Kompetenz: Zwischen den Zeilen lesen Zum Selbstverständnis westlicher Expats in der journalistischen Berufsbildung an Universitäten der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars

von Andreas Sträter

Abstract: Wer aus einem westlichen Land kommt und in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Katar angehende Journalistinnen und Journalisten unterrichtet, wird zum Grenzgänger. Lehrpläne aus England oder den USA sind nur bedingt oder in einer Light-Version anzuwenden, weil es Tabubereiche gibt. Das Problem: Nicht immer sind bestimmte Grenzen klar formuliert, so dass es bereits zu Ausweisungen kam. Der Aufsatz zeigt und diskutiert die Ergebnisse einer qualitativen Befragung von 19 Expats zum Selbstverständnis in der akademischen Journalistenausbildung am arabischen Golf.

Wer noch nie in Dubai, Abu Dhabi, Sharjah oder Doha war, assoziiert diese Städte vornehmlich mit Luxusautos und modernen Hochhausfassaden.[1] An Universitäten denkt man zunächst jedenfalls nicht. Dabei haben viele internationale Hochschulen einen Satellitencampus (international branch campus) in diesen Ländern eingerichtet, und es gibt auch heimische Unis mit breitem Fächerangebot, unter anderem im Bereich der Journalistik. Für die Lehre sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Katar vor allem aus dem Westen stammende, angelsächsisch geprägte Professorinnen und Lehrer verantwortlich, die auf Wunsch der jeweiligen Staatslenker an den arabischen Golf geholt werden (vgl. u. a. Martin 2012: o. S.).

Da diesen Ländern im Bildungsbereich – auf eigenen Wunsch – westliche Mechanismen fremdkörperartig implantiert wurden, ergeben sich diverse Spannungsfelder. Läuft das im westlichen Medienunterricht verankerte Selbstverständnis von Journalismus, Öffentlichkeit und Transparenz der kulturellen und politischen Realität der rohstoffreichen Golfstaaten antithetisch entgegen? Ist akademischer Journalismus- und Medienunterricht in einer nicht-demokratischen Sphäre nicht ohnehin zum Scheitern verurteilt? Mit welcher Berufsintention studieren die Einheimischen überhaupt Journalistik? Und: Was bleibt von der Illusion, an hypermodernen Universitäten in futuristisch wirkenden Städten wie im Westen agieren zu können? Führt das Gesamtkonstrukt bei den westlichen Expats zu einer Desillusion oder zu Effekten der Übermüdung? Diese Fragen stellen sich, wenn man sich die Situation derer vor Augen führt, die in diesen Ländern Journalismus als Fach vermitteln.

Diese Ausbilderinnen und Lehrer sind zwar mit dem journalistischen Rüstzeug der westlichen Welt ausgestattet, können dieses Wissen und Selbstverständnis jedoch nur in einer Light-Version präsentieren. Hemmend in diesem Zusammenhang sind u. a. Ängste vor einem Verlust des Visums.

Was die VAE und Katar betrifft, ähneln sich die Situationen, obwohl die diplo­matischen Beziehungen zwischen den Ländern im Juni 2017 gekappt und Gespräche erst Ende 2020 wieder aufgenommen wurden. Beide Länder weisen hervorragende Medieninfrastrukturen auf (vgl. Kirat 2012: 458). Im sozio-kulturellen Sinne handelt es sich um Entwicklungsländer, die aber – im Unterschied zu den meisten afrikanischen und asiatischen Ländern – aufgrund sprudelnder Erdöl- und Erdgasquellen zu den reichsten der Welt gehören (vgl. Scholz 2000: 132). Einend kommt hinzu, dass beide Länder nicht organisch gewachsen, sondern eher als »[…] menschliche Konstruktion, entstanden als Willensakt […] auf dem Reißbrett […]« (Hermann 2011: 102) zu verstehen sind.

Journalistenausbildung hat Einfluss auf die Gesellschaft und ihre Diskurse insgesamt, weil Journalistinnen und Journalisten dazu da sind, Öffentlichkeit herzustellen und Inhalte verständlich zu vermitteln, damit zivilgesellschaftliche Akteure dazu befähigt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden (vgl. Pöttker 2001: 24). Eine Gesellschaft, in der keine oder zu wenig Öffentlichkeit hergestellt wird, argumentiert Pöttker (vgl. 2000: 377), kann nicht gut funktionieren – was sich in den Untersuchungsstaaten zeigt. Ein Baustein, der zur Optimierung von Öffentlichkeit beitragen kann, ist akademische Berufsbildung (vgl. Pöttker 2001: 20; 2013a: 3, 15f.).

Die Mediensysteme der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars

Das trockene Wüstenland der VAE ist sowohl auf Wasser als auch auf Erdöl als natürliche Ressourcen angewiesen. Seit den ersten Erdölexporten im Jahr 1962 ist die Wirtschaft stark von den Rohstoffvorkommen abhängig. Hieraus ergibt sich eine auf Renten als Einnahmequellen basierende staatliche Struktur, die vor allem den Einheimischen Wohlstand sichert. Von ihnen werden die weit zahlreicheren Expats – etwa 85 Prozent der Gesamtbevölkerung – hinsichtlich ihrer rechtlichen und sozialen Stellung getrennt, so dass prinzipiell zwischen »nationals« und »non-nationals« unterschieden wird. Gegenüber ausländischen Gastarbeitern wird der Kafāla-Mechanismus angewendet, der auf einem Bürgschafts- und Sponsorensystem beruht. Durch dieses Kontrollinstrument agiert der Staat dominant gegenüber den Menschen, die zum Arbeiten ins Land geholt werden.

Die einheimische Bevölkerung hingegen ist geprägt von beduinisch-nomadischen Strukturen, die den Menschen ihren Platz innerhalb der Gesellschaft zuweisen. Seit Jahrhunderten sind die Einheimischen daran gewöhnt, dass sich die Macht der Stammesführung in einer zentralen Person, dem Herrscher, zentralisiert. Im föderalen politischen System der VAE kommt dem jeweils Herrschenden in der Gesetzgebung weiterhin eine Schlüsselrolle zu. Partizipation als Teilhabe mündiger Rezipientinnen und Rezipienten ist ein Konzept, das den meisten Einheimischen auch in Bezug auf Medien fremd ist. In der Geborgenheit eines privilegierten Daseins fällt der Wert der Presse- und Meinungsfreiheit hinter dem Obrigkeitsdenken der Bevölkerung zurück.

Das Mediengesetz der VAE gilt schon seit dem Jahr 1980 (vgl. Publications and Publishing Law 1980) und ist seitdem nicht modifiziert worden (vgl. u. a. Duffy 2013: 41; 2014: 33ff.). Es stammt also noch aus einer Zeit, in der öffentliche Kommunikation sich ausschließlich in traditionellen Medien vollzog.[2] Die Besonderheit dieses Mediengesetzes liegt in den strengen Bestrafungen für (aus westlicher Sicht) relativ harmlose Berichterstattungen (vgl. Duffy 2013: 40). Es ist geprägt von Argumenten zum Schutz des Islams oder nationaler Interessen. Die Verbote betreffen vor allem Themen im Bereich Politik, Religion und Sexualität – ein Dreieck von Tabuzonen, das in fast allen arabischen Ländern wirksam ist (vgl. Hafez 2002: 35). Amin (vgl. 2003: 107) erweitert es um Belange nationaler Sicherheit.

Das Land hat eine der besten Infrastrukturen für Presse, Rundfunk und elektronische Medien in der gesamten Region; vor allem in den Stadtteilen Dubai Internet City und Dubai Media City haben sich Fernsehsender, Media-Agenturen und E-Business-Unternehmen niedergelassen. Internetversorgung und Zugang zu Social-Media-Anwendungen sind hervorragend ausgebaut.

Journalismus wird in den VAE durch die Regierung beschränkt, indem mit rechtlichen, finanziellen und politischen Mitteln indirekt und individuell auf Medienschaffende eingewirkt wird. Unter Journalistinnen und Journalisten hütet man sich vor »Majestätsbeleidigung« (»lèse-majesté«) und vor Fehlern; es herrscht eine diffuse Angst, Inhalte öffentlich zu machen, die vom Staat fehlinterpretiert und als gesetzeswidrig eingestuft werden könnten (vgl. hierzu u. a. Pöttker 2013: 3). Die Gesetzeslage behindert Journalisten bei ihren genuinen Aufgaben: dem Herstellen von Öffentlichkeit und dem Wahrnehmen ihrer Wächterfunktion.

Die journalistische Kernarbeit wird zu etwa 80 Prozent von Ausländern bzw. Expats wahrgenommen (vgl. Kirat 2012: 458ff.), während der Großteil der Einheimischen, die sich hauptberuflich mit Medien beschäftigen, zumeist nicht im Journalismus tätig ist, sondern überwachende, kontrollierende und regulierende Aufgaben im Informationsministerium, bei den staatlichen Medienorganisationen oder beim National Media Council in Abu Dhabi übernimmt. Die Medienproduktion und der operative Journalismus bleiben Domänen jener westlichen Expats, die einst die Beschaffung der zur Verbreitung der Programme nötigen Infrastruktur ermöglicht haben.

Der kleinere Geröllwüsten-Staat Katar beherbergt in seiner Hauptstadt Doha mit Al-Jazeera den wichtigsten Sender der arabischsprachigen Welt; politisch gilt das Land mit seiner exponierten geographischen Lage als Mediator im Mittleren Osten. Während sich das Land nach außen mit einer Dubai-ähnlichen Stadt­silhouette und Luxusherbergen modern gibt, ist es im Inneren ebenfalls durch tribale Strukturen geprägt. Untrennbar in die Geschichte Katars ist die Familie Al Thani verwoben. Der junge Scheich Tamim bin Hamad Al Thani wird als allmächtig und absolut autoritär beschrieben; er ist niemandem verantwortlich, verfügt allein über den Militärhaushalt seines Landes und ist Oberkommandierender der Streitkräfte.

In der staatlichen Qatar University in Doha spiegelt sich trotz einer oberflächlichen, ökonomisch getriebenen Modernisierung ein mit der wahabitischen Kultur zusammenhängender Konservatismus z. B. darin wider, dass die Geschlechter getrennt voneinander unterrichtet werden. Größeren Spielraum haben die »international branch campuses« (IBCs), durch die Akademiker und (ausgewähltes) Wissen ins Land geholt werden sollen. Auch die US-amerikanische North­western University hat sich mit einem Zweigcampus in Dohas Education City niedergelassen (Northwestern University Qatar, NU-Q).

Durch Subventionen hat sich in Katar eine Know-how-basierte Industrie mit Satelliten-Universitäten etabliert, um das Land als ein Zentrum der Bildung und der Wissenschaft zu positionieren. Auch hier wird die Infrastruktur als gut beschrieben, während es bei der akademischen Freiheit Einschränkungen gibt, so dass sich sowohl einheimische als auch überseeische Professorinnen und Akademiker innerhalb undefinierter Grenzen bewegen. Aus journalistischer Sicht ist interessant, dass Katar das »Doha Centre for Media Freedom« eingerichtet hat, wo es aber auch Probleme mit undefinierten Grenzen gibt, wie die Ausweisung eines früheren Leiters zeigt.

Der Sender Al Jazeera berichtet relativ frei über den Mittleren Osten und die Welt, nimmt sich aber bei den Angelegenheiten des eigenen Landes deutlich zurück (vgl. Miles 2005). Trotz dieses Senders mit internationaler Strahlkraft führt eine restriktive Mediengesetzgebung dazu, dass Journalisten, Blogger und Schriftsteller ins Gefängnis gesperrt werden, sobald sie die in den Gesetzen schwammig formulierten Tabugrenzen überschreiten.

Diese Gesetze führen letztlich auch zu Selbstzensur, zumal kaum Einheimische in den Medien direkt arbeiten, sondern – wie in den VAE – meistens dirigierende und überwachende Positionen einnehmen. Wenn sie doch in den Medien arbeiten, dann sind sie nach Roger Blum (vgl. 2014) im Rahmen einer herrschaftskonkordanten Journalismuskultur eher Lautsprecher der Regierung als deren selbstständiges Gegenüber.

Modellentwicklung nach Habermas und Wittfogel

Als Gerüst der Entwicklung eines Öffentlichkeitsmodells für die Analyse wird eine schematische Darstellung herangezogen, mit der Jürgen Habermas (vgl. 1962: 43) einen Grundriss für bürgerliche Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert skizziert hat. Die bekannte Skizze unterscheidet den Privatbereich und die Sphäre der öffentlichen Gewalt, zwischen denen in modernen Gesellschaften Medien und Journalisten durch das Herstellen von Öffentlichkeit vermitteln. In dieser Zwischensphäre soll kein Thema ausgeschlossen werden; zu den vermittelnden Medien gehören heute neben Print, Radio und TV auch Online-Medien, Blogs und Social-Media-Applikationen, zu den Vermittlern auch Leute, die etwa über einen Blog oder YouTube Öffentlichkeit herstellen.

In den USA besteht eine lebendige, weitgehend barrierefreie Vermittlung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor. Restriktive Gesetze erschweren den Kommunikationsfluss dabei ebenso wenig wie von außen einwirkende Umstände die Pressefreiheit behindern. Grundstein dafür ist das in der Verfassung verankerte First Amendment, das verbietet, Gesetze zu verabschieden, die die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Religionsfreiheit, die Freiheit der Versammlung oder das Petitionsrecht einschränken (vgl. u. a. Cox 1986: 8; vgl. Canavan 1984: 1ff.; vgl. Berns 1976: 80ff.).

Auf die Vermittlungsleistung von Journalistinnen und Journalisten wirkt nicht zuletzt eine Berufsbildung, die an dieses Öffentlichkeitsverständnis gebunden ist. In den USA kann davon ausgegangen werden, dass viele akademische Inputs ihren Weg in die Vermittlungsleistung von Journalisten gefunden haben, weil das Fach Journalistik (»Journalism Studies«) dort seit dem Start an der University of Missouri im Mittleren Westen im Jahr 1908 akademisch verankert und entsprechend professionalisiert ist (vgl. u. a. Pöttker 2013: 14; vgl. Redelfs 2007: 144). Investigative Recherche wird dort als Handwerk betrachtet (vgl. Redelfs 2007: 134, 144), durch das, an der richtigen Stelle eingesetzt, Öffentlichkeit hergestellt und Missstände reguliert werden können. Die Journalisten als »Agent[en] der Öffentlichkeit« (Kleinsteuber 2003: 76) besetzen die Rolle der Vierten Gewalt – nicht zuletzt, weil der Privatbereich skeptisch gegenüber staatlicher Gewalt ist (vgl. Redelfs 2007: 134, 136).

Um das aus der europäischen Geschichte abgeleitete Modell auf ölreiche Golfstaaten zu übertragen, muss es an die dort herrschenden Verhältnisse angepasst werden. Dabei kann der ursprünglich zur Frankfurter Schule gehörende sozialwissenschaftliche Klassiker Karl August Wittfogel helfen, der in seinem Hauptwerk Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power (1957) die Gesellschaftsgeschichte von den jeweiligen Naturbedingungen unter besonderer Berücksichtigung der ungleich verteilten Wasservorkommen ableitet.

Wittfogels Ausgangsidee: Bis ins 18. Jahrhundert war China dem Westen im Bau von Deichen, Bewässerungskanälen und -systemen überlegen (vgl. u. a. Wittfogel 1977 [1962]: 80ff.). Für diese Aufgaben musste die Arbeit mittels eines bürokratischen Apparats zentral organisiert und gelenkt werden. Es gab daher eine klare staatliche Hierarchie mit einem Alleinherrscher an der Spitze und massenhafter Zwangsrekrutierung.

Überträgt man Wittfogels Idealtyp einer despotischen Wasserbaugesellschaft auf die rohstoffreichen Golfstaaten der arabischen Halbinsel, lässt sich die Bedeutung des Wassers durch die von Erdgas oder Erdöl ersetzen. So wie das alte China oder Ägypten von Dämmen und Kanälen abhängig waren, so abhängig sind die VAE und Katar heute von der Ausbeutung dieser fossilen Naturressourcen. Die modernen Stadtstrukturen sind nur möglich, weil der Rohstoffexport sehr viel Geld in die Länder spült.[3]

Die Sphäre der öffentlichen Gewalt wird bestimmt von den zentralen Clustern eines »hydraulischen Staates«, wie es Wittfogel in Die Orientalische Despotie (1977 [1962]) nennt. Diese Suprastruktur erfordert eine Zentralgewalt, die die vielen kleinen, quasi autonomen Einheiten darunter dirigiert. Hinzu kommt, dass die staatliche Sphäre mit der Religion verschwimmt und die zentralen Staatslenker und Despoten als übergroße, priesterähnlich-sakrosankte Wesen erscheinen (ebd.: 135).

Während sich in einer demokratischen Gesellschaft ein dynamischer Austausch zwischen dem Privatbereich und der Sphäre der öffentlichen Gewalt vollzieht, bleibt solche Interaktion in hydraulischen Staaten aus. Dort findet wenig Kommunikation zwischen diesen Sphären statt, weil es keine Strukturen dafür gibt. Wo bei Habermas (1970 [1957]: 43, 221) in der Öffentlichkeit politische Lösungen für das Gemeinwesen gesucht und gefunden werden (sollen), herrscht ein Vakuum. Die Übertragung von (nicht-öffentlichen) Nachrichten findet über die staatliche Post und ein Relaissystem statt, das zwar als technisch hochentwickelt, aber streng kontrolliert beschrieben wird (vgl. Wittfogel 1977 [1962]: 86). Einen Zugang zur Öffentlichkeit bietet das Relaissystem nicht, die Prinzipien von Geheimhaltung und Verschleierung haben einen höheren Stellenwert als die Prinzipien des Publikmachens.

Verbindungen zwischen Privatbereich und Staat sind kaum vorhanden, politische Lösungen werden nicht gemeinsam, sondern allein von den Inhabern despotischer Macht gefunden.

Methode

Da noch kein systematisches Wissen über das in der journalistischen Ausbildung der beiden Länder vermittelte Selbstverständnis und hiervon ausgehende Risiken und Chancen für akademische Expats vorliegt, wurden dazu Daten mithilfe von qualitativen halbstandardisierten Leitfadeninterviews generiert.

Befragt wurde eine bewusst ausgewählte, nicht repräsentative Gruppe westlicher, vornehmlich angelsächsisch geprägter Expats, die in den VAE oder Katar angehende Medienschaffende ausbilden oder ausgebildet haben. Die Ergebnisse können nur Hinweise geben. Zu den Befragten zählten auch Personen in verantwortlichen Positionen, etwa administrative Leiter (Deans) medienwissenschaftlicher Institute. Die Interviewten wurden über Kontakte, Empfehlungen, Weiterempfehlungen, Internetrecherchen, Vor-Ort-Recherchen oder offizielle E-Mail-Anfragen bei den jeweiligen Instituten, Hochschulen oder Universitäten ausfindig gemacht.

Nach einem Pretest wurden zwischen März 2015 und September 2016 insgesamt 19 Personen vor Ort, telefonisch oder via Videoanruf interviewt.[4] Die Befragten hatten verschiedene Arbeitsschwerpunkte: Neun lassen sich primär dem (kern-)journalistischen Bereich zuordnen, während sieben sowohl im Journalismus als auch im Bereich Öffentlichkeitsarbeit (PR) tätig sind und drei ausschließlich PR/Kommunikation als Fachschwerpunkt angaben. 15 waren vornehmlich in der Lehre tätig, während vier vor allem im administrativen Bereich einer Hochschule eingesetzt waren. Acht Befragte befanden sich zum Zeitpunkt des Interviews (noch) in dem jeweiligen Untersuchungsland, während elf sich zum Interview-Zeitpunkt in den USA (7) und anderen Ländern (Großbritannien, Thailand, Neuseeland, Frankreich) aufhielten. 14 Befragte machten Erfahrungen in den VAE, vier in Katar, einer in beiden Ländern. Ein Schwerpunkt liegt bei den Befragten aus der VAE auf der bedeutenden Zayed University mit ihrem College of Communication and Media Sciences an den Standorten Dubai und Abu Dhabi. In Katar gab es zum Zeitpunkt der Befragung zwei wichtige Universitäten mit den Fächern Journalistik oder Kommunikation: die staatliche Qatar University sowie die Northwestern University Qatar in Doha (NU-Q).

Zu den Befragten zählte der U.S.-amerikanische Professor und Watchblogger Matt J. Duffy, der im Sommer 2012 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgewiesen wurde und in seinem Blog darüber berichtet hat, nachdem er mehrere Jahre an der Zayed University vor allem internationales Medienrecht unterrichtet hatte.

Der halbstandardisierte Leitfaden umfasste sechs Fragenbereiche:

  1. Person und Biographie der/des Befragten?
  2. Vorort-Verhalten der/des Befragten, Verhaltensvorgaben?
  3. Inhalte der Lehre, z. B. Tabuthemen?
  4. Beobachtete Auffassungen der Studierenden von ihrer künftigen Berufsrolle, z. B. politisches Sprachrohr oder Watchdog?
  5. Erfahrungen der Ausbildenden, Desillusionierung?
  6. Nur wenn die/der Befragte ausgewiesen wurde: (vermutete) Gründe der Ausweisung?

Befunde

Aus den Interviews lässt sich ein erstes Bild davon entwerfen, wie westliche – vornehmlich anglophone – Akteure der beruflichen Medienbildung, die zum Teil selbst aus dem klassischen Journalismus kommen, liberale Prinzipien von Meinung und Gegenmeinung befolgen und den Wert von Öffentlichkeit kennen, ihrer Arbeit in den VAE und in Katar nachgehen.

Matt Duffy sagt, dass angelsächsisch geprägte Journalistenausbilder einen gewissen Preis dafür bezahlten, dass sie in den VAE unterrichten und dort ein Leben mit vielen Annehmlichkeiten führen können. Dies sei ein Deal, ein Pakt auf Kosten der persönlichen (Meinungs-)Freiheit. Er verurteile niemanden, der einen solchen Pakt abschließe: »That’s their decision, it was not one that I could make.«

Die Vorteile, die westlichen Expats an Universitäten in den GCC[5]-Staaten gewährt werden, zählt Mohammed Kirat aufgrund seiner Erfahrungen an Hochschulen in Ajman und Sharjah (beide VAE) sowie in Doha auf: »[…] your salary, it’s tax-free […] here they make more money […] they have like the housing is paid, the tickets are paid, everything is paid. They have full insurance coverage.«

Stephen Quinn erwähnt, dass US-Amerikaner besser bezahlt würden als z. B. Australier und erst recht Araber: »[…] there was a salary scheme based on your nationality […] Americans were paid the most, then Canadians, then the Brits, and then the Australians, and then the people from Egypt or Tunisia or whatever.«

Ein Ergebnis der Analyse: Wer aus rein finanziellen Motiven einen lukrativen Aufenthalt am arabischen Golf einlegt, der ist weniger motiviert, die kulturellen Gegebenheiten vor Ort zu verändern als Akademiker, die aus weltanschaulichen Gründen eine Tätigkeit an einer Universität oder an einem Institut in den Untersuchungsstaaten aufnehmen. Je konservativer und instabiler sich die Umgebung darstellt, desto leichter fällt es nur finanziell getriebenen Journalisten- und Medienausbilderinnen, in einem nicht-westlichen Umfeld zu arbeiten. Die Wahrheit ist, dass die meisten Befragten sowohl finanziell als auch weltanschaulich motiviert sind. Gerade für emeritierte US-Professorinnen und -Professoren ist ein Aufenthalt in den reichen Golfländern lukrativ, weil die Pension in den Vereinigten Staaten oft niedriger ausfällt als etwa in Deutschland.

Wer als Lehrer an einer christlich geprägten Ausbildungsstätte oder Klosterschule im Westen arbeite, müsse sich bestimmter Leitbilder ebenso bewusst sein, so Duffy. Wer in den VAE tätig ist, wüsste letztlich durch Selbsterfahrung, wo die Grenzen liegen und wie sie sich ausloten lassen: »They know where the lines are, they don’t cross them […] they’re not pushing boundaries still.« Selbstzensur könne zwar eine mögliche Folge sein, wobei dies aber niemand zugeben würde. Niemand sei gegen Irrtümer gefeit, zumal die Auslegung der Gesetze und die letzte Entscheidungsgewalt – so auch im Fall Duffy – beim jeweiligen Machthaber liege.

Duffy beschreibt, dass sogar die kritische Auseinandersetzung mit internationalem Medienrecht im Unterricht für ihn ein Tabu gewesen sei. Trotzdem habe er sich vor Selbstzensur gehütet: »That’s not what they told me they want.« Die VAE hätten ihn nicht an den arabischen Golf geholt, damit er sich selbst zensiere, sondern damit er Studierende nach internationalen Standards unterrichte. Duffy musste die Emirate verlassen und sieht sich selbst als »radioactive« für die gesamte Region.

Sich nicht zu zensieren, müsse man sich letztlich erlauben können, meint Alma Kadragic, frühere Professorin an der Zayed-Universität und der australischen Privatuniversität Wollongong in Dubai. Vor allem nicht-westliche Journalisten hätten das Prinzip der Selbstzensur als strategisches Schutzinstrument internalisiert, weil sie sonst sowohl ihren Job als auch ihr Aufenthaltsrecht verlieren könnten. Westliche Journalisten hingegen würden sich brisante Themen, die entlang der undefinierten roten Linie verlaufen, gern für zu Hause aufheben. Es sei etwas vollkommen anderes, in einem Land zu leben – oder darüber zu sprechen, sagt sie. Kadragic berichtet von einer AEJMC[6]-Konferenz in Washington D.C., bei der sie Menschen begegnet sei, die Investigativ-Journalismus für ein mögliches zu unterrichtendes Konzept in den Emiraten hielten: »[…] it’s cheap for them to say that. It doesn’t cost them anything, but people who are on the ground and who don’t have other choices have to be careful.«

Da klingt an, dass Praxis und Theorie weit auseinander liegen können. Vor Ort agierten Menschen anders als am Schreibtisch.

Kadragics Herangehensweise beim Unterricht über Medienrecht hat sich aus einer anderen Motivation als bei Duffy gespeist. Sie hat selbst mehrere Jahre bei dem amerikanischen TV-Sender ABC als Journalistin gearbeitet und geht pragmatisch ans Werk: »I don’t want to teach you [gemeint sind damit die Studierenden; Anm. d.Verf.] how to go to jail.« Als absolute Tabu-Themen benennt Kadragic neben dem Militär die königlichen Familien der sieben Emirate: »You don’t mess with the royal family; they release statements when they want to.« Die Einheimischen sind seit Jahrhunderten daran gewöhnt, dass sich die Macht der Stammesführung in der Herrscherfigur zentralisiert: »[…] the first love is Sheikh Zayed, then the current ruling Sheikhs […]«, beschreibt Alma Kadragic die Mentalität vieler Einheimischer.

Kenneth Starck, früherer Dean der Journalistik an der Zayed University, erklärt, wie sich westliche Ausbilder den lokalen Gegebenheiten angepasst hätten: »You become socialized to the work setting […] Which means that when you enter a work enivironment and that’s confining to journalism either a news organization before long you find out what’s acceptable and what’s not acceptable.«

Es sei wichtig, Umstände wie etwa den arabischen Frühling zu berücksichtigen, weil sich seitdem die Situation in den Emiraten angespannt habe. Um vergleichbare Revolten zu vermeiden, habe ein strengerer Kurs im Umgang mit Meinung eingesetzt – und zwar an genau jenen Orten, an denen Meinung produziert und reflektiert wird:

»Surveillance in the Emirates following the Egyptian Spring and what was happening in other neighbouring countries. This influenced what was happening in the Emirates. […] This cloud […] got a little thicker and a little darker.«

Jeder, der für eine längere Zeit in einem Land lebe, das dem eigenen in vielerlei Hinsicht diametral entgegenstehe, komme um einen Kulturschock nicht herum.

Je mehr Erfahrungen die befragten Ausbilder zuvor in nicht-westlichen Ländern sammeln konnten, desto geringer fiel dieser Schock in den Untersuchungsstaaten aus. Wer zuvor bereits in Ägypten, in der Zentraltürkei, in China oder in den Ländern der früheren Sowjetunion tätig gewesen ist oder in einer Region wie Nordafrika sozialisiert wurde, dem fällt es offenbar leichter, sich innerhalb eines sittenstrengen Staates zu bewegen und für sich selbst Grenzbereiche auszuloten.

Janet Hill Keefer, US-amerikanische PR-Spezialistin und zeitweise Dean am College of Communication and Media Sciences an der Zayed University, spricht von Frustrationen vor Ort – auch, weil sich in der Praxis nicht immer alles so durchsetzen ließe, wie es in der Theorie erdacht worden sei. Keefer beschreibt ihre Aufgabe in den VAE in der Retrospektive als eine Erfahrung voller Widersprüche, wenngleich sie diese Erfahrung nicht missen möchte.

Ähnlich sind die Ergebnisse bei jenen Ausbildenden, die in Katar tätig waren oder sind: Laut Robert Meeds, als Fachmann für Public Relations an der Qatar Universtity tätig, würden an den Hochschulen eher die gesellschaftlichen Grenzbereiche ausgelotet als Kritik gegenüber den Regierenden geübt. Sehr vorsichtig sei er gewesen, wenn es um Beispiele gegangen sei, sagt Meeds: »You want to be sure that you’re showing things that don’t offend to students too much […].« Er sei in Katar quasi »im Blindflug« gestartet, ohne eine Einführung hinsichtlich der Unterrichtsmethoden oder -inhalte, und habe durch eigene Erfahrung und persönliche Fehler gelernt, Grenzen zu erkennen: »You learn from your mistake.« Der Islam hingegen sei unter Fakultätsmitgliedern relativ offen diskutiert worden, auch von Beschwerden oder Konsequenzen hinsichtlich des expliziten Thematisierens von Religion sei ihm nichts bekannt. Im PR- und Advertising-Unterricht verzichtete er auf das Thema Homosexualität und zeigte eigenen Angaben zufolge keine Bilder von Schweinen: »You know things that are considered haram […]. Because it’s going to offend students.« Im journalistischen Bereich müssten sich die Ausbilder bei sensiblen Themen etwas mehr zensieren und selbst beobachten; vor allem, wenn sie investigativen Journalismus lehrten. Meeds: »It’s fine to do investigative reporting about businesses or private organizations but you’re not going to focus on the government because it’s not a democracy.«

Sein früherer Kollege Mohammed Kirat, ebenfalls Qatar University, erläutert, dass es in Katar bestimmte Spielregeln gebe, die einzuhalten seien: »In here, […] you have some headlines […] that you don’t talk about them. It’s like they are there, you have to take them as they are and that’s it.«

Offenbar sieht er diese Regeln relativ pragmatisch, er nimmt sie, wie sie sind. Im Unterricht stellten sie keine Barrieren dar: »I teach what I want to teach, what I want to say, and I don’t feel any problems or constraints.« Kirat vergleicht: »It’s like if I teach here or I teach at the university in the U.S., to me, it’s the same.«

Die US-Amerikanerin Elizabeth A. Lance, Research Administrator an der NU-Q, bekennt, dass auch sie mit Kritik an den Machthabern vorsichtig sei. Als Neuankömmling habe sie sehr umsichtig gehandelt, um ihre Stelle nicht zu verlieren. Sie habe sich die Grenzen durch ihre eigene Erfahrung selbst erarbeitet und weiß, dass sie in einem Land arbeitet, das weder freie Meinungsäußerung noch öffentliche Debatten garantiert: »[…] this is not a democratic country […] it’s an Emir. It’s ruled by a monarchy and if you know if the Emir says you know from tomorrow forward X is the new policy […] the Emir has that power to say […] this is what the rule will be from henceforth.«

Die inhaltlichen Grenzen werden in den Untersuchungsländern vor allem auch durch die Studierenden gesetzt, die von ihren Familien zumeist sittenstreng erzogen worden sind und demnach konservativ handeln, zumal es für sie kaum Anlässe gibt, die Welt, in der sie leben, infrage zu stellen. Dies zu akzeptieren und sich nicht über andere Menschen zu erheben, ist für westliche Expats eine Schlüsselfähigkeit, so die einhellige Meinung der Befragten.

Fakt ist aber auch, dass das Konzept, eine eigene, von ihren Familien unabhängige Meinung zu entwickeln, vielen aus der Region stammenden Mädchen und Jungen fremd erscheint. Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen – eine Kernaufgabe des Journalismus im westlichen Sinne – ist wenig verbreitet in einer Kultursphäre, in der eine gütig erscheinende, wohlwollende Diktatur (benevolent dictatorship) herrscht. Verbreitete Auffassung ist, dass die Machthaber und Regierenden am besten wissen, was sie ihren Einwohnern zumuten können und was für sie gut ist.

Die Übermacht des Emirs mache es auch für US-amerikanische Institutionen nicht leicht, in einem solchen Umfeld zu operieren, erläutert Lance. Hinzu komme, dass es nur eine Handvoll einheimische Kataris gebe, dafür aber viele Expats, vor allem aus dem Westen und aus Südostasien. Trotz der Übermacht der Regierenden blickt Lance zuversichtlich in die Zukunft des jungen Staates Katar: »[Y]ou better be optimistic than to look around […] and I think this is just a really bad experiment that’s doomed to fail, which is an attitude that a lot of people have.«

Mary L. Dedinksy, US-Amerikanerin an der Northwestern University Qatar, betont, Kultursensibilität sei eine Schlüssel-Charaktereigenschaft, die jeder Mensch mitbringen müsse, der im Ausland arbeitet.

Schlussfolgerungen

Die Vermittlungsfunktion des Journalismus als Professionsmerkmal kann in dem für die Untersuchungsstaaten skizzierten Öffentlichkeitsmodell nicht realisiert werden; es ergibt sich vielmehr eine problematische Dysfunktion, weil bestimmte Themen von vornherein aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgeklammert werden. Es gibt zwar Journalismus, der in gewissen Grenzen auch Kritik üben kann, die wird jedoch nicht in die Sphäre der öffentlichen Gewalt vermittelt. Das Gesagte wird insgesamt diplomatisch gut verpackt, so dass es nicht anstößig ist (vgl. Marcuse 1966: 93ff., 97: »repressive Toleranz«). Was in der Zeitung steht oder im Rundfunk berichtet wird, bleibt im Zweifel für Staat und Gesellschaft folgenlos.[7]

Wie in einem Unternehmen müssen die Akteure der akademischen Berufsbildung für Journalismus und Medien bestimmte Verhaltensregeln einhalten, die zwar nicht direkt formuliert sind, aber dennoch erwartet werden und sanktioniert werden können.

Da sich die Journalistenausbilderinnen und -ausbilder die Grenzbereiche, innerhalb derer sie sich thematisch bewegen können, selbstständig erarbeiten müssen, sollten sie zum einen Neugierde mitbringen und sich zum anderen schon im Vorfeld ihrer Station in den Golfstaaten intensiv mit den Landessitten und dem Koran beschäftigen. Auch wenn die Spielregeln nicht klar formuliert sind, konnten alle Befragten dennoch Tabu-Themen, brenzlige Inhalte und unerwünschte Handlungen benennen. Aus der Analyse dieser Grenzbereiche hat sich eine Liste von No-Go-Topics und No-Go-Handlungen ergeben, die die Tabu-Triangel von Hafez (vgl. 2002: 35) um zusätzliche Limits ergänzt. Sie kann bei der journalistischen Arbeit und in der Praxis der akademischen Berufsbildung als Wegweiser genutzt werden:

  • Kritik an der Regierung, an den royalen Familien sowie an deren Angehörigen
  • Kritik am Islam, am Propheten Mohammed und am Koran
  • Im Unterricht von Medienrecht international vergleichende Aspekte
  • Berührung von Studierenden (inklusive deren Hände)
  • Thematisierung von Homosexualität
  • Social Media-Kontakte mit Studierenden
  • Kritik am Militär
  • Verwendung von Ironie und Humor (Missinterpretationen möglich)
  • Verharmlosung von Alkohol
  • Beschreibungen studentischer Trink- und Lebenskultur
  • Thematisierung von Nacktheit
  • Thematisierung des Judentums
  • Thematisierung von Bin Laden und Al-Qaeda
  • Präsentation von Bildern, auf denen Schweine zu sehen sind
  • Infragestellen des generellen Systems
  • Unterstützung der Muslim-Bruderschaft
  • Thematisierung sexueller Skandale
  • Benutzung von Essensbeispielen (vor allem während des Ramadans)
  • Umgang mit sehr kontroversen Forschungsinhalten
  • Thematisierung von Geldwäsche, Drogenhandel und Menschenhandel
  • Alkoholmissbrauch
  • Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit (besonders im Ramadan)
  • Thematisierung von Gender-Unterschieden
  • Beschreibung des westlichen Modells als das einzig richtige Modell

Übergeordnetes Tabu-Thema ist die Kritik an den herrschenden Emiren, deren Familienmitgliedern und an der Regierung. Die lèse-majesté-Regelungen in den beiden Untersuchungsstaaten verbieten sowohl Einheimischen als auch Expats, Kritik an der Regierung zu üben. Bei Nichtbeachtung sind in jedem Fall Sanktionen zu erwarten.

Verschärfend kommen erweiterte Tabu-Themen hinzu, die nicht in Worte gefasst sind und die sich westliche Expats erst vor Ort erarbeiten müssen. Eine Schlüsselkompetenz in der untersuchten Berufsgruppe ist demnach, zwischen den Zeilen lesen zu können, um das eigene Handeln im Unterricht und darüber hinaus entsprechend zu kontrollieren. Die Einführungen der Institutionen in Landeskunde und kulturelle Spezifika werden von befragten akademischen Expats als unzureichend eingestuft, so dass sich die Grenzen des Sagbaren nur durch die Heuristik von Versuch und Irrtum (»trial and error«) erarbeiten lassen.

Die erweiterten Tabu-Themen berühren nicht nur politische Meinungen, sondern schließen auch Alltagsthemen wie die westliche Trink- und Jugendkultur ein. Das ist wichtig, weil Öffentlichkeit mehr ist als die Summe dessen, was Journalisten über klassische Medienhäuser verbreiten (vgl. Hoffjann/Arlt 2015: 2ff.). Auch Postings in den sozialen Medien, Cartoons oder TV-Unterhaltungssendungen im TV sind als Bestandteile einer Gesamtöffentlichkeit anzusehen.

Dass viele Grenzen in den Untersuchungsstaaten nicht explizit genannt werden, ist offenbar ein durchaus durchdachtes, bewusst verfolgtes Prinzip. Es scheint nicht so, dass die erste Nichtbeachtung von informellen Spielregeln schon gleich zu einem Landesverweis führt, so dass Lehrenden eine Chance gegeben wird, aus Fehlern zu lernen, wie sie ihr Verhalten anzupassen haben. Je schwammiger rote Linien ausformuliert und thematische Grenzbereiche angedeutet sind, desto konservativer wird das Verhalten der Lehrenden, die als strategisches Schutzinstrument gegen mögliche Restriktionen den Mechanismus der Selbstzensur anwenden. Meinungen und Gegenmeinungen können nicht barrierefrei ausgetauscht werden, so dass der Öffentlichkeits-Ansatz von Habermas im Ursprungssinne nicht anwendbar ist.

Über allen Handlungen der Fakultätsmitglieder im öffentlichen Raum schwebt das Damoklesschwert eines Landesverweises – nach dem statuierten Exempel Duffy in den VAE deutlicher als zuvor. Bei Nichtbeachtung bestimmter Spielregeln können die Lehrenden sowohl ihr Aufenthaltsrecht als auch ihren Job verlieren. Wer die Grenzbereiche austestet, der muss sich dies leisten können. Fest steht, dass man bei brenzligen, kultursensiblen Themen als westlich geprägter Mensch mehr weglassen sollte, als man normalerweise im Westen weglassen würde. Dabei gibt es auch die Möglichkeit, Probleme zu benennen, sie aber diplomatisch zu verpacken. Wenn Probleme konkret benannt werden (dürfen), heißt das allerdings noch nicht, dass sie auch tatsächlich reguliert und behoben werden.

Geblendet werden die Ausbilder und Lehrenden von der Hochglanzoptik der Metropolen Dubai, Abu Dhabi, Sharjah und Doha. Wer sich – zumindest rein optisch – wie in einem westlichen Land fühlt, bei dem liegt die Versuchung nahe, sich auch so zu verhalten. Aber genau an dieser Stelle ist Vorsicht geboten. Verschärft wird die Blendung durch das Streben der Universitäten nach einer internationalen Akkreditierung durch den ACEJMC[8] und durch den Wunsch, allerhöchsten westlichen Standards zu genügen. Neuankömmlinge begeben sich also in ein widersprüchliches Umfeld; darauf sollten sie sich bereits vor Antritt der neuen Stelle einstellen, zumal dieser Widerspruch permanent scheint und nicht aufzulösen ist.

Das Handeln der Fakultätsmitglieder an einer Universität ist abhängig davon, wie die leitenden Personen (vorgeben zu) handeln. Daher scheint es essentiell, was die Deans ihrem Personal vorleben und welche Themen sie öffentlich zur Diskussion stellen. Das Handeln eines Deans wiederum ist abhängig von vielen Faktoren: Welche allgemeine Situation herrscht vor? Wie sittenstreng sind das Land, der Emir bzw. der aktuell Regierende? Strebt ein Institut, ein College oder die Universität eine internationale Akkreditierung an? Handelt es sich um eine privatwirtschaftliche oder staatliche Universität? Die Fragen ließen sich fortführen.

Vieles in den reichen Golfstaaten bleibt vage, uneindeutig und verschwommen, so dass sich bestimmte Fälle nicht in Gänze entschlüsseln lassen. Für überseeische Expats ist es daher schwierig, sich wie im Heimatland zu verhalten – wer in der Berufsbildung für Medien in den VAE oder Katar arbeiten möchte, sollte sich zwischen den Zeilen bewegen können.

Die Auswertung der Interviews legt aber immerhin auch ein paar Ratschläge für Expats nahe, die vorhaben, Journalistik-Studierende in den Ländern am Golf, aber auch anderswo außerhalb der westlichen Welt zu unterrichten:

  • Akteure der Medienbildung sollten nicht von einem Abenteuer ausgehen
  • Intensive Vorbereitung im Vorfeld des Auslandsaufenthaltes
  • Uni-Stelle nicht nur aus rein finanziellen Gründen annehmen
  • Mit Widersprüchlichkeit leben können
  • Permanentes Verständnis aufbringen, ein Gast zu sein
  • Länder wie die VAE oder Katar nicht mit der westlichen Sphäre vergleichen
  • Offenheit, immer und überall!

Wenn westliche Expats in der Berufsbildung vermitteln können, welche Kraft der Journalismus hat, sofern er barrierefrei funktioniert, kann das m. E. entweder auf lange Sicht zu einer Transformation in den sich entwickelnden Untersuchungsstaaten beitragen oder zu zusätzlicher Konfusion und weiteren Landesverweisen führen.

Über den Autor

Andreas Sträter (*1985), Dr. phil., arbeitet als freiberuflicher Journalist, Autor und Dozent. Seit 2013 ist er für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln tätig. Dort arbeitet er als crossmedialer Reporter und CVD für die Wissenschaftsredaktion WDR Quarks. Er unterrichtet u. a. Digital/Multimedia Storytelling, Onlinejournalismus, Crossmedia Kommunikation und Journalistisches Schreiben an mehreren Hochschulen. Forschungsschwerpunkt ist internationaler Journalismus/arabische Welt. Er hat an der TU Dortmund Journalistik studiert. Kontakt: andreas.straeter@tu-dortmund.de.

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Fussnoten

1 Der Aufsatz basiert auf der Dissertation Zwischen den Zeilen. Das Öffentlichkeitsverständnis der Berufsbildung für Medien in den rohstoffreichen Golfstaaten. Grenzen und Chancen akademischer Expats aus dem Westen (2019) von Andreas Sträter, Fakultät Kulturwissenschaften, TU Dortmund, Betreuer: Horst Pöttker.

2 In den zum Golfkooperationsrat (GCC) zählenden Ländern ist lediglich das Mediengesetz Katars noch älter.

3 Auch von Wasser sind die Länder auf der trockenen Wüsten-Halbinsel nach wie vor abhängig, denn – genau wie die hydraulischen Staaten bei Wittfogel (ebd.: 40) – sind die VAE und Katar geprägt durch »[…] die Abwesenheit ausreichender Niederschläge und des Vorhandenseins zugänglicher Wasservorräte.«

4 Franziska Apprich, Dubai, VAE; Ralph Donald Berenger, Sharjah, VAE; James Buie, Abu Dhabi/Dubai, VAE; David Burns, Salisbury, USA; Pamela Creedon, Abu Dhabi/Dubai, VAE; Mary Dedinksy, Doha, Katar Matt J. Duffy, Atlanta, USA; Beverly A. Jensen, Al Ain/Dubai, VAE (während des Interviews in Bangkok, Thailand); Alma Kadragic, Miami, USA; Janet Keefer, North Carolina, USA; Mohamed Kirat, Doha, Katar; Elizabeth A. Lance, Doha, Katar; Robert Wesley Meeds, Doha, Katar; Peyman Pejman, VAE (während des Interviews in Frankreich); Stephen Quinn, Brighton, UK; Kenneth Starck, Iowa City, USA; Catherine Strong, Dubai, VAE (während des Interviews in Neuseeland); Judy VanSlyke Turk, Richmond, USA; Tim Walters, Austin, USA.

5 Gulf Cooperation Council, gegründet 1981

6 Association for Education in Journalism and Mass Communication

7 Anders als von Habermas (vgl. 1970 [1957]: 220f.) angenommen, bleibt m. E. ohnehin fraglich, ob vernünftige öffentliche Diskurse immer zu Lösungen führen können. Warum sollen Kontroversen in einer immer komplizierter werdenden und vielfach parzellierten Welt voller Spezial- und Einzelinteressen nicht ausgangslos stehen bleiben dürfen?

8 Accrediting Council on Education in Journalism and Mass Communications (vgl. Starck 2018: 43-45)


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Zitationsvorschlag

Andreas Sträter: Kompetenz: Zwischen den Zeilen lesen. Zum Selbstverständnis westlicher Expats in der journalistischen Berufsbildung an Universitäten der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars. In: Journalistik, 1, 2021, 4. Jg., S. 3-20. DOI: 10.1453/2569-152X-12021-11249-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-12021-11249-de

Erste Online-Veröffentlichung

März 2021