Franzisca Schmidt: Populistische Kommunikation und die Rolle der Medien. Der Umgang der Presse mit Parteien- und Medienpopulismus im Europawahlkampf 2014 rezensiert von Philipp Müller

Die Themenwahl für monographische Promotionsprojekte ist ein Thema für sich. Da sich ein Buchprojekt im Laufe mehrerer Jahre entwickeln muss, sollte es nicht auf kurzfristige Trends und »Modethemen« bauen. Gleichzeitig ist die Entwicklung gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Aufmerksamkeitszyklen nur bis zu einem gewissen Grad prognostizierbar. So kann es sein, dass eine Fragestellung in der Planungsphase eines mehrjährigen Projekts als hoch relevant gilt, bei Veröffentlichung des Werkes jedoch bereits aus dem Fokus gerückt ist. Umgekehrt kann ein Themenfeld im Laufe der Arbeit an einer Dissertation richtig Fahrt aufnehmen, ohne dass dies zu Beginn der Arbeiten klar absehbar gewesen wäre.

So ist es wohl Franzisca Schmidt ergangen, deren 2017 eingereichte und nun veröffentlichte Dissertation sich mit der Rolle der Medien bei der Verbreitung populistischer Botschaften auseinandersetzt. Populismus ist in den letzten Jahren zu einem der zentralen Felder der politischen Kommunikationsforschung aufgestiegen – eine Entwicklung, die vor fünf, sechs Jahren nicht unbedingt absehbar war. Für Schmidts Dissertation ist sie Fluch und Segen zugleich. Einerseits verspricht die gegenwärtige Aufmerksamkeit für Populismus dem Buch eine breite und interessierte Rezeption, die sich auch in gleich zwei erhaltenen Auszeichnungen ausdrückt. Andererseits bedeutet es jedoch auch, dass das Werk sich in einem hoch dynamischen und jüngst unglaublich publikationsstarken Forschungsfeld behaupten muss.

Für ein langfristig angelegtes Projektvorhaben ist dies nicht einfach, insbesondere wenn es darum geht, den aktuellsten Stand der Literatur abzubilden. Mit diesem Anspruch darf man das Buch sicherlich nicht lesen, auch wenn sein Publikationsjahr hohe Aktualität suggeriert. Der literaturbasierte Teil der Arbeit (Kapitel 2 & 3) manövriert sich zwar durchaus souverän und reflektiert durch die Grundsatzliteratur zum Themenfeld Populismus und Medien, jüngere theoretische Veröffentlichungen (z. B. Krämer 2018; Waisbord 2018) finden allerdings ebenso wenig Berücksichtigung wie eine Fülle an neueren empirischen Studien. So ist insbesondere die wiederholt geäußerte Behauptung, international vergleichende inhaltsanalytische Forschung würde bislang »weitgehend fehlen« (22; erneut: 105), nicht mehr ganz zutreffend (vgl. z. B. Wettstein, Esser, Büchel, et al. 2018; Wettstein, Esser, Schulz, Wirz, & Wirth 2018).

Dennoch weist das Forschungsfeld immer noch viele Leerstellen auf – und so kann eine weitere inhaltsanalytische Studie, die noch dazu ein ländervergleichendes Design aufweist, nur begrüßt werden. In der Empirie und den zu Tage geförderten Befunden liegt aus meiner Sicht auch der klare Gewinn beim Lesen des Buches. In Vorbereitung der durchgeführten Studie betreibt die Autorin nicht unbedingt eigenständige Theorieentwicklung, sondern fasst im Wesentlichen die bisherigen Ansätze zum Zusammenspiel von Parteien- und Medien-Populismus zusammen und wägt sie gegeneinander ab, um daraus Hypothesen zu generieren. Punktuell finden sich Erweiterungen, wie die explizite Integration des (in der bisherigen Forschung oft implizit mitschwingenden) Nachrichtenwertansatzes (vgl. 87-91) oder die durchaus interessante Diskussion der Frage, inwiefern anti-europäische Positionen per se populistisch sind (vgl. 55-64).

Letztere Frage drängt sich vor allem deshalb auf, weil die Studie ihre Hypothesen anhand der Print-Berichterstattung und der Pressemitteilungen zur Europawahl 2014 in den Ländern Österreich, Deutschland, Frankreich und Griechenland untersucht. Die methodische Vorgehensweise dieser Input-/Output-Analyse wird ausführlich und für den Leser transparent dokumentiert. Wer eigene inhaltsanalytische Forschung zu populistischen Medienbotschaften betreibt oder vorhat dies zu tun, wird sich vor allem für die Operationalisierung von Populismus interessieren. Die Arbeit wählt hier, ähnlich wie vergleichbare Studien, einen recht breiten Zugriff. Referenzen zum nationalen (oder europäischen) Volk werden grundsätzlich unter der populistischen Subdimension »Volksbezug« festgehalten, die explizite Kritik an politischen Eliten wird als »Anti-Establishment«-Subdimension betrachtet.

An dieser Lösung lässt sich kritisieren, dass hier typische Elemente der medialen Politikberichterstattung und des demokratischen Diskurses insgesamt angesprochen sind. Ob jede Kritik an politischen Eliten, in deren Rahmen zusätzlich ein Bezug zum Volk hergestellt wird, bereits populistisch ist – darüber ließe sich trefflich streiten. Bedauerlicherweise werden alternative Varianten der inhaltsanalytischen Messung von Populismus im Rahmen der Arbeit jedoch kaum reflektiert, so dass die Vor- und Nachteile der gewählten Operationalisierung nicht transparent werden.

Dass die gewählte Variante vermutlich trotz ihrer Nachteile die einzig mögliche ist, um das fragmentierte Auftreten von Populismus in der Medienberichterstattung überhaupt zu fassen zu bekommen, illustrieren die Ergebnisse der vorliegenden Studie. Denn trotz des breiten Zugriffs und der zielgerichteten Auswahl von Beiträgen, die potentiell populistische Aussagen enthalten könnten, werden nur wenige populistische Medienbotschaften identifiziert – ein Befund, der sich in vergleichbaren Studien ebenfalls zeigt (vgl. Wettstein, Esser, Schulz, et al. 2018).

Die geringen Fallzahlen erschweren der Arbeit die Hypothesenprüfung. Ein längerer Untersuchungszeitraum als die umgesetzten zwölf Wochen hätten vermutlich zu belastbareren Ergebnissen geführt, wie die Autorin selbst offenlegt. Dennoch fördert die Studie einige interessante und neue Befunde zu Tage, z. B. dass populistische Aussagen aus der Parteienkommunikation eher übernommen werden, wenn die politische Orientierung der Parteien insgesamt der Blattlinie entspricht. Insgesamt kommt die Studie jedoch zu dem Schluss, dass sowohl Boulevard- als auch Qualitätszeitungen eher als Korrektive denn als Förderer des Parteienpopulismus in Erscheinung treten.

Die neuerliche Bestätigung dieses Befunds unterstreicht, dass Forscher*innen auf der Suche nach medialen Treibern des Populismus den Blick verstärkt auf (nicht-journalistische) Social-Media-Kommunikation und Alternativmedien richten sollten. Franzisca Schmidts Buch erfindet das Rad der kommunikationswissenschaftlichen Populismus-Forschung sicherlich nicht neu, fügt ihr aber mit ihrer Input-/Output-Perspektive einen wichtigen empirischen Baustein hinzu. Somit trägt das Buch im besten Popperschen Sinne zur Konsolidierung und Erweiterung des bestehenden Kenntnisstandes bei. Und genau das sollte empirische Sozialforschung ja leisten.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 29. Mai 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21851.

Über den Rezensenten

Philipp Müller ist Akademischer Rat am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen politische Kommunikation, Nutzung & Wirkung journalistischer Medienangebote sowie Medienwandel & Digitalisierung.

Über dieses Buch

Franzisca Schmidt: Populistische Kommunikation und die Rolle der Medien. Der Umgang der Presse mit Parteien- und Medienpopulismus im Europawahlkampf 2014. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2019