Rezensiert von Sabine Schiffer
Die folgende kritische Auseinandersetzung mit zwei Büchern zu Propaganda-Techniken ist geprägt durch die Reihenfolge ihrer Rezeption. Dies führt zu einer gewissen Verschiebung in der Gewichtung einzelner Aspekte. Die Rezensionen orientieren sich an folgendem Schema – Informationen über den Autor, Inhalt und Ziel der Publikation sowie Bewertung – um dennoch eine gewisse Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
Christian Hardinghaus (2023):Kriegspropaganda und Medienmanipulation.
Hardinghaus (Jg. 1973) ist laut Buchumschlag promovierter Historiker, Literatur- und Medienwissenschaftler und promovierte im Themenfeld Propaganda und Antisemitismus. Sein Twitter-Profil weist ihn als Journalisten aus; auf der ARD-Website wird sein Interview vom Juni 2023 als das eines Historikers angekündigt (vgl. https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/propaganda-krieg-wahrheit-100.html).
Hardingshaus‘ Publikationsliste wird auf den ersten Blick von Belletristik dominiert.
Inhalt
Christian Hardinghaus tritt mit dem Anspruch an, seine Leserinnen und Leser darüber aufzuklären, wie man Propaganda entlarven und so der (beabsichtigten) Manipulation entgehen könne. Die ersten fünf der insgesamt sechs Kapitel lauten: »Propaganda erkennen«, »Propaganda verstehen«, »Propaganda entlarven«, »Kriegspropaganda« und »Propaganda im Ukrainekrieg«. Ergänzt werden sie durch ein Abschlusskapitel mit dem Titel »Ukraine-Berichterstattung in deutschen Medien und Plädoyer für einen besseren Journalismus«.
Die Struktur lässt bereits Stärken und Schwächen des Buches erahnen: Einerseits werden Informationen zur Propaganda-Geschichte und ihren Techniken allgemein präsentiert, andererseits zeugt die Auflistung davon, dass alles auf eine Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine sowie zur Berichterstattung darüber hinausläuft. Neben gewissen erwartbaren Redundanzen läuft der Wechsel zur journalistischen Perspektive auf einen medienethisch geprägten Schluss hinaus.
Leistung/Stärken
Fördert das Buch die Propaganda-Literacy, ein erklärtes Ziel des Autors? Ja, das Potential dazu ist vorhanden. Es wartet mit reichhaltigem Wissen etwa zur Propaganda-Geschichte auf, auch wenn eine fehlende Systematik in der Terminologie teilweise die Wiedererkennbarkeit erschweren dürfte. Natürlich ist nicht alles eine Frage der Typologie, sondern auch des Verstehens der Vorgehensweise von Propaganda und historischer Zusammenhänge. Dafür gibt es einige Ansätze.
Mit der 4-M Propagandaformel bricht Hardinghaus zentrale Propaganda-Definitionen auf vier Kernelemente herunter: Manipulation der Massen durch Machthaber/Mächtige mittels Medien (S. 11). Nachdem er unter Rückgriff auf einschlägige Autoren von Gustave Le Bon über Edward Bernays bis Noam Chomsky einen Überblick über Geschichte und Terminologie der Massensteuerung mittels Propaganda gegeben hat, will er in Kapitel 3 das Versprechen »Propaganda entlarven: über 75 Formen und Techniken in praktischer Anwendung« einlösen.
Die Unterscheidung von weißer, grauer und schwarzer Propaganda schickt er vorweg, bevor er sich »sieben Grundformen von Propaganda« zuwendet (S. 49ff.). Diese orientieren sich an den vom Institute for Propaganda Analysis (IPA) 1937/38 in den USA aufgestellten »Seven Propaganda Devices«. Dazu gehört die Benennungspraxis – heute würde man es »Wording« nennen – ebenso wie die Selbstidealisierung bei gleichzeitiger Dämonisierung des Gegenübers sowie das Ausblenden jener Fakten, die für die eigene Seite ungünstig sind. Bis auf das Bandwagon-Argument am Schluss (S. 55), das den Glauben an eine konforme Masse ausnutzt, fehlt den einzelnen die klare Abgrenzbarkeit zueinander wie auch zur folgenden Auflistung der »Propagandatechniken der Täuschung«, wozu er z. B. auch das »Agenda-Setting« zählt – ein Mechanismus, den man jeder Thematisierung in den Medien bescheinigt.
Die Liste ist alphabetisch angeordnet und umfasst Techniken wie »Anekdotische Evidenz«, »Astroturfing«, »Brunnenvergiftung«, »Dammbruchargument«, »Embedded Journalism« etc. Hieran wird bereits die unterschiedliche Qualität der genannten Techniken deutlich, die teilweise auch journalistische Kategorien umfasst. Dennoch sind die Beispiele gut leserlich und einzelne Techniken anschaulich beschrieben. Manchmal wird zusätzlich eine Begriffsauswahl gegeben, unter welchen Termini man das Phänomen ebenfalls finden kann. Ab und zu gibt es auch explizite Bezüge zur IPA-Typologie (z. B. bei »Umbenennung und Euphemisierung« zu »Name Calling, Glittering Generality oder Labeling« (S. 87), dies geschieht aber nicht systematisch und teils zu wenig abgrenzend.
Im Kapitel »Kriegspropaganda« (S. 91ff.) knüpft Hardinghaus an die Vorarbeiten Anne Morellis an. Sie hat die Prinzipien moderner Informationskriege Lord Arthur Ponsonbys zu den bekannten zehn Merkmalen zusammengefasst (S. 95), die sich folgendermaßen auf den Punkt bringen lassen »Wir sind die Guten, sagen die Wahrheit und haben immer Recht«, während das Gegenteil für die bösen Gegner gilt. Hardinghaus‘ Stärken als Historiker kommen in den Abhandlungen zur Propaganda während der Weltkriege zum Tragen, die das Kernstück des Buches bilden.
Gut ist auch, dass Hardinghaus immer die welchselseitige Propaganda aufzeigt, unabhängig davon, wer der (jeweilige) Aggressor ist. Insofern ist ihm kein Ost-West- oder anderer Bias anzulasten. Besonders die »Kriegsanlasslüge[n]« sind gut und systematisch dargestellt, jeweils am Ende einer kurzen Analyse zu einem (Propaganda-)Krieg. Beim Irakkrieg 2003 stört allerdings das Fehlen von Curveball (falscher Kronzeuge für nicht vorhandene Gefahren mit deutscher Unterstützung; an dieser Stelle entlarvt Hardinghaus die deutsche Heraushalte-Rhetorik nicht) bei der Darstellung der Powell’schen Kriegslügen, wenn schon von »Falschinformationen des Geheimdienstes« die Rede ist (S. 169). Auch beim aktuellen Signalwort »Whataboutism« fehlt jeder Hinweis auf einen möglichen Doppelstandard (vgl. S. 85).
Wahrscheinlich würde das Buch mehr Sympathie im Mainstream der medialen Rezensionen erhalten, wenn es das letzte Kapitel nicht gäbe. Es stellt eine Art Zusatzkapitel dar und nimmt die »Ukraine Berichterstattung« in den kritischen Blick (S. 199ff.). Es kommt – wie schon weiter oben an einigen Stellen – ohne viel Belegaufwand aus, liefert oft Beobachtungen und Selbsteinschätzungen als kritischer Mediennutzer.
Dabei ist gerade das Ziel am Schluss des Buches ein hehres: Statt Zensur soll die kritische Auseinandersetzung mit der russischen Propaganda gefördert werden. In dieser kennt sich der Autor beeindruckend gut aus und kann sie glaubwürdig kritisieren. Dass die Berichterstattung von der ukrainischen Perspektive dominiert wird, belegt nicht nur die – immerhin – angeführte Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) (Maurer/Haßler/Jost 2023). Insofern sollte man diesem Hinweis gerade als im Journalismus Tätige durchaus folgen und (selbst-)kritisch prüfen.
Kritik
Eine gewisse Unwucht ist in den Darstellungen feststellbar, die sich auch in der Auflistung der »Propagandamethoden« auf den Seiten 219/220 niederschlägt. Die Terminologie reicht dort von sehr unterschiedlichen Sachverhalten wie »Deplatforming« bis »Strohmannargument« und damit über reine und gezielte Propagandatechniken hinaus. Vorwort und letztes Kapitel bilden eine Art Appell-Klammer, was durchaus legitim ist in einem wissenschaftlichen Sachbuch und die transparent gemachte Motivation des Autors unterstreicht.
Kleinere und größere Fehler werfen Fragen nach der Sorgfalt auf. Edward Bernays war, anders als geschrieben, nicht Psychologe (S. 33). Obwohl er der Neffe Sigmund Freuds war, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er bei diesem in die Lehre gegangen ist – die Entfernung zwischen den Kontinenten war damals sicher schwerer zu überwinden als heute. Es ist also von einer Rezeption in Form von Büchern und Briefen auszugehen. Als Freud in Europa verfolgt wurde, unterstützte ihn sein Neffe mit dem Verlegen seiner Bücher in den USA. Das Menschenbild Bernays‘ – Verhinderung des Chaos in einer Demokratie durch die Steuerung der Massen durch kluge Kommunikation (vgl. Le Bon 1911/2008) – kommt etwas kurz bei Hardinghaus.
Auch fehlt eine systematische Unterscheidung zwischen Intention und Potential. Denn nicht alles, was sich als Effekt erweist, muss so im Interesse der Macher gewesen sein. Ausnahmen gibt es (wie die Fragmentierung von Fotos auf S. 78 zeigt, hierfür fehlt allerdings das Haus der Geschichte in Bonn als Quellenangabe), aber im Großen und Ganzen raunt explizit »der Propagandist« durch das Buch. Das klingt immer nach einem intentionalen Vorgehen, wobei man hier streng unter strategischer Kommunikation und unüberlegter Rezeption und Weitergabe unterscheiden müsste. So auch bei der fehlenden Unterscheidung zwischen dem genannten »Framing« und dem nicht genannten strategischen Framing (vgl. S. 69). So wenig wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man aber auch nicht nicht framen. Sprachliche und bildliche Zeichen sind immer vorgeprägt und formen die Wahrnehmung der Sachverhalte mit. Jacques Ellul, auf dessen Werk Bezug genommen wird, tat gut daran, der »soziologischen Propaganda« (Ellul 2021 [1962]: 87ff.) – also den nicht intentionalen, omnipräsenten Grundgeschichten einer Gesellschaft – viel Platz einzuräumen.
Das Anführen zweier Typologien von Propaganda-Techniken hat Potential zur Verwirrung. Eventuell hätte sich die Mühe gelohnt, die zweite Liste als Unterpunkte der ersten, dem Modell der IPA, zu führen. So zieht sich eine mangelnde Systematik in Terminologie und Ereignisbeschreibungen durch das gesamte Buch, was die Wiedererkennbarkeit einzelner Techniken erschwert. Auswahlentscheidungen transparent zu machen hätte schon wesentlich zur intersubjektiven Nachvollziehbarkeit beigetragen – aber das Buch ist auch insgesamt eher als Essay angelegt denn als systematische Analyse zum Nachschlagen. Das macht es vielleicht lesbarer, aber es birgt die Gefahr von Redundanzen.
Trotz des am Schluss angeführten Registers, das wiederum nicht die Qualität der einzelnen Einträge unterscheidet, sondern eine Mischung aus Wort- und Terminologie-Register darstellt, können einige Begriffe nur schwer oder gar nicht nachgeschlagen werden, weil sie und ihre Synonyme fehlen (vgl. Overton, welches ungefähr dem Begriff der Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann entspricht, welcher wiederum ganz andere – in den Medienwissenschaften viel diskutierte – Problematiken aufweist; vgl. S. 73). Dies sei an einem Beispiel illustriert: So ist z. B. »hypothetisches Ködern« nicht klar von der »Brunnenvergiftung« zu unterscheiden. Und während die »Kontaktschuld«-These auch heute omnipräsent ist, ordnet Hardinghaus ihr nicht entsprechende Techniken zur Herstellung solcher Behauptungen zu.
Am Beispiel der Ausführungen zur »kognitive[n] Dissonanz« lässt sich gut illustrieren, wie es immer wieder zu Ungenauigkeiten in der Auflistung kommt (vgl. S. 75). Denn die kognitive Dissonanz ist keine Technik der strategischen Kommunikation, sondern stellt ein mögliches Ergebnis, eine Zustandsbeschreibung bei der Wahrnehmung von Widersprüchlichem dar.
»Guilt by Association« könnte eine brauchbare Oberkategorie abgeben, wenn man die Assoziationen typologisiert: Hier böte sich die erwähnte »Diskreditierung durch Assoziierung« auf dem Niveau von Beiordnungen unliebsamer Personen ebenso an, wie die mit abgelehnten Themen oder anderen Möglichkeiten des Negativ-Labelling durch Assoziierung (Sinn-Induktion durch Beiordnung, wie ich es beispielsweise im Lehrbuch Medienanalyse (Schiffer 2021) benenne) – eine Verbindung zum »Montage«-Thema ist gegeben, was wiederum bei Hardinghaus losgelöst von der Assoziierungsthematik erscheint.
Insgesamt verschleiert der Text an manchen Stellen, ob es sich um gängige Techniken der Propaganda mit längst erforschten Ausprägungen – anschaulich dargestellt durch einprägsame und evtl. bekannte Beispiele – oder um eigene Forschungsergebnisse handelt. Besonders das Anführen einzelner Belege – deren Unwucht in der Auswahl sich mir nicht erschlossen hat – in »Anmerkungen« statt einer ordentlichen Bibliografie schwächt das Buch als wissenschaftliche Arbeit. Zudem hätten auch diese Angaben ein sorgfältiges Lektorat verdient, weil teilweise Erscheinungsjahr oder Verlagsangaben fehlen oder fehlerhaft sind.
Bei »Political Correctness« habe ich mich gefragt, ob der Autor selbst evtl. dem Mythos rechter Akteure verfallen sein könnte, die nicht selten dann vor »Cancel Culture« warnen, wenn es um die Verteidigung von Rassismen im öffentlichen Diskurs geht (vgl. S. 80ff.). Bedenklich sind aber vor allem jene Textstellen, an denen der Literat mit dem Wissenschaftler durchgegangen zu sein scheint: Teilweise schreibt Hardinghaus so, als könnte er in die Köpfe »der Propagandisten« hineinschauen. Das ist für eine wissenschaftliche Publikation gewagt – zumal manche Publizierende bei besonders diffizilen und noch nicht zuende recherchierten Themen auf die Fiktion ausweichen, um eine These zur Diskussion zu stellen, für die es (noch) keine Belege gibt.
Der Abriss zur PR-Geschichte ist arg selektiv, obwohl man sicher darüber diskutieren kann, ob und welchen Qualitätssprung in der Kriegspropaganda der Erste Weltkrieg darstellte. Ihn als »erste[n] Propagandakrieg« (S. 98) zu bezeichnen, greift jedoch sicher zu kurz. Denn der Krieg hat sich durch die gesamte PR-Geschichte als Motor der Entwicklung strategischer Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit entwickelt und dies stets in Bezug zur Medienentwicklung (vgl. z. B. Kunczik 2009). Hier wäre aber mindestens bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückzudenken.
Bei der Aufzählung der Propaganda im Ersten Weltkrieg fehlt die britische Krankenschwester Edith Cavell, die von den deutschen Besatzern in Belgien wegen Fluchthilfe zum Tode verurteilt wurde. Ihre Geschichte ist jedoch zum Verständnis der Plakatentwicklung – die »deutsche Bestie«, die Frauen schändet – besonders einprägsam und zieht sich als Motiv bis hin zur Golfkriegspropaganda 1991 und dem Afghanistan-Krieg (vgl. Lakoff 1991). Die Aufnahme von Kim Phuc führt Hardinghaus zwar richtig als eines der zwei ikonischen Antikriegsbilder des Vietnamkriegs angeführt (S. 134), allerdings wird nicht erwähnt, dass der Fotograf Nick Ut das Foto bearbeitete, indem er u. a. die herumstehenden Soldaten und Fotografen am oberen rechten Rand des Originalfotos wegschnitt, um dessen Ausdruckskraft zu steigern (vgl. Paul 2008). Ein sorgfältiges Lektorat hätte dem Buch zudem gutgetan. Sprachliche Fehler, z. B. »Kuffa« statt »Kuffar« für »Ungläubige« (der Singular wäre »Kafir«) oder auch fehlerhafte Datierungen – etwa wenn das MyLai-Massaker in Vietnam auf 1968 datiert wird, die Aufklärung desselben aber auf 1967 (vgl. S. 131/132) – fördern nicht gerade die Glaubwürdigkeit des Formulierten. Dies könnte darauf hindeuten, dass das Buch unter Zeitdruck geschrieben wurde.
Jonas Tögel (2023): Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken aus der Waffengattung der NATO.
Tögel (Jg. 1985) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für pädagogische Psychologie der Universität Regensburg. Dort sind seine Forschungsschwerpunkte als »Soft Power, Motivation und Propaganda sowie epochaltypische Schlüsselprobleme des 20. und 21. Jahrhunderts (Nachhaltigkeit/BNE)« gelistet. Zuvor studierte er Amerikanistik und Romanistik fürs Gymnasiallehramt und promovierte zum Themenfeld Lernmotivation. Als Propaganda-Forscher spezialisiert er sich auf Soft-Power Techniken der NATO. Damit schließt er eine Lücke im publizistischen Diskurs, welcher vorzugsweise die Propaganda ›der anderen‹ – z. B. russische Desinformation – in den Blick nimmt und gar nicht bzw. nur selten die NATO als Untersuchungsgegenstand einbezieht.
Inhalt
Das Sachbuch hat zum Ziel, die Strategiepapiere und -überlegungen der NATO in einem öffentlichen Diskurs sichtbar zu machen und damit die menschliche Sphäre als möglichen sechsten Kriegsschauplatz – neben Wasser, Land, Luft, Space (Weltraum) und Cyberspace (Internet) – auszuleuchten. Dazu definiert Tögel Soft Power (in Abgrenzung zu Hard Power) zunächst allgemein, geht dann auf die Überlegungen der strategischen NATO-Denker ein und analysiert deren formulierte Strategien.
Die einzelnen relevanten Aspekte werden in den Kapiteln »Kognitive Kriegsführung als Kriegspropaganda« (S. 17ff.), »… als digitale Manipulation« (S. 107ff.), »… als kulturelle Manipulation« (S. 149ff.) und »… als Zukunftstechnologie« (S. 165ff.) ausgearbeitet. Aus aktuellen Gründen gibt es ein extra Kapitel zum Krieg in der Ukraine als (einziger) Unterpunkt des Kapitels »Die Aktualität von Kognitiver Kriegsführung und mögliche Auswege« (S. 191ff.). Das wirkt etwas eingeschoben. Ab S. 205 fasst Tögel nochmal »Die Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung erkennen, verstehen und neutralisieren: eine Übersicht« zusammen.
Leistung/Stärken
Tögel räumt gleich zu Beginn einen gewissen Bias ein (S.11), indem er auf seine Blickrichtung und Sprachkompetenzen verweist, die ihn zu westlichen Propaganda-Quellen geführt haben. Das Eintauchen in die Überlegungen der NATO zur kognitiven Kriegsführung, die in Ergänzung oder gar zum Ersetzen heißer Kriege gedacht ist, ermöglicht einen differenzierten Blick auf den aus westlicher Sicht oft ausschließlich als Verteidigungsbündnis wahrgenommenen militärischen Akteur.
Der historische Überblick zur relativ kurzen Entwicklung der »Cognitive Warfare«, der sich auf die Zeit konzentriert, wo diese Bezeichnung benutzt wird, gibt erste Einblicke in die Neubewertung von SoftPower (ein viel älteres Konzept aus der politischen strategischen Kommunikation; vgl. z. B. den Begriff »Public Diplomacy«) als Mittel strategischen Handelns. Neben Robert Cialdini werden vor allem die Autoren Bernard Claverie und François du Cluzel sowie der Cyberexperte Le Guyader als zentrale Figuren der Analyse und Erstellung von Handreichungen für die NATO erwähnt (S. 28ff.).
In der Logik eines Verteidigungsbündnisses wird alles, was von NATO-Seite erdacht wird, als Reaktion auf die Propaganda – also konkret: die kognitive Kriegsführung – der anderen Seite konzipiert. Gemäß den oben (in der Besprechung von Hardinghaus) erwähnten Regeln Lord Arthur Ponsonbys verortet die NATO dementsprechend die eigene Propaganda als Gefahrenabwehr, die den Einsatz manipulativer Psychotechniken quasi unumgänglich mache.
Im historischen Abriss zur Entwicklung von Kriegspropaganda gibt es einige Anknüpfungspunkte an die Ausführungen von Hardinghaus: die zentrale Rolle von Edward Bernays ist Konsens, wie auch die Einordnung von »Gräuelpropaganda« (S. 56) als Mittel von Kriegspropaganda. Wobei Tögel aber auch Ivy Ledbetter Lee würdigt, der in Konkurrenz zu Bernays stand. Interessant ist, dass das Thema »Desinformation zu Covid19« im Kontext der NATO-Papiere von 2022 eine prominente Rolle spielt (S. 32).
Tögel arbeitet sorgfältig und systematisch. In den fundierten Bezügen zu den psychologischen und pädagogischen Grundlagen lässt sich seine akademische Ausrichtung erkennen. Am Beispiel der Creel-Kommission – dem Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit in den USA – zeigt er anschaulich auf, wie man die öffentliche Meinung von der Ablehnung einer Kriegsbeteiligung der USA im ersten Weltkrieg hin zur Kriegsbegeisterung wenden konnte; unter tätlicher Mithilfe von Edward Bernays, der aus dieser Erfahrung die Lehre zog, dass diese Manipulationstechniken auch zu Friedenszeiten nutzbar sind. Das Kapitel zur Kriegspropaganda ist zurecht lang, weil es auch die Anwendung von Propagandamethoden nach den beiden Weltkriegen zu Umstürzen und Einmischungen in anderen Ländern darstellt.
Obwohl bereits klar gemacht wurde, dass jede technische Neuerung auch einen Entwicklungssprung in der Propaganda bedeutet, liegt mit den neuen Möglichkeiten, die das Internet bietet, ein Quantensprung vor. Dementsprechend viel Aufmerksamkeit wird dem »Informationskrieg« im Netz (S. 110) in den NATO-Papieren gewidmet. Kurz auf den Punkt gebracht: Man findet hier alles, was man der Gegenseite vorwirft, vom Micro-Targeting in Social Media bis zur Manipulation der Google-Suche; hier fehlt allerdings eine klare Abgrenzung zwischen NATO und Pentagon. Eine besondere Stärke bildet der Einblick in das Visionäre bzw. die Zukunftsprojektionen der Strategieentwickler. Man mag sich anhand der aktuellen Erkenntnisse vielleicht gar nicht ausmalen, wieviel Ressourcen noch in Roboter, Neurowissenschaften und transhumane Technologien investiert werden, um einen strategischen Vorteil im geostrategischen Rennen zu bekommen.
Information sieht auch Tögel als Waffe gegen Manipulation. Deshalb ist es gut, dass sein Buch weniger akademisch als vielmehr leicht verständlich geschrieben ist. Auch der Schluss, in dem sich der Autor Gedanken zu Aktivismus macht, dient dem hehren Zweck, Aufklärung zu leisten und Demokratie zu stärken. Zurecht kritisiert er die ursprünglich britische sogenannte Integrity Initiative, die »russische Desinformation« ins Visier nimmt und dazu geeignet ist, unliebsame Meinungen als Desinformation zu markieren – ein Schritt in Richtung Gedankenpolizei, hier illustriert am Beispiel des Umgangs mit Jeremy Corbyn in Großbritannien (S. 160ff.).
Kritik
Tögels Geschichte der Kriegspropaganda gerät etwas zu kurz. So meint er, dass diese im Wesentlichen im 20. Jahrhundert entwickelt worden sei. Dabei lässt sich umgekehrt feststellen, dass sich die PR – die früher offen Propaganda genannt wurde – immer eng entlang von Kriegen entwickelt hat (vgl. Kunczik 2009; Morelli 2014), in denen jedes Mal die neuesten Techniken genutzt und weiter verfeinert wurden. Die großen Sprünge in der Technik sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon immer die Menschen gegeneinander aufgehetzt wurden.
Das Buch gerät zum Schluss etwas ungenauer und teilweise auch spekulativ, etwa wenn es um Biolabore (in der Ukraine) geht, die er mit gänzlich anderen Quellen diskutiert als den übrigen Teil des Buches. Darunter sind auch anerkannte Internetquellen, wie beispielsweise Telepolis vom Heise-Verlag, aber dennoch fällt der Teil im Vergleich zur Auswertung der NATO-Papiere etwas ab: Hier beschränkt Tögel sich eben nicht auf diese und handfeste Belege für strategische Überlegungen, sondern (ver-)mischt weitere Überlegungen mit Fakten. Im Gegensatz dazu geht er einem handfesten Beleg nicht auf den Grund. So führt er den Blog EUvsDisinfo (S. 172) zwar an, erwähnt aber nicht einmal in der Endnote, dass dieser von der East StratCom Task Force betrieben wird – einer Stelle für strategische Kommunikation von EU und NATO (https://medien-meinungen.de/2021/10/wie-eu-und-nato-gegen-desinformation-vorgehen). Diese hätte wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient, weil hier im Grunde schon einiges von dem umgesetzt wird, was in den Strategiepapieren der NATO steht. Eine solche PR-Stelle unter direkter Beteiligung der NATO spielt auf der operativen Ebene eine wichtige Rolle, zumal Medien sie oftmals als EU-Stelle framen.
Eine Schwäche des Buches ist, dass Anmerkungen eine Bibliografie ersetzen. Zwar kann man dem Text folgend einzelne Quellen überprüfen, aber es ist nicht möglich, systematisch zu erfassen, ob alle relevanten Quellen zum Thema Kriegspropaganda und Kognitive Kriegsführung eingearbeitet wurden. Fehlende Fachtermini, wie bspw. »Stigmawort«, »Euphemismus« oder »Spin«, deuten auf eine selektive Rezeption von Quellen hin.
Über die Rezensentin
Sabine Schiffer, Prof. Dr. phil., lehrt an der Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Frankfurt/M.
Literatur
Bernays, Edward (1923): Crystallizing Public Opinion. Whitefish/USA: Kessinger Publishing.
Bernays, Edward (1928): Propaganda. New York: Horace Liveright.
Ellul, Jacques (2021): Propaganda – Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird. [frz. Original: Propagandes (1962)] Frankfurt/M.: Westend-Verlag.
Haus der Geschichte Bonn (1998): Bilder, die lügen. Ausstellungskatalog. Bonn: Bouvier Verlag.
Herman, Edward S.; Chomsky, Noam (1988): Manufacturing Consent. The Political Economy of the Mass Media. New York: Pantheon Books.
Kunczik, Michael (2009): PR-Theorie und PR-Praxis – historische Aspekte. In: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Theorien der Public Relations. Grundlagen und Perspektiven der PR-Forschung. (2. Auflage) Wiesbaden: VS Verlag, S. 223-239.
Lakoff, George (1991): Metaphor and War. The Metaphor System used to Justify War in the Gulf. In: Peace Research. The Canadian Journal of Peace and Conflict Studies, (23)2/3, S. 25-32.
Lee, Ivy (1905/6): Declaration of Principles. https://www.georgiahistory.com/marker-monday-ivy-ledbetter-lee-founder-of-modern-public-relations-1877-1934 (20.02.2024)
Le Bon, Gustave (1911/2008): Die Psychologie der Massen. [1895: La psychologie des foules, Paris] Stuttgart: Kröner-Verlag.
Maurer, Marcus; Haßler, Jörg; Jost, Pablo (2023): Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg. In: Arbeitsheft der Otto-Brenner-Stiftung. https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen/titel/die-qualitaet-der-medienberichterstattung-ueber-den-ukraine-krieg/aktion/show (20.02.2024).
Morelli, Anne (2014): Die Prinzipien der Kriegspropaganda (nach Arthur Ponsonby). (2. Aufl.) Springe: zu Klampen-Verlag.
Paul, Gerhard (2008): Das Mädchen Kim Phuc. Eine Ikone des Vietnamkriegs. In: ders. (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder – Bd. II 1949 bis heute. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 426-433.
Schiffer, Sabine (2021): Medienanalyse – ein kritisches Lehrbuch. Frankfurt/M.: Westend-Verlag.
Schiffer, Sabine (2022): Von Solidaritätsmythen und Kriegslogiken. Medien im Fokus politischer Medienstrategien. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, (5)2, S. 198-205. DOI: 10.1453/2569-152X-22022-12287-de
Über diese Bücher
Christian Hardinghaus (2023): Kriegspropaganda und Medienmanipulation. München: EuropaVerlag, 232 Seiten, 24,- Euro.
Jonas Tögel (2023): Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken aus der Waffengattung der NATO. Frankfurt/M.: Westend-Verlag, 256 Seiten, 24,- Euro.