten folgende Kernaussagen: Klassische Medien arbeiten mit kaum noch funktionsfähigen Redaktionen. Die dort arbeitenden Journalisten interessieren sich zu wenig für ihr Publikum, sondern in erster Linie für ihre eigenen Geschichten. Durch ihre Selbstbezogenheit haben sie an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das Gros der klassischen Medien ist eh nicht unabhängig. Was ist dran an diesen Behauptungen? Handelt es sich um eine unfaire Herabwürdigung journalistischer Medien? Oder um eine überspitzte, aber im Kern doch zutreffende Kritik?
Richtig ist, dass seit dem Jahr 2002 eine Medienstrukturkrise ausgebrochen ist, die durch das Eingreifen der Medienhäuser inzwischen abgemildert worden ist, aber noch längst nicht vollständig bewältigt werden konnte. Die bereits erwähnte ‚Herausforderung Internet‘, das damit verbundene Wegbrechen von Anzeigenmärkten und die mitunter erratische Suche nach neuen Erlösmodellen hat besonders bei den Tageszeitungen zu teilweise schmerzhaften Umsatz- und Gewinneinbrüchen geführt. Insgesamt mussten jedoch nur selten ganze Redaktionen schließen. Umfangreiche Stellenstreichungen sind vor allem dadurch entstanden, dass Medienhäuser deutlich stärker als bisher Synergien heben, zum Beispiel indem nur noch ein Korrespondentenbüro in Berlin und nicht wie zuvor mehrere getrennte Außenstellen alle Titel eines Medienhauses mit Artikeln versorgen.
Ohne Frage lässt die personelle Ausstattung auch in einigen Redaktionen zu wünschen übrig. Die von Klaus Eck süffisant ins Spiel gebrachte Zwei-Personen-Redaktion bei Fachmedien, die vor allem Gastbeiträge platziert, hat es bei kleineren Fachtiteln indes schon immer gegeben. Jünger und bedenklicher ist hingegen die Tendenz bei Regional- und Lokalblättern, mitunter unredigierte Pressemitteilungen als redaktionelle Meldungen zu veröffentlichen, was einen klaren Verstoß gegen den Kodex des Deutschen Presserats darstellt. Auch sonst scheint der kommerziell-werbliche Einfluss auf die Lokalberichterstattung größer geworden zu sein (vgl. Arnold/Wagner 2018: 190ff.). Folglich erleichtern es die knapper gewordenen Personalkapazitäten der Redaktionen den Unternehmen tendenziell, sich Gehör zu verschaffen. Sie führen nicht zwangsweise dazu, wie Eck behauptet, dass kommerzielle Kommunikation künftig auf eigene Kanäle angewiesen ist. Ganz im Gegenteil.
Die von Eck angeführte Glaubwürdigkeitskrise der etablierten Massenmedien ist in erster Linie eine Folge der Radikalisierung von Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft. Politische Kräfte an den linken und vor allem rechten ‚Rändern‘ haben zunächst über soziale Medien, dann verstärkt auch über Online-Magazine (Compact etc. ) versucht, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, indem sie die etablierten Medien als „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ diffamieren. Dass je nach Umfrage ein Drittel bis ein Viertel der befragten Bürger in Deutschland Zweifel an der Glaubwürdigkeit der klassischen journalistischen Massenmedien hegen, hat freilich noch weitere Ursachen (vgl. dazu Otto 2017).
Dazu gehörte (und gehört noch teilweise) die unzureichende Bereitschaft, mit den Mediennutzern in einen aktiven Dialog zu treten und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Hier sind inzwischen jedoch deutliche Fortschritte zu verzeichnen, so dass auch das Eck’sche Argument, die meisten Journalisten hätten den Mediennutzern nichts anderes als ihre eigene Filterblase zu bieten, ins Leere läuft. Abgesehen davon: Journalistische Medien haben auch ein öffentliches Mandat, die öffentliche Meinungsbildung zu befördern. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass mitunter Relevanz Vorrang vor Klickraten und damit vermeintlicher Publikumsbeliebtheit hat. Das von Klaus Eck gezeichnete Bild eines Redakteurs, der an der Lebenswirklichkeit und den gesellschaftlichen Bedürfnissen der meisten Menschen vorbeipubliziert, weckt vielmehr Assoziationen mit den Anwürfen aus dem Umfeld der Lügenpresse-Propagandisten. Dies kann nicht im Sinne von Klaus Eck sein.
Die genannten Fortschritte manifestieren sich nicht zuletzt darin, dass es heute zu den Standards redaktionellen Arbeitens gehört, eben nicht nur – wie Karsten Lohmeyer behauptet – in narzisstischer Manier und mit Tunnelblick der eigenen Geschichte nachzujagen, sondern tatsächlich auch für deren optimale Verbreitung zu sorgen. In einigen Redaktionen werden Texte inzwischen weniger nach stilistischen Kriterien, sondern vor allem nach SEO-Vorgaben verfasst. Reichweite in Form möglichst hoher Seitenabrufzahlen spielt eine zunehmend wichtige, zuweilen schon übertriebene Rolle in einigen Medienhäusern, wenn sie zum Beispiel hausintern täglich die Artikel mit den höchsten Abrufzahlen veröffentlichen. Reichweite steht hier – nicht immer zu Recht – vor Relevanz. Dass Lohmeyer den Aspekt der Reichweite so hervorhebt, ist nicht ganz nachvollziehbar: In der Regel sind es gerade Produkte des Content Marketing, die deutlich geringere Klickzahlen aufweisen oder bei Suchmaschinen sichtbar niedrigere Rankings erreichen, wenn sie gegen vergleichbare journalistische Angebote antreten müssen. Auch dies dürfte mit dem Aspekt der Glaubwürdigkeit zusammenhängen.
Es bleibt Lohmeyers Anwurf, dass „gefühlte“ 95 Prozent der journalistischen Medien nur belanglose Unterhaltung, kaum redigierte Pressemitteilungen, schlecht recherchierten Nutzwertjournalismus und armselig versteckte Schleichwerbung produzierten. Dieses vernichtende Urteil stellt nichts Anderes dar als eine arg verzerrende Herabwürdigung eines Berufsstandes, dessen Funktionstüchtigkeit und -wichtigkeit besonders sichtbar wird, wenn man auf Länder wie Russland, China oder die Türkei schaut, die über kein freiheitlich-plurales Mediensystem verfügen.
Neben anderen Merkmalen wie Periodizität und Aktualität gibt es zwei wesentliche Merkmale, die Journalismus konstituieren: Redaktionelle Unabhängigkeit und Neutralität. Auf der Arbeitsebene bedeutet dies, dass sich Journalisten mit aller Kraft um Wahrheit und Wahrhaftigkeit bemühen und unparteiisch, sorgfältig, vollständig und ergebnisoffen recherchieren und informieren. Die journalistische Sorgfaltspflicht gebietet es zudem, alle relevanten Quellen zu konsultieren und konkurrierende Perspektiven auf das behandelte Thema zu bieten. Dies macht Content Marketing grundsätzlich nicht.
Es liegt in der Natur der Sache, dass es einen gewissen Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Wissenschaft und Berufspraxis gibt. Deshalb ist letztlich entscheidend, wie eng beziehungsweise wie weit entfernt sich die einzelnen Bereiche in der realen Welt um die Pole Unabhängigkeit und Abhängigkeit bewegen. Und hier ist – nicht nur gefühlt, sondern auch objektiv betrachtet – klar: Die klassischen Medien bewegen sich immer noch deutlich näher um den Pol Unabhängigkeit, näher allemal als Unternehmenspublikationen.
Dabei handelt es sich freilich nicht um einen intrinsisch bedingten Dauerzustand. Vielmehr wohnt dem System eine gewisse Dynamik inne. So gibt es zum Teil sicher auch bedenkliche Entwicklungen, etwa bei Gruner + Jahr, einem der führenden deutschen Zeitschriftenverlage. Seit einigen Jahren baut der Medienkonzern nicht nur seine Content-Marketing-Einheit Territory sehr stark aus, sondern richtet seine Zeitschriften auch strikt an betriebswirtschaftlichen Kriterien aus. Nicht immer scheint davon die journalistische Unabhängigkeit unberührt zu bleiben. Noch gravierender ist dabei allerdings, dass Gruner + Jahr mit seiner Geschäftspolitik dazu beiträgt, quasi eigenhändig die Trennlinien zwischen Journalismus und kommerzieller Kommunikation zu verwischen.
So gibt der Konzern auf der einen Seite Personality-geprägte Zeitschriften wie Barbara (Schöneberger) und Gesund leben (Eckart von Hirschhausen) heraus, die einen journalistischen Anspruch erheben. Auf der anderen Seite publiziert die CM-Tochter Territory das Lifestyle-Magazin BOA, das sich um den Fußball-Star Jérôme
Boateng dreht. Wie scharf ist hier noch die Trennlinie zwischen Journalismus und PR? Unterscheiden sich die Magazine deutlich voneinander? Insofern ist Lohmeyers Einschätzung von der Sache her partiell Recht zu geben, es gibt ohne Frage bedenkliche Tendenzen. Daraus jedoch ein Pauschalurteil abzuleiten, ist unverantwortlich. Und: Content Marketing wird nicht dadurch legitimiert, dass ein Teil der journalistischen Medien sich verstärkt kommerziell-werblichen Interessen öffnet.
3. Content Marketing steht mit Journalismus im direkten Wettbewerb und hat dabei teilweise sogar schon die Nase vorn.
„Journalisten und PR-Verantwortliche stehen in einem spannenden Wettbewerb“, findet Klaus Eck. „Dabei geht es immer auch um die Frage, wer die besseren Inhalte liefern kann.“ Verbandspräsident Andreas Siefke sekundiert: „Wir sorgen zweifellos für mehr Meinungsvielfalt. Ich kann aber nicht erkennen, wie wir als vermeintliches Unkraut über die edlen Pflanzen wuchern“ (zitiert nach Frühbrodt 2016). Vielmehr will Siefke veränderte Positionen im vermeintlichen Wettbewerb erkennen: „Vor einigen Jahren hatten wir noch den Anspruch, mindestens genauso gut zu sein wie die Titel am Kiosk. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Projekten, die qualitativ sogar deutlich besser sind als die Zeitschriften der klassischen Medien.“ Vor allem Titel aus der Auto- und Finanzbranche sieht Siefke in der publizistischen „Champions League“ spielen.
Karsten Lohmeyer bringt das Selbstbewusstsein der CM-Produzenten in angriffslustiger Manier auf den Punkt: „Also, liebe Journalisten-Kollegen, vielleicht sollten Sie Content Marketing nicht gleich verteufeln, sondern als durchaus gefährliche Herausforderung sehen – und als Ansporn, endlich wieder besser zu werden. Als Ansporn, zu zeigen, was guter Journalismus kann. Als Ansporn, sich aus der Mittelmäßigkeit herauszubewegen, mit der Journalismus im medialen Brei untergeht und verliert.“
Die Quintessenz der Zitate lautet: Journalismus und Content Marketing befinden sich in einem direkten Konkurrenzkampf miteinander. Die journalistischen Medien versinken im Mittelmaß, während CM-Medien in die Champions League aufsteigen und so als Stimulus für den Journalismus wirken können, wieder mehr Qualität zu zeigen. Damit würde Content Marketing in gewisser Weise sogar eine positive gesamtgesellschaftliche Funktion ausüben. Statements dieser Art stehen am Ende einer Argumentationskette, die den Journalismus kritisiert und attackiert, um damit Content Marketing zu legitimieren und als Konkurrenz auf Augenhöhe darzustellen.
Über Qualität und ihre Standards wie Stil oder Recherchetiefe lässt sich sicher trefflich streiten. Bei allen Argumenten lässt sich aber nicht darüber hinwegsehen, dass sich Content Marketing zwar des journalistischen Handwerks bedient, aber deutliche Unterschiede zum Journalismus aufweist: Ihm fehlen institutionell verankerte Unabhängigkeit und Neutralität. Deshalb zieht sich rein generisch eine deutliche Trennlinie zwischen beiden Feldern. Insofern müssen Content Marketiers Qualität in erster Linie an äußeren Merkmalen von Journalismus festmachen. Und im Zweifelsfall auch daran, wie stark zum Beispiel ein Text mit Tipps über das sinnvolle Lüften der Wohnung dann doch mehr oder minder deutlich auf die Vorteile einer Fußbodenheizung verweist, die das werbende Unternehmen verkauft.
Es drängt sich eine Analogie aus einer anderen gesellschaftlichen Sphäre auf: Beide haben ein Jurastudium absolviert, doch Verteidiger und Staatsanwalt haben vor Gericht völlig unterschiedliche Funktionen. Während diese Rollenverteilung für den Außenstehenden völlig klar ist, wollen die Produzenten von Content Marketing diese höchst unterschiedlichen Rollen in der öffentlichen Kommunikation möglichst verwischen. Dabei setzen sie vor allem darauf, dass es dem Medienkonsumenten weitgehend egal ist, ob der Content aus der Tatstatur eines Journalisten oder Content Marketiers kommt. Unter dieser Prämisse würde in der Tat eine Wettbewerbssituation entstehen.
Hier stellt sich die Frage nach der Medien- und insbesondere Werbekompetenz der Nutzer. Allerdings erst in zweiter Linie. Im ersten Schritt sollte und müsste die CM-Branche für ein Höchstmaß an Transparenz ihrer Angebote sorgen. Nicht nur beim vielzitierten Beispiel Curved, laut Siefke ein Einzelfall, sondern bei einer ganzen Reihe von CM-Content ist nicht sofort oder zum Teil auch gar nicht erkennbar, wer hinter dem jeweiligen Angebot steht. Oft ist dies beabsichtigt, denn ein Unternehmen als schnell erkennbarer Absender reduziert die Glaubwürdigkeit bei den Mediennutzern. Eine eindeutige Kennzeichnung im Geiste völliger Transparenz wäre aber geboten, um den Nutzer frei entscheiden zu lassen, ob er dieses Angebot wahrnehmen möchte oder nicht. Zwar haben der Deutsche Public Relations Rat (DPRR) und der Bundesverband Digitale Wirtschaft einschlägige Ethik-Kodizes verabschiedet. Doch sind diese sehr allgemein gehalten, auch in Hinblick auf die zentrale Frage der Transparenz. Deshalb regt Gabriele Hooffacker an, dass sich auch PR-Schaffende, mithin also auch Content Marketiers, auf den umfassenden und präziseren Kodex des Deutschen Presserates verpflichten sollten (Hooffacker 2017).
Andreas Siefkes Verband, das Content Marketing Forum, hat (bislang) noch nicht einmal einen Ethikkodex verfasst. Lieber sinniert sein Präsident darüber, auf welchen Feldern sich die intendierte Wettbewerbssituation herausbilden soll: „Unsere redaktionelle Arbeit besteht zu 90 Prozent aus Nutzwertjournalismus, der allerdings sehr wohl gut recherchiert und gemacht ist, aber eher Service in den Vordergrund stellt. Das ist etwas anderes als der unabhängige kritische Journalismus, der Unternehmen und Politik hinterfragen muss.“ Der Aussage ist von der Tendenz her sicher zuzustimmen. Allerdings bekennt der Verbandspräsident im selben Interview auf den Aspekt Wertetransfer angesprochen: „Sicher betonen die Unternehmen ihre tragende Rolle als Arbeitgeber und im gesellschaftlichen Leben – und sprechen durchaus auch an, was aus ihrer Sicht die Politik besser machen könnte.“
Für den Mediennutzer sind diese Intentionen jedoch nicht immer klar erkennbar, weil er ja per definitionem Informationen und Tipps zu einem meist praktischen Thema sucht. Problematisch wird es jedoch, wenn nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbände sich publizistisch in die Gefilde der Politik begeben. So wirkt zum Beispiel Rundblick – das Politikjournal für Niedersachsen (www.rundblick-niedersachsen.de) auf den ersten Blick wie ein klassisch-journalistisches Online-Magazin mit landespolitischem Themenschwerpunkt. Auf den zweiten auch noch: Im Impressum wird die Drei-Quellen-Mediengruppe aus Hannover als Herausgeber genannt. Aber nur wer den sehr langen Text in der Rubrik „Wir über uns“ bis zum Schluss liest, erfährt, dass der Rundblick ein Organ des Verbandes NiedersachsenMetall ist. Hier wird versichert: „Der Verleger garantiert die journalistische Freiheit und greift nicht in die Berichterstattung ein.“ Richtig ist daran sicher, dass kaum direkte Themen der Metallarbeitgeber gespielt werden. Unschwer erkennbar ist aber auch die wirtschaftsnahe Berichterstattung. Das Projekt erinnert an frühere Versuche der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, bundesweit wirtschaftspolitischen Einfluss zu nehmen.
Fazit: Einen sachlichen Dialog entwickeln
Die Analyse hat gezeigt, dass Lobbyisten des Content Marketing die Strukturkrise der journalistischen Medien in Deutschland für ihre Zwecke instrumentalisieren und dabei zum Teil mit Übertreibungen und Verzerrungen, mitunter auch mit Halbwahrheiten arbeiten. Als vordergründiges Ziel erscheint, die kommerzielle Kommunikation in Form des Content Marketing gegenüber einem Journalismus aufzuwerten, dessen Funktionstüchtigkeit als fraglich dargestellt wird. Gleichwohl muss sich der professionelle Journalismus an – von der äußeren Form her – ähnlichen CM-Angeboten messen lassen und darüber hinaus darauf bedacht sein, durch das Alleinstellungsmerkmal der Unabhängigkeit zu überzeugen.
Bemerkenswert ist bei all dem, dass die CM-Lobbyisten oft auf eine nur unterstellte Kritik an ihrer Kommunikationsform reagieren. Denn eine breite Front öffentlicher Ablehnung besteht gegenüber dem Content Marketing nicht. Bisher sind als explizite Kritiker lediglich der Handelsblatt-Korrespondent Hans-Peter Siebenhaar (Siebenhaar 2017) und Johannes Vetter, ehemaliger Sprecher des österreichischen Staatskonzerns OMV (o.V. 2016) aufgetreten. Darüber hinaus ist bislang nur eine kritische wissenschaftliche Bestandsaufnahme erschienen, die der Autor dieses Artikels verfasst hat. (Frühbrodt 2016)
Überraschend ist auch der oft polemische Unterton in den Einlassungen der CM-Apologeten. Gerade die Vertreter der Public-Relations-Branche sind es, die für und von Unternehmen eine dialogorientierte Kommunikation in öffentlichen Angelegenheiten einfordern. Bei dem Diskurs über das Verhältnis zwischen Journalismus und Content Marketing hätten sie die Möglichkeit, in einen konstruktiven Dialog einzutreten. Mehr Sachlichkeit wäre dazu ein erster Schritt.
Über den Autor
Prof. Dr. Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Leiter des Master-Studiengangs „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Zuvor war er als Technologie-Reporter im Wirtschaftsressort der Welt-Gruppe tätig. Frühbrodt beschäftigt sich vor allem mit den Schnittstellen und Konflikten zwischen kommerzieller und journalistischer Kommunikation. Kontakt: Lutz.Fruehbrodt@fhws.de
Literatur
Eck, Klaus/Eichmeier, Doris (2014): Die Content-Revolution im Unternehmen. Neue Perspektiven durch Content-Marketing und –Strategie. Freiburg, Haufe
Frühbrodt, Lutz: Der Boom des Content Marketing: Gefährliche Konkurrenz für den Technikjournalismus?. In: Hooffacker, Gabriele/Wolf, Cornelia (Hrsg.): Technische Innovationen – Medieninnovationen. Herausforderungen für Kommunikatoren, Konzepte und Nutzerforschung. Wiesbaden [Springer VS] 2017 S. 191-204
Ders. (2016): Content Marketing: Wie ’Unternehmensjournalisten‘ die öffentliche Meinung beeinflussen. Arbeitsheft 86 der Otto-Brenner-Stiftung. Frankfurt/Main, Otto-Brenner-Stiftung
Hooffacker, Gabriele: Journalismus first. Ein Vorschlag für eine umfassende Ethik der Kommunikation auf der Grundlage der Regelwerke für Journalisten. In: Stapf Ingrid/Prinzing, Marlis /Filipović, Alexander (Hrsg.): Gesellschaft ohne Diskurs? Digitaler Wandel und Journalismus aus medienethischer Perspektive. Baden-Baden [Nomos] 2017, S. 135-150.
Knüwer, Thomas: Journalismus: bald nur noch ein Luxus der Wohlhabenden, in: Indiskretion Ehrensache, 04.07.2018.
http://www.indiskretionehrensache.de/2018/07/journalismus-luxus/amp/?__twitter_impression=true (24.8.2018)
Lohmeyer, Karsten (2017): Content Marketing killt den Journalismus? Nein!, in: The Digitale, 03.01.2017.
https://www.the-digitale.com/blog/content-marketing-killt-den-journalismus-nein (24.8.2018)
Otto, Kim: 2017 – Vertrauen in die Medien so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. o.D.
https://www.wiwi.uni-wuerzburg.de/lehrstuhl/professur-fuer-wirtschaftsjournalismus/medienvertrauen/ (24.8.2018)
o.V. (2016): “Content Marketing hat uns der Teufel gebracht”: Die Brandrede des OMV-Sprechers in Richtung Journalismus. In: Meedia, 28.11.2016.
Siebenhaar, Hans-Peter: Content-Marketing killt den Journalismus. In: Meedia, 3.1.2017.
https://meedia.de/2017/01/03/medien-kommissar-siebenhaar-content-marketing-killt-journalismus/ (24.8.2018)
Sohn, Gunnar (2017): Der Marketer als Konkurrent des Journalisten. In: Ichsagmal, 04.11.2017.
https://ichsagmal.com/2017/11/04/der-marketer-als-konkurrent-des-journalisten/ (24.8.2018)
Fußnote
[i] Es gibt zahlreiche Definitionen von Content Marketing in der praxisorientierten Ratgeber-Literatur. Eine ausführliche wissenschaftliche Definition liefert Frühbrodt (2017: 194): „Bei Content Marketing setzen Organisationen (Unternehmen) eigene digitale Medien ein, um mit nicht-werblichen, werthaltigen Inhalten die Aufmerksamkeit und das Vertrauen potenzieller Kunden zu gewinnen. Die informierenden, beratenden oder unterhaltenden Inhalte sind in ihrer äußeren Form wie journalistische Angebote aufbereitet, sind jedoch im Gegensatz zum Journalismus inhaltlich nicht unabhängig, sondern eindeutig interessengeleitet.“
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