Astrid Blome, Tobias Eberwein, Stefanie Averbeck-Lietz (Hrsg.): Medienvertrauen. Historische und aktuelle Perspektiven.

Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

In den Jahren 2014/15, mit der (ersten) Ukraine-Krise und den mächtigen Fluchtbewegungen – so ist vielfach zu lesen – kam in Deutschland der Vorwurf der »Lügenpresse« auf. Die liberalen Mainstream-Medien wurden wegen ihrer angeblichen Desinformation und Manipulation vor allem von rechten Protagonisten wie Pegida u. a. angegriffen, es grassierten unhaltbare Vorwürfe über Fake News und Verschwörungsmythen besonders im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf und es häuften sich Anfeindungen, Diffamierungen und Verrohungen (Hate Speech) im Netz. Letztlich gerieten die anerkannten Medien unter enormen Legitimationsdruck. Das bislang für fast selbstverständlich gehaltene Vertrauen in die Qualitätsmedien und in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sank; Medienkritik wurde vielfach Systemkritik. In Deutschland reagierte die Kommunikationswissenschaft vor allem mit zwei breiten empirischen Studien, die auch in diesem Sammelband vertreten sind. Für das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung und den Verein zur Förderung der Zeitungsforschung in Dortmund e.V. waren die Ereignisse Grund und Anlass, im November 2017 eine internationale Fachtagung mit dem Titel »Glaubst Du noch oder weißt Du schon? Zur ›Glaubwürdigkeit‹ von Medien in historischer und aktueller Perspektive« zu veranstalten, deren neun Beiträge hier überarbeitet und ergänzt dokumentiert sind.

Dem Thema entsprechend sind die ersten beiden Beiträge historisch ausgerichtet: Anhand von historischen Gewährsleuten der Zeitungskritik seit dem 17. Jahrhundert formuliert der Zeitungsforscher H. Böning »Grundprinzipien der frühneuzeitlichen Nachrichtenvermittlung« wie Faktentreue, Glaubwürdigkeit, Aktualität, Sachlichkeit, Pluralität und zuletzt den Jahrhunderttraum, nämlich »ökonomische Unabhängigkeit der Berichterstattung« (der nie eingelöst wurde), und springt von seinen doch recht positiv dargestellten historischen Funden in unmittelbare Vergleiche mit der Gegenwart, was so umstandslos historisch nicht angebracht ist.

Seriöser geht der ehemalige Mainzer Publizistikwissenschaftler J. Wilke vor: Unter Rekurs auf seine gründliche Mediengeschichtsforschung arbeitet er anhand des Werkes des Publizisten H. Wuttke »Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung« (1866) vielfältige »Triebfedern der ›Lügenpresse‹« seit 1848 bis zum Ersten Weltkrieg heraus, als dieser Vorwurf erstmals notorisch wurde. Dass er nach der Militärzensur des Ersten Weltkriegs von den Nationalsozialisten gegen die bürgerliche und vor allem linke Presse erneut erhoben wurde, zeigt seine durchgängige Traditionslinie in der deutschen Geschichte.

Ganz anders, nämlich empiriekritisch, setzt der Münchner Kommunikationswissenschaftler M. Meyen an: Er untersucht die im Nachkriegsdeutschland erhobenen Daten zur Glaubwürdigkeit der Medien beim Publikum und kann belegen, dass sie vorwiegend den allgemeinen Stand der Zufriedenheit mit der alliierten Politik, die Leistungen der Besatzungskräfte sowie – recht allgemein – die Ausbreitung und Akzeptanz neu etablierter Medien messen. Meyen schlussfolgert daraus, dass solche Umfragen eher instrumentellen Interessen folgen und auch heute noch weitgehend generelle Urteile über die Qualität der Demokratie sind.

Danach folgen die bereits genannten empirischen Forschungsprojekte: In Münster wurde seit einigen Jahren das DFG-Graduiertenkolleg mit dem Thema »Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt« durchgeführt, in dem 2017/18 repräsentative wie qualitative Erhebungen zur Medienskepsis durchgeführt wurden. Dabei schälten sich zwei Motivbündel heraus: Medien stehen unter dem Verdacht, Teil des Establishments zu sein, nur die Interessen der gesellschaftlichen Eliten zu verfolgen und viele Themen der ›kleinen Leute‹ zu vernachlässigen (Blome et al 2020: 88). Solche Ressentiments (bei bis zu einem Drittel der Bevölkerung) bauen sich in längeren Prozessen auf und werden durch konkrete Ereignisse nur zusätzlich pointiert.

Seit 2008 bis 2017 (inzwischen bis 2019) erheben Kommunikationswissenschaftler*innen in Mainz repräsentative Daten zum Medienvertrauen und publizieren sie in diversen Beiträgen; hier sind die Erhebungswellen der »Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen« von 2008, 2015, 2016 und 2017 einbezogen: Medienvertrauen wird als das »generelle Vertrauen in den medialen Mainstream und die ›Bejahung der allgemein akzeptierten gesellschaftlichen Rolle der Medien‹« definiert und in diversen Items erfasst (Blome et al 2020: 101). In dem Beitrag hier wird das »interpersonale Vertrauen als Prädikator von Medienvertrauen« in den Fokus gestellt. Die erhobenen Daten über alle vier Wellen ergeben, dass Menschen, die anderen Menschen vertrauen, auch eine höhere und beständigere Prädisposition zu Medienvertrauen haben, mithin »interpersonales Vertrauen«, das sich nach soziodemographischen Variablen verteilt, Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen wie die Medien bis zu einem gewissen Grad beeinflusst.

Welche sprachlichen Merkmale die Glaubwürdigkeit von Aussagen erhöhen und das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit eines Akteurs in den Medien bestimmen, untersucht die Greifswalder Kommunikationswissenschaftlerin M. Kuhnhenn. Sie identifiziert dafür linguistische Kriterien wie Verständlichkeit, Rezipientenorientierung und Bürgernähe, aber auch psychische Faktoren wie Sympathie. Danach vergleicht der Wiener Kommunikationswissenschaftler T. Eberwein in einer qualitativen Fallstudie diffamierende und hasserfüllte Medienkommentare im Web – hier: »dysfunktionale Anschlusskommunikation« genannt – mit in Interviews erhobenen Zielen und Motiven ihrer Urheber und muss feststellen, dass sich diese im persönlichen Face-to-Face ungleich ›rationaler‹ und disziplinierter äußern, als sie es in ihren Kommentaren tun. Offensichtlich befeuert die spontane digitale Kommunikationsoption Emotionalität und Zügellosigkeit, senkt die mögliche Anonymität dieser Medien Reflexionsfähigkeit und Barrieren des sozialen Umgangs.

Schließlich diagnostiziert der ehemalige Zürcher Kommunikationswissenschaftler O. Jarren wieder einmal die wachsende Differenzierung und Segmentierung der (post)modernen Gesellschaften, die auch das Vertrauen in die traditionellen, zentralen und linearen (Massen)Medien schrumpfen lassen, und fordert einen Journalismus als orientierende Dienstleistung via neue Intermediäre, die als dezentrale und bereichs- bzw. publikumsspezifische ohnehin weniger Vertrauen genießen. Ähnlich argumentiert der Dortmunder Journalistikvertreter H. Müller als Konsequenz für die Ausbildung von Journalist*innen: Da sie immer weniger als Gatekeeper fungieren können und eher zu Scouts im »Aufmerksamkeitswettbewerb« unzähliger Medien werden, müssten sie neben dem traditionellen journalistischen Handwerkszeug auch zusätzliche Kompetenzen in der Recherche, Analyse sowie im »Verkauf« erwerben (Blome et al 2020: 179ff).

Insgesamt dürfte auch dieser Sammelband diverse Ambivalenzen und Widersprüche artikulieren, die in einer sich tiefgreifend wandelnden Gesellschaft und Öffentlichkeit nicht verwunderlich sind: Objektiv und formal nehmen die Informationsmöglichkeiten ständig zu, ob sie es qualitativ tun, sei dahingestellt; oberflächlich propagiert der Markt sie permanent als neue, zusätzlich nutzerfreundliche Optionen und sie werden auch von etlichen User*innen nachgefragt und genutzt. Tatsächlich und qualitativ dürften die Nutzungs- und Informationszuwächse der Rezipienten bescheiden bleiben; allerdings verstärken sich ihre jeweils speziellen Ansprüche an die und artikuliert sich lauter als früher die Kritik an den (traditionellen) Medien, weshalb sich auch etliche aus deren eher generalisierenden Mainstream verabschieden. Welche grundlegenden Konsequenzen diese Entwicklungen haben, wieviel Entfremdung gegenüber den gesellschaftlichen Eliten und staatlichen Institutionen sich bereits etabliert hat und wieviel diese aushalten können, darüber wird eher viel räsoniert denn empirisch geforscht.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 11. April 2022, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23172

Über den Rezensenten

Dr. rer. soc. Hans-Dieter Kübler (*1947) war Professor für Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Medien- und Kulturtheorie, empirische und historische Medienforschung sowie Medienpädagogik. Seit 2012 ist er Mitherausgeber der Halbjahreszeitschrift Medien & Altern (München).

Die englische Version der Rezensionen wurde übersetzt von Kerstin Trimble.

Über dieses Buch

Astrid Blome, Tobias Eberwein, Stefanie Averbeck-Lietz (Hrsg.)(2020): Medienvertrauen. Historische und aktuelle Perspektiven. Reihe: Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung. Berlin: de Gruyter, 202 Seiten, 20,95 Euro.