Rezensiert von Lukas Herzog
Mit Podcasts und Storytelling bringt Sven Preger in seinem Praktiker-Handbuch aus der Gelben Reihe zwei aktuell diskutierte Phänomene zusammen. Und so kommt auch er nicht am Auslöser des andauernden Podcast-Booms vorbei (vgl. Berry 2015: 305f.), der amerikanischen Produktion Serial (2014, NPR), auf die er gleich zu Beginn zu sprechen kommt, um mit einigen, seiner Meinung nach häufigen Missverständnissen zum Erfolg der Serie aufzuräumen. Der ist Preger zufolge nämlich nicht der sympathischen Erzählerin Sarah Koenig oder dem spannenden Charakter Adnan Syed geschuldet, sondern vor allem der handwerklich exzellent umgesetzten Erzählung (vgl. 2f.).
Das selbsterklärte Ziel des Buchs ist dementsprechend: Geschichten so spannend und gleichzeitig so angemessen wie möglich zu erzählen (vgl. 10). Keine leichte Aufgabe, bedenkt man die kontroversen Diskussionen zum Storytelling und dessen Beziehung zum journalistischen Informieren im akademischen und berufspraktischen Kontext (vgl. Schlütz 2020: 8.). Um sein Ziel zu erreichen, gibt Preger in zehn Kapiteln und lockerer Sprache einen Überblick über alle Schritte seines Storytelling-Prozesses von der Stoffsammlung bis zur Finalisierung (Mastering) des fertigen Audio-Files.
Zum schnellen Nachschlagen endet jedes Kapitel mit einer Checkliste, die die wichtigsten Erkenntnisse und Fragen für den Arbeitsprozess zusammenfasst. Preger scheut sich dabei nicht, seinen eigenen Arbeitsprozess offenzulegen und übliche Vorurteile und Probleme in der redaktionellen Zusammenarbeit vorwegzunehmen. Das Handbuch liest sich bisweilen wie ein in Buchform gegossener Recherche-Zettelkasten – mit ambivalentem Ergebnis: Der Autor gießt sein gesammeltes Wissen über auditive Narration in dieses Buch und schafft damit eine wertvolle Ressource für Audio-Journalist*innen. Auf der anderen Seite wirkt die Zusammenstellung mit zahlreichen Querverweisen zwischen den Kapiteln in Teilen etwas unübersichtlich.
Die Fokussierung auf auditives Erzählen ist sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal des Werks und der Autor wird diesem mehr als gerecht, wenn er immer wieder auf die Besonderheiten, Stärken und Schwächen des Mediums verweist und dabei Rückgriffe auf die traditionsreiche amerikanische Schule der Audio-Narration nimmt (etwa die NPR-Programme Radiolab und This American Life).
In den Hauptkapiteln zu Stoffentwicklung, Dramaturgie, Charakterentwicklung und Spannungstechniken stützt er sich vor allem auf die klassische dramaturgische Literatur von Aristoteles‘ Poetik über den Hero with a Thousand Faces von Joseph Campbell bis hin zu aktuellen Screenwriting-Ratgebern von Karl Iglesias, John Truby oder Aaron Sorkin. Um die Arbeitsprinzipien zu verdeutlichen, löst er sich vom überpräsenten Vorbild Serial und bringt zahlreiche Beispiele von deutsch- und englischsprachigen nichtfiktionalen Produktionen, darunter auch viele eigene Werke, genauso wie popkulturelle Referenzen (vom Herrn der Ringe über verschiedene Fernsehserien bis hin zu Harry Potter). Die meist gut bekannten Beispiele zeigen die narrativen Prinzipien plastisch, offenbaren aber auch ein schwelendes Problem des narrativen Journalismus: Literatur und Prinzipien kommen aus dem fiktionalen Schreiben, meistens aus dem Screenwriting für Film oder Fernsehen und betrachten nicht die Limitationen einer journalistischen Herangehensweise. So scheint es bisweilen, als gäbe es für einige Prinzipien einfach keine sinnvollen Beispiele in der nonfiktionalen Audiolandschaft.
Immer wieder scheinen auch ethische Konfliktlinien durch, die auch im weiteren berufspraktischen Kontext diskutiert werden. Wie viel darf nachinszeniert werden? Wie viel Emotion ist zu viel? Karl N. Renner (2008, 6ff.) hat im Kontext von Fernsehbeiträgen drei ›Fallen‹ ausgemacht, in die Autor*innen beim Erzählen tappen können: Bei der Spannungsfalle gerät die informierende Funktion von Beiträgen zugunsten einer spannenden Erzählung in den Hintergrund, die Ideologiefalle beschreibt das unreflektierte Replizieren von Weltbildern oder Ideologien durch Erzählungen und die Personalisierungsfalle meint die Reduktion struktureller Gegebenheiten auf individuelles Handeln. Preger widmet ethischen Fragen ein eigenes – wenn auch recht knappes – Kapitel, bleibt dort aber hauptsächlich bei der Entkräftung gängiger Vorurteile in Redaktionen. Die großen »Fallen« werden immer wieder im Buch behandelt, ohne sie konkret als solche herauszustellen. Leser*innen bekommen so zwar ein Gefühl für die Herausforderungen von narrativem Journalismus, aber kein umfassendes Problembewusstsein.
Insgesamt bekommen Praktiker*innen mit dem vorliegenden Band eine umfangreiche Sammlung mit fundierten Hinweisen und Blaupausen für die eigene journalistische Arbeit im zu wenig beachteten Audio-Sektor. Wissenschaftler*innen werden ob der Postulate zur Wirkweise narrativer Techniken und ihres Erfolgs aber eher ernüchtert zurückbleiben.
Literatur
Berry, R. (2015): Serial and ten years of podcasting: has the medium grown up? In: Oliveira, M.; Ribeiro, F. (Hrsg.): Radio, Sound and Internet. Net Station Conference Proceedings: CS Atlas, S. 299 – 309.
Renner, Karl Nikolaus (2008): Storytelling im Fernsehjournalismus – Ein Zukunftskonzept mit offenen Fragen. Tagungsbeitrag zu »TV 3.0 – Journalistische und politische Herausforderungen des Fernsehens im digitalen Zeitalter« Berlin.
Schlütz, D. (2020): Auditive »deep dives«: Podcasts als narrativer Journalismus.In: kommunikation@gesellschaft 21(2).
Diese Rezension erschien zuerst in in rezensionen:kommunikation:medien, 10. Nomber 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23038
Über den Rezensenten
Lukas Herzog ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind audiovisuelle Medien und Medientechnik, auditive Formate und Podcasting als journalistisches Medium.
Über dieses Buch
Sven Preger (2019): Geschichten erzählen. Storytelling für Radio und Podcast. Wiesbaden: Springer VS, 294 Seiten, 24,99 Euro.