Mandy Tröger (2019): Pressefrühling und Profit. Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten

Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Dass der politischen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 – oder korrekter: dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland – die wirtschaftliche Einverleibung oder Unterwanderung in Form von Fusionen, Joint-Ventures, Preispolitik oder geheimen Absprachen des kapitalstarken Westens vorausging, ist hinlänglich bekannt und vielfach erforscht. Ein besonders symptomatisches und folgenreiches Beispiel – als paradigmatischer Konflikt zwischen großpublizistischen und kleinverlegerischen Marktinteressen einerseits und alternativen Reformkonzepten und hehren demokratischen Idealen der Pressefreiheit andererseits – sei die aggressive Einverleibung und Neustrukturierung des DDR-Pressemarktes nach westdeutschem Vorbild gewesen, so die Autorin. Die vorliegende Publikation ist ihre überarbeitete Dissertation, die sie am Institute of Communication Research (ICR) der Universität Illinois geschrieben hat und approbiert bekam, mit Unterstützung von Michael Meyen an der Universität München.

Zwar gibt es über die Fusion der beiden Pressemärkte schon etliche Forschungen, etwa den Forschungsbericht von Beate Schneider u.a. zur Presse (1991/92), den von Michael Haller u.a. (1994) zur Zeitschriftenpresse, beide im Auftrag des Bundesinnenministeriums, oder auch die Studie von Bernd Klammer zum Pressevertrieb in Ostdeutschland (1998), die die Autorin eingangs in einem kompakten Literaturbericht aufarbeitet. Dennoch glaubt sie einige Lücken und Desiderate auszumachen, die ihre Arbeit rechtfertigen:

Einmal vermisst sie eine Ergründung und Einschätzung jener Transformationen vornehmlich aus der Sicht von DDR-Akteur*innen, also weniger aus der der »Sieger« als der der »Besiegten«. Denn: Geschichtsschreibung könne trotz aller Bemühungen um Sachlichkeit, Neutralität und Intersubjektivität nie gänzlich objektiv sein, sondern müsse ihre zwangsläufige Subjektivität um der Wissenschaftlichkeit willen möglichst »transparent« (Tröger 2019: 30) machen. Und da sie in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen sei, könne sie die vielfachen Reformbestrebungen für eine souveräne, demokratische und sozialistische DDR, zu der auch eine veränderte, bürgernahe, möglichst wenig konzentrierte Presse gehöre, (besser) nachvollziehen.

Um die vielfältigen Kontroversen und Konflikte eingehender zu betrachten, habe sie zum anderen den Fokus auf die maßgeblichen Akteur*innen sowohl in der DDR als auch in der BRD gerichtet und sich auf ihr Agieren für ihre jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Interessen fokussiert. Dazu hat sie zum dritten unzählige Quellen – vor allem (nun) zugängliches Archivmaterial in offiziellen Archiven und in Privatarchiven – sowie Interviews (17 an der Zahl) mit damaligen Akteur*innen aufgearbeitet. All diese Quellen listet sie im Anhang auf. Als »Dreh- und Angelpunkt« (Tröger 2019: 267) habe sich zum vierten der bislang wenig beachtete Pressevertrieb herausgeschält, und »die politischen und wirtschaftlichen Kämpfe« (Tröger 2019: 38), um die Dominanz über den DDR-Pressemarkt zu erlangen. So verstehe sie ihre Arbeit als »eine Geschichte der Wendezeit«, nicht als »die Wende-Geschichte« (Tröger 2019: 32) – wobei sie anlässlich solcher Begriffe auch noch über eine angemessene Sprache reflektiert (Tröger 2019: 43). So überlegt, differenziert und methodisch geht Mandy Tröger ihre Arbeit an.

Die beiden folgenden Kapitel befassen sich mit der sachlichen Darstellung: Das 2. Kapitel beschreibt den historischen Kontext deutsch-deutscher Beziehungen zur Wendezeit und stellt die wichtigsten medienpolitischen DDR-Institutionen vor. Es ist nicht chronologisch verfasst – eine Übersichts-Chronologie findet sich zu Beginn des Buches –, vielmehr werden mittels der Darstellung wichtiger Ereignisse, Instanzen und Akteure die wirtschaftlichen und politischen Interessen skizziert, die die Transformation der DDR-Presse bestimmten. Zwar garantierte die DDR-Verfassung (formal) die Presse- und Meinungsfreiheit, freilich unter der Maßgabe des demokratischen Zentralismus. Daher gehörte die Presse überwiegend der SED und den SED-nahen Parteien und Organisationen, nur die kirchlichen Erzeugnisse waren begrenzt unabhängig. Der Vertrieb oblag der staatlichen Post, Lizenzierung, Papierzuteilung (die stets zu knapp war) und damit Auflagenhöhe standen unter staatlicher Kontrolle. Exklusive Nachrichtenquelle für alle DDR-Medien war der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN).

Das KSZE-Folgetreffen im Januar 1989 sollte auch den DDR-Markt für kapitalistische Medien öffnen. Nach 1989, in der Wende-Zeit mit ihren Reformbestrebungen, kursierten viele Ideen und Konzepte sowohl für demokratische, authentische und souveräne DDR-Medien (einschließlich innerer Pressefreiheit) als auch für freien Presseaustausch zwischen den Staaten. »Runder Tisch«, Medienkontrollrat und diverse Ausschüsse von Journalisten und Verlagen diskutierten die Vorlagen, die Regierungen Modrow und de Maizière suchten zusammen mit der Volkskammer und ihren Ausschüssen ein Mediengesetz zu verabschieden. Doch sie machten alle ›ihre Rechnungen ohne die westdeutschen Wirte‹.

Denn unmittelbar nach dem Mauerfall am 9. November 1989 lieferten vor allem die westdeutschen Großverlage Bauer, Burda, Gruner & Jahr und Springer mittels Joint-Ventures, informeller Kontakte und Preisdumping ihre Produkte in die DDR, konkurrierten ebenso gegen die ›alten‹ DDR- und SED-Zeitungen, die sich meist mit alter Technik, schlechtem Papier und beschränktem Zugang zu den weltweiten Nachrichten nur schwerlich dem Modernisierungsdruck behaupten und den neuen Formaten anpassen konnten, wie gegen die meist laienhaften, kaum mit Kapital, journalistischem Knowhow und Technik ausgestatten Reformblätter und Neugründungen. Über »Wildwest-Methoden« klagten die DDR-Vertreter, von Einführung und Stabilisierung einer »freien Presse« schwärmten die BRD-Agenten. Zentraler Kampfplatz wurde das Monopol der DDR-Post für den Pressevertrieb.

Die Winkelzüge und Kontroversen der verschiedenen Akteur*innen beschreibt und analysiert die Autorin anhand vieler Originalquellen in ihrem umfangreichsten 3. Kapitel (gut 160 Seiten), und es liest sich streckenweise wie ein Krimi. Dabei erfährt man nicht nur viel über Strategien und Schwächen der DDR-Akteure, sondern auch über die Machenschaften der Westverlage (einschließlich der effektiven Zusammenarbeit mit regierungsamtlichen Stellen). Knackpunkt war, ob der Pressevertrieb wie in der Bundesrepublik verlagsunabhängig gestaltet werden soll oder in mehr oder weniger enger Verlagsabhängigkeit, wie sie die Großverlage mit eigenen Investitionen und Tauschgeschäften bereits etabliert hatten.

Das Ergebnis ist bekannt. Die Autorin resümiert es in ihrem vierten und letzten Kapitel folgendermaßen: Zwar mussten die ›Big Four‹ auf Druck des (westdeutschen) Bundeskartellamtes am Ende ihr einseitiges Ziel großenteils aufgeben; dennoch zeige ihre Analyse, »wie [westdeutsche] Großverlage nicht nur den Gesetzgebungsprozess beeinflusst, sondern eine ganze Wirtschaftsordnung (zumindest im Pressesektor) verändert und an die eigene Ziele und Interessen angepasst haben« (Tröger 2019: 280). Diese Marktlogik habe viele Reformkonzepte und »radikal-demokratische Visionen einer freien Presse« (ebd.) abgewürgt.

Vermutlich dürfte nunmehr wiederum trefflich gestritten werden, ob und inwieweit die Autorin aus neutraler, möglichst ›objektiver‹ Sicht die Wahl, Bearbeitung und Auswertung der Quellen vorgenommen hat. Aber da schon so viele Studien aus westlicher Sicht vorliegen, wie sie gezeigt hat, stärkt es den erwünschten Pluralismus der Geschichtsschreibung, wenn diese aus reflektierter und erklärtermaßen distanzierter (Ost-)Perspektive hinzukommt.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 8. April 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22738.

Über den Rezensenten

Hans-Dieter Kübler (*1947), Dr. rer soc., war Professor für Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Fakultät Design, Medien, Information und ist Erster Vorsitzender des Instituts für Medien- und Kommunikationsforschung (IMKO) e.V. Arbeitsschwerpunkte: Medien- und Kulturtheorie, empirische und historische Medienforschung sowie Medienpädagogik. Seit 2012 ist er Mitherausgeber der Halbjahreszeitschrift Medien & Altern (München).

Literatur

Schneider, Beate et al. (1991/92): Strukturen, Anpassungsprobleme und Entwicklungschancen der Presse in den neuen Bundesländern. Forschungsbericht für den Bundesminister des Inneren, 2 Bde. Hannover u. Leipzig.

Haller, Michael; Ludwig, Johannes; Weßler, Hartmut (1994): Entwicklungschancen und strukturelle Probleme der Zeitschriftenpresse in den neuen Bundesländern. Forschungsbericht für den Bundesminister des Inneren. Bd. 1, Leipzig.

Klammer, Bernd (1998): Pressevertrieb in Ostdeutschland. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen beim Aufbau eines Pressegroßhandelssystems nach der Oktoberwende 1989. München: Saur.

Über dieses Buch

Mandy Tröger (2019): Pressefrühling und Profit. Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten. Köln: Herbert von Halem, 360 Seiten, 25,- Euro.