Theorie und Praxis des TV- und AV-Journalismus: Andreas Elter verspricht in seinem zweibändigen Werk, die gesamte Spannbreite des digitalen AV-Journalismus abzudecken. Der erste Band, der sich vorrangig mit der Theorie beschäftigt und nur einige Anmerkungen aus der Praxis in eigens eingerahmten Absätzen ergänzt, liegt nun vor.
Der Autor schafft es, auf – dann tatsächlich lediglich – 330 Seiten, alle relevanten Theorien und Ansätze der vergangenen Jahrzehnte aufzugreifen und kurz darzustellen, jeweils zugeschnitten auf das Gesamtziel dieses ersten Bandes: ein neues »Universalmodell des digitalen AV-Journalismus« (269) aufzustellen. Die an manchen Stellen sicher notwendige Verkürzung bei der Darstellung der einzelnen Ansätze ist nachvollziehbar, soll der Band doch gleichzeitig einen Überblick liefern über die theoretischen Diskussionen und Fundamente der Medien- und der Kommunikationswissenschaften. Und tatsächlich: schon der Blick ins Literaturverzeichnis macht deutlich, dass zumindest keiner der gängigen Ansätze oder Diskurse ausgelassen wird. Das ist verdienstvoll.
Aber gleichzeitig steckt in diesem Ansatz auch eine Schwierigkeit: Einerseits soll der Band als Handbuch dienen, andererseits soll aus dem Handbuchwissen heraus ein eigenes Modell erarbeitet werden. Ein schwieriger Spagat, den sich der Autor vorgenommen hat. Zu Beginn des Unterfangens weist er selbst darauf hin, dass er mit den vorhandenen Theorien eklektizistisch umgeht – und umgehen muss. Hat doch all das, was er kursorisch darstellt, letztlich eine Zielrichtung: dem von ihm am Ende des Bandes aufgestellten Universalmodell zu dienen.
Dieses Modell stellt den durchaus gelungenen Versuch dar, digitalen Journalismus in seinen Ausprägungen als TV- und AV-Journalismus zu definieren. Elters Anspruch an diese Theorie ist, dass sie als Baukasten dienen und sich ändernden Rahmenbedingungen in Gesellschaft und oder Technik anpassen kann. Denn, so formuliert er u. a. innerhalb der abschließenden Definition, »Digitaler AV-Journalismus ist kommunikatives Handeln in sich permanent wandelnden Öffentlichkeitsarenen« (332f). Das ist ein insgesamt überzeugender Ansatz.
Dennoch sind einige seiner Aussagen im großen theoretischen Unterbau genauer zu hinterfragen. So kommt er zu der Schlussfolgerung, dass aufgrund der verschiedenen Ebenen von Bild und Text im TV-Journalismus die klassische journalistische Trennung von Nachricht und Kommentar für das Fernsehen nicht aufrechterhalten werden kann (vgl. 55). Grundlage dafür ist eine empirische: Pointierte Berichte in TV-Magazinen, einordnende Aussagen in Schaltgesprächen – sicher ist die Bandbreite größer als nur Nachricht auf der einen und Kommentar auf der anderen Seite. Aber allein die Tatsache, dass in der Praxis Journalistinnen und Journalisten nicht immer sauber zwischen Nachricht und Kommentar trennen, ist doch kein Grund, diese eherne Grundlage des Journalismus für den TV-Journalismus aufzugeben.
Ein weiterer Aspekt sei beispielhaft herausgegriffen. Anhand der Rangliste der Pressefreiheit errechnet Andreas Elter eine Journalismus-Wahrscheinlichkeit in verschiedenen Umgebungen und Modellen. Er kommt zu dem Schluss, dass Journalismus nur in einer entsprechend offenen Gesellschaft möglich ist: »Der normative Schutz ist der gesellschaftliche Sauerstoff, den er [der Journalismus, Anm. d. Verf.] zum Atmen braucht.« (320), Auch wenn ein solcher Schutz des Journalismus und eine entsprechende Pressefreiheit ohne Zweifel mehr als wünschenswert sind, so scheint diese Voraussetzung doch schwierig angesichts all der Journalistinnen und Journalisten, die ihre Arbeit in Widerstand und Opposition und oftmals unter schwierigsten Bedingungen leisten.
Das Buch ist durchweg in einer gut lesbaren Sprache geschrieben, auch wenn die Darstellung der einzelnen Positionen stellenweise sehr knapp, manchmal zu verkürzt und dadurch unnötig komplex erscheint. Der Autor schreckt nicht vor dem »Ich« zurück, wann immer es darum geht, seine eigene Position darzulegen. Ob, wie im Vorwort angesprochen, tatsächlich ambitionierte Laien oder journalistische Praktiker zu diesem gezwungenermaßen sehr theoretischen Buch greifen, darf bezweifelt werden. Interessant ist das Buch hingegen für Studierende und Lehrende, die sich speziell mit dem theoretischen Hintergrund des digitalen AV Journalismus beschäftigen und sich einen Überblick über vorhandene Theorien und Diskurse verschaffen wollen. Es schließt eine Lücke innerhalb der Journalistik. Der zweite Band darf mit Spannung erwartet werden, soll dort doch die aufgestellte Universaltheorie den Praxistest bestehen.
Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 29. April 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21788.
Über die Rezensentin
Prof. Dr. Claudia Nothelle lehrt seit Oktober 2017 TV-Journalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal und ist dort Studiengangsleiterin für den BA Journalismus. Vorher hat sie als Redakteurin und Korrespondentin beim mdr, danach als Fernseh-Chefredakteurin und multimediale Programmdirektorin beim rbb gearbeitet.
Über dieses Buch
Andreas Elter: TV und AV Journalismus. Praxisbuch für Unterricht und Training, Bd. 1. Baden-Baden [Nomos] 2019