Neue Wege im Journalismus, Weichenstellung in der Ausbildung

von Konstantin Schätz und Susanne Kirchhoff

Abstract: Das Berufsfeld Journalismus ist einem rasanten Wandel unterworfen. Das wirkt sich auch auf die Ausbildung der Journalist_innen aus. Die vorliegende Studie zeigt am Beispiel der österreichischen Aus- und Weiterbildungslandschaft, vor welchen Herausforderungen diese derzeit steht und wie die Institutionen darauf reagieren. In der Bestandsaufnahme der Kursprogramme wird außerdem deutlich, welche Folgen der Digitalisierung aufgenommen worden sind und wo vor dem Hintergrund der internationalen Diskussion über eine adäquate Aus- und Weiterbildung Defizite bestehen.

»Es gibt nur wenige Berufe, für die keine Ausbildung notwendig ist: dazu gehören Wirte, Berater, Journalisten und Politiker.« (Kocher 2006: 10) Geht es nach diesem Zitat des Politologen und Gesundheitsökonomen Gerhard Kocher, könnte man den Eindruck gewinnen, dass eine Bestandsaufnahme der österreichischen Journalistenausbildung überflüssig sei. Und im Grundsatz ist das richtig, denn weder in Deutschland noch in Österreich ist »Journalist« eine rechtlich geschützte Berufsbezeichnung – »wer Lust dazu hat« (Hooffacker/Meier 2017: 1) kann sich Journalist oder Journalistin nennen. Diese Haltung greift aber dennoch zu kurz, weil zum einen bestimmte Kompetenzen im Journalismus immer schon erwartet und in Journalistenschulen sowie Hochschulkursen und Volontariaten vermittelt werden. Zum anderen steigen die Anforderungen durch Digitalisierung, Technisierung, Vernetzung und Ökonomisierung in diesem zunehmend komplexen Berufsumfeld stetig (vgl. Otto/Köhler 2017: 18).

So werden bspw. Produktions- und Distributionsabläufe schneller. Die Interaktion mit dem Publikum über soziale Netzwerke wird wichtiger. Die Grenzen zwischen verschiedenen Berufszweigen wie Journalismus, Public Relations, Marketing, Werbung, Filmproduktion und Mediendesign verschwimmen. Neue Kommunikations- bzw. Medientechnologien verändern die Arbeitsabläufe und machen entsprechende technische und journalistische Kompetenzen erforderlich. Gleichzeitig entstehen neue, weniger vom Anzeigenmarkt abhängige Geschäftsmodelle, die ihrerseits Anpassungsleistung von den Journalist_innen erfordern. Nicht ohne Grund bezeichnete daher die Tagesspiegel-Journalistin Sonja Pohlmann den Journalismus in Bezug auf die Text-Video-Ton-Konvergenz als »Eierlegende Wollmilchsau« (Pohlmann 2012: o.S.).

Mit den hier skizzierten Veränderungen müssen sich nicht nur die Medienunternehmen auseinandersetzen. Auch die Journalismusausbildung muss Neujustierungen vornehmen, denn sie macht es sich zur Aufgabe, angehende Journalist_innen auf das Berufsfeld vorzubereiten. In der heutigen Zeit bedeutet das, »[…] a lifelong journey of adaptation in a relentlessly changing media landscape« (Pavlik 2013: 215).

In Österreich kommt hinzu, dass sich der Aus- und Weiterbildungsmarkt in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich ausdifferenziert hat (vgl. Dorer et al. 2009; Hooffacker/Meier 2017). Ein eigenständiges Journalistik-Studium oder Journalistenschulen im engeren Sinne gibt es in Österreich – anders als in Deutschland – nicht, die Journalistik ist aber seit Ende der 1960er Jahre in die akademische Ausbildung im Rahmen der Publizistik- bzw. Kommunikationswissenschaftsstudiengänge an den beiden Universitäten Wien und Salzburg (später auch Klagenfurt) integriert. Zu den Universitätsstudien kam 1974 mit der (sozialpartnerschaftlichen) Gründung des Kuratoriums für Journalistenausbildung ein Kolleg mit einem regelmäßigen Kursangebot für Nachwuchsjournalist_innen hinzu. 1977 folgte die Katholische Medienakademie.

In einer zweiten Phase führten dann ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahren die strukturellen Veränderungen im Rahmen des Bologna-Prozesses, der Ausbau des außeruniversitären Aus- und Weiterbildungsangebots (z.B. fjum/forum journalismus und medien; APA-Campus) sowie die Gründung von Fachhochschulen zu einer erheblichen Verbreiterung des Angebots. Auf der Inhaltsebene geschah dies insbesondere durch die Einrichtung von Fachhochschulstudien, die u.a. auf Journalismus, Mediendesign, Medien und Informatik, Marketing und PR ausgerichtet sind (vgl. Dorer et al. 2009). Auf der strukturellen Ebene ist der Mediensektor zwar traditionell stark auf die Hauptstadt Wien konzentriert, aber durch die Ansiedelung der Fachhochschulen mit journalismusrelevanten Studien im Burgenland, in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und Tirol wurde das Ausbildungsangebot zunehmend regionalisiert. Im außeruniversitären Sektor setzt unter anderem die Einrichtung der Tiroler Journalismusakademie im Jahr 2012 diesen Trend fort.

Angesichts der Entwicklungen im Journalismus und der Ausdifferenzierung der Aus- und Weiterbildungslandschaft war es das Anliegen des von der KommAustria/RTR geförderten Forschungsprojektes Die österreichische Journalistenausbildung im Kontext einer veränderten Berufswelt (Kirchhoff 2019), diese Landschaft durch eine Bestandsaufnahme des Angebotes und eine Diskussion der gegenwärtigen Herausforderungen neu zu kartographieren. Dafür wurden neben der Struktur und der didaktischen sowie inhaltlichen Gestaltung der Kursangebote auch die Ziele in Bezug auf eine adäquate Aus- und Weiterbildung und die konkreten Kompetenzen erhoben, die Curricula einer modernen Journalistenaus- und Weiterbildung heute vermitteln sollen. Darüber hinaus wurde gefragt, vor welchen Herausforderungen die Stakeholder der Aus- und Weiterbildung stehen und mit welchen Ideen und Konzepten sie ihnen begegnen.

Methode

Das Forschungsprojekt wurde in einem dreistufigen Untersuchungsdesign umgesetzt. Im ersten Schritt wurden die Kursprogramme aller Institutionen inhaltsanalytisch untersucht, die eine Aus- oder Weiterbildung für Journalist_innen in Österreich anbieten. Diese insgesamt einunddreißig Institutionen umfassen Universitäten und Fachhochschulen sowie Journalismusakademien und Weiterbildungslehrgänge privater, politischer und kirchlicher Träger, exemplarisch ergänzt durch je drei Lehrredaktionen großer Medienhäuser und Bürgermedien, der sogenannten freien Radios/TV-Sender. Weil es in Österreich kein eigentliches Journalistik-Studium gibt, wurden im universitären Sektor alle kommunikationswissenschaftlichen oder anderweitig medienbezogenen Studien erfasst, die journalistische Inhalte in die Curricula integriert haben. Im Bereich der Akademien und Lehrgänge wurden hingegen nur Institutionen erhoben, die sich laut Selbstauskunft explizit an Journalist_innen bzw. Journalismus-Interessierte wenden.

Insgesamt bieten die einunddreißig Institutionen siebenundsechzig Programme an, in denen im Zeitraum 01.09.2018 bis 31.08.2019 für n=1818 Kurse unter anderem strukturelle Faktoren (wie Zielgruppe und Anmeldevoraussetzungen) und inhaltliche-didaktische Faktoren (wie vermittelte Kompetenzen, Anwendungsbezug und Kursthemen) erhoben wurden.

Aufbauend auf den Erkenntnissen wurden neunundzwanzig problemzentrierte Interviews mit Personen durchgeführt, die entweder mit der Leitung der Einrichtungen betraut waren oder für die Planung und Umsetzung der Angebote zuständig sind. In den Gesprächen wurde unter anderem thematisiert, was den Kern einer zeitgemäßen Aus- und Weiterbildung ausmacht, welche Rolle sie gegenüber der Medienbranche einnimmt bzw. einnehmen soll, vor welchen Herausforderungen sie durch den digitalen Wandel steht und wie mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann. Die Interviewten nahmen in der Befragung eine Doppelfunktion ein: Einerseits gaben sie als Proband_innen Einblick in ihre jeweiligen Institutionen. Andererseits wurden sie als Expert_innen um eine Einschätzung der Entwicklung der Aus- und Weiterbildung gebeten.

Inhalte und Anwendungsbezogenheit des Kursangebots

Die Aus- und Weiterbildungsangebote für Journalist_innen in Österreich sind vielfältig, wobei die Unterschiede in aller Regel den verschiedenen Grundausrichtungen von Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Einrichtungen entsprechen.

Dies zeigt sich insbesondere im Bereich der vermittelten Kompetenzen, die in Anlehnung an Gossel (2015) und Nowak (2007) als Fach-, Handlungs-, Technik-, Sach-, Basis- und Managementkompetenz, unternehmerische Kompetenz sowie gesellschaftliche Orientierung definiert wurden. Die Universitätsstudien (n=489) vermitteln insbesondere Fachkompetenz (67% des Angebots), gefolgt von journalistischer Handlungskompetenz (16%) und Kompetenz im Umgang mit Medientechnik und -technologie (9%).

Abbildung 1:
In den verschiedenen Institutionstypen
vermittelte Kompetenzen (n=1818, %)

Die gleiche Reihenfolge gilt für die Fachhochschulen (n=947) – allerdings fällt hier die Differenz deutlich geringer aus (Fachkompetenz: 31%, Handlungskompetenz: 21%, Technikkompetenz: 17%). Innerhalb des Programms der nichtakademischen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen (n=382) macht die Handlungskompetenz den größten Anteil aus (50%), gefolgt von Technikkompetenz (19%) und Fachkompetenz (9%). Auch bei den weiteren, hier erfassten Kompetenzen zeigen sich Unterschiede. Sie spielen jedoch gegenüber den „großen Drei“ nur eine untergeordnete Rolle und keine davon wird in mehr als 5% der Kurse vermittelt (vgl. Abb. 1).

Bezüglich der konkreten Kursthemen ist festzuhalten, dass die Hochschulen insgesamt Wert auf wissenschaftliche Theorien und Methoden legen. An den Universitäten bilden darüber hinaus die Einbettung der Medien in die Gesellschaft und die durch den Medienwandel induzierten Veränderungen häufiger den zentralen Inhalt von Kursen. An den Fachhochschulen scheinen hingegen die favorisierten Inhalte einen unmittelbareren Anwendungsbezug zu haben. Dementsprechend unterscheiden sich die »Top Five«-Themen leicht (vgl. Abb. 2).

An den Universitäten (n=465) sind die häufigsten Kursthemen journalismus-, medien- und kommunikationswissenschaftliche Theorien (11,6%), sozialwissenschaftliche Methoden, Statistik und wissenschaftliches Arbeiten (10,3%), Medienwandel (10,1%), Medien und Gesellschaft (8,6%) sowie Marketing/PR/Unternehmenskommunikation (8,2%). An den Fachhochschulen (n=663) sind die am häufigsten kodierten Themen dagegen Technik/Tools für Bildbearbeitung/Audio-, Video-Schnitt (13,4%) vor journalismus-, medien- und kommunikationswissenschaftlichen Theorien (11,8%), Medienmanagement (11,3%), Marketing/PR/Unternehmenskommunikation (9,5%) und sozialwissenschaftlichen Methoden, Statistik und wissenschaftlichem Arbeiten (6,3%).

Dass sich die nichtakademischen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen am praktischen Bedarf potenzieller Teilnehmer_innen orientieren, ist wenig überraschend. Hier wird vor allem jenes »Handwerkszeug« vermittelt, das den Kern der journalistischen Tätigkeit ausmacht (Recherchieren, Auswählen, Berichten). IT- und Datenkompetenzen werden deutlich weniger berücksichtigt. Die häufigsten Angebote (n=317) beziehen sich hier auf Technik/Tools für Bildbearbeitung/Audio-, Video-Schnitt (14,5%), journalistische Darstellungsformen (13,3%), Textarbeit/Schreiben/Storytelling (11,6%), Recherche und Nachrichtenselektion (6,0%) und Marketing/PR/Unternehmenskommunikation; IT-Web-Social Media Skills für Journalist_innen, Arbeits- und Produktionsprozesse in Medienunternehmen/Redaktionelles Management (je 5,7%).

Die Digitalisierung des Journalismus ist in der österreichischen Aus- und Weiterbildungslandschaft flächendeckend angekommen. Kurse, in deren Titel oder Beschreibung Online und/oder Social Media explizit genannt werden, machen in den Journalismus-Kursen der Universitäten 73% aus, an den Fachhochschulen 59% und an den nichtakademischen Einrichtungen 74%.

Hinsichtlich der Frage, ob die Aus- und Weiterbildung darüber hinaus gegenwärtige Trends- und Entwicklungen im Journalismus aufnimmt, ist das Ergebnis zwiespältig. So finden sich zwar Medienmanagement, redaktionelles Management, Mediendesign/Layout, Online- bzw. Social Media-Journalismus, IT- und Web-Skills sowie Datenjournalismus unter den zwanzig häufigsten Kursthemen. Andere Themen, die in der internationalen Diskussion über eine zeitgemäße Ausbildung als relevant angesehen werden (u.a. Bettels-Schwabbauer et al. 2018; Drok 2019), werden dagegen nur vereinzelt angeboten. So setzten sich maximal 1,5% der Kurse – unabhängig vom Typ der Institution – schwerpunktmäßig mit Mobile Reporting, Multimedia Storytelling, unternehmerischen Kompetenzen für Journalist_innen, Medienökonomie, Medienethik, gesellschaftlicher Funktion des Journalismus, Merkmalen der Mediennutzung, Interaktion mit Nutzer_innen oder Medienwirkungen in digitalen Umgebungen auseinander.

Abbildung 2
Häufigste Kursthemen mit Medien-/Kommunikations-/Journalismus-Bezug (n=1199, %)

Als anwendungsbezogen wurden Kurse verstanden, die mindestens eines der drei folgenden Kriterien erfüllten: explizite Erwähnung von Anwendung/Praxis in der Kursbeschreibung, von Lehrbeauftragten aus der Praxis angeboten, mit einer praktischen Arbeit abgeschlossen. Hier sind zwei Dinge festzuhalten: Zum einen ist erwartungsgemäß in den nichtakademischen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen der Anwendungsbezug inhaltsunabhängig für alle Kurse am höchsten (83%), gefolgt von den Fachhochschulen (68%) vor den Universitäten (39%). Zum anderen überwiegt aber in allen drei Arten von Institutionen speziell bei den Journalismus-Kursen der Anwendungsbezug (Uni: 67%, FH: 90%; andere: 88%). Die Anforderung einer praxisnahen Journalist_innenausbildung (u.a. Dernbach/Loosen 2012) wird also weitgehend umgesetzt.

Die journalistischen Grundlagen der Aus- und Weiterbildung

In den Interviews, die mit Verantwortlichen in den untersuchten Einrichtungen geführt wurden, ging es unter anderem um die Frage, was den Kern der Aus- und Weiterbildung ausmachen solle. Die Antwort darauf war einhellig: Angesichts der ständig wachsenden Zahl potenziell relevanter Kompetenzen müsse sich Aus- und Weiterbildung notwendigerweise auf Grundlagenwissen (z.B. aus den Bereichen Medienrecht und Medienökonomie) und Grundlagenfähigkeiten (wie z.B. Recherche, Interview und Darstellung) konzentrieren. Außerdem wurde betont, wie wichtig es sei, Ethik, Verantwortlichkeit, Kritikfähigkeit, Unabhängigkeit und Reflexionsfähigkeit zu vermitteln, die in Summe häufig als »Haltung« bezeichnet wurden:

»Ich bin überzeugt, dass man sich künftig wieder auf zwei Sachen konzentrieren muss. Das eine ist zu sagen, es gibt gewisse Grundkenntnisse, die vermitteln wir auf jeden Fall. Was sind denn überhaupt Geschichten? Wie erzähle ich eine Geschichte? … Ich glaube, das wird auch immer bedeutender zu sagen, was ist denn meine demokratie-politische Aufgabe als Journalist… Weil sonst sind wir an einem Punkt, wo man sich total verzettelt, und man könnte jahrelang ausbilden aufgrund der vielen Dinge, die es gibt.« (Interview Aus- und Weiterbildungsakademie)

Primär die Grundlagen zu vermitteln, gilt – ungeachtet der wachsenden Bedeutung von Daten, Visualisierungen usw. – nach Ansicht der meisten Befragten auch für Medientechnologie. Diese verändere sich zum einen zu schnell, um ihr in der Ausbildung gerecht zu werden – neue Entwicklungen seien daher eher ein Fall für Weiterbildung und »Training on the Job«. Zum anderen äußerten sich mehrere Gesprächspartner_innen kritisch gegenüber der Auffassung, dass Journalist_innen alles – und möglichst alles gleich gut – können sollten. So merkte beispielsweise eine Interviewte an, dass für die Sicherung der Qualität im Journalismus Teams aus Expert_innen im Zweifelsfall sinnvoller seien – dies erfordere jedoch ganz andere Kompetenzen:

»Die wichtigste Kompetenz ist einerseits Teamfähigkeit und andererseits braucht man auch ein gewisses Überblickswissen. … Es muss nicht jeder zwangsläufig eine Karte zeichnen können. Da gibt es andere, die können das sicher besser, schneller und schöner, aber man muss zumindest verstehen, a.) warum braucht man eine Karte und b.) an welchen Stellen braucht man sie und c.) wie kann ich dieser Kollegin, die diese Karte erstellen kann, sagen, was ich will. Also es geht um ein Verständnis – nicht um das ›ich tue es selber‹, sondern ›ich verstehe, worum es geht und kann mit meinen Kolleginnen im Team darüber reden, wie man das machen kann.‹« (Interview Aus- und Weiterbildungsakademie)

Die Didaktik der Aus- und Weiterbildung

Dennoch sollte daraus nicht der Eindruck entstehen, dass Aus- und Weiterbildung technikfremd sei oder sein solle – das belegen schon die Ergebnisse der Inhaltsanalyse. Und auch in den Gesprächen mit den Leiter_innen sowie den Planungsverantwortlichen der betreffenden Institutionen wurde deutlich, dass es eine Verpflichtung – und zugleich eine Herausforderung – sei, den Anschluss an technologische Entwicklungen nicht zu verlieren. Dies müsse jedoch reflektiert und mit Bedacht geschehen:

»Man muss ein Verständnis für die Transformation des Journalismus haben und wissen, was wichtig ist. Das ist jetzt natürlich das Offensichtliche – zu sagen: ›Man muss wissen, was wichtig ist!‹ Ich denke, was ich meine, ist – man muss wissen, welchen Entwicklungen man folgt und wann, aber nicht allein um des Folgens willen.« (Interview Universität)

Curricula und Kursangebote werden daher auf journalistischen Grundlagen aufbauend geplant und neue Themen bzw. Kompetenzen in Bereichen angesiedelt, in denen sie flexibel integriert und gegebenenfalls wieder entfernt werden können, wenn sich ein Trend als kurzlebig erweist. Als Antwort auf die Frage, wie sich wichtige und aktuelle Entwicklungen im Journalismus erkennen lassen, um in der Aus- und Weiterbildung darauf reagieren zu können, wird in den Gesprächen in aller Regel der kontinuierliche Austausch mit der journalistischen Berufspraxis empfohlen.

So nachvollziehbar und naheliegend dieses Vorgehen ist, wirft es dennoch Fragen auf: Könnte das Überbetonen von Erfahrungen und Wahrnehmungen der in der Branche etablierten Personen nicht dazu verleiten, dass althergebrachte Praktiken perpetuiert werden? Können durch den Blick auf den kurz- und mittelfristigen Bedarf auch Entwicklungen in naher Zukunft erfasst werden – Entwicklungen, die sich in anderen Ländern bereits abzeichnen? Dazu wäre ein »Blick über den Tellerrand« der unmittelbaren Branchen-Umgebung gefragt. Umso überraschender ist es, dass Konkurrenzanalysen, wissenschaftliche Forschungserkenntnisse, die Beobachtung internationaler Tendenzen und der Austausch auf Fachkonferenzen deutlich seltener als Mittel genannt wurden, um Entwicklungen im Journalismus zu erkennen und in die Aus- und Weiterbildung zu integrieren.

Auf Bewährtes wird auch in der Didaktik gesetzt: Die Vermittlung von journalistischen Kompetenzen solle mit einem hohen Übungsanteil verbunden werden, in dessen Rahmen Lehrende Feedback auf Arbeiten von Teilnehmer_innen geben sollen. Dass didaktische Methoden wie design thinking, inverted classroom, peer group learning oder community-oriented learning nur gelegentlich bekannt sind und/oder angewendet werden, dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass eine didaktische Ausbildung für Lehrende lediglich punktuell und vor allem im Hochschulsektor stattfindet – und auch dort nicht für externe Lehrende. Als Königsweg wird überwiegend das praktische Lernen an konkreten Projekten gesehen. Nur in Ausnahmefällen wurde darüber hinaus auch die Möglichkeit erwähnt, Kursteilnehmer_innen zu eigener Kreativität anzuleiten, sie mit Produkten experimentieren zu lassen und sich selbst zu erproben (auf diesen Umstand hat auch die vorangegangene Studie des Medienhauses Wien hingewiesen; vgl. Kaltenbrunner et al. 2015: 24). Damit einhergehend werden zwar »Future Labs« und andere Formen des Experimentierens mit journalistischen Arbeitsweisen und Produkten gelegentlich als Best Practice-Beispiele von Kursen erwähnt, in den Worten des niederländischen Journalismusforschers Mark Deuze (2006: 25) befindet sich die österreichische Aus- und Weiterbildungslandschaft aber dennoch in Summe im »Follower-Mode«. Insgesamt zeigen die Interviews, dass einzelne Stakeholder zwar in Richtung »Innovator-Mode« denken. Die Vorstellung, dass Aus- und Weiterbildung nicht nur den Bedarf der Medienunternehmen befriedigen müsse, sondern auch ein Impulsgeber sein könnte, der die Journalismusbranche gestalten und über die Qualitätssicherung bzw. Vermittlung von Ethik und Verantwortlichkeit hinaus das Berufsprofil formen kann, ist bei der Mehrheit jedoch kaum verankert.

Die österreichische Journalistenausbildung im Kontext der internationalen Diskussion

Abschließend war im Rahmen dieses Projektes von Interesse, ob und in welchem Umfang Themen integriert werden, die aktuell in der internationalen Diskussion als besonders wichtig für die Journalist_innenaus- und Weiterbildung erachtet werden (u.a. Drok 2019, Bettels-Schwabbauer et al. 2018, Goodman/Steyn 2017, Zelizer 2017, Mensing 2010, Deuze 2006). Um es kurz zusammenzufassen: Die Digitalisierung ist zwar in der österreichischen Aus- und Weiterbildungslandschaft angekommen, einige Phänomene jedoch mehr als andere. Kurse zum medialen Wandel, zu Web- und Social Media-Skills, Datenjournalismus, Visualisierung und Medienmanagement gehören zu den zwanzig häufigsten Kursinhalten im Jahr 2018/19 (vor allem allerdings im Hochschulsektor). Wenn es um die demokratiepolitische Rolle des Journalismus geht, um die Anforderung, sich in einem zunehmend prekären Arbeitsmarkt zu positionieren, um die aktuellsten Trends der Berichterstattung und nicht zuletzt um die Gestaltung der Beziehung zum Publikum, bestehen dagegen noch Defizite.

Dass allerdings einige dieser Themen den Leiter_innen sowie den Planungsverantwortlichen der Programme durchaus ein Anliegen sind, wurde in den mit ihnen geführten Interviews deutlich. Ein wichtiger Trend, der in den Gesprächen immer wieder genannt wurde, ist die wachsende Bedeutung von unternehmerischem Denken und Selbstvermarktung. Mehrere Befragte verwiesen entweder positiv auf entsprechende Angebote im Haus oder merkten selbstkritisch an, dass es daran bisher in ihrer Institution noch mangele.

Eine weitere, grundlegendere Position, die den europäischen Trend spiegelt, wie unter anderem die Befragung der EJTA-Mitglieder zeigt (vgl. Drok 2019), ist die immer wieder betonte Relevanz von »Haltung« (ethischem Bewusstsein, Reflexionsfähigkeit, Verantwortung) im Journalismus. Aus- und Weiterbildung nimmt damit das Unbehagen auf, welches in gesellschaftlichen Diskursen über gezielte Desinformation und Fake News in Social Media, Filterblasen, Echo Chambers und Vertrauensverlust in etablierte Medien zum Ausdruck kommt, und reagiert in positiver Weise, indem das Bewusstsein für journalistische Verantwortung und Qualität (weiter) gestärkt werden soll.

Ebenfalls international anschlussfähig ist die Betonung der Vermittlung von Grundlagen journalistischen Arbeitens gegenüber Technikkompetenzen (vgl. Bettels-Schwabbauer 2018: 90). Klar im Trend liegen die Befragten mit ihrer Meinung, dass angesichts der stetig wachsenden Zahl von möglichen beruflich relevanten Kompetenzen und der verändernden technologischen Skills eine Auswahl getroffen werden muss. Diese erfolgt durch eine (Rück?-)Besinnung auf das, was gutes journalistisches Arbeiten im Kern ausmacht: Recherche, verantwortlicher Umgang mit Informationen und gutes Erzählen. Dennoch bleibt in den Augen der Gesprächspartner_innen eine doppelte Herausforderung: Einerseits die journalistische Arbeit – und ihre Vermittlung in der Aus- und Weiterbildung – so an die veränderten Kommunikationsprozesse in digitalen Umgebungen anzupassen, dass Journalismus diese Standards erfüllen und gesellschaftlich relevant bleiben kann; und andererseits den Anschluss an technologische Entwicklungen nicht zu verlieren, die Erwartungen der Medienunternehmen und der Teilnehmer_innen hinsichtlich einer entsprechenden Aus- und Weiterbildung zu bedienen und eventuell sogar den mittelfristigen Bedarf zu antizipieren.

Fazit

Das Aus- und Weiterbildungsangebot für Journalist_innen hat sich in Österreich in den vergangenen zwei Jahrzehnten inhaltlich ausdifferenziert und weiter regionalisiert, auch wenn die überwiegende Mehrheit der Programme nach wie vor in Wien angesiedelt ist. Diese Ausdifferenzierung der Aus- und Weiterbildungslandschaft fällt zeitlich mit den vielfältigen Veränderungen zusammen, die die Digitalisierung bezüglich der Geschäftsmodelle der Medien, der Arbeitsprozesse in den Redaktionen, der journalistischen Produkte, des Mediennutzungsverhaltens und nicht zuletzt der von Journalist_innen benötigten Kompetenzen ausgelöst hat. Auch wenn diese Veränderungen im internationalen Vergleich in Österreich weniger disruptiv sind als in anderen Ländern, stellen sie die Aus- und Weiterbildung hierzulande vor verschiedene Herausforderungen, so z.B. hinsichtlich der Frage, wie mit der wachsenden Zahl potenziell relevanter Kompetenzen umgegangen und eine sinnvolle Auswahl getroffen werden kann.

Ungeachtet dessen, wie dieser und weiteren Herausforderungen begegnet wird, sollte Journalismus – anders als von Gerhard Kocher postuliert – nicht zu den Berufen gezählt werden, »für die keine Ausbildung notwendig ist«. Für die Qualität des Journalismus bleibt es wichtig, die grundlegenden Kompetenzen zu vermitteln und der jetzigen wie der nächsten Generation von Journalist_innen Orientierung zu geben.

Über die Autor*innen

Susanne Kirchhoff (*1975), Dr., ist seit 2016 Assistenzprofessorin für Journalistik am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Wandel im Journalismus, Medien und Krieg, Metaphern in medialen Diskursen sowie Geschlechterforschung. Kontakt: susanne.kirchhoff@sbg.ac.at

Konstantin Schätz (*1992), MA, ist seit 2020 Doktorand der Journalistik am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Zuvor war er in Forschungsprojekten tätig, die sich mit neuen Nachrichten- und Arbeitsprozessen im österreichischen Journalismus und der Relevanz regionaler und lokaler Zeitungsangebote im Zeitalter sozialer Medien auseinandersetzten. Seit 2015 arbeitet er als freier Journalist. Kontakt: konstantin.schaetz@sbg.ac.at

Literatur

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Deuze, Mark (2006): Global Journalism Education. A conceptual approach. In: Journalism Studies, 1, S. 19-34.

Dorer, Johanna; Götzenbrucker, Gerit; Hummel, Roman (2009): The Austrian Journalism Education Landscape. In: Terzis, Georgios (Hrsg.): European Journalism Education. Bristol: Intellect, S. 81-92.

Drok, Nico (2019): Journalistic Roles, Values and Qualifications in the 21th Century. How European journalism educators view the future of a profession in transition. Windesheim/Zwolle, EJTA. https://www.ejta.eu/sites/ejta.eu/files/2019%2004%2012%20DROK%20Report%20RVQ.pdf (30.03.2020)

Goodman, Robyn S.; Steyn, Elanie (2017): Global Journalism Education: Challenges and Innovations. Austin, Knight Center for Journalism in the Americas. https://knightcenter.utexas.edu/ebook/global-journalism-education-challenges-and-innovations (30.03.2020)

Gossel, Britta M. (2015): Quo Vadis Journalistenausbildung? Teil 2: Beschreibung, Bewertung und Verbesserung der journalistischen Ausbildung. Ilmenau, ilmedia. https://www.db-thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00032011/DMMMM-2015_02.pdf (30.03.2020)

Hooffacker, Gabriele; Meier, Klaus (2017): La Roches Einführung in den praktischen Journalismus. Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege Deutschland, Österreich, Schweiz. Wiesbaden: Springer VS.

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Kirchhoff, Susanne (2019): Die österreichische Journalistenausbildung im Kontext einer veränderten Berufswelt (unter Mitwirkung von Rudolf Renger, Konstantin Schätz, Ingrid Aichberger, Gisela Reiter, Andreas Röser, Gottfried Summerer und Luisa Wilczek). Salzburg/Wien: Kurzbericht zum Forschungsprojekt. https://www.rtr.at/de/ppf/Kurzbericht2018/Kurzbericht_Journalistenausbildung-ver%C3%A4nderte_Berufswelt.pdf (30.03.2020)

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Zelizer, Barbie (2017): What Journalism could be. Cambridge: Polity Press.


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Zitationsvorschlag

Konstantin Schätz / Susanne Kirchhoff: Neue Wege im Journalismus, Weichenstellung in der Ausbildung. In: Journalistik, 2, 2020, 3. Jg., S. 98-110. DOI: 10.1453/2569-152X-22020-10718-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-22020-10718-de

Erste Online-Veröffentlichung

September 2020