BILD dir dein Afrika Eine Diskursanalyse von Afrika-Repräsentationen in der Bild-Zeitung im Kontext der Covid-19 Pandemie

von Lukas Franziskus Adolphi

Abstract: Der vorliegende Beitrag ist eine diskursanalytische Untersuchung von Artikeln der BILD-Zeitung über Afrika im Kontext der Covid-19 Pandemie. Ziel ist es, zugrundliegende rassistische, koloniale und somit herrschaftsstützende Logiken sichtbar zu machen. Journalismus wird dabei als diskursives Machtinstrument verstanden, welches Herrschaftszustände entweder stabilisieren oder gefährden kann. Die empirische Analyse zeigt darüber hinaus die subversiven Möglichkeiten und gesellschaftliche Verantwortung journalistischer Arbeit auf.

Die gegenwärtige Covid-19 Pandemie bringt nicht nur eine Vielzahl von Gefahren und Herausforderungen, sondern auch neue Möglichkeiten und Chancen mit sich.

Afrika wird in der hegemonialen diskursiven Repräsentation als isolierter Ort von »failure and poverty« (Ferguson 2006: 2) ohne Strukturen, Agency und Ethik gezeichnet. Im Zuge der aktuellen Pandemie kann dies einerseits durch die Mobilisierung eines rassistischen und kolonialen Diskurses, der allein die Hilfsbedürftigkeit und Unfähigkeit zum Umgang mit der Situation artikuliert, zusätzlich verstärkt werden. Liegt der Fokus hingegen auf der globalen Verbreitung und der daraus resultierenden zentralen Stellung Afrikas bei der Bekämpfung des Virus, kann der hegemoniale Diskurs dekonstruiert werden. Journalistische Berichterstattung wird in dieser Untersuchung als diskursives Machtinstrument verstanden, welches sowohl stabilisierend als auch subversiv wirken kann und dementsprechend eine gesellschaftliche Verantwortung trägt.

Aus diesem Blickwinkel werden in der vorliegenden Untersuchung alle 17 BILD-Artikel analysiert, die bis zum 3.7.2020 veröffentlicht wurden, sich nicht hinter einer Paywall befanden und durch Eingabe der Begriffe »Afrika« und »Corona« in der Suchmaske der BILD-Homepage gefunden wurden. Aufbauend auf Michel Foucault, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe habe ich folgende Forschungsfragen abgeleitet:

  • Mit welchen Eigenschaften und Ereignissen wird Afrika durch die Artikulationen der BILD-Zeitung diskursiv in Beziehung gesetzt?
  • Welche Logiken und Rationalitäten stehen hinter diesen Artikulationen?
  • Wie sind die Artikulationen der BILD-Zeitung im Spannungsfeld von Hegemonie und Antagonismus, von Herrschaft und Subversion einzuordnen?

Macht und Diskurs

Um die Wirkmächtigkeit und Funktionsweisen der Artikulationen der BILD erfassen und analysieren zu können, verbinde ich in dieser Untersuchung postkoloniale Perspektiven mit einem foucaultschen Macht- und Diskursverständnis. Diese Kombination ist in postkolonialen Studien recht geläufig (vgl. Bayart 1989; Hall 1992; Linnemann/Reuber 2015), wird aber hier um die Hegemonie­theorie von Laclau und Mouffe erweitert. Die theoretischen Werkzeuge ermöglichen ein Verständnis von sowohl diskursinternen Mechanismen der Afrika-Repräsentationen als auch den gesellschaftlichen Auswirkungen der BILD-Artikel auf Subjektivierungsprozesse und damit einhergehender (De-)Konstruktion rassistischer und kolonialer Logiken und Herrschaftszustände. Zunächst erläutere ich die Kernbegriffe des foucaultschen Machtverständnisses (Herrschaftszustand, Regierungstechnologie, strategische Beziehungen, Subjektivierung, Dispositiv, Diskurs) und setze sie untereinander und mit der Hegemonietheorie von Laclau und Mouffe in Beziehung. Der darauffolgende Abschnitt füllt den abstrakt-theoretischen Rahmen mit postkolonialen Perspektiven im Kontext der Covid-19-Pandemie, wodurch er operationalisiert und die Fragestellung der Untersuchung abgeleitet wird.

Michel Foucault (1985: 27) unterscheidet zwischen drei Ebenen der Macht: den strategischen Beziehungen, den Regierungstechnologien sowie den Herrschaftszuständen. Die strategischen Beziehungen bezeichnen alle Formen der Macht, die »allgegenwärtig« und bei jeder Praktik der Interaktion oder Kommunikation zwischen Individuen erzeugt werden (Foucault 1983: 94). Diese sind dynamisch und prinzipiell veränderbar. Im Gegensatz dazu sind Herrschaftszustände Situationen, in denen sich die strategischen Beziehungen manifestiert und stabilisiert haben (Foucault 1985: 26). Die Ebene der Regierungstechnologien steht zwischen den beiden zuvor genannten und hat als »wesentliches technisches Instrument« (Foucault 2004: 162) die Dispositive, welche sich aus »Diskursen, Institutionen, architekturale[n] Einrichtungen, reglementierende[n] Entscheidungen, Gesetzen […]« (Foucault 1978: 119) zusammensetzen. Die Dispositive strukturieren die vielfältigen strategischen Beziehungen, was wiederrum Herrschaftszustände erzeugt. Ein wichtiges Mittel zur Strukturierung der strategischen Beziehung besteht in der Subjektivierung durch die Dispositive. Identitäten und damit verbundene Abgrenzungen und Hierarchisierungen werden diskursiv konstruiert (vgl. Butler 1991: 17; Gramsci 1971: 366; Wullweber 2012: 34), sodass die Wahrnehmung der Beziehungen zur Umwelt und anderen Individuen beeinflusst wird und rassistische und koloniale Imaginationen hervorgebracht werden können: »[D]ie schrittweise Einführung von Dispositiven, mit deren Hilfe der gewöhnliche Franzose – zuweilen ohne sich dessen bewusst zu sein – veranlasst wurde, sich in seiner Sichtweise, seinem Tun, seinem Verhalten und seinem Reden als rassistisches Subjekt zu konstituieren.« (Mbembe 2017: 123)

Mit Bezug auf Foucault zeigt Stuart Hall (1992: 203) auf, inwiefern Diskurse mit Macht und Wissen verknüpft sind und somit subjektivierend wirken. Demnach sind journalistische Berichte immer eine Form der Machtausübung, die verschiedene Elemente, Eigenschaften und Ereignisse der Umwelt in einem offenen System miteinander verknüpft und somit eigene Logiken und Rationalitäten herausbildet (ebd.: 202). Werden diese Logiken und Rationalitäten internalisiert, entstehen Subjekte mit einer spezifischen Perspektive auf die Welt. Dementsprechend bezeichnet Foucault Herrschaftszustände auch als »Wahrheitsregime« (zitiert nach Hall 1992: 205), da ein hegemonialer Diskurs ein bestimmtes Wissen und daran gebundene Wahrheiten produziert. Darauf aufbauend schreibt Achille Mbembe (2017: 106), dass die Sprache »das System des Lebens selbst« sei. Die von hegemonialen diskursiven Logiken konstituierte Sprache ist demnach nicht nur eine Form oder ein Abbild der Realität, sondern konstituiere die Realität selbst. Aus diesem Verständnis heraus wird die Relevanz der Analyse der BILD-Artikel deutlich.

An dieser Stelle ergänze ich das foucaultsche Machtverständnis um die Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, sodass die politische Aushandlung und die innere Dynamik von Diskursen sichtbar werden. Laclau und Mouffe beschäftigen sich aufbauend auf den Arbeiten von Antonio Gramsci (1971) mit dem Prozess des Hegemonial-Werdens eines Diskurses. Ein Diskurs besteht dabei aus einer Reihe von Artikulationen, die jeweils Elemente der Umwelt zueinander in Beziehung setzen und gemeinsam eine Äquivalenzkette bilden, die einer bestimmten Interpretation und Perspektive auf die Welt entspricht (Laclau/Mouffe 1985: 105f.; Wullweber 2012: 39). Im sogenannten Feld des Politischen wird die Art und Weise der Beziehungen zwischen Elementen und somit Wahrnehmung, Interpretation und Wissen über die Welt ausgehandelt, sodass unterschiedliche Diskurse miteinander konkurrieren. Setzt sich ein Diskurs durch, »sedimentiert« dieser und lagert sich im Feld des Sozialen ab: Die Aushandlung ist abgeschlossen, der Diskurs wird hegemonial und das diskursiv produzierte Wissen über die Welt wird nicht mehr infrage gestellt (vgl. Laclau 1990: 34). Antagonistische Artikulationen, die ausgeschlossen und marginalisiert werden, können jedoch den hegemonialen Diskurs angreifen, die Äquivalenzkette aufbrechen und den Diskurs wieder ins Feld des Politischen zurückführen (vgl. Wullweber 2012: 37). Eine solche politische Reaktivierung eines hegemonialen Diskurses kann beispielsweise durch unvorhersehbare Ereignisse, subversive Praktiken oder Allianzen antagonistischer AkteurInnen erfolgen. Die Covid-19-Pandemie ist ein unvorhergesehenes Ereignis, das sowohl neue Praktiken als auch Allianzen hervorbringt und somit das Potenzial hat, den bestehenden rassistischen und kolonialen Herrschaftszustand und das damit verbundene »Wahrheitsregime« zu zerstören.

Postkoloniale Perspektiven im Kontext von Covid-19

Bevor auf das subversive Potenzial der Covid-19-Pandemie eingegangen werden kann, muss der bestehende Herrschaftszustand charakterisiert werden. Zu diesem Zweck werden die Analysen der postkolonialen Theoretiker Jean-François Bayart, Achille Mbembe, James Ferguson und Stuart Hall verwendet. Zuletzt argumentiere ich, dass die BILD-Artikel als Dispositiv zu analysieren sind, die diskursiv auf ein spezifisches Problem reagieren, um den bestehenden Herrschaftszustand stabilisieren.

Achille Mbembe (2017: 110f.) sieht den Ursprung des bestehenden rassistischen und kolonialen Herrschaftszustand in der entstehenden europäischen Moderne Ende des 18. Jahrhunderts und betont, dass die »Entstehung [der Moderne] mit dem Erscheinen des Rassenprinzips und der langsamen Umwandlung dieses Prinzips in die privilegierte Matrix der [Regierungstechnologien] zusammenfällt, und zwar heute ebenso wie damals«. Afrika wird auf diese Weise zum Ort, »dessen Besonderheit darin besteht, dass es keine Gattungsbezeichnung und erst recht kein Eigenname ist, sondern ein Hinweis auf die Abwesenheit eines Werkes« (ebd.: 32). Des Weiteren sei Afrika die Bezeichnung der Moderne für die »in absoluter Unsicherheit und Seinsleere gefangenen Gestalt des Menschlichen [… und] für unfähig gehaltene Gesellschaften« (ebd.: 100) und entspricht damit dem »Sinnbild einer dunklen und blinden Kraft, gefangen in einer gleichsam präethischen und präpolitischen Zeit« (ebd.: 101). Damit bezieht sich Mbembe (siehe auch 2016: 91) ebenso wie Bayart (1989: 3) auf Hegel, der eine Geschichte Afrikas und ihre Einbettung in einem globalen System verneint. Dieser Herrschaftszustand, der nicht allein diskursiv, sondern unter anderem auch mit disziplinärer physischer und wirtschaftlicher Gewalt produziert, reproduziert und manifestiert wurde, schafft ein isoliertes Afrika ohne Geschichte, Dynamik und Strukturen mit BewohnerInnen ohne Ethik, Strategie und Agency. Afrika wird zum »place of absence« (Ferguson 2006: 2).

Meine These ist, dass die Covid-19-Pandemie aus drei Gründen das Potenzial hat, den bestehenden rassistischen und kolonialen Herrschaftszustand anzugreifen und die hegemoniale Äquivalenzkette aufzubrechen:

Erstens wird während der Pandemie offensichtlich, dass Afrika nicht isoliert, sondern zentral und zukunftsentscheidend ist für »[the] destiny of our planet« (Mbembe 2016: 96). Denn solange das Virus an einem Ort der Welt noch aktiv ist, ist die gesamte Weltbevölkerung potenziell gefährdet. Die Zentralität Afrikas im Kontext von Covid-19 zeigt sich insbesondere in der zuerst in Südafrika entdeckten Virusvariante B.1.351, die aufgrund ihrer höheren Übertragbarkeit mittlerweile auch das Infektionsgeschehen in Deutschland beeinflusst (vgl. Robert Koch Institut 2021). Des Weiteren wird während der Bekämpfung der Pandemie das immense finanzielle und technologische Gefälle zwischen Afrika und dem Globalen Norden deutlich, ganz besonders bei der Verteilung der Impfstoffe: Nach einer Studie des britischen Thinktanks The Economist Intelligence Unit (2021) können die meisten afrikanischen Staaten erst ab 2023 entsprechend ihrer Bedürfnisse auf Impfstoffe zugreifen. Zweitens wird auf diese Weise die durch den Herrschaftszustand produzierte Machtasymmetrie besser sichtbar. Gleiches gilt, drittens, auch für die Strategien und innovative Handlungsfähigkeit afrikanischer AkteurInnen (vgl. Bayart 1989: 37), die trotz schlechterer Rahmenbedingungen die Fallzahlen im Untersuchungszeitraum lange besser im Griff hatten als von vielen zuvor angenommen wurde (Schlichte/Reinhardt 2020).

Alle drei Punkte machen Afrikas »place-in-the-world« mit seinen politischen, ökonomischen und sozialen Verflechtungen und Ungleichheiten in einer globalisierten Welt sichtbar (vgl. Ferguson 2006: 5). Die Covid-19-Pandemie ermöglicht und erleichtert es, Elemente in neue Verbindungen zu bringen und einen subversiven antagonistischen Diskurs zu entwickeln, der die sedimentierte hegemoniale Äquivalenzkette des rassistischen und kolonialen Herrschaftszustandes aufbricht, sie ins Feld des Politischen zurückführt und auf diese Weise die machtgeladenen strategischen Beziehungen zwischen Individuen verändert.

Michel Foucault versteht Dispositive als Regierungstechnologien, die auf spezifische Probleme antworten (Foucault 1980: 195), um den Herrschaftszustand durch die Strukturierung von strategischen Beziehungen zu sichern. Das für diese Untersuchung relevante Problem ist die eben geschilderte Gefahr des Aufbrechens der hegemonialen Äquivalenzkette und die Schaffung neuer diskursiver Verbindungen zwischen Elementen. Die diskursiven Regierungstechnologien müssen demnach die alten Verbindungen stabilisieren und reproduzieren, um den hegemonialen rassistischen und kolonialen Diskurs zu sichern und zu manifestieren (vgl. Bayart 1989: 11). Aus dieser Perspektive heraus analysiere ich die BILD-Artikel über Afrika im Kontext von Covid-19.

Ein BILD von Afrika

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden alle Online-Artikel der BILD zum Thema Afrika und Covid-19 von der ersten Berichterstattung am 16.02.2020 bis zum 03.07.2020 analysiert, die sich nicht hinter einer Paywall befanden.

Charakteristisch für die BILD-Zeitung sind sehr kurze Artikel mit oftmals unvollständigen Argumentationsketten. Dies hat auf verschiedene Weise Einfluss auf die Methodik und die Ergebnisse der Analyse: Der Mangel an expliziten Annahmen über und Einordnungen von Afrika in den Artikeln muss durch eine Verdichtung der Auswahl von Themen, der Formulierung von Schlagzeilen, Fotos sowie implizite Annahmen und Wertungen wettgemacht werden. Dies erhöht den Aufwand der methodischen Auswertung, ermöglicht aber gleichzeitig Ergebnisse, die über das Geschriebene hinausgehen und die dahinterliegenden Logiken und Rationalitäten, vergleichbar mit dem »ethnographischen Algorithmus« von Clifford Geertz (1973: 315), sowie das entsprechende »Wahrheitsregime« sichtbar machen.

Methodisch wird die Analyse mit der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring (1991) umgesetzt, welche die Artikel paraphrasiert, im zweiten Schritt theoriegeleitet generalisiert und zuletzt Kategorien zuordnet. Ich bin dabei induktiv vorgegangen und habe aus den Artikeln sieben Kategorien abgeleitet: Afrika ohne Strukturen, Afrika ohne Agency, Afrika ohne Ethik, Afrika als Apokalypse (vgl. Mbembe 2016: 93), Gefahr für Deutschland, Der helfende Westen als Gegenstück des vulnerablen und leidenden Afrikas (vgl. Linnemann/Reuber 2015) sowie Brüche im Bild. Zuvor hatte ich aber eine theoriebasierte Entscheidung getroffen: Die Kategorien müssen sich auf Repräsentationen Afrikas beziehen, damit diese im Kontext der verwendeten diskursiven Techniken interpretiert und eingebettet werden können. Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen den einzelnen Techniken (z. B. zwischen Überschrift und Titelbild) werden durch dieses Vorgehen sichtbar, sodass die Art und Weise der Artikula­tionen und das In-Beziehung-Setzen von Elementen charakterisiert werden kann. Eine Orientierung der Kategorien an den einzelnen Techniken wäre hingegen nicht zielführend, da das diskursive Dispositiv der BILD-Zeitung erst durch die Kombination der einzelnen Techniken seine volle Wirkung entfaltet.

Das hegemoniale BILD

Die dominierenden Muster in der Afrika-Repräsentation der BILD-Zeitung habe ich in sechs Kategorien geordnet. Dabei beziehen sich die ersten vier (Afrika ohne Strukturen, Afrika ohne Agency, Afrika ohne Ethik und Afrika als Apokalypse) explizit auf Afrika, während die letzten zwei (Gefahr für Deutschland und Der helfende Westen) die westlichen Wahrnehmungen von und Reaktionen auf Afrika thematisieren. Abschließend werde ich ein Zwischenfazit ziehen und aufzeigen, dass die dominierenden BILD-Artikulationen auf rassistische und koloniale Logiken zurückzuführen sind, wodurch der hegemoniale Diskurs reproduziert und gestärkt wird.

Afrika ohne Strukturen

Dieser ersten Kategorie wurden alle Artikulationen zugeordnet, die Afrika als Ort ohne (ausreichende) Strukturen repräsentieren. Die westliche Konstruktion eines strukturlosen Afrikas und das Ignorieren der spezifischen internen Mechanismen entspricht nach Bayart (1989: 14, 27) einer kolonialen und rassistischen Wahrnehmung. Dabei werden einerseits eurozentristische Vorstellungen einer »ausreichenden« Struktur als Maßstab verwendet, andererseits Strukturen, die in dieser Form unbekannt sind, nicht als solche anerkannt. Deutlich wird dies in den Artikulationen der BILD-Zeitung über das Gesundheitssystem, Schutzausrüstung und Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 in afrikanischen Staaten: Die Gesundheitssysteme seien zu schwach, Schutzausrüstung sei nicht vorhanden und Schutzmaßnahmen seien in den »Townships und Slums Afrikas« (BILD 2020_e) nicht umsetzbar.

Die WHO arbeitet seit Wochen daran, Länder mit einem schwachen Gesundheitssystem in Afrika und anderswo auf einen möglichen Covid-19-Ausbruch vorzubereiten. (BILD 2020_a)

Und das gelte insbesondere, wenn sie sich in Gegenden mit schwächeren Gesundheitssystemen ausbreitet. (BILD 2020_a)

Die UNECA fordert ein Rettungspaket von mindestens 100 Milliarden Dollar für die 54 afrikanischen Länder sowie medizinische Ausrüstungen. (BILD 2020_f)

Doch an Strukturen mangele es laut der BILD nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in der Bildung. Insbesondere im ländlichen Raum gebe es nicht genug Schulabschlüsse (BILD 2020_p). Zudem führe die Schließung von Schulen im Kontext von Covid-19 zu Ernährungsschwierigkeiten, da die SchülerInnen dort kein Mittagessen mehr bekommen (BILD 2020_l). Das im Artikel (BILD 2020_p) verwendete Foto zeigt sich meldende SchülerInnen in einem Klassenraum, wobei der Fokus auf der einzigen weißen Hand im Vordergrund liegt und die Hände mit dunklerer Hautfarbe im Hintergrund unscharf sind. Auf diese Weise wird eine Abgrenzung vom Westen mit guter Bildung von Afrika ohne Bildung im Sinne von Stuart Halls (1992) »The West and the Rest« erzeugt.

Zuletzt wird Afrika von der BILD als Ort ohne rechtsstaatliche Strukturen repräsentiert. Machtmissbrauch, Polizeigewalt und Willkür werden in mehreren Artikeln ausführlich thematisiert. So müssten Touristen mit Schikanen durch die Polizei rechnen und Minderheiten würden von der Polizei sowie dem Bürgermeister gewalttätig misshandelt – anscheinend ohne dass die TäterInnen jemandem Rechenschaft ablegen oder sich verantworten müssten.

Alle paar Kilometer standen Straßenposten von Polizei oder Militär. Jedes Mal musste ich anhalten, Fragen beantworten. Für 600 Kilometer habe ich einige Tage gebraucht. (BILD 2020_n)

Verstörende Szenen: Mit Schlagstöcken vertreibt die Polizei die Menschen von den Straßen. (BILD 2020_j)

Schockierend: Bei der Festnahme schlug der Bezirksbürgermeister Haji Abdu Kiyimba höchstpersönlich mit einem Schlagstock auf die Bewohner der Notunterkunft ein. Die Polizei unterstützte die brutale Vorgehensweise. (BILD 2020_d)

Afrika ohne Agency

Eine zweite dominante Artikulation der BILD-Zeitung ist, dass Afrika im Kontext der Covid-19 Pandemie keine Strategie hätte, nicht aktiv und innovativ handeln würde und somit keine Agency hätte. Achille Mbembe (2016) und Jean-François Bayart (1989) haben aus postkolonialer Perspektive diese Repräsentation Afrikas als unzutreffend sowie als koloniale und rassistische Strategie »to confiscate social change and modernity« (Bayart 1989: 11) entlarvt. Dennoch wird Afrika durch die BILD weiterhin in dieser Form charakterisiert: Die im Bürgerkrieg kämpfenden LibyerInnen lassen sich lediglich »einspannen« (BILD 2020_h), Betroffene von Covid-19 sind auf Hilfe aus dem Westen angewiesen (BILD 2020_f) und die einzige von der BILD vorgestellte innovative Strategie zum Umgang mit der Pandemie in Afrika kommt von zwei westlichen Unterneh­merInnen (BILD 2020_i). Des Weiteren ließe sich die Schließung von Geschäften nur schwierig umsetzen, da viele AfrikanerInnen »von der Hand in den Mund« (BILD 2020_f) leben würden und dementsprechend keine langfristigen Strategien und Pläne entwickelt hätten.

Afrika ohne Ethik

Eine dritte dominante Artikulation der BILD ist unter der Kategorie »Afrika ohne Ethik« zusammengefasst. Damit beziehe ich mich auf Mbembe (2017: 100f.), der die Bezeichnung Afrika als Synonym der europäischen Moderne für die in »Seinsleere gefangene Gestalt des Menschlichen« und als »Sinnbild einer dunklen und blinden Kraft« dekonstruiert. Afrika werde demnach vom Westen als Ort ohne individuelle Selbstverwirklichung, Rationalität und Aufklärung repräsentiert und als »präethisch« imaginiert. Ethik wird im klassischen Sinne mit der Suche nach dem Guten Leben verbunden. Dementsprechend sei in der kolonialen und rassistischen Wahrnehmung, die auch in den analysierten BILD-Artikeln zu identifizieren ist, in Afrika kein gutes Leben möglich. So wird in den Artikeln unter anderem Aberglaube und scheinbare Irrationalität problematisiert, was insbesondere im zweiten Zitat durch die Präposition »trotz« deutlich wird.

In der Bevölkerung wird die Angst vor Corona durch Unwahrheiten noch weiter geschürt: Evangelikale Fundamentalisten behaupten, homosexuelle Praktiken seien die Ursache für die Pandemie in Afrika. Auch den 23 Festgenommen[en] wird vorgeworfen, ›den Fluch des Virus‹ in ihr Dorf gebracht zu haben. (BILD 2020_d)

Der Bürgerkrieg in Nordafrika hat noch einmal an Schärfe gewonnen – trotz Coronavirus und im Januar unterzeichneter Berliner Erklärung zur sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen. (BILD 2020_h)

Auch die Argumentation des ugandischen Regierungssprechers und sein Bezug auf Gesetze aus der Kolonialzeit wird von der BILD durch den Zusatz »Was er meint« als unzulässig und irrational dargestellt.

»Bestehende Regelungen im Strafrecht reichen aus«, bekräftigte Opondo. Was er meint: Laut einem aus britischer Kolonialzeit stammenden Gesetz sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen in Uganda verboten und können mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden. (BILD 2020_d)

Zudem wird im Artikel »Ich will endlich so leben wie ich bin« (BILD 2020_o) Homophobie und die gewaltvolle Unterdrückung homosexueller Lebensweisen in Afrika thematisiert und dadurch suggeriert, dass eine freie Selbstentfaltung unmöglich wäre. Dies geschieht in Abgrenzung zum vermeintlich offenen, toleranten und diversen Westen, was folgendes Zitat belegt: »Okellos einzige Chance für ein wahrhaft besseres Leben wäre die Übersiedlung in ein westliches Land«.

Afrika als Apokalypse

Unter der vierten Kategorie »Afrika als Apokalypse« habe ich Artikulationen der BILD zusammengefasst, die Afrika im Kontext der Pandemie mit einem »apocalyptic view« (Mbembe 2016: 93) betrachten. Wie Mbembe (2016), Hall (1992) und Ferguson (2006) aufzeigen, dienen solche Artikulationen dazu, einen negativen Gegensatz zum Westen zu konstruieren. Wenn demnach gilt »It is never just Africa, but always the crisis in Africa, the problems of Africa, the failure of Africa« (Ferguson 2006: 2), ist der Westen dazu im Vergleich nie in der Krise, hat keine Probleme und versagt nicht. Die diskursive Konstruktion eines starken Westens kann während einer Pandemie aufgrund ihrer stabilisierenden Wirkung als besonders wichtig betrachtet werden, weswegen es nicht verwundert, dass viele Artikulationen der BILD ein apokalyptisches Afrika suggerieren. Dies beginnt bereits bei den Überschriften, die die Erwartung eines dramatischen und tödlichen Corona-Albtraums in Afrika erwecken:

Wie dramatisch wäre ein Ausbruch in Afrika? (BILD 2020_a)

Wird Afrika das neue Corona-Epizentrum? (BILD 2020_f)

Corona-Flieger stürzt ab – 6 Tote (BILD 2020_k)

Wann endet Saschas Wüsten-Albtraum? (BILD 2020_n)

Doch auch in den Artikeln selbst wird in neun der insgesamt sechzehn analysierten Artikel Diebstahl, Krieg, Plünderungen, Terrorismus und Flucht thematisiert (BILD 2020_b, 2020_d, 2020_g, 2020_h, 2020_j, 2020_k, 2020_m, 2020_n, 2020_q). Dies geschieht entweder explizit wie in den ersten beiden der folgenden Zitate oder implizit wie im letzten Zitat, wo durch den Verweis auf den Wert der Autos ein wahrscheinlicher Diebstahl suggeriert wird.

Augenzeugenberichte lassen vermuten: Der von einer Hilfsorganisation gecharterte Flieger wurde gezielt abgeschossen! (BILD 2020_k)

Millionenfache Vertreibungen in Syrien, Bomben und Hunger im Jemen und blutige Stellvertreterschlachten in Libyen – die drei schlimmsten Kriege dieser Tage. (BILD 2020_h)

Ihre fünf Fahrzeuge […] sind zusammen eine Mio. Euro wert. Wöhler: »Die können wir nicht einfach in der Sahara stehen lassen und nach Deutschland fliegen.« (BILD 2020_g)

Ergänzt wird die apokalyptische Repräsentation Afrikas durch den Verweis auf Hungersnöte und Nahrungsengpässe (BILD 2020_f, 2020_l) sowie durch die verwendeten Fotos: Bis auf eine Ausnahme zeigen alle Fotos, in denen People of Color im Vordergrund zu sehen sind, bedrohliche und gewaltvolle Szenen (BILD 2020_d, 2020_j, 2020_k). Die Verwendung der Wörter »gestrandet« (BILD 2020_g) und »Albtraum« (BILD 2020_n) verdeutlicht zudem die vermeintliche Distanz zum Westen, sodass Afrika als Ort fernab westlicher Zivilisation und Realität erscheint.

Gefahr für Deutschland

Diese Distanz scheint für die Sicherheit Deutschlands und seiner BürgerInnen notwendig zu sein: Unter der fünften Kategorie habe ich Artikulationen gefasst, die eine Gefahr für Deutsche im apokalyptischen Afrika ohne Strukturen, Agency und Ethik thematisieren. Neben dem unaufgeklärten Verschwinden einer deutschen Schutzmaskenlieferung in Kenia (BILD 2020_b) werden in drei der siebzehn Artikeln die scheinbar unberechenbaren Gefahren für deutsche TouristInnen in Afrika während der Pandemie geschildert (BILD 2020_g, 2020_m, 2020_n).

Ausgangssperre! Das schlichte Urlauber-Camp von Polizei abgeriegelt! Lagerkoller! (BILD 2020_n)

Ohne dieses Schriftstück wäre die Fahrt strafbar gewesen. Sascha K. wurde deswegen sogar Zeuge einer Festnahme: »Was aus dem Touristen wurde, weiß ich nicht.« (BILD 2020_n)

»In Kairo wäre ich bei einer erneuten Stornierung des Rückflugs obdach- und mittellos.« Ein Albtraum in einem fremden Land, ohne finanzielle Mittel. (BILD 2020_m)

Die bei den Rückholaktionen beteiligten MitarbeiterInnen der Airlines werden als »fliegende Helden« (BILD 2020_c) gefeiert, die Deutsche aus Afrika anscheinend retten mussten. Auch die entsprechenden Überschriften der Artikel dramatisieren, indem sie die Situation personalisieren und überspitzen:

Papi, komm heim! (BILD 2020_m)

Wann endet Saschas Wüsten-Albtraum? (BILD 2020_n)

Der helfende Westen

Trotz dieser von Afrika ausgehenden Gefahr artikuliert die BILD in ihren Artikeln den Westen als hilfsbereit, großmütig und über Fehler hinwegsehend. Auf diese Weise wird der Westen in Abgrenzung zum vulnerablen und »leidenden Anderen« als »helfender Eigener« inszeniert (Linnemann/Reuber 2015). Koloniale Abhängigkeiten und rassistische Hierarchien werden durch diese Gegenüberstellung reproduziert und im hegemonialen Diskurs festgeschrieben. Die Hilfsleistungen, über die von der BILD berichtet wird, bestehen aus Finanzmitteln und Technologie (BILD 2020_a, 2020_f, 2020_l). Dabei werden deutsche Hilfen tendenziell überbetont. Diese Überbetonung wird im folgenden Zitat besonders deutlich, wo die Aktivität einer afrikanischen Institution in der Darstellung auf die innovativen Fähigkeiten eines deutschen Unternehmens verkürzt wird:

Die panafrikanische Gesundheitsbehörde will im Kampf gegen die Pandemie afrikanische Länder mit einer Million Tests unterstützen. Diese seien bei einem Unternehmen in Deutschland bestellt worden und würden in den kommenden Tagen an die Länder vergeben werden […]. (BILD 2020_f)

Die durch die Artikulation der BILD erzeugte rassistische Dichotomie vom Leidenden und Helfenden wird im verwendeten Foto des zitierten Artikels besonders deutlich: Eine Person of Color steht mit hängenden Armen und wartet passiv, während eine weiße Hand aktiv ein Infrarot-Thermometer auf sie richtet.

Zwischenfazit

Bevor im nächsten Abschnitt auf Brüche in den Artikulationen und auf das daraus resultierende subversive Potenzial eingegangen wird, möchte ich ein kurzes Zwischenfazit ziehen. Die bisherige Analyse zeigt auf, dass die BILD mit ihren Artikulationen diskursive Verbindungen von Afrika mit den Attributen Leid, Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Gefahr und Unberechenbarkeit schafft. Gleichzeitig werden Verbindungen zwischen Afrika und Struktur, Strategie, Agency, Vernunft und Ethik diskursiv gekappt. Deutschland bzw. der Westen werden hingegen mit Hilfsbereitschaft, Güte, Innovation und Stärke verknüpft. Afrika wird auf diese Weise als negatives Spiegelbild des Westens konstruiert, was die dahinterliegenden kolonialen sowie rassistischen Logiken und Rationalitäten offenbart. Demnach fügen sich die dominanten Artikulationen der BILD nahtlos in die hegemoniale Äquivalenzkette ein und reproduzieren den existierenden Herrschaftszustand. Dabei wirken sie als rassistisch subjektivierende Regierungstechnologie, die potenziell subversive diskursive Verbindungen bekämpft und somit den kolonialen Herrschaftszustand zu sichern versucht.

Brüche im BILD

Dennoch sind zwischen den dominierenden hegemonialen Artikulationen in den analysierten BILD-Artikeln auch einige wenige Artikulationen mit subversivem Potenzial zu identifizieren. Sie sind in der Kategorie »Brüche im BILD« zusammengefasst und könnten – zumindest theoretisch – die Basis für einen möglichen antagonistischen Diskurs bilden. Zwar ist dies in den analysierten Artikeln nicht der Fall, trotzdem zeigen sie auf, dass der koloniale und rassistische Herrschaftszustand grundsätzlich durch journalistische Berichterstattung angreif- und änderbar ist.

Oben habe ich argumentiert, dass die Covid-19 Pandemie aus mindestens drei Gründen das Potenzial hat, subversive Artikulationen zu entwickeln, die den existierenden Herrschaftszustand gefährden können: Erstens macht die Pandemie deutlich, dass Afrika nicht isoliert oder peripher, sondern zentraler Teil einer globalisierten Welt ist. Dies wird auch in einer Aussage von Melinda Gates deutlich, die die BILD folgendermaßen zitiert:

Denn: »Covid an einem Ort der Welt bedeutet Covid auf der ganzen Welt«, so Gates. (BILD 2020_e)

Zweitens hat die Pandemie das Potenzial, das durch den kolonialen und rassistischen Herrschaftszustand produzierte Machtgefälle zwischen dem Westen und Afrika aufzuzeigen. Artikuliert wird dies in der Überschrift »Corona droht Ungleichheiten zu verstärken« (BILD 2020_p) sowie in folgendem Textauszug:

Covid-19 trifft die Schwächsten ungleich härter, sagt sie. »Wir müssen vor allem ihnen helfen.« Daher soll das Geld vor allem in Afrika und Südasien zum Einsatz kommen. (BILD 2020_e)

Drittens können im Kontext von Covid-19 die Strategien und die innovative Handlungsfähigkeit afrikanischer AkteurInnen (Bayart 1989: 37), die trotz schlechterer Rahmenbedingungen die Fallzahlen während des Untersuchungszeitraums noch verhältnismäßig gut im Griff hatten (Schlicht/Reinhardt 2020), offenbart oder besser sichtbar gemacht werden. Entsprechende Artikulationen sind in den analysierten BILD-Artikeln nicht zu finden. Es wird lediglich auf die Situation in den »Townships und Slums Afrikas« verwiesen, die »Maßnahmen wie Social Distancing« (BILD 2020_e) unmöglich machen würden. Nichtsdestotrotz können auch unter diesen Bedingungen innovative Strategien entwickelt werden: In Nairobi weisen beispielsweise Graffitis auf die Gefahren durch das Virus und mögliche Sicherheitsmaßnahmen gegen eine Ausbreitung hin (vgl. Holzwarth 2020).

Die drei vorgestellten und zum Teil auch in den BILD-Artikeln identifizierten Artikulationen haben alle das Potenzial Afrikas »place-in-the-world« mit seinen politischen, ökonomischen und sozialen Verflechtungen und Ungleichheiten in einer globalisierten Welt (Ferguson 2006: 5) sichtbar zu machen. Auf diese Weise kann ein antagonistischer Diskurs entwickelt werden, der den hegemonialen rassistischen Subjektivierungen entgegenwirkt, die machtgeladenen strategischen Beziehungen zwischen Individuen verändert und auf diese Weise den kolonialen Herrschaftszustand zerstört.

Fazit

Der erarbeitete theoretische Rahmen ermöglicht es, Journalismus als machtvolles diskursives Instrument zu verstehen und ihn aus einer postkolonialen Perspektive untersuchen. Der Ansatz ist darüber hinaus offen für vielfältige Blickwinkel, sodass er beispielsweise auch mit Erkenntnissen aus den Gender oder Disability Studies gefüllt werden kann.

Werden die Ergebnisse der Analyse zusammengeführt, ergibt sich ein gemischtes Bild von hegemonialen rassistischen und kolonialen Artikulationen sowie antagonistischen subversiven Artikulationen, wobei erstere deutlich überwiegen. Den dominierenden Artikulationen der BILD-Zeitung liegen rassistische und koloniale Logiken zugrunde, sodass der existierende Herrschaftszustand reproduziert wird. Jedoch sind auch einige wenige subversive Ansätze zu finden, die allerdings kaum weiter ausgeführt werden. Damit ist die BILD im Spannungsfeld von Hegemonie und Antagonismus klar auf der hegemonialen Seite einzuordnen, die die Herrschaft stützt und Subversion tendenziell erschwert.

Die dennoch gegebene Heterogenität und Inkohärenz der BILD-Artikel könnte auf die unterschiedlichen AutorInnen zurückzuführen sein, die auf verschiedene Weise subjektiviert und in strategische Machtbeziehungen eingebunden sind. Die daraus resultierenden Logiken und Rationalitäten konstituieren ihre Wahrnehmung von Afrika im Kontext von Covid-19 und somit auch ihre Berichterstattung, welche wiederrum subjektivierend auf die LeserInnen wirkt und Logiken und Rationalitäten reproduziert. Dieses Verständnis ist wichtig, um die Ergebnisse der Untersuchung richtig zu deuten: Die Erkenntnis ist nicht, dass die AutorInnen der BILD-Zeitung offene RassistInnen wären, die bewusst rassistische und koloniale Artikulationen veröffentlichen, um ihre LeserInnen entsprechend zu manipulieren. Vielmehr ist das Ergebnis der Analyse, dass die Mehrheit der AutorInnen wohl selbst durch hegemoniale diskursive Dispositive rassistisch subjektiviert worden sind und die damit verbundenen Logiken und Rationalitäten unreflektiert reproduzieren.

An diesem Punkt setzt meine auf den Ergebnissen der Analyse beruhende Kritik der BILD an. Die Zeitung hat eine der größten Leserschaften Deutschlands und eine starke meinungsbildende Funktion. Obwohl es sich bei der BILD um ein Boulevardblatt handelt und von einem gewinnorientierten Verlag herausgegeben wird, sollte in solch einer mächtigen Position ebenso ein Bewusstsein für die Auswirkungen der eigenen Berichterstattung vorhanden sein wie die Bereitschaft zur Übernahme von journalistischer Verantwortung, um einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten. Diese Verantwortung wird nicht übernommen. Stattdessen werden hegemoniale Artikulationen reproduziert, subversives Potenzial eingedämmt, strategische Machtbeziehungen durch rassistische Subjektivierung strukturiert und der koloniale Herrschaftszustand aufrechterhalten. Verantwortungsvolle JournalistInnen sollten hingegen die eigene Subjektivierung und Machtbeziehungen hinterfragen, die Wirkung ihrer Artikulationen wahrnehmen und in Anlehnung an Foucault (vgl. 2007: 282) eine Ästhetik des Schreibens entwickeln.

Über den Autor

Lukas Franziskus Adolphi (*1997), BA, hat von 2016 bis 2019 an der Universität Leipzig Geographie studiert. Seit 2019 studiert er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg International Area Studies im Master. Als Wissenschaftliche Hilfskraft ist er am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig sowie am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (Saale) tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind postkoloniale Theorien, Mobilitäten und kritische Stadtforschung. Kontakt: lukasa97@web.de

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Zitationsvorschlag

Lukas Franziskus Adolphi: BILD dir dein Afrika. Eine Diskursanalyse von Afrika-Repräsentationen in der Bild-Zeitung im Kontext der Covid-19 Pandemie. In: Journalistik, 1, 2021, 4. Jg., S. 40-57. DOI: 10.1453/2569-152X-12021-11253-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-12021-11253-de

Erste Online-Veröffentlichung

März 2021