Gendergerechte Sprache in der Journalistik – Empfehlung oder verbindliche Vorschrift?

von Horst Pöttker

Unsere Diskussion dreht sich um zwei Fragen: eine nach den geeigneten Mitteln eines Sprachwandels, der paternalistische Schreibtraditionen überwindet; und eine nach der Verbindlichkeit, mit der wir Regeln, die zu diesem Sprachwandel führen (sollen), für Autorinnen und Autoren der Zeitschrift verpflichtend machen.

Für die erste Frage ist entscheidend, wie das Zeichensystem Sprache aufgefasst wird. Nach meiner Auffassung dient es in erster Linie der Verständigung zwischen Subjekten, für die Unterschiedlichkeit von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Beruf, Bildung, politischer Einstellung und vielen anderen Merkmalen unvermeidlich gegeben sein kann. Diese Funktion ruft nach einem Optimum an Verständlichkeit der Sprache, die auch und gerade am Verständigungsinteresse orientierte Geistes- und Sozialwissenschaften[1] verwenden.

Verständlichkeit hängt von Textqualitäten wie Einfachheit von Satzbau und Wortschatz, klarer Gliederung, Knappheit des Ausdrucks oder Anschaulichkeit ab.[2] Mindestanforderungen an verständliche Sprachverwendung sind grammatische Korrektheit, Gebräuchlichkeit der verwendeten Zeichen und – bei schriftlichen Texten – Sprechbarkeit.

Neben Verständigung hat Sprache allerdings noch andere, möglicherweise problematische Funktionen. Die Frage nach Gendergerechtigkeit richtet den Blick auf ihre problematische Funktion, Verhältnisse der sozialen Ungleichheit zwischen dem traditionell privilegierten männlichen und dem traditionell benachteiligten weiblichen Geschlecht (Paternalismus) zu repräsentieren und zu legitimieren.

Das Ziel, zur Überwindung des traditionellen Machtgefälles zwischen den Geschlechtern durch veränderten Sprachgebrauch beizutragen, halte ich für wichtig. Dabei darf jedoch das Verständigungsinteresse nicht vernachlässigt werden. Auch hier ist eine Balance von Eigensinn und Fremdverstehen anzustreben,[3] in diesem Fall zwischen Emanzipationsinteresse und Verständigungsfunktion.

Letztere legt nahe, auf Formen zu verzichten, die den elementaren Verständlichkeitsmerkmalen grammatische Korrektheit, Gebräuchlichkeit oder Sprechbarkeit nicht entsprechen. Auch wenn der Duden das *chen zur Bezeichnung von Personen aller Geschlechter mittlerweile zulässt, ist es – ähnlich wie der »Gender-Gap« oder das Binnen-I, – schlecht sprechbar und zumal in der journalistischen Praxis bisher nicht gebräuchlich. Außerdem betonen diese Formen ein besonderes Emanzipationsinteresse, das gerade in der den Journalistenberuf begleitenden Wissenschaft Journalistik das praktische (Erkenntnis-)Interesse an Verständigung mit der journalistischen Praxis m. E. nicht verdrängen sollte.

Gleichzeitig genügt aber der pauschale Hinweis auf das generische Maskulinum der Emanzipationsaufgabe auch im Hinblick auf eine Balance mit der Verständigungsfunktion m. E. nicht. Damit wird z. B. die generelle Verwendung männlicher Pronominalformen (»jeder«, »einer«) gerechtfertigt, die länger sind als die entsprechenden weiblichen und daher durch die Verständlichkeitsmerkmale Einfachheit oder Knappheit nicht zu erklären sind.

Ich rate daher

  • bei entsprechenden alleinstehenden Pronomen abwechselnd auch auf die kürzere weibliche Form (»jede«, »eine«) zurückzugreifen, gegebenenfalls auch wenn männliche Personen gemeint sind (»Jede wird zugeben, dass …«);
  • wo möglich und sinnvoll, neutrale Formen (»Journalismus« statt »Journalisten« usw.) zu verwenden oder
  • Personen beider Geschlechter (»Journalistinnen und Journalisten«, »eine Journalistin oder ein Journalist«) zu bezeichnen. (Letzteres allerdings auf Kosten des Verständlichkeitsmerkmals Knappheit, so dass bewusste Verwendung geboten erscheint, etwa gelegentlicher Verzicht, wenn die am Journalismus beteiligten Subjekte abstrakt gemeint sind);
  • sinnvoll, wenngleich schlecht sprechbar, erscheint mir auch noch die Kennzeichnung des jeweils anderen Geschlechts in Klammern, also »Journalist(inn)en, jede(r), eine(r)«, weil Einklammerung als Kurzform zur Bezeichnung gleichrangiger Bedeutungsvarianten generell möglich ist. Beispiel: »Journalismus soll möglichst unabhängig ausgeübt werden (können).«

Meine Antwort auf die zweite Frage hängt ebenfalls mit der Idee der Balance von Eigensinn und Fremdverstehen zusammen. Es gibt Argumente und Konzepte, die ich nicht teile und gleichzeitig nicht unvernünftig finde. So halte ich die Verwendung von Gender-*chen, -Gap oder Binnen-I für nicht unvernünftig, weil mit der Emanzipationsaufgabe begründbar – aber auch das Festhalten am generischen Maskulinum, das sich bis zu einem gewissen Grad mit der für öffentliche Sprachverwendung entscheidenden Verständlichkeitsqualität begründen lässt.

Den Hintergrund meiner Auffassung hat John Rawls formuliert:[4] Vernunft muss nicht zum inhaltlichen Konsens führen. Wir sollten akzeptieren, dass abweichende vernünftige Konzeptionen nebeneinander existieren (können), die sich – eben wegen ihrer Vernünftigkeit – trotzdem respektieren. Rawls’ Theorie erklärt überzeugend die Kernidee eines integrativen Pluralismus, der mit weiter zunehmender Komplexität, Globalisierung und Verrohung von Öffentlichkeit wichtiger wird. Die Idee dieses Pluralismus hat sich auch im Programm der Journalistik niedergeschlagen.[5]

Aus den dargelegten Gründen bin ich dafür, auf eine verbindliche Regel zur Verwendung gendergerechte Sprache in der Journalistik zu verzichten. Die hier dokumentierte Diskussion der Herausgeberinnen und Herausgeber mag Autorinnen und Autoren genügend Anregungen und Freiheit für eine selbstbestimmte Praxis in dieser Frage geben.

Fussnoten

1 Vgl. Habermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse. In: Habermas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 19682, S. 146-168, bes. S. 160.

2 Vgl. Langer, Inghard; Schulz von Thun, Friedemann; Tausch, Reinhard: Sich verständlich ausdrücken. München, Basel [Ernst Reinhardt Verlag] 201911 (zuerst 1974).

3 Vgl. Pöttker, Horst: Maßstab: Balance von Eigensinn und Fremdverstehen. In: Imhof, Kurt; Blum, Roger; Bonfadelli, Heinz; Jarren, Otfried (Hrsg.): Mediengesellschaft. Strukturen, Merkmale, Entwicklungsdynamiken. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2004, S. 347-362

4 Vgl. Rawls, John: Politischer Liberalismus. Übers. v. Wilfried Hinsch. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2003 (englisch: Political Liberalism, 1993/5).


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Zitationsvorschlag

Horst Pöttker: Gendergerechte Sprache in der Journalistik – Empfehlung oder verbindliche Vorschrift? In: Journalistik, 1, 2020, 3. Jg., S. 70-72.

ISSN

2569-152X

Erste Online-Veröffentlichung

Juni 2020