von Horst Pöttker, im Juli 2020
Es war nicht geplant, offenbar ist es eine Folge der prekären Situation, in die der Journalistenberuf geraten ist: Die Aufsätze dieser Ausgabe drehen sich mehr oder weniger direkt um die Frage, wie den ökonomischen und professionellen Gefährdungen, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat, begegnet werden kann und was zu tun ist, um journalistische Qualität und Vielfalt zu stärken.
Wie die journalistische Berufsbildung auf die Herausforderungen des digitalen Umbruchs reagiert, untersuchen Konstantin Schätz und Susanne Kirchhoff am Beispiel Österreichs. Ihre Analyse der zahlreicher gewordenen Aus- und Weiterbildungsprogramme von Universitäten, Fachhochschulen und privaten Akademien zeigt quer durch die Institutionen einen überwiegenden Anwendungsbezug der Kurse. Journalistische Berufsbildung betont heute ihre Praxisnähe und ist in der digitalen Medienwelt angekommen. Die befragten Ausbildenden mahnen aber auch, dass über dem Training technischer Fertigkeiten das berufliche Fundament nicht zu kurz kommen darf. Verständigung über die gesellschaftliche Aufgabe des Journalismus, Sensibilisierung für berufsethische Regeln und Vermittlung von Grundkenntnissen über Arbeitsweisen wie Recherche oder Darstellungsformen lassen sich zu der Aufgabe zusammenfassen, bei den Auszubildenden eine professionelle Haltung zu fördern. Dass nur wenige in der journalistischen Berufsbildung Verantwortliche auf die Idee kommen, mit ihrer Tätigkeit der Medienbranche auch Impulse zu geben, stimmt allerdings bedenklich. Ein Grund für diese Zurückhaltung mag sein, dass wissenschaftsbasierte Aus- und Weiterbildung in den Medienunternehmen immer noch zu wenig Akzeptanz findet. Da liegt ein Innovationspotential brach, das für den durch die Krise notwendig gewordenen Wandel des Berufs wichtig wäre.
Hendrik Michaels historischer Beitrag über den Muckraker Lincoln Steffens und den New Yorker Commercial Advertiser an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeigt, wie auch bei gefährdeten Medien journalistisch kreativ gearbeitet werden kann. Publizistisch wie ökonomisch erfolgversprechend war damals und ist nach wie vor, die Lokalberichterstattung zu stärken und sich bewusst auch an informationell unterversorgte Zielgruppen zu wenden; z. B. zu jener Zeit in den USA und heute auch in Europa an Migrantinnen und Migranten. Das erfordert allerdings eine hinreichende Zahl von Mitarbeitenden aus solchen Milieus in den Redaktionen. Andere Möglichkeiten sind immersive, in den Lebensalltag eintauchende Recherchemethoden und literarisch inspirierte Erzählweisen, um den Empfindungen und Interessen des Publikums näher zu kommen. Dieser Traditionsstrang wird in der Literatur über den amerikanischen Journalismus oft vergessen. Sich an ihn zu erinnern lohnt angesichts des Stroms eiligster und kürzester Nachrichten, der in der digitalen Medienwelt unausweichlich auf Rezipierende eindringt und von dem der Journalistenberuf immer weniger leben kann. Der Aufsatz demonstriert exemplarisch, wie aus Vergangenheit Inspirierendes für die Gegenwart zu lernen ist.
Am deutlichsten ist die ungeplante Leitfrage dieser Ausgabe in Christian-Mathias Wellbrocks Analyse möglicher Organisationsformen eines gemeinsamen Streaming-Dienstes für journalistische Online-Angebote. Er gibt einer öffentlich-rechtlichen, für alle, vor allem auch Lokal- und Regionalmedien gleichermaßen zugänglichen Struktur nach Art des deutschen Pressegrossos den Vorzug vor digitalen Plattformen in der Hand von Verlagskonsortien – und erst recht von global agierenden Technologie-Giganten wie »Spotify« bei den Musikangeboten. Hinter dieser Präferenz steckt volkswirtschaftliches Kalkül. Man kann daran aber auch die Rücksicht auf journalistische Qualität und daran geknüpftes Allgemeinwohl erkennen. Ein digitales Pressegrosso würde Informationsvielfalt schützen, die nicht erst seit der Digitalisierung bedroht ist. Der anhaltende Prozess der Pressekonzentration wird durch den Wust an un- und semiprofessionellen Informationsangeboten im Netz ja nur verdeckt. Allerdings eilt es mit einer politischen Entscheidung in dieser Frage, weil die Interessenten hinter den weniger geeigneten Alternativen bereits mit den Hufen scharren.
Um Gefährdungen und die Frage, wie sie zu bestehen sind, geht es letztlich auch in den aktuellen Rubriken dieser Ausgabe. Sowohl dem Essay als auch der Debatte dient der Journalismus in der Corona-Krise als aktueller Aufhänger. Nina Horaczek gibt dann einen internationalen Überblick über meist online betriebene rechtspopulistische Medienaktivitäten, gegen die professionelle Unabhängigkeit und Sachlichkeit auch schon vor Corona verteidigt werden mussten. Globale Digitalplattformen bieten eben auch verlogener und brutaler Propaganda ungeahnte Möglichkeiten.
Die Streitfrage zwischen Timo Rieg und Tanjev Schultz über die Qualität der Corona-Berichterstattung wird sich wissenschaftlich erst beantworten lassen, wenn es genügend Zeit für gründliche Datenerhebungen und theoretische fundierte Analysen gegeben hat. (Die überstürzte Kritik etlicher Medienwissenschaftler hat die Akzeptanz des Fachs in seinem Anwendungsfeld nicht erhöht, wie die Reaktion des früheren FAZ-Herausgebers und Journalistik-Autors Werner D’Inka zeigt.[1])
Schon heute ist aber gewiss, dass nachhaltige Medienkritik auch von außerhalb der Branche wichtig ist, damit der Journalistenberuf seine Krise überwinden kann. Denn dafür muss er die Folgen des Medienumbruchs in diversen sozialen, ökonomischen und kulturellen Bereichen verarbeiten, ohne seine Kernaufgabe Transparenz aus den Augen zu verlieren.
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