Notizen zur Genderdebatte in der Journalistik

von Gabriele Hooffacker

Journalistische Sprache soll so präzise sein wie möglich. Journalistische Sprache dient zur Verständigung. Journalistische Sprache kann aber auch eine einseitige Wahrnehmung befördern. Ob in den Nachrichten von »Freiheitskämpfern« oder von »Aufständischen«, von einer »Regierung« oder einem »Regime«, von »Flüchtlingen« oder »Geflüchteten« die Rede ist, macht einen Unterschied. Wer eine gute journalistische Ausbildung oder entsprechende praktische Erfahrung hat, weiß und berücksichtigt das zunehmend.

Dem entgegen stehen unterschiedliche Sprachtraditionen in Nord und Süd, Ost und West, in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, in der alten Bundesrepublik und der DDR. Dass die Verwendung des Begriffs »BRD« einen in Bayern in den 1970er-Jahren als Kommunist/in verdächtig machte, versteht heute kaum noch jemand. Eine Frau, die in der DDR einen ingenieurwissenschaftlichen Abschluss erwarb, bezeichnete sich stolz als »Ingenieur« und sah dies als Zeichen der Gleichberechtigung. Umgekehrt ist es für Menschen unter 40 nicht mehr nachzuvollziehen, warum sich manche weigern, auf traditionelle Bezeichnungen für Schaumküsse oder Schnitzel mit Paprika-Soße zu verzichten.

Jahrhundertelang war von »Bürgern« die Rede. Das war korrekt – denn Frauen waren lange Zeit nicht wahlberechtigt. Die Formulierung von »Bürgerinnen und Bürgern« setzt den gesellschaftlichen Wandel sprachlich um. Dennoch spaltet kaum eine Forderung wie diejenige nach der sprachlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen die Gesellschaft – und diese Spaltung ist keineswegs nur eine zwischen »rechts« und »links«, auch wenn sie von interessierten Kreisen instrumentalisiert wird.

Nicht sichtbar sind im aktuellen Sprachgebrauch alle diejenigen, die von einer Identität zur anderen wechseln oder sich keiner eindeutigen Identität zwischen »Mann« und »Frau« zuordnen können. Gesellschaft und Gesetzgebung lernen hier hinzu. Entsprechend besteht sprachlicher Nachholbedarf.

Journalistische Medien helfen der Gesellschaft bei der Verständigung über sich selbst. Das Publikum muss dabei aushalten, dass es Gruppen in der Gesellschaft gibt, deren Lebensweise und Überzeugungen andere nicht teilen. Die Grenzen dafür sind gesetzlich festgelegt. Im gesellschaftlichen Wandel verändern auch sie sich.

Wissenschaftliche Medien dienen zunächst dem Austausch innerhalb der »scientific community«. (Und ja, auch hier wird leidenschaftlich gestritten – auch um das Gender-Thema). Der Gefahr, dass wissenschaftliche Diskurse sich zu sehr von der gesellschaftlichen Realität entfernen, wird aus den Reihen engagierter Forscherinnen und Forscher mit neuen Themensetzungen und aktivem Austausch mit der Gesellschaft entgegengearbeitet. Diese Prozesse benötigen Zeit.

Die Journalistik in ihrer Mittlerrolle zwischen praktischem Journalismus und der Wissenschaft vom Journalismus, der Journalistik, sieht sich auf der Seite der Aufklärung, des gesellschaftlichen Pluralismus und der Inklusion. In vielen deutschsprachigen Medien ist das Bemühen um gendergerechte, inklusive Sprache erkennbar – in allerhand Abstufungen. In anderen eher nicht. Wissenschaft begleitet diese gesellschaftlichen Prozesse, kann sie nicht stoppen oder beschleunigen. Wissenschaft kann aber Erkenntnisse liefern und Antworten und Orientierung ermöglichen.

Für mich ist die Orientierung auf eine gendergerechte, möglichst diskriminierungsfreie Sprache hin klar. Ein Ausgrenzen aller derjenigen, die den gesellschaftlichen Wandel noch nicht oder erst zögerlich sprachlich umsetzen, hielte ich für einen Fehler. Deshalb begrüße ich die Empfehlung gendergerechter Sprache in der Journalistik, bei der die Umsetzung – ob neutrale Formulierung, Sternchen, Doppelpunkt oder andere – offengelassen wird.


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Zitationsvorschlag

Gabriele Hooffacker: Notizen zur Genderdebatte in der Journalistik. In: Journalistik, 1, 2020, 3. Jg., S. 73-74

ISSN

2569-152X

Erste Online-Veröffentlichung

Juni 2020