Marlis Prinzing, Roger Blum (Hrsg.): Handbuch Politischer Journalismus.

Rezensiert von Sascha Thürmann

Mit dem Handbuch Politischer Journalismus wagen Marlis Prinzing und Roger Blum nach eigener Aussage das »Experiment«, den Politischen Journalismus in modernen, europäischen Demokratien gesamthaft darzustellen (vgl. 17f.). Dass das angesichts der Vielfalt und der zentralen Bedeutung des Politischen Journalismus eine große Herausforderung darstellt, steht außer Frage. Denn bislang fehlt es im deutschsprachigen Raum an vergleichbaren Publikationen, wie die Herausgeber:innen auch selbst ausführen (vgl. 20).

Mit 124 Autorinnen und Autoren und fast 900 Seiten bietet das Buch nun eine bemerkenswerte Anzahl an aktuellen Beiträgen zu Theorien, Geschichte, Aufgabenfeldern und Merkmalen des Politischen Journalismus. Der Sammelband richtet sich dabei nicht ausschließlich an Studierende und Wissenschaftler:innen, sondern explizit auch an Publizierende, Journalisti:innen, Medien- und PR-Schaffende sowie Politiker:innen.

Ein Großteil der 22 Kapitel und 162 Beiträge befassen sich mit Grundlagen und Charakteristika des Politischen Journalismus, während Beiträge zu Theorien, Geschichte, Funktionen, Akteuren, Kanälen, Merkmalen, Beziehungsnetzen etc. rund zwei Drittel des Buches ausmachen. Dies zeigt, mit welcher Gründlichkeit die Gesamtheit des Politischen Journalismus erfasst werden soll.

Die interessanteren Beiträge dieses Buches sind diejenigen, die den Politischen Journalismus im Anwendungskontext thematisieren und dabei auf Erfahrungsberichte, Analysen und Handlungsvorschläge setzen. Als Leitlinie gelten hier die Thesen Roger Blums, die er in einem Essay mit dem Titel »Politischer Journalismus im angehenden 21. Jahrhundert« (vgl. 832ff.) zusammengestellt hat. Er wirft sechs ›Blicke‹ auf das Berufsfeld und versucht so, die aktuelle Position und Relevanz des Politischen Journalismus zu verdeutlichen. Der dabei vermutlich wichtigste Aspekt sind die politischen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Ein deutlicher Bezug zu diesem Essay findet sich in dem Beitrag von Marlis Prinzing, die die ethischen und rechtlichen Pflichten des Journalismus vor ebendiesem Hintergrund thematisiert. Sie stellt klar, dass in einer Zeit, in der »Medien stärker denn je angefeindet werden« (833), eine Demokratie nur mit journalistischen Medien funktionieren kann, die »informieren, erklären, beobachten, kontrollieren und auch selber den Diskurs und die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürgern (sic!) anstoßen« (533). Die Transformation in eine digitale Gesellschaft sei eine Herausforderung, die klassische Rollen von Journalist:innen verändere, aber auch spezifische Probleme nach sich ziehe. Prinzing appelliert, den Journalismus nicht mit allzu starken Sparmaßnahmen zu belegen. Diese würden unweigerlich zu einer kurzatmigen Berichterstattung führen und einen qualitäts- und verantwortungsorientierten Politikjournalismus gefährden (vgl. 555). Sie bedauert, dass vielen Redaktionen die Ressourcen für Analyse und tiefgründige Berichterstattung nicht mehr zur Verfügung stehen, was eine (kritische) Berichterstattung, die für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar ist, zunehmend erschwert.

Das Kapitel »Fallstricke erkennen – Probleme des politischen Journalismus« kann als weitere theoretische Untermauerung des Essays von Roger Blum betrachtet werden. Politischer Parallelismus (Melanie Magin), Stereotypisierung (Martina Thiele), Geschlechterdisparität (Anja Maier), Komplexitätsreduktion (Beatrice Dernbach), Beschleunigung und Zeitdruck, Ressourcenmangel (Sonja Schwetje) und Skandalisierung (Hanne Detel) sind nur einige der Beispiele, die aufzeigen, welchen Schwierigkeiten der Politische Journalismus auch in sehr spezifischen Themenbereichen gegenübersteht.

Der letzte Teil des Buches stellt den Politischen Journalismus im gleichnamigen Kapitel auf den Prüfstand. In Interviews mit Vertreter:innen aus Wissenschaft und Praxis haben die Herausgeber:innen versucht zu ergründen, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Die Wissenschaft konstatiert übereinstimmend, dass die Hauptaufgabe des Journalismus in Kritik und Kontrolle bestehe, dies aber in der sogenannten Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters (vgl. 861) kein einfaches Unterfangen mehr sei. In dem zuvor beschriebenen Beitrag von Marlis Prinzing wurde beispielsweise gezeigt, dass häufig wenig sachgerecht über die AfD berichtet wird in dem Sinne, dass sich Journalist:innen nicht ausreichend (kritisch) mit dem Framing der Partei auseinandersetzen (vgl. 532). Ebendiese Aufklärung, Transparenz und Orientierung, also eine differenzierte Berichterstattung, sei aber Grundvoraussetzung für die Bildung öffentlicher Meinung in demokratischen Gesellschaften, so die Wissenschaftler:innen.

Die Praxis sieht dies ähnlich, wobei Journalismus hier auch als Anregung zum Weiterdenken verstanden und ihm somit Dialogfähigkeit attestiert wird. Als Gefährdung erachten die Praxisvertreter:innen die Unabhängigkeit des Journalismus – von Politik, Wirtschaft, Medienkonzernen und Anzeigenkund:innen.

Fazit

Dass das Buch all jenen Journalist:innen gewidmet ist, die für ihre Arbeit ihr Leben ließen, berührt. So versteht sich der Band nicht nur als Handbuch, sondern auch als ein deutliches Plädoyer für den Politischen Journalismus. Der eingangs zitierten Aussage Peter van Burens, der Politische Journalismus sei tot, wird nicht nur widersprochen, sondern dieser Widerspruch auf fast 900 Seiten eindrucksvoll begründet.

Das Handbuch wird seinem selbst gesetzten Anspruch gerecht und zeigt die Funktion und Bedeutung des Politikjournalismus im 21. Jahrhundert auf. Dabei beschäftigt es sich nicht nur mit allgemeinen Fragen; vielmehr werden in zahlreichen Beiträgen auch Antworten und Lösungsvorschläge für bestehende Probleme geliefert. So betont beispielsweise Sonja Schwetje, Chefredakteurin von n-tv, in ihrem Beitrag (vgl. 654ff.), dass das Smartphone allgegenwärtiger Bestandteil unserer heutigen Gesellschaft geworden ist und Algorithmen darüber entscheiden, welche Informationen von wem an wen gelangen. Sie belässt es aber nicht bei der bloßen Aufzählung der Tatsachen, sondern beschreibt effektive Methoden wie Faktenchecks, Live-Verifizierungen und Quellenanalysen – probate Mittel, zunehmenden Desinformationsstrategien im Internet entgegenzuwirken. Es sind nicht zuletzt diese Erfahrungsberichte aus der Praxis, die das Buch so bereichernd machen. Das Beste beider Welten wird hier in einer bemerkenswerten Art und Weise miteinander verwoben und erinnert in Sorgfalt und Ausführlichkeit selbst an die Gütekriterien journalistischer Berichterstattung wie Faktentreue, Vollständigkeit und Aktualität.

Die Aktualität des Buches ist unbestritten und es wird eine klare Empfehlung ausgesprochen. Ob es mit einem Preis von 72,- EUR auch von Studierenden gekauft wird, ist jedoch fraglich. Bleibt zu hoffen, dass dieses Buch in zahlreiche Bibliotheksbestände von Universitäten und Hochschulen aufgenommen wird, um es speziell dieser wichtigen Leser:innenschaft zugänglich zu machen. Dass es bereits mit Erscheinen als Standardwerk für den Politischen Journalismus erachtet werden kann, zeigt, dass das »Experiment« der Herausgeber:innen gelungen ist.

Diese Rezension erschien zuerst in in rezensionen:kommunikation:medien, 10. Dezember 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23107

Über den Rezensenten

Sascha Thürmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Rezeptions- und Wirkungsforschung im Fokus von Minderheiten und Diskriminierung. Zuvor hat er Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation sowie Angewandte Kommunikationswissenschaft an der Fachhochschule Kiel studiert.

Über dieses Buch

Marlis Prinzing, Roger Blum (Hrsg.) (2021): Handbuch Politischer Journalismus. Köln: Herbert von Halem, 912 Seiten, 72,- Euro.