Zwischen Misstrauen und Instrumentalisierung Zum journalistischen Umgang mit der AfD

von Marcus Maurer

Abstract: Ähnlich wie andere populistische Parteien versucht die »Alternative für Deutschland« (AfD), durch gezielte Provokationen mediale Berichterstattung und öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. Für den Journalismus stellt sich folglich die Frage, wie er mit diesen Instrumentalisierungsversuchen umgehen soll. Im Beitrag werden drei mögliche Strategien und ihre Folgen diskutiert. Er plädiert für einen nicht unkritischen, aber sachlichen Umgang mit der AfD. Die Partei vom öffentlichen Diskurs auszuschließen oder sich über ihre Provokationen zu empören, ist weder zielführend, noch entspricht es journalistischen Grundregeln.

 

Im August 2015 stand die AfD am Scheideweg. Nach langen innerparteilichen Konflikten hatten viele Gründungsmitglieder, darunter der langjährige Vorsitzende Bernd Lucke, die zunächst vor allem durch ihre europakritische Haltung bekannt gewordene Partei verlassen. Gerade einmal noch drei Prozent der Deutschen hätten zu diesem Zeitpunkt bei der nächsten Bundestagswahl AfD gewählt. In den folgenden Monaten erlebte die Partei dann allerdings einen in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Aufschwung: Bis zum Frühjahr 2016 hatte sich der Stimmenanteil der AfD in den Wahlumfragen auf 13 Prozent mehr als vervierfacht. Heute ist die AfD stärkste Oppositionspartei im Bundestag und hat 2019 bei den Landtagswahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern weiter stark an Stimmen zugenommen.

Was ist geschehen? Eine einfache Antwort lautet zunächst: Die AfD hatte ihren inhaltlichen Schwerpunkt auf die Migrationspolitik verlagert, als weitgehend einzige Partei die Aufnahme von rund einer Millionen Migranten im Verlauf der so genannten Flüchtlingskrise 2015/16 kritisiert und folglich den Teil der Bevölkerung hinter sich versammelt, der mit der Migrationspolitik der Bundesregierung nicht einverstanden war. Diese Antwort greift allerdings zu kurz, weil die Tatsache, dass Parteien in Teilen der Öffentlichkeit populäre Standpunkte vertreten, eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ihren Erfolg ist. So trivial es klingt: Die Standpunkte einer Partei müssen in der Öffentlichkeit zunächst einmal bekannt werden. Eine Partei, die dauerhaft politischen Erfolg haben will, braucht dauerhaft auch öffentliche Aufmerksamkeit für sich und ihre Positionen.

Um diese Aufmerksamkeit zu erhalten, fährt die AfD eine bemerkenswerte Doppelstrategie: Weil populistische Parteien in den etablierten Nachrichtenmedien kaum mit positiver Berichterstattung rechnen können und diesen deshalb umgekehrt die Glaubwürdigkeit absprechen (»Lügenpresse«), setzt die AfD auf Soziale Medien als Kommunikationsplattform, auf der sie sich durch Andersdenkende ungestört mit ihren Anhängern austauschen kann. Sie nutzt dabei vor allem Facebook und hat dort aktuell ähnlich viele Follower wie die beiden großen Volksparteien CDU und SPD zusammen. Allerdings lässt sich der erhebliche Stimmenzuwachs der Partei innerhalb von nur wenigen Monaten auf diese Weise nicht hinreichend erklären, weil sich in Sozialen Medien nach wie vor nur relativ wenige Menschen über Politik informieren und Parteien dort vor allem solche Menschen erreichen, die ihnen ohnehin schon nahestehen.

Deshalb setzt die AfD zugleich auch auf Präsenz in etablierten Nachrichtenmedien. Die Strategie dahinter wird in einem im Januar 2017 öffentlich gewordenen Papier der Partei deutlich (vgl. https://www.tagesschau.de/inland/afd-strategiepapier-101.html). Demnach sollen »sorgfältig geplante Provokationen« dafür sorgen, dass die Partei und ihr zentrales Wahlkampfthema Zuwanderung im Gespräch bleiben. Negative Reaktionen etablierter Parteien und Medien sollen dabei bewusst in Kauf genommen werden. Um zu prüfen, wie erfolgreich diese Strategie bislang war, haben wir am Mainzer Institut für Publizistik in einer noch unveröffentlichten Studie für die Jahre 2015 bis 2018 drei Datenreihen auf Wochenbasis miteinander verglichen: 1) Die Anzahl der Berichte über die AfD in reichweitenstarken deutschen Leitmedien, 2) die Menge der Suchanfragen zur AfD in der Online-Suchmaschine Google als Indikator für die öffentliche Aufmerksamkeit, die die AfD erhält und 3) die Wahlabsicht für die AfD. Die Befunde sind frappierend: Ein Anstieg der Medienberichterstattung über die AfD führte unmittelbar dazu, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für die Partei in etwa gleichem Maße anstieg. Längerfristig führte dies wiederum dazu, dass die AfD einer zunehmend großen Zahl von Menschen wählbar erschien.

Die Medienberichterstattung über die AfD stieg aus zweierlei Gründen an. Zum einen nahm die Berichterstattung kurz vor Bundes- und Landtagswahlen deutlich zu. Diese Anstiege waren für den Erfolg der AfD aber vermutlich weniger relevant, weil kurz vor Wahlen auch die Berichterstattung über die anderen Parteien anstieg. Die übrigen Anstiege der Berichterstattung waren dagegen durchweg von der AfD selbst initiiert. Sie lassen sich auf Provokationen von AfD-Politikern zurückführen, die in der Regel im Kontext der Zuwanderungspolitik standen und aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem das Ziel hatten, Medienberichterstattung zu generieren: Frauke Petrys Forderung, man müsse an der Grenze auch auf Frauen und Kinder schießen, Björn Höckes Einlassung, das Holocaust-Mahnmal sei ein Denkmal der Schande, Alexander Gaulands Aussage, man müsse die Integrationsbeauftragte in Anatolien entsorgen und viele mehr. Viele dieser Sätze sind ursprünglich auf Veranstaltungen gefallen, an denen lediglich einige hundert Personen teilgenommen haben. Sie wurden jedoch von den Nachrichtenmedien aufgegriffen und damit vor einem Millionenpublikum diskutiert. Auf diese Weise gelingt es der AfD seit Jahren, sich und das Thema Zuwanderung im Gespräch zu halten, obwohl die Zahl der Zuwanderer seit 2016 deutlich zurückgegangen ist.

Ausgrenzen, Empörung zeigen, sachlich bleiben: Strategien zum journalistischen Umgang mit der AfD

Da die Medienberichterstattung offensichtlich eine wichtige Rolle für den Erfolg populistischer Parteien spielt und die AfD die Mechanismen der Medienlogik gezielt für ihre eigenen Zwecke nutzt, stellt sich die Frage, wie Journalisten mit dieser Situation umgehen können. Dabei lassen sich grob drei Strategien unterscheiden: 1) wenig oder gar nicht über die AfD berichten, 2) sich über die AfD empören und 3) über die AfD mehr oder weniger so berichten, wie über andere Parteien auch.

1) Vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl 2016 sagte die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihre Teilnahme an einer Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten aller Parteien ab, weil auch ein Vertreter der AfD eingeladen war. Ihre Begründung war, man dürfe der Partei keine Plattform geben. Als die FAZ im Oktober 2018 einen Gastbeitrag von Alexander Gauland abdruckte, sah sie sich vor allem in Sozialen Medien heftiger Kritik ausgesetzt. Ähnliche Fälle häufen sich in den letzten Jahren. Offensichtlich besteht in Teilen des Journalismus, der Politik und der Bevölkerung der Wunsch, die AfD vom öffentlichen Diskurs auszuschließen. Wer mit der Partei spricht oder ihr die Möglichkeit gibt, sich öffentlich zu äußern, steht beinahe im Verdacht der Komplizenschaft. Diese Position ist aus normativer Perspektive jedoch fragwürdig, weil Demokratien vom Austausch unterschiedlicher Positionen leben und niemand von der Möglichkeit ausgeschlossen sein sollte, an diesem Austausch teilzunehmen. Dafür ist es zunächst auch erst einmal unerheblich, ob die Betreffenden selbst an einem echten Meinungsaustausch interessiert sind. Die Verweigerung eines solchen Meinungsaustauschs kann zudem leicht als Schwäche ausgelegt werden: Man vermeide die Diskussion aus Furcht, als Verlierer aus ihr hervorzugehen. Aus journalistischer Sicht kommt hinzu, dass insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, prinzipiell aber auch andere Medien dazu angehalten sind, in ihrer Berichterstattung das gesamte Meinungsspektrum zu repräsentieren. Davon ausgenommen sind allenfalls Positionen, die gegen rechtliche Grundsätze verstoßen und deshalb z.B. auch nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. Ob dies im Einzelnen der Fall ist, ist aber eine juristische und keine journalistische Frage. Eine Partei, die mittlerweile bei rund 15 Prozent der Bevölkerung auf Zustimmung stößt, kann nicht von der Medienberichterstattung und sollte auch nicht von öffentlichen Diskussionen ausgeschlossen werden. Die Frage ist folglich nicht ob, sondern wie die Medien über die AfD berichten sollten.

2) Eine bislang noch unveröffentlichte Inhaltsanalyse der Berichterstattung von regionalen und überregionalen Tageszeitungen über 17 Provokationsfälle zwischen 2015 und 2018, die am Mainzer Institut für Publizistik durchgeführt wurde, zeigt, dass die Medien über die meisten Provokationen der AfD intensiv berichtet und die Provokateure dabei massiv verurteilt haben. Die Journalisten nahmen diese Bewertung aber oft nicht selbst vor, sondern zitierten ausführlich Dritte, insbesondere Politiker anderer Parteien, die sich über die AfD empörten. Offensichtlich hatten Journalisten und Politiker den Eindruck, sie dürften die Provokationen der AfD nicht unwidersprochen stehen lassen. Dieser Impuls ist zwar verständlich, aber vermutlich wenig zielführend. Auch hier stellt sich zunächst eine normative Frage: Kann es tatsächlich die Aufgabe von Journalisten sein, unliebsame politische Parteien zu bekämpfen? Dies mag in meinungsbetonten Stilformen oder Formaten noch angemessen sein, ist mit der Idee einer neutralen und sachlichen Informationsvermittlung in Nachrichten und Berichten aber nicht vereinbar. Die Aufgabe, Populisten zu bekämpfen, fällt dagegen eher den etablierten Parteien zu, die dies schon aus Eigeninteresse tun müssen. Die eingangs präsentierten Daten zeigen zudem, dass die mediale Empörung über die AfD-Provokationen aus Sicht der AfD sogar hilfreich ist. Dass die Reaktionen negativ ausfallen, ist dabei weitgehend unerheblich. Im Gegensatz zu den etablierten Volksparteien profitieren Parteien an den politischen Rändern bereits von der reinen Medienaufmerksamkeit. Die negative Berichterstattung wird von ihnen zugleich geschickt verwendet, um für sich eine Art Opferrolle zu reklamieren. Sie wird als weiterer Beleg dafür angeführt, dass die etablierten Medien Teil einer dysfunktionalen gesellschaftlichen Elite seien, die von der AfD zu Recht bekämpft werde. In dem gut gemeinten Impuls, gegenüber der AfD Haltung zu zeigen, lassen sich Journalisten folglich von der Partei für ihre Zwecke instrumentalisieren.

3) Die Antwort auf die Frage, wie Journalisten mit der AfD umgehen sollten, fällt folglich eindeutig aus: Journalisten sollten sich bei ihrer Berichterstattung über die AfD schlicht auf ihr Handwerk besinnen: faktengestützt und sachlich (nicht moralisierend) berichten, wie dies auch im Falle anderer Parteien selbstverständlich sein sollte. Das heißt nicht, rechtsextreme Tendenzen in Teilen der Partei unkritisch auszublenden. Die Berichterstattung sollte aber nicht auf diese Aspekte beschränkt bleiben. Was kann das im Einzelnen bedeuten?

  • Nicht jede Provokation der AfD muss berichtet werden. Es gilt vielmehr abzuwägen, wie groß das öffentliche Interesse im jeweiligen Fall ist. Dabei geht es nicht nur um die Schwere der Provokation, sondern auch um die Größe des Personenkreises, der ohne Medienberichterstattung durch die Provokation erreicht würde. Muss die Tatsache, dass ein AfD-Politiker in einem ostdeutschen Dorfsaal die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung beleidigt hat, tatsächlich tagelang medial diskutiert werden? Oder kann man den dafür notwendigen Raum nicht sinnvoller nutzen?
  • Statt auf Provokationen zu reagieren, sollten die Medien Zeitpunkt und Thema der Berichterstattung über die AfD selbst bestimmen. Auch von den anderen Parteien lassen sich Journalisten schließlich ungern Berichterstattungsanlässe diktieren. Die Berichterstattung über eine Partei, die bei der letzten Bundestagswahl von fast sechs Millionen Menschen gewählt wurde, sollte darüber hinaus nicht auf das Thema Zuwanderung reduziert bleiben. Journalisten können AfD-Politiker gezielt auch zu anderen Themen befragen. Dies sollte aber nicht mit dem Ziel geschehen, die Partei vorzuführen, weil sie zu anderen Themen vermeintlich oder tatsächlich gar keine Positionen vertritt. Es geht vielmehr darum, den Wählern die Möglichkeit zu geben, sich ein umfassendes Urteil über die Positionen der AfD zu bilden. Daraus folgt, dass Journalisten auch aktiv auf AfD-Politiker zugehen müssen. Entsprechende Interviews zu führen, heißt nicht, der Partei unnötigerweise eine Plattform zu geben, sondern entspricht dem journalistischen Gebot, Meinungsvielfalt zu repräsentieren und entlastet Journalisten davon, über die AfD-Provokationen zu berichten, um diesem Gebot nachzukommen.
  • In einigen Fällen ist die Berichterstattung über eine AfD-Provokation aus journalistischer Sicht vermutlich dennoch unvermeidlich, z.B. weil ein Vorfall besonders schwerwiegend erscheint oder der Sachverhalt in Sozialen Medien bereits so intensiv diskutiert wird, dass die Nachrichtenmedien glauben, nachziehen zu müssen. In diesen Fällen können die Medienbeiträge zumindest die Strategie hinter der Provokation offenlegen. Die Rezipienten erhalten dann nicht nur Informationen über die Provokation und die Reaktionen darauf, sondern werden zugleich darauf aufmerksam gemacht, dass es sich dabei um eine bewusste Strategie der AfD handelt.

Fazit: Medienberichte über die AfD und über andere Parteien

Medien müssen über die AfD berichten, aber sie müssen nicht über jede Provokation der AfD berichten. Sie sollten ihre Aufgabe auch nicht darin sehen, Parteien wie die AfD zu entlarven, bloßzustellen oder vor ihnen zu warnen. Der mediale Empörungswettbewerb um die deutlichste Distanzierung von den Provokationen der AfD verhilft der Partei kurzfristig zu öffentlicher Aufmerksamkeit und erhöht längerfristig ihr Wählerpotenzial. Journalisten sollten sich nicht von populistischen Parteien instrumentalisieren lassen, sondern auf sie zugehen, um selbst Zeitpunkte und Themen der Berichterstattung zu bestimmen. Der sachliche Meinungsaustausch mit der AfD ist eine demokratische Pflicht, sich ihm zu verweigern ist kein Ruhmesblatt.

Der Erfolg der AfD hängt aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht nur davon ab, wie Journalisten über die AfD berichten, sondern auch davon, wie sie über andere Parteien und demokratische Institutionen berichten. Populistische Parteien profitieren, wenn die Bevölkerung das Vertrauen in etablierte politische Institutionen verliert und folglich offen wird für die Behauptung der Populisten, alleine sie könnten dem Volk seine Macht zurückgeben. Die mediale Tendenz, überwiegend Probleme und Konflikte zu thematisieren und etablierte Parteien und Institutionen eher in ein negatives Licht zu stellen, kann dazu führen, dass die Bevölkerung ein zunehmend negatives Politikbild erhält. Zur Frage, wie Journalisten mit der AfD umgehen sollten, gehört folglich auch die Frage, wie sie mit den etablierten politischen Institutionen umgehen sollten. Dabei kann es selbstverständlich nicht um eine unkritisch positive, aber doch um eine konstruktivere Berichterstattung gehen. Die Frage, ob man jedes Problem der Politik anlasten, jeden politischen Vorschlag medial zerpflücken und jede politische Kompromisssuche als »Streit« etikettieren muss, sollte in den Redaktionen zumindest diskutiert werden.

Über den Autor

Dr. Marcus Maurer (*1969) ist seit 2014 Professor für Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor war er Professor für Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft an der FSU Jena sowie Vertretungs- und Gastprofessor an der FU Berlin, der LMU München und der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Kommunikation, Empirische Methoden und Medienwirkungsforschung. Kontakt: mmaurer@uni-mainz.de


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Zitationsvorschlag

Marcus Maurer: Zwischen Misstrauen und Instrumentalisierung. Zum journalistischen Umgang mit der AfD. In: Journalistik, 2, 2019, 2. Jg., S. 134-139. DOI: 10.1453/2569-152X-22019-9854-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-22019-9854-de

Erste Online-Veröffentlichung

Oktober 2019