»Ich glaube, dass Journalismus sich zwingend verändern muss« Zum Verhältnis von akademischer Journalismus-Ausbildung und journalistischer Praxis

Von Gabriele Hooffacker und Nicola Moser

Abstract: Generative Sprachmodelle und KI-Tools sind im Journalismus zu unverzichtbaren Werkzeugen geworden – bei der Datenanalyse, Recherche, Übersetzung, Ideenfindung und vielem mehr. Wie wird sich der Einsatz von Tools wie Chat-GPT auf das journalistische Berufsbild und die akademische Lehre auswirken? Die Auswertung der vorliegenden Experteninterviews zeigt, dass Chat-GPT und ähnliche KI-Tools in der akademischen Journalismus-Ausbildung bereits jetzt eine Rolle spielen. Doch während die Hochschullehre vermutet, dass generative Sprachmodelle das Berufsbild des Journalisten nicht grundlegend verändern, sondern lediglich erweitern, sieht der befragte Experte aus der Praxis eine grundlegende Verschiebung im Verhältnis zwischen Redaktion und Publikum. Zudem beschreibt er, wie KI-Tools längst gängige Praxis in den Redaktionen sind.

Wie der Einsatz generativer KI-Plattformen, insbesondere von Sprach-KI, Berufsbild und damit auch die journalistische Ausbildung an Hochschulen verändern wird, war und ist Thema in zahlreichen Veröffentlichungen. Die Dynamik der Entwicklung lässt Studien allerdings rasch veralten: »Die Verwendung von KI im Journalismus ist kein isoliertes oder abgeschlossenes Thema, sondern ein dynamisches und interdisziplinäres Feld, das eine kontinuierliche und kritische Reflexion auch aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive erfordert« (Wolf 2024: 24). Viele Einsatzmöglichkeiten sind bekannt, erste Erfahrungen wurden ausgewertet: »Die großen Sprachmodelle können kreativ, zur Ideenfindung, für Vorschläge zu Artikelstruktur, den roten Faden einer Story genutzt werden« (Haustein-Teßmer 2024: 75). Die Fähigkeit, KI bewusst und kontrolliert einzusetzen, wird essenziell. In der Journalismus-Ausbildung müssen Offenheit für Technologie, Neugier, Interesse, spielerische und zugleich kritische KI-Anwendung verankert werden (vgl. Hooffacker 2023: 210f.).

»Zwar hat die Digitalisierung die journalistische Ausbildung, Karrieren und Abläufe in regionalen Medienunternehmen verändert. Doch es bestehen Defizite«, konstatiert Oliver Haustein-Teßmer (Haustein-Teßmer 2024: 68). Das sehen auch die jungen Journalistinnen und Journalisten so, die Vera Katzenberger für ihre Dissertation befragt hat (Katzenberger 2024). Demnach legen sie weniger Wert auf Training in speziellen digitalen Tools, sondern auf technologische Offenheit. Man müsse allgemein »sehr offen und flexibel gegenüber neuer Technik sein«, so eine der Befragten (Katzenberger 2024: 186).

»Die Beschäftigung mit einer Didaktik der Journalistik führt mitten in das Herz der Selbstverständnisdebatte der Journalistik. Seit jeher kreist diese um das Verhältnis von Theorie und Praxis. Immer wieder wird der Journalistik attestiert (und attestiert sie sich selbst), dass sie ihren expliziten Anwendungsbezug vernachlässige«, schreiben Beatrice Dernbach und Wibke Loosen gleich zu Beginn in der 2012 erschienenen Didaktik der Journalistik (Dernbach/Loosen 2012: 11).

Stimmt das auch in Bezug auf den Einsatz generativer Sprach-KI und von Large Language Models (LLM) in akademischer Journalismuslehre und praktischem Journalismus? Welche Erkenntnisse zur Veränderung des journalistischen Berufsbilds liegen vor? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die akademische Journalismus-Ausbildung?

Methodik

Der folgende Beitrag beruht auf leitfadengestützten Experteninterviews, die im Verlauf des Jahres 2024 geführt und in einer qualitativen, deduktiven Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet wurden. Nicola Moser hat die Kategorien für den Kodierleitfaden der Interviews für seine Masterarbeit (Moser 2024) entwickelt und daraus den Fragebogen erstellt. Befragt wurden acht Hochschullehrende aus den Bereichen Journalismus, Datenjournalismus und Medienanalyse. Das Ergebnis hat der Autor durch ein Gespräch mit einem innovativen Journalismus-Praktiker ergänzt und abgeglichen. Zur Transkription nutzte er die kostenlose KI-Software TurboScribe; zur Unterstützung bei der Textformulierung wurden ChatGPT und MS Copilot herangezogen.

Bei der Auswahl der Expertinnen und Experten wurde auf ein möglichst ausgewogenes Geschlechterverhältnis geachtet. Für die Befragung erklärten sich drei Frauen und fünf Männer aus den Kommunikations- und Medienwissenschaften bereit:

  • Prof. Dr. Katharina Heimeier, Westfälische Hochschule, Lehrgebiet Praxis und Theorie des Qualitätsjournalismus
  • Prof. Markus Kaiser, TH Nürnberg, Lehrgebiet Praktischer Journalismus
  • Dr. Max Eder, LMU München, Wiss. Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW)
  • Prof. Dr. Andreas Moring, International School ISM in Hamburg, Lehrgebiet Digital Management
  • Prof. Dr. Markus Behmer, Universität Bamberg, Lehrgebiet empirische Kommunikatorforschung am Institut für Kommunikationswissenschaft
  • Prof. Dr. Volker Markus Banholzer, TH Nürnberg, Schwerpunkt Inno­va­tionskommunikation
  • Prof. Dr. Magdalena Taube, Hochschule Macromedia, Lehrgebiet Journalismus
  • Dr. Theresa Körner, Dozentin, Forschungsschwerpunkt automatisierter Journalismus

Abgeglichen wurde das Ergebnis der Befragung mit dem Journalisten Dirk von Gehlen, der bei der Süddeutschen Zeitung aktuell Director Think-Tank am SZ-Institut ist.

Ergebnisse der Expertenbefragung

Nicola Moser hat für seine Masterarbeit folgende acht Kategorien identifiziert:

  • K1: Auswirkungen für den Journalismus
  • K2: Chancen der Sprachmodelle
  • K3: Risiken der Sprachmodelle
  • K4: Einfluss auf die Lernmotivation
  • K5: Integration von Chat-GPT in die Lehre
  • K6: Veränderung der Lehrinhalte
  • K7: Bedeutung des Prompt-Engineerings
  • K8: Veränderungen im Berufsbild Journalismus

Die Interviews wurden entsprechend der Kategorien ausgewertet. In der folgenden Darstellung konnten die Ergebnisse zu den Kategorien K5 und K7 zusammengefasst werden.

Zu K1: Auswirkungen auf den Journalismus

Die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass Chat-GPT die Arbeitsweise im Journalismus erheblich beeinflusst. Die Technologie wird als nützliches Hilfsmittel angesehen, das in verschiedenen Produktionsphasen eingesetzt werden kann, etwa bei der Ideenfindung, der Erstellung von Entwürfen oder der Übersetzung von Inhalten. Dennoch bleibt die Prüfung von Fakten eine unverzichtbare Aufgabe, da die Modelle zur Generierung fehlerhafter Informationen oder sogenannter Halluzinationen neigen. Katharina Heimeier betont die Bedeutung der journalistischen Verantwortung: »Auch künftig muss man kritisch hinterfragen, was für eine Verantwortung habe ich, welche Folgen hat das, wenn ich dies oder jenes veröffentliche.«

Andreas Moring ergänzt, dass dramaturgisches Schreiben und die Einbettung von Informationen in einen größeren Kontext zentrale menschliche Kompetenzen bleiben: »Die journalistischen menschlichen Fähigkeiten, Dinge in den Zusammenhang zu setzen, zu bewerten und einen roten Faden zu schaffen, bleiben essenziell.«

Zu K2: Chancen der Sprachmodelle

Zwei Themen sahen die befragten Expert:innen als wesentliche Chancen an: die Zeitersparnis in der redaktionellen Arbeit sowie die Mehrsprachigkeit und die damit verbundene Internationalisierung.

Zeitersparnis und Effizienzsteigerung: Chat-GPT könne Routineaufgaben wie das Verfassen einfacher Texte übernehmen und dadurch Freiräume für kreative und investigative Arbeiten schaffen. Magdalena Taube erklärt: »Es wird hoffentlich Freiräume schaffen, dass man sich auf das konzentrieren kann, was die KI nicht leisten kann.«

Übersetzungen und Internationalisierung: Sprachmodelle erleichtern die Erstellung mehrsprachiger Inhalte und erweitern die Zielgruppen von Medienunternehmen. Magdalena Taube hebt hervor, dass dadurch neue Märkte erschlossen werden können.

Bei der Recherche könnten die neuen Tools weit mehr leisten. Am häufigsten wurde erwähnt, dass datenbasierter Journalismus, beispielsweise Sportjournalismus, enorm profitiere. Durch Automatisierung und das Trainieren der Künstlichen Intelligenz ließen sich hier schon seit einigen Jahren spannende Ergebnisse erzielen, so Markus Kaiser. Im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts sei es gelungen, aus Live-Ticker-Ergebnissen Spielberichte für niedrige Ligen anzufertigen. Markus Kaiser sieht darin das Potenzial, Nischenmärkte zu erschließen.

Zu K3: Risiken der Sprachmodelle

Bei der Analyse der Ergebnisse fällt auf, dass die Expertinnen und Experten deutlich mehr kritische Punkte identifizieren als Vorteile. Sie betonen, dass es viele offene Fragen gebe wie beispielsweise Themen des Urheberrechts und der Quellenverweise. Diese Aspekte betreffen nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Vertrauenswürdigkeit und Nachvollziehbarkeit der durch Chat-GPT generierten Inhalte.

Als Risiken wurden im Einzelnen identifiziert:

Fehlinformationen: Die Gefahr der Halluzinationen, bei denen das Modell falsche Inhalte generiert, erfordert eine ständige Überprüfung durch Journalist:innen.

Sprachliche Nivellierung: Volker Bannholzer sieht die Gefahr, dass der Einsatz von KI zu einer Vereinfachung der Sprache und einer Angleichung an niedrigere sprachliche Niveaus führen könnte.

Fake News und Manipulation: Generative Sprachmodelle können missbraucht werden, um gezielt Fehlinformationen zu verbreiten.

Markus Kaiser stellt die Frage nach der Transparenz: Braucht es eine Kennzeichnung von Inhalten? Theresa Körner hat sich in ihrer Forschungsarbeit damit auseinandergesetzt, wie Texte auf ein Publikum wirken, das weiß, wie diese Texte entstanden sind. Ihr Fazit: Das Publikum befürchte Meinungsmanipulation. Sie empfiehlt eine entsprechende Kennzeichnung sowie Erklärungen, wie die Texte zustande kommen.

Max Eder weist darauf hin, dass zusätzlich zur Überprüfung der Informationen und Quellen KI-generierte Texte sehr viel Überarbeitung benötigen und tendenziell eher mehr Aufwand erfordern. Zudem erkennt er »eine Art Digital Divide« zwischen älteren und jüngeren Journalistinnen und Journalisten. Redaktionen müssten es schaffen, diese Unterschiede zu überbrücken.

Zu K4: Einfluss auf die Lernmotivation

Gabriele Hooffacker kommt in ihrem Werkstattbericht von 2023 zu dem Schluss, »dass die Studierenden mit Neugier und Vergnügen die Einsatzmöglichkeiten erproben und Gewinn daraus ziehen« (Hooffacker 2023: 211). Es fällt auf, dass nicht eine der befragten Personen einen solchen Effekt bei den eigenen Studierenden beobachtet hat. Drei Personen haben dazu überhaupt keine Aussage getroffen.

Magdalena Taube hat in ihren Seminaren beobachtet, dass Studierende die Tools selten aus eigenem Antrieb heraus benutzen. Volker Banholzer beobachtet Ähnliches: ChatGPT werde gelegentlich genutzt, aber wenn überhaupt, dann unter Effizienz-Gesichtspunkten.

Der Widerspruch lässt sich nicht auflösen. Es liegt aber die Vermutung nahe, dass Studierende ihren Lehrpersonen nicht immer im Einzelnen mitteilen, wie sie generative Sprach-KI tatsächlich nutzen.

Zu K5: Integration von Chat-GPT in die Lehre sowie K7: Bedeutung des Prompt-Engineerings

Die Integration von Chat-GPT in die journalistische Ausbildung stecke noch in den Anfängen, urteilen die Befragten. Erste Ansätze umfassen die Vermittlung von Grundlagen im Umgang mit der Technologie, das Trainieren von Prompting-Techniken und die Diskussion über ethische Fragestellungen.

Markus Behmer betont die Notwendigkeit, die Nutzung von Chat-GPT in die Ausbildung angehender Journalistinnen und Journalisten zu integrieren: »Es ist eine journalistische Technik, die zum Standard der Ausbildung gehören muss.« Der Umgang mit Sprach-KI sei eine Kulturtechnik, eine journalistische Technik, die erlernt werden müsse, meint Andreas Moring: »Wie bediene ich das? Wie prompte ich? Welches Tool eignet sich wofür?«

Theresa Körner sieht in der Nutzung von Chat-GPT eine Möglichkeit, Studierende bei der Entwicklung von Argumentationen und Perspektiven zu unterstützen: »Die Modelle können als Sparringspartner dienen, um Argumentationen zu schärfen oder neue Blickwinkel zu entwickeln.« Hier spiele das Prompting eine wesentliche Rolle.

Das Thema Digitale Ethik spricht Katharina Heimeier in ihren Seminaren an. »Hier diskutieren wir: Sollte der Pressekodex das aufnehmen, ja oder nein? Oder wir beschäftigen uns mit konkreten Beispielen.« Sie betont insgesamt den medienethischen Aspekt des Themas.

Zu K6: Veränderung der Lehrinhalte

Für die interviewten Hochschullehrerinnen und -lehrer steht zunächst die Überlegung im Zentrum, wie Prüfungsformate angepasst werden. Die häufigste Antwort: mehr mündliche Prüfungsformate, da Hausarbeiten ihren Zweck verfehlen, wenn Chat-GPT größere Teile übernehme.

Theresa Körner empfiehlt »mehr Prüfungsformate, die darauf abzielen, dass die Personen, die diese Prüfung ablegen, stärker reflektieren, ihre eigene Meinung verargumentieren können.« Markus Behmer sieht das ähnlich: An seiner Hochschule gebe es derzeit keine mündliche Verteidigung bei Abschlussarbeiten. Hier bestehe Handlungsbedarf.

Wird die Lehre davon betroffen sein? Das fragt sich Volker Banholzer. Experimente seien erforderlich, beispielsweise, dass die Studierenden sich trauen, formulierte Texte von der KI überarbeiten zu lassen. Dann müsse man aber in den Diskurs gehen: Passt das oder verliert der Text an Charakter?

Die Verwendung von KI in Hausarbeiten und Abschlussarbeiten sehen An­dreas Moring und Magdalena Taube nicht unbedingt kritisch. Wichtig sei jedoch, transparent zu machen, wie die Texte entstanden seien. Magdalena Taube erläutert: »An unserer Hochschule heißt es, ja, ihr dürft KI verwenden. Man muss aber ein KI-Verzeichnis anlegen, so ähnlich wie ein Literaturverzeichnis«. Das gehe bis hin zu einem Promptverzeichnis.

Markus Kaiser weist darauf hin, dass die starke Trennung zwischen den Ausspielkanälen Print, Audio, Video verschwinde, wie es bereits in Social-Media-Kanälen zu beobachten sei. Dem müsse sich die Lehre anpassen.

Zu K8: Veränderungen im Berufsbild Journalismus

Die Befragten sind sich hierin einig: In absehbarer Zeit werde es zunächst nicht zu Veränderungen im Berufsbild kommen. Sie erwarten, dass vollautomatisierte Redaktionen oder Multi-Channel-Distribution zunächst lediglich eine untergeordnete Rolle spielen. Da die Entwicklung der technischen Möglichkeiten jedoch nicht vorhersehbar sei, könne sich diese Sichtweise in einigen Jahren verändern. Jedoch sind sich alle Expertinnen und Experten einig, dass es im journalistischen Arbeitsalltag einen Wandel gebe. Generative Sprachmodelle würden in einigen Jahren in allen Redaktionen genutzt werden. Bereits jetzt sei dies über den kompletten Arbeitsprozess hinweg möglich.

Welche Kompetenzen werden angehende Journalistinnen und Journalisten benötigen? Zwei Aspekte wurden immer wieder genannt: zum einen von Maximilian Eder und Magdalena Taube die »Digital Literacy«, also die Fähigkeit, sich mit neuen technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und sie kritisch zu hinterfragen, zum anderen die Prüfung von Quellen und das Infragestellen von Information. Magdalena Taube meint, dass das journalistische Handwerk dennoch genauso wichtig bleibt wie bisher.

Insgesamt vermuten alle befragten Expertinnen und Experten, dass generative Sprachmodelle künftig eine wichtige Rolle im journalistischen Alltag spielen werden. Gleichzeitig bleibe die kritische Bewertung und Prüfung von Informationen eine Kernkompetenz der Menschen im Journalismus.

Erweiterung der Ergebnisse durch das Interview mit einem Praktiker

Um die Ergebnisse der Expertenbefragung an der journalistischen Praxis zu spiegeln, wurden aus den Kategorien wiederum Fragen an einen journalistischen Praktiker und Vordenker entwickelt. Das Interview mit Dirk von Gehlen gibt zunächst einen Einblick in die Arbeitswelt von Journalisten und Journalistinnen. Es erlaubt aber auch einen Blick in künftige Normalität und stetige Veränderung.

Generative Sprachassistenten kommen laut von Gehlen für die Konsumierenden und die Publizierenden zum Einsatz. Das erste Publikumstool, das als Pilotprojekt von der Süddeutschen Zeitung entwickelt wurde, ermöglichte den Leserinnen und Lesern einen personalisierten Jahresrückblick. Dafür waren die Texte des Jahres 2023 als Grundlage genommen worden, und man konnte mit deren Inhalten interagieren und chatten – ein erster Versuch, der das Potenzial des Tools zeige.

Die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten, so Dirk von Gehlen, täglich mit DeepL, MS Copilot und anderen Sprachassistenten. Künstliche Intelligenz werde über den gesamten Prozess genutzt, von der Recherche über die Präsentation bis zur Publikation, insbesondere bei der Erstellung von Inhalten, Gliederungen oder ersten Konzepten.

Der Redaktion sei ein gewisser Widerstand des Publikums gegen Texte, die nicht von Menschen erstellt werden, bewusst. Doch das könnte sich mit der weiteren Entwicklung und Verbreitung der Technik ändern und zu einer höheren Akzeptanz führen. Hier sei Transparenz notwendig.

Hingegen erwartet Dirk von Gehlen nicht, dass sich ein Berufsbild Prompt Engineering herausbilden werde. Die hierfür notwendigen Skills werden für alle Textproduzierenden unabdingbar sein, aber auch selbstverständlich, ähnlich der Verwendung einer Suchmaschine.

Die schnelle Entwicklung der Technik, die dazu führt, dass alle paar Wochen ein neues sinnvolles Tool erscheint, lässt sich laut von Gehlen durch klassische Aus- und Weiterbildung nicht abbilden. Seine Schlussfolgerung: »Die wahrscheinlich wichtigste zu trainierende Fähigkeit ist, den Umgang mit dem Wandel und das Adaptieren von neuen Fähigkeiten zu trainieren.«

Der stetige Wandel gehört nach Dirk von Gehlen zum Berufsbild von Journalistinnen und Journalisten: »Also jegliche Idee von Kultur, von Fortschritt, von Bildung, von wissenschaftlicher Forschung basiert darauf, dass Sachen sich verändern. Wir neigen dazu, unseren Status Quo immer für den Gipfel des menschlichen Schöpfens zu halten und dann finden wir es gut, wenn es so bleibt. Nein, ich glaube, dass Kultur Bewegung ist und Journalismus als Begleitungstechnologie oder Fertigkeit von Kultur sich zwingend verändern muss.«

In vielen Punkten lässt sich eine Übereinstimmung mit der Einschätzung der akademischen Expertinnen und Experten feststellen. Doch Dirk von Gehlen sieht eine drastische Veränderung des Berufsbildes und damit auch neue Anforderungen an die Kompetenzen, die in der journalistischen Ausbildung vermittelt werden müssen.

Und die Überlegungen des Innovationspraktikers gehen noch weiter: Dirk von Gehlen spricht einen kulturellen Wandel an, der durch künstliche Intelligenz, aber auch Digitalisierung im Allgemeinen vorangetrieben wird. Aus seiner Sicht komme es bei dieser Entwicklung langfristig zu einer Verschiebung der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger.

Ein weiterer Aspekt sei die zunehmende Segmentierung der Öffentlichkeit durch personalisierte Inhalte. Die Medien passen sich immer stärker an die Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten an. Durch generative Sprachsysteme lassen sich Inhalte noch stärker personalisieren.

Die Herausforderung, die daraus für Journalistinnen und Journalisten resultiert, beschreibt er in Analogie zu einem Festival: »Heute sehen wir, dass Öffentlichkeit wahnsinnig segmentiert ist, eher wie ein Musikfestival, wo es tausend Bühnen gibt, keine Hauptbühne mehr, sondern ganz viele Nebenbühnen, auf denen ganz viele spielen, die einander gar nicht kennen. Du gehst auf die Bühne C, ich bin auf der Bühne A und wir kennen nichts voneinander, auch die Gruppen kennen sich gar nicht mehr, weil es dieses Verbindende einer Community in der Form nicht mehr gibt. Das ist im Sinne einer pluralen Öffentlichkeitstheorie ein Riesenfortschritt, weil sich auf einmal auch Stimmen artikulieren können, die sich abseits von diesem Hauptkanal befinden. Auf der anderen Seite fordert uns die starke Segmentierung von Öffentlichkeiten heraus. Sie wird durch KI krass beschleunigt und stellt uns damit vor riesige kulturelle Herausforderungen.«

Dirk von Gehlen hofft insgesamt, dass sich einige lästige Aufgaben künftig an die künstliche Intelligenz ausgliedern lassen. Gleichzeit gebe es neue Aufgaben: »Sie wird uns Tasks abnehmen, die wir vorher selber von Hand gemacht haben. Sie schafft aber auch ganz neue Tasks. Wenn wir Journalismus als Kommunikation verstehen, also nicht nur als Transport von Inhalten, sondern als wirkliche Kommunikation mit Zuhörern und ein aufeinander Eingehen, dann müssen wir die Frage stellen: Was macht denn menschliche Kommunikation aus im Verhältnis zu einer maschinellen Kommunikation?« Hier sieht er die zentrale Aufgabe für künftige Journalistinnen und Journalisten.

Fazit

Die Auswertung zeigt, dass der Einsatz generativer KI-Tools wie ChatGPT den Journalismus bereits beeinflusst und in vielen Bereichen redaktioneller Arbeit Einzug gehalten hat oder halten wird. Während Hochschullehrende davon ausgehen, dass KI das journalistische Berufsbild eher erweitert als verändert, sieht der innovative Praktiker grundlegende Verschiebungen – insbesondere in der Beziehung zwischen Redaktionen und Publikum.

Zu den Chancen zählen die Expertinnen und Experten Effizienzstei­ge­rungen, neue Formen der Recherche sowie die Internationalisierung durch mehrsprachige Inhalte. Allerdings sehen sie gravierende Risiken: Fehlinformationen, sprachliche Nivellierung und eine mögliche Manipulation durch generierte Inhalte stellen große Herausforderungen dar. Die journalistische Verantwortung zur Faktenprüfung bleibe daher unerlässlich.

In der akademischen Lehre gibt es widersprüchliche Beobachtungen: Während Hooffacker eine spielerische und interessierte Nutzung durch Studierende konstatiert, berichten andere Befragte von einer eher zurückhaltenden Verwendung. Auch bei der Anpassung von Lehrinhalten gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Sie reichen von der stärkeren Betonung mündlicher Prüfungen bis zur Einführung von KI-Nachweisen in wissenschaftlichen Arbeiten.

Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen akademischer Einschätzung und Praxis im Blick auf das künftige Berufsbild: Während die Hochschullehrenden kaum fundamentale Veränderungen erwarten, sieht Dirk von Gehlen einen tiefgreifenden Wandel, der durch KI und Digitalisierung beschleunigt wird. Die fortschreitende Personalisierung von Inhalten könne zu einer stärkeren Fragmentierung der Öffentlichkeit führen, was neue journalistische Aufgaben mit sich bringe.

Die Gegenüberstellung von Erkenntnissen der akademischen Journalismuslehre mit den Schlüssen, die sich aus dem bereits existierenden Einsatz in der Praxis ziehen lassen, verdeutlichen eine zentrale Herausforderung: Die journalistische Ausbildung muss nicht nur technische Fähigkeiten vermitteln, sondern auch die Fähigkeit, sich flexibel an den Wandel anzupassen – denn wie von Gehlen betont, gehört Veränderung untrennbar zum Journalismus.

Über die Autor:innen

Gabriele Hooffacker, Prof. Dr. phil., (*1959), ist Mitherausgeberin der Journalistik und lehrt an der HTWK in Leipzig im Lehrbereich »Medienadäquate Inhalteaufbereitung«. Sie gibt die von Walther von La Roche (1936-2010) gegründete Lehrbuch-Reihe »Journalistische Praxis« bei Springer VS sowie die Reihe »Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur« heraus.

Nicola Moser (M. Eng) hat an der HTWK Leipzig Buch- und Medienproduktion (B. Eng.) studiert und 2024 den Master Medienmanagement absolviert.

Literatur

Dernbach, Beatrice; Loosen, Wiebke: Didaktik der Journalistik. Wiesbaden [Springer VS] 2012

Haustein-Teßmer, Oliver: Wie die Digitalisierung die Journalismusausbildung verändert. In: Hooffacker, Gabriele; Kenntemich, Wolfgang; Kulisch, Uwe (Hrsg.): Neue Plattformen – neue Öffentlichkeiten. Wiesbaden [Springer VS]2024, S. 67–78.

Hooffacker, Gabriele (2023): Wie Sprach-KI die Journalismusausbildung verändern kann. In: Journalistik, 6(2), S. 205–212. https://journalistik.online/essay/wie-sprach-ki-die-journalismusausbildung-veraendern-kann/ (28.11.2024)

Katzenberger, Vera: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Köln [Herbert von Halem] 2024

Moser, Nicola: Die Auswirkungen von Generativer Sprach-KI wie Chat-GPT auf Berufsbilder im Journalismus und deren Einfluss auf die akademische Journalismuslehre. Unveröff. Masterarbeit. Leipzig [HTWK Leipzig] 2024

Wolf, Cornelia: Journalismus und künstliche Intelligenz aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive: Chancen und Herausforderungen. In: Hooffacker, Gabriele, Kenntemich, Wolfgang; Kulisch, Uwe (Hrsg.): Neue Plattformen – neue Öffentlichkeiten. Wiesbaden [Springer VS] 2024, S. 9–29


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Zitationsvorschlag

Gabriele Hooffacker, Nicola Moser: »Ich glaube, dass Journalismus sich zwingend verändern muss«. Zum Verhältnis von akademischer Journalismus-Ausbildung und journalistischer Praxis. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 2, 2025, 8. Jg., S. 244-254. DOI: 10.1453/2569-152X-22025-15314-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-22025-15314-de

Erste Online-Veröffentlichung

Juli 2025