Political Correctness – eine Gefahr für den Journalismus? Fakten geben die Antwort

von Ingo von Münch

Abstract: Über Political Correctness (auch: Cancel Culture) ist in vielen Medien viel geschrieben worden. Weniger Beachtung hat bisher die Frage gefunden, ob – und wenn ja: warum – die Political Correctness eine gravierende Gefährdung der Pressefreiheit und damit eine Gefahr für den Journalismus darstellt. Der folgende Debattenbeitrag beantwortet und bejaht diese Frage mit dem Hinweis auf die Stichworte Informationssperren, Themenblockaden, obrigkeitliche Formulierungsvorgaben und Trend zu Intoleranz.

1. Informationssperren

Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit sind ohne Informationsfreiheit nicht denkbar. Das im Grundgesetz (Artikel 5 Abs. 1) und in den einschlägigen Bestimmungen der Verfassungen der Bundesländer gewährleistete Grundrecht der Informationsfreiheit dient den Medien selbst wie den Rezipienten der Medien. Behördlich angeordnete Informationssperren bedürfen deshalb einer verfassungsrechtlichen oder zumindest gesetzlichen Grundlage. Einfache Forderungen der Political Correctness (Definition laut Duden: die »von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung«) reichen als Rechtfertigung nicht aus.

Bekanntes Beispiel für eine teils behördlich angeordnete, teils freiwillig praktizierte Informationssperre betrifft die Erwähnung einer ausländischen Staatsangehörigkeit von Straftätern (der in Presseberichten häufig gebrauchte Ausdruck »Staatsbürgerschaft« ist vermutlich der Political Correctness geschuldet, entspricht aber weder dem Wortlaut des Grundgesetzes noch dem des Staatsangehörigkeitsgesetzes). Sofern keine behördliche Informationssperre vorliegt, greift die Selbstverpflichtung der einschlägigen Richtlinie des Pressekodex des Deutschen Presserates, deren Abschaffung schon hinsichtlich ihrer früheren Fassung Horst Pöttker bereits im Jahre 2013 mit auch heute noch – hinsichtlich der insoweit nur unwesentlich geänderten aktuellen Verfassung – überzeugenden Argumenten gefordert hat (vgl. Pöttker 2013: 13). Von Hugo Müller-Vogg stammt das Urteil, die erwähnte Richtlinie sei eine Verabredung, »der Öffentlichkeit einen Teil der Wahrheit vorzuenthalten« (Müller-Vogg 2017). Erinnert seien Journalisten schließlich an den Satz der amerikanischen Schriftstellerin Flannery O’Connor: »Die Wahrheit richtet sich nicht danach, ob wir sie aushalten können.« Von Interesse für den Leser deutscher Zeitungen und Zeitschriften mag in diesem Zusammenhang auch ein Blick in die Schweizer Presse sein. Dort scheint die Political Correctness die Berichterstattung über Ausländerkriminalität weniger zu blockieren als bei uns, wie ein Artikel mit folgender Überschrift zeigt: »Algerische Asylbewerber sorgen für Probleme. Viele weggewiesene Migranten aus dem nordafrikanischen Land werden straffällig, aber die Schweiz kann sie nicht ausschaffen« (Gafafer 2020: 23).

2. Themenblockaden

Während Informationssperren dem Journalismus von außen auferlegt werden, sind Themenblockaden gewissermaßen eine innerseitige Erscheinung, also das, was häufig als »Schere im Kopf« bezeichnet wird. Die »Schere im Kopf« ist zwar kein neues Bild, sie hat aber seit dem Aufkommen der Political Correctness eine viel stärkere Verbreitung gefunden. Im Zeichen des »Rudeljournalismus« (Ausdruck von Helmut Schmidt) möchte ein Journalist ungern mit einer vorgeblich unkorrekten Meinungsäußerung anecken oder sich in der »falschen Ecke« verortet sehen: Wer möchte nicht lieber zum »hellen Deutschland« als zum »dunklen Deutschland« gehören? Die fatale publizistische Folge dieser Spaltung ist, dass nicht wenige – für viele Medienrezipienten interessante – Themen im Journalismus nicht die Beachtung finden, die sie verdienen. Beispiele für politisch korrektes Schweigen im Rundfunk und im Blätterwald gibt es zuhauf. Das schlimmste Beispiel ist zugleich das wohl bekannteste, nämlich das versammelte Schweigen vor allem der öffentlich-rechtlichen Fernsehmedien zu den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht zu Beginn des Jahres 2016 (vgl. von Münch 2017: 31). Anders als mit Rücksichtnahme auf die Political Correctness ist diese unglaubliche Themenblockade, die erst später aufgelöst wurde, nicht zu erklären. Auffallend ist auch, dass zwar über die Flüchtlingsdramen zu Recht immer wieder ausführlich berichtet wird, über die unseligen ausbeutenden Geschäfte der Schlepper aber nur selten informiert wird. Der Sorge vor dem Vorwurf der Islamophobie ist es vermutlich zuzuschreiben, dass der früher von den orientalischen Barbareskenstaaten betriebene Sklavenhandel – anders als der von europäischen Kolonialmächten praktizierte – kaum ein Thema ist. Wer über Erfahrungen eines Journalisten, also eines Insiders, mit Themenblockaden in seiner Zeitung mehr erfahren will, dem sei die Lektüre von Birk Meinhardt Wie ich meine Zeitung verlor. Ein Jahrebuch (2020) empfohlen – ein Lehrstück über Freiheit und Unfreiheit in der Presse.

3. Obrigkeitliche Formulierungsvorgaben

Sichtbare Einwirkungen und Auswirkungen der Political Correctness zeigen sich im Feld der Sprache, also im unverzichtbaren Handwerkskasten jedes Journalisten. Obrigkeitliche Formulierungsvorgaben (auch Sprachregelungen genannt) sind eigentlich aus totalitären Regimen bekannt; die Beispiele »Frontbegradigung« (für Rückweichen der eigenen Truppen) und »antifaschistischer Schutzwall« (für die Mauer) sind noch in Erinnerung. Gewiss verbieten sich insoweit Gleichsetzungen; aber es gilt die Feststellung: Essentielles Merkmal der Political Correctness ist jedenfalls, dass ein angeblich missliebiges oder sogar kontaminiertes Wort durch ein gefälliges anderes ersetzt oder sogar aus dem Sprachgebrauch verbannt wird. Sofern selbsternannte private Sprachpolizisten dabei am Werk sind, mögen diesbezügliche Formulierungsvorgaben für den Journalismus weniger gefährlich sein. Anders sieht die Sache dann aus, wenn Political Correctness in obrigkeitliche Formulierungsvorgaben gegossen wird. Auch hierfür gibt es inzwischen leider zahlreiche Beispiele. So ordnete schon im Jahre 2015 der damalige Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), mit dem Argument, es müsse jede Bezeichnung vermieden werden, die zur Abwertung von Menschen missbraucht werden könnte, an: »[…]insofern verbietet sich aus polizeilicher Sicht auch die Verwendung des Begriffs ›kriminelle Familienclans‹«. Glücklicherweise hat diese ministerielle Formulierungsvorgabe in der Presse keine Gefolgschaft gefunden, wie die inzwischen häufigen Presseberichte über kriminelle Familienclans vor allem in Berlin zeigen, gelegentlich allerdings auch in der wenig erhellenden Formulierung »Großfamilien«.

Im Kulturausschuss der Bezirksversammlung des Berliner Stadtteils Pankow wurde das im Grundgesetz in Art. 116 verwendete Wort »Flüchtlinge« als »nicht kultursensibel genug« gerügt – es müsse stattdessen »Geflüchtete« heißen (Kurzkommentar dazu: Der Verfasser des vorliegenden Beitrages ist selber ein Flüchtlingskind aus 1944/45, hat aber noch nie mit diesem Sprachgebrauch irgendein Problem gehabt). Aus den Amtsstuben des Senates der Hauptstadt Berlin stammt auch der 44 Seiten umfassende Leitfaden »zum diversity-sensiblen Sprachgebrauch«, ausgearbeitet von der beim Justizsenator angesiedelten Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung. Nach dem Willen der Landesstelle soll das in der deutschen Gesetzessprache, vor allem im Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, ständig gebrauchte Wort »Ausländer« ersetzt werden durch »Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft« (Kopietz 2020). Zu dieser obrigkeitlich verordneten Groteske des Berliner Senates passt das Urteil von Napoleon Bonaparte: »Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt.« Ein anderer »Leitfaden« (wer denkt bei diesem Wort nicht unwillkürlich an die gerade von der politischen Linken bekämpfte »Leitkultur«?), nämlich der »Leitfaden der Humboldt-Universität für geschlechtergerechte Sprache«, will neben etlichen anderen das Wort »Rednerliste« durch »Redeliste« ersetzen (was nicht dasselbe ist) und das Wort »Zuschauer« durch »Person aus dem Publikum«.

Adressaten eines solchen »Leitfadens« sind zwar formal und vordergründig nur die in der jeweiligen öffentlichen Verwaltung Tätigen, aber der Journalismus bleibt von solchen aberwitzigen Eruptionen der Political Correctness nicht gänzlich unbeeinflusst; denn: Eine Diskrepanz zwischen Behördensprache einerseits und Sprache der Publizistik andererseits ist alles andere als wünschenswert. Abweichungen in Formulierungen der Behördensprache von an sich gleichbedeutenden Formulierungen der Gesetzessprache sind geeignet, zu Verunsicherungen des Journalismus zu führen. Unübersehbar ist auch die Tatsache, dass die Sprache der Political Correctness sich von der gebräuchlichen Alltagssprache meilenweit entfernt. Zutreffend weist Hans Peter Bull darauf hin, dass die unverhältnismäßig nachhaltige Befassung mit dem Thema »Gendern« auch eine »weitere Entfremdung zwischen dem größeren Teil der Bevölkerung und den Medien« bewirkt (Bull 2020: 451). Ein Hinterherlaufen hinter den Forderungen politisch korrekter »Gendergerechtigkeit« wird jedenfalls mehr Leser abstoßen als gewinnen. Man kann sich nur wundern, wie es relativ wenigen (und nicht demokratisch legitimierten) Aktivisten gelingt, die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung im Sinne der Political Correctness zu verändern.

4. Trend zu Intoleranz

Political Correctness basiert, wie eingangs referiert, auf dem Merkmal der Gesinnung. Dies allein muss theoretisch gesehen kein negatives Narrativ sein. In der Praxis ist die Erscheinung der aus den USA als Denkfigur und als Argumentationsmuster importierten Political Correctness jedoch meist eher kritisch konnotiert. Die Ideologie der Political Correctness ist demgemäß verbunden mit der Tendenz zum Moralisieren, zum Belehren, zum Aufdrängen bestimmter Meinungen, vor allem aber mit einem Trend zur Intoleranz mit Domizil in Meinungsblasen. Von Karl Heinz Bohrer stammt die Feststellung: »Der Gesinnungsmief lähmt die Wissenschaft« (Steinmayr 2021). Die kritische Bemerkung über den »Gesinnungsmief« in der Wissenschaft ist auch in Bezug auf den Journalismus von Belang; denn zwischen Wissenschaft und Journalismus existieren nicht nur mannigfache Parallelen, sondern auch nicht seltene Überschneidungen, dies übrigens auch in personeller Hinsicht: Es gibt Wissenschaftler, die zusätzlich zu ihrem Hauptberuf ›halbe‹ Journalisten sind und umgekehrt Journalisten, die ebenfalls ›halbe‹ Wissenschaftler sind – ein bisher noch wenig erforschtes Phänomen der Berufsfeldforschung. Zeiten wie die der Corona-Pandemie sind nicht nur, wie oft gesagt wird, die »Stunde der Exekutive« (vielleicht mit einem sich selbst zu sehr zurücknehmenden Parlament), sondern auch das Jahr der Wissenschaft und das Jahr der Medien.

Zurück zur Gesinnung und damit zurück zur Political Correctness: Hermann Lübbe hat schon vor Jahren in seinem Buch Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft (1987) auf die Gefahren des Moralisierens und damit auch auf den Trend zur Intoleranz hingewiesen, der häufig mit bedingungslosen und kompromissunwilligen Forderungen der Political Correctness verbunden ist. Natürlich verbietet sich umgekehrt eine pauschale Kritik an sämtlichen mit der Political Correctness in Verbindung gebrachten moralischen Ansprüchen, wie z. B. Sensibilität in Geschlechterfragen oder Ablehnung jeder Form von Rassismus und Antisemitismus. Jedoch sollte der Journalismus in den sogenannten Qualitätsmedien sich nicht jedem Diktat der Political Correctness unterwerfen und damit zum Empörungsjournalismus degenerieren. Differenzierende und abwägende Schreibe muss nicht langweilig sein; das Gegenteil zur Intoleranz in den Shit-Stürmen der neuen sozialen Medien ist notwendiger denn je.

Zusammenfassung und Fazit

Ob die Political Correctness eine Gefahr für die Demokratie darstellt (so der Untertitel eines Buches von Michael Behrens und Robert von Rimscha) soll hier dahingestellt bleiben. Unbestreitbar ist jedoch die Tatsache, dass mit der Propagierung von Political Correctness Druck auf den Journalismus ausgeübt wird und dass unter den Aspekten von Informationssperren, Themenblockaden und obrigkeitlichen Formulierungsvorgaben sowie dem Trend zur Intoleranz die Political Correctness einen unabhängigen und selbstbewussten Journalismus gefährdet.

Über den Autor

Ingo von Münch (*1932) war von 1965 bis 1998 Professor für Öffentliches Recht zunächst an der Ruhr-Universität Bochum, später an der Universität Hamburg. Von 1987 bis 1991 war er Zweiter Bürgermeister, Wissenschafts- und Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Gastprofessuren nahm er wahr in Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und in den USA. Veröffentlichungen u. a.: Staatsrecht (6. Aufl. Stuttgart 2000); Die deutsche Staatsangehörigkeit: Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft (2007); Rechtspolitik und Rechtskultur (2011); Gute Wissenschaft (2012); Der Autor und sein Verlag (zus. mit G. Siebeck 2013); Spannende Jahre (2014); Meinungsfreiheit gegen Political Correctness (2017); Die Krise der Medien (2020).

Literatur

Behrens, Michael; von Rimscha, Robert (1995): Politische Korrektheit in Deutschland. Eine Gefahr für die Demokratie. Bonn: Bouvier.

Bull, Hans Peter (2020): Die Krise der Medien und das Dilemma der Medienkritik. Wie können Zeitungen und Rundfunk ihre demokratische Funktion besser erfüllen? In: Recht und Politik, (4), S. 441-457.

Gafafer, Tobias (2020): »Algerische Asylbewerber sorgen für Probleme. Viele weggewiesene Migranten aus dem nordafrikanischen Land werden straffällig, aber die Schweiz kann sie nicht ausschaffen«. In: Neue Zürcher Zeitung vom 9.12.2020, Internationale Ausgabe, S. 23.

Lübbe, Hermann (1987): Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft. Berlin: Siedler.

Kopietz, Andreas (2020): Warum Berliner Landesbedienstete nicht mehr »Schwarzfahrer« sagen dürfen. Ein Leitfaden gegen Diskriminierung empfiehlt den Beamten und Angestellten, welche Wörter sie verwenden sollen und welche nicht. In: Berliner Zeitung, 21.09.2020. https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/warum-berliner-landesbedienstete-nicht-mehr-schwarzfahrer-sagen-sollen-li.106541 (17.2.2021)

Meinhardt, Birk (2020): Wie ich meine Zeitung verlor. Ein Jahrebuch. (2. Aufl.) Berlin: Das neue Berlin.

Müller-Vogg, Hugo (2017): In der Flüchtlingsfrage sind viele Menschen parteiisch – was denn sonst? In: The Huffington Post v. 3.3.2017.

von Münch, Ingo (2017): Meinungsfreiheit gegen Political Correctness. Berlin: Duncker & Humblot.

von Münch, Ingo (2020): Die Krise der Medien. Berlin: Duncker & Humblot.

Pöttker, Horst (2013): Schluss mit der Selbstzensur. Der Pressekodex muss geändert werden: Journalisten sollten die Herkunft von Straftätern nennen dürfen. In: Die Zeit. Nr. 41, 2.10.2013, S. 13.

Seybold, Jan (2020): Auswirkungen der Politischen Korrektheit auf die Kommunen. Kritische Betrachtungen in allgemeiner und spezieller Hinsicht. In: Die Öffentliche Verwaltung (21), S. 977ff.

Steinmayr, Markus (2021): Beleidigte und Empörte. Über den neuerdings erhobenen moralischen Ton in der Wissenschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.1.2021, S. N 4.


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Zitationsvorschlag

Ingo von Münch: Political Correctness – eine Gefahr für den Journalismus?. Fakten geben die Antwort. In: Journalistik, 1, 2021, 4. Jg., S. 65-71. DOI: 10.1453/2569-152X-12021-11257-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-12021-11257-de

Erste Online-Veröffentlichung

März 2021