Wie sehen News-Entrepreneurs die Zukunft ihrer Profession? Vier Thesen zum Journalismus von morgen

von Alexa Keinert, Annett Heft und Leyla Dogruel

Abstract: Die Frage nach der Zukunft des professionellen Journalismus treibt angesichts der Transformationen in der Medienlandschaft nicht nur die kommunikationswissenschaftliche Forschung um, sondern auch die Branche selbst. Auf Grundlage von Leitfadeninterviews mit Journalist*innen und Gründer*innen von deutschen News-Start-ups tragen wir zu dieser Debatte bei. Wir fragen nach (1) den zentralen Funktionen eines zukunftsfähigen Journalismus sowie nach (2) den Zukunftstrends hinsichtlich Journalismuskonzepten, Organisationsformen und Erlösmodellen aus Sicht der News-Entrepreneurs. Ausgehend von diesen Einschätzungen können vier Trends identifiziert werden: (1) Der professionelle Journalismus besinnt sich auf umfassend recherchierte, gute Geschichten. (2) Die Illusion eines objektiven Journalismus wird durch einen Journalismus mit Haltung und Persönlichkeit abgelöst. (3) Die Organisationsform des Journalismus der Zukunft heißt Kollaboration. (4) Die Finanzierung des professionellen Journalismus muss zukünftig verstärkt aus der Zivilgesellschaft kommen.

Die Frage, wie angesichts der Transformation journalistischer Inhalteproduktion, -verbreitung und -rezeption die Zukunft des professionellen Journalismus gestaltet werden kann, treibt nicht nur die kommunikationswissenschaftliche Forschung um (u. a. Buschow 2018; Van Der Haak/Parks/Castells 2012). Auch in der Branche selbst werden die Herausforderungen für professionellen Journalismus ausgiebig thematisiert – in Zeitungsserien[1], Fachkonferenzen[2] und Debatten­beiträgen der Macher*innen (bspw. Ehl/Urner 2017). Auch wenn im Prinzip unstrittig ist, dass Journalismus mit seinen Funktionen für die Gesellschaft unentbehrlich ist (Haas 2010; Jarren 2008, 2015), stellt sich die Frage, ob (noch) eine Zukunft besteht für den Journalismus, wie er bisher praktiziert wird (Picard 2014; Weischenberg 2018) bzw. wie sich professioneller Journalismus in hybriden und digitalen Medienumgebungen aufstellen und nachhaltig positionieren will und kann. Mit Blick auf digitalen Nachrichtenjournalismus wollen wir zu dieser Debatte beitragen, indem wir die Zukunftsvisionen von News-Entrepreneurs als Pionieren der Branche (Hepp/Loosen 2018; Ruotsalainen/Villi 2018) beschreiben, verdichten und im Hinblick auf den wissenschaftlichen Forschungsstand kontextualisieren. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt unserer Analyse:

  1. Welche Funktionen des professionellen Nachrichtenjournalismus sind aus Sicht von News-Entrepreneurs für seine Zukunft zentral?
  2. Welche (neuen) Journalismuskonzepte, Organisationsformen und Erlösmodelle sehen News-Entrepreneurs als Zukunftstrends?

Im Zuge von Digitalisierung und Vernetzung mit den Möglichkeiten (direkter) digitaler Distribution von Inhalten haben sich mit journalistischen Neugründungen neue Angebote herausgebildet, die in Ergänzung zu den etablierten journalistischen Medien alternative Finanzierungs-, Organisations-, und Angebotsformen erproben (Achtenhagen 2017). Dabei verfestigen und erweitern sie journalistische Praktiken zugleich (Carlson/Usher 2016). In Anlehnung an Ruotsalainen und Villi (2018) verstehen wir unter News-Entrepreneurs sowohl Journalist*innen als auch Unternehmer*innen, die

  1. in einem journalistischen Start-up tätig sind, welches auf die gegenwärtigen Herausforderungen des Journalismus reagiert und deswegen
  2. eine spezielle Form des Journalismus realisiert (sei es im Hinblick auf Funktionen, Konzepte oder Organisationsformen) und dabei
  3. Erlösmodelle jenseits der klassischen Werbefinanzierung ausprobiert.

In ihrer Rolle als Innovatoren in der Branche scheinen die News-Entrepreneurs besonders geeignet, Fragen nach der Zukunft des professionellen Journalismus zu beantworten (Carlson/Usher 2016; Hepp/Loosen 2019).

Um die Frage nach zukünftigen Funktionen, Konzepten, Organisations- und Finanzierungsformen des Journalismus zu bearbeiten, wird zunächst der Forschungsstand zu Entwicklungen und Trends im Journalismus aufgearbeitet. Nach einer kurzen Beschreibung unserer Interviewstudie mit Journalist*innen und Gründer*innen von 12 journalistischen Start-ups im Internet, betrachten wir aus Perspektive dieser Akteursgruppe, wie sie die Rolle des professionellen Journalismus in digitalen und hybriden Medienumgebungen wahrnehmen, mit welchen Konzepten und Organisationsformen sie sich in diesen positionieren, und welche Vorstellungen sie über künftige Erlösmodelle des Journalismus haben. Die Einschätzungen und Wahrnehmungen dieser Journalist*innen und Entrepreneurs sind in der gegenwärtigen Transformationsphase der Branche besonders aufschlussreich, da sich in ihnen, so Usher (2017), das Wesen des zukünftigen Journalismus zeige. Ziel dieses Beitrags ist es, die Einschätzungen der in dieser Studie befragten Praktiker*innen zur Frage der Zukunft des Journalismus zu systematisieren, dabei zentrale Trends herauszuarbeiten und die Befunde sowohl für eine wissenschaftliche als auch eine gesellschaftspolitische Debatte anschlussfähig zu machen.

Der folgende Beitrag stützt sich auf Leitfadengespräche und Dokumentenanalysen aus einem Projekt, das nach der wahrgenommenen Autonomie von News-Entrepreneurs hinsichtlich professioneller Normen und Werte, prozeduraler und organisationaler Selbstbestimmung sowie der Unabhängigkeit von externen Einflüssen fragt. Die Projektergebnisse sind in Heft und Dogruel (2019) publiziert.

Herausforderungen für den professionellen Journalismus

In den Krisendiskursen um aktuelle Herausforderungen für den Journalismus stehen neben ökonomischen Aspekten (Buschow 2018; Lobigs 2018) insbesondere Fragen nach der Qualität professionellen Journalismus und nach seiner Identität im Mittelpunkt (Neuberger 2018; Papacharissi 2015; Weischenberg 2018). Angesichts von Umstrukturierungen in Redaktionen und Sparmaßnahmen (Puppis/Künzler/Jarren 2012) und damit verbundenen beschleunigten Arbeitsprozessen und höherer Arbeitsbelastung werden Entgrenzung, Deprofessionalisierung und Prekarisierungstendenzen des Journalismus in Deutschland diagnostiziert (Steindl/Lauerer/Hanitzsch 2017). Diese Entwicklungen können als problematisch für qualitativ-hochwertige und hintergründige Berichterstattung angesehen werden. Wie Journalismus bei schwindenden Grenzen zwischen Medien und Formaten, zwischen verschiedenen Akteursrollen und den Logiken verschiedener Funktionssysteme seine Identität wahren und sich gleichzeitig weiterentwickeln kann, wird als »Gratwanderung« (Neuberger 2018: 38) beschrieben.

Gerade vor dem Hintergrund eines zunehmenden Angebots medialer Informationen und einer neuen »Informations-, Kommunikations- und Vermittlungsindustrie« (Jarren 2015: 115) wird ein wachsender Bedarf an Einordnung, Kontext und Hintergrund gesehen und als Alleinstellungsmerkmal von Journalismus betont (Novy 2013). Selbstbeobachtung der Gesellschaft, verlässliche Informationen, Analysen und Einordnung zum Wohle aller gelten als zentrale Funktionen professionellen Journalismus auch in digitalen Medienumgebungen (Van der Haak/Parks/Castells 2012).

Vielfältige Konzepte und neue Organisationsformen werden diesbezüglich diskutiert: zum einen Formen eines Netzwerkjournalismus, in dem die Notwendigkeit der Kooperation sowohl mit anderen Professionen als auch mit Bürger*innen zur Sammlung, Prüfung und Anreicherung von Informationen hervorgehoben wird (Van der Haak/Parks/Castells 2012) und in dem die Gratwanderung besonders plastisch wird. Andere Konzepte umfassen kollaborativen, grenzüberschreitenden (cross-border) Journalismus, der seine Stärke in der länderübergreifenden Bündelung von Kompetenzen und Ressourcen zum Zwecke vielfältigerer und qualitativ hochwertiger Berichterstattung sieht (Alfter 2016) – nicht nur, aber besonders in kostenintensiven Bereichen wie dem investigativen Journalismus (Sambrook 2018). Daneben wird für einen point of view journalism als Journalismus mit einer klaren Perspektive argumentiert. Ein solches Konzept sei zielführender als ein Beharren auf (nicht erreichbarer) Objektivität. Wichtiger seien vielmehr Transparenz und Formate, die eine Vielzahl an Perspektiven vermittelten (Van der Haak/Parks/Castells 2012). Das Konzept des konstruktiven Journalismus wird als Berichterstattungsmuster kontrovers diskutiert – mit Blick auf die Frage, inwiefern sich damit der Public Value von Medien steigern ließe (Beiler/Krüger 2018; Mast/Coesemans/Temmerman 2019). Andere Zugänge wiederum betonen neue Wege und Räume des kollaborativen Storytelling als Ausdruck neuer Formen der Nachrichtenproduktion in hybriden Plattformen, in denen Affekt und Subjektivität eine größere Rolle spielen (Papacharissi 2015). Angesichts dieser Ausdifferenzierung des professionellen Journalismus und mit Blick auf seine Identität hat Jarren (2015: 121) dafür plädiert, die verschiedenen neuen Formen und Konzepte des Journalismus als Gewinn zu verstehen, die es zu analysieren und zu verstehen gelte.

Neben dem Ringen um professionelle Qualität und die Identität des Journalismus ist seine Finanzierung das zentrale Thema. Das lange erfolgreiche Erlösmodell des Journalismus, die Quersubventionierung aus dem Werbemarkt in Ergänzung zu direkten Erlösen aus Abonnements und Zeitungsverkäufen, steckt in der Krise. Dies zum einen angesichts sinkender Werbeeinnahmen durch das Hinzutreten konkurrierender Online-Intermediäre, die mit ihren Geschäftsmodellen die Werbemärkte dominieren. Zum anderen bedingt durch die geringe Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten beim Publikum in Verbindung mit der frühen Strategie von Medienmarken, ihre Inhalte kostenlos im Netz anzubieten (Wenzlaff 2013; Lobigs 2018). Auch hier verspricht sich die Branche und Forschung von den News-Entrepreneurs wichtige Impulse, wie mit den Herausforderungen der Finanzierung des Journalismus umgegangen werden kann (Vos/Singer 2016).

Während etablierte Medienanbieter online überwiegend weiterhin auf eine Kombination von Werbung und direkten Erlösen in Gestalt von Paywalls setzen (Kansky 2015), finden sich gerade bei News-Entrepreneurs neue Erlöskonzepte, die stiftungsfinanzierte Modelle, Großspenden einzelner ›Mäzene‹, Individualspenden (Crowdfunding), Mitgliedsbeiträge oder auch Micropayments für einzelne Inhalte umfassen (Aitamurto 2011; Wenzlaff 2013). Inwiefern solche alternativen Erlösformen eine Chance für den Journalismus bieten, wird kon­trovers diskutiert – wie etwa die Debatte um Stiftungsgelder als ›dritten Weg‹ der Finanzierung der Institution Journalismus (Kiefer 2011) zeigt. Bestehende Analysen deuten darauf hin, dass solche alternativen Finanzierungsmodelle zumindest bislang kaum eine tragfähige wirtschaftliche Basis für Journalismus bieten (Lobigs 2018) und erhebliche Vorbehalte gegenüber der öffentlichen bzw. stiftungsbasierten Finanzierung von Journalismus bestehen (Ruß-Mohl 2011; Stöber 2011; Weischenberg 2018). Gerade mit Blick auf die Unabhängigkeit von Journalismus stellt sich die Frage (Porlezza/Splendore 2016; Vos/Singer 2016), welche Erlösmodelle sich neben dem klassischen Modell der Querfinanzierung aus Werbung und Nutzer*innenentgelten etablieren können und als tragfähig erweisen, um die Leistungen von Journalismus zu sichern.

News-Entrepreneurs als neue Akteure im Ökosystem Journalismus

Als »Quelle der Hoffnung« (Vos/Singer 2016: 143, eigene Übersetzung) für diese Herausforderungen haben sich News-Entrepreneurs als Pioniere ihrer Branche positioniert. Auf ihnen liegt ein besonderes Augenmerk, da sie oft als treibende Kräfte hervorgehoben werden, die journalistische Praktiken online revitalisieren und notwendige Innovationen im Nachrichtengeschäft initiieren könnten (Nee 2013). Die News-Entrepreneurs sind laut Deuze und Witschge (2018) dabei die Folge einer Verschiebung der Ansprüche an Unternehmergeist von der Makro- auf die Mikro-Ebene. Was genau unter entrepreneurial journalism verstanden wird – dazu hat sich in der Forschung noch keine eindeutige Definition etablieren können (Ruotsalainen/Villi 2018; Vos/Singer 2016). Routsalainen und Villi schlagen deswegen mit Blick auf andere, eher weite Definitionen folgende Kriterien vor: entrepreneurial journalism bedeute die Entdeckung neuer Chancen und Wege für den Journalismus mit dem Versuch, daraus ein Geschäftsmodell zu machen (2018: 82). Zugleich wurde in verschiedenen Studien zum entrepreneurial journalism festgestellt (u. a. Usher 2017; Wagemans/Witschge/Harbers 2019), dass auch dieser den Journalismus nicht neu erfinde, sondern vielmehr bestehende Konzepte sowohl bestätige als auch neu verknüpfe und damit hinterfrage.

Eine zentrale ethische Herausforderung deutet sich dabei bereits in der Bezeichnung als entrepreneurial journalism an: Rollen und Aufgaben, die in traditionellen Medien unbedingt getrennt gehörten, werden in den journalistischen Start-ups gemeinsam gedacht und wahrgenommen, was Fragen in Bezug auf die Autonomie der Medienschaffenden aufwirft (Porlezza/Splendore 2016; Vos/Singer 2016). Dennoch scheint das Potential des entrepreneurial journalism weitestgehend unumstritten: die innovativen und auch disruptiven News-Start-ups werden als Notwendigkeit des Überlebens oder auch der Erneuerung der Branche gesehen (Vos/Singer 2016; Carlson/Usher 2016).

Methode

Aufgrund dieser (attribuierten) Eigenschaften wurden explizit News-Entrepreneurs befragt, womit diese Studie zur Journalismusforschung »beyond the stable news institutions« (Deuze/Witschge 2018: 176) beiträgt. Zur Ermittlung relevanter Unternehmungen wurde zunächst eine Recherche von journalistischen Start-ups in Deutschland oder mit erheblicher deutscher Beteiligung vorgenommen. Ausgehend von nationalen und internationalen Medienwettbewerben (z. B. Grimme Online Award, Lead Award, Data Journalism Awards), Datenbanken zu innovativen Journalismusprojekten und von Förderorganisationen (z. B. Vocer, Journalismfund.eu, Media Lab Bayern) sowie ergänzt durch Schneeballrecherchen haben wir rund 140 Angebote identifiziert. Auf Basis der Websites dieser Angebote wurden die Art des Unternehmens und grundlegende organisatorische Informationen wie Gründungsdatum, Anzahl der Mitarbeiter*innen, Organisationsstrukturen, Ziele und thematischer Fokus sowie das Finanzierungsmodell ermittelt, um eine systematische Fallauswahl zu ermöglichen.

Nach dem Prinzip des theoretischen Sampling (Corbin/Strauss 2008; Kelle/Kluge 2010) wurden Unternehmungen ausgewählt, die verschiedene Typen repräsentieren und sich zudem in ihrem Institutionalisierungsgrad und ihren Finanzierungsmodellen unterscheiden. Dabei haben wir zwischen drei Typen differenziert:

  1. journalistische Netzwerke der kollaborativen Inhalteproduktion, in denen Journalist*innen, Aktivist*innen und Datenmanager*innen gemeinsam an Themen arbeiten;
  2. Online-Journalismusplattformen, die eine von traditionellen Medienorganisationen unabhängige Infrastruktur bieten und journalistische Angebote unter einem gemeinsamen Label veröffentlichen und monetarisieren;
  3. Online-Medien, die permanent sind, unabhängig von traditionellen Medien­organisationen initiiert wurden, redaktionelle Inhalte anbieten und einen gewissen Publikationsrhythmus aufweisen.

Unsere Analyse schließt 12 Projekte ein:

  • Investigate Europe und das Agora Project von Hostwriter sind Beispiele für Netzwerkjournalismus,
  • CamperStyle, das Filter, Deine Korrespondentin, Perspective Daily, Correct!v, dekoder, Krautreporter, Netzpolitik.org repräsentieren verschieden stark institutionalisierte Online-Medien,
  • The Buzzard sowie piqd wurden als Beispiele für Online-Plattformen berücksichtigt.

Für alle Unternehmungen wurden auf Basis von Sekundärquellenanalysen die Gründer*innen und einige Journalist*innen ausgewählt. Insgesamt konnten 17 Interviews geführt werden, fünf mit Gründer*innen der verschiedenen Projekte, fünf mit Journalist*innen, die in den Projekten arbeiten, und sieben mit Personen, die für unsere Studie beide Ebenen repräsentieren. Die Interviews wurden von Januar bis März 2018 geführt – entweder persönlich (1), telefonisch (9) oder online über Skype oder ähnliches (7). Sie dauerten zwischen 25 und 64 Minuten bei einer durchschnittlichen Dauer von 48 Minuten. Um zu erfassen, welches Verständnis von Journalismus den Unternehmungen zugrunde liegt, wurden die News-Entrepreneurs nach den Hintergründen und Anlässen der Gründung sowie nach den Motivationen und Zielen der Gründung des Start-ups bzw. der Arbeit in einer solchen Unternehmung befragt. Es wurde rückblickend nach Erfüllung der Vorstellung und prospektiv nach künftigen Zielen gefragt. Weitere Gegenstände des Interviews waren Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale des jeweiligen journalistischen Angebotes. Neben Fragen zur Organisationsstruktur wurde mit Fragen zu Form, Umfang und Organisation der Finanzierung das wirtschaftliche Erlösmodell erfasst. Mit Blick auf die Zukunft der Finanzierung wurden geplante Veränderungen in der Art oder dem Umfang der Finanzierungsformen und Einschätzungen zu einem langfristig tragfähigen Finanzierungsmodell erfragt. Übergreifend wurden die Gründer*innen und Journalist*innen um ihre Einschätzungen und Visionen zur Zukunft des Journalismus gebeten. Die Aussagen der Interviewten wurden in einem mehrstufigen Verfahren strukturiert, den Kategorien Funktionen, Konzepte, Organisationsformen und Erlösmodelle zugeordnet und mehrfach auftretende Idee-Elemente verdichtet, um Trends identifizieren zu können (Mayring 2008).

Die Zukunft des Journalismus – ein Journalismus für die Zukunft:
die Perspektive von News-Entrepreneurs

In den Einschätzungen der befragten Praktiker*innen haben sich zentrale Trends abgezeichnet. Die eingangs gestellten Forschungsfragen sollen im Folgenden durch die Beleuchtung dieser Trends beantwortet werden – sie lassen sich als vier Thesen formulieren: (1) Der professionelle Journalismus muss sich mit umfassend recherchierten, guten Geschichten gegenüber zunehmend automatisierten News, Tweets und Inhalten aus sozialen Netzwerken abgrenzen. (2) Die Illusion eines objektiven Journalismus wird durch einen Journalismus mit Haltung und Persönlichkeit abgelöst. (3) Die Organisationsform des Journalismus der Zukunft heißt Kollaboration. (4) Die Finanzierung des professionellen Journalismus geht nicht ohne die Zivilgesellschaft – und möglicherweise nur mit Beteiligung des Staates. Im Fazit erfolgt die Kontextualisierung der in diesem Kapitel dargestellten Befunde im Hinblick auf die wissenschaftliche Debatte.

These 1: Besinnung aufs Kerngeschäft – gute Geschichten als Alleinstellungsmerkmal

Auch wenn die News-Start-ups in unserem Sample unterschiedliche Geschäftsmodelle und Ziele verfolgen, ist ihnen gemeinsam, dass sie eine Konsequenz aus der Krise des traditionellen Journalismus ziehen und Antworten auf die Heraus­forderungen einer digitalisierten Medienwelt für den Journalismus suchen. Eine dieser Herausforderungen ist die zunehmende Komplexität an öffentlichen Kommunikatoren angesichts neuer, vielfältiger Kommunikationsnetzwerke und -plattformen (Blumler/Kavanaugh 1999). Über Ereignisse in der Welt erfahren Rezipient*innen heute nicht mehr nur aus Zeitungen und den Rundfunknachrichten, sondern auch durch Berichte von Einzelpersonen, die über soziale Medien geteilt werden, oder durch die professionelle Kommunikation unterschiedlichster Akteur*innen, seien dies Unternehmensvertreter*innen, Politiker*innen oder Stakeholder. Mit Blick auf die Vielzahl an Informationskanälen nennen die Befragten deshalb das (Ein-)Ordnen dieser Masse an Informationen und der Vielfalt an zirkulierenden Perspektiven als zentrales Alleinstellungsmerkmal des professionellen Journalismus. Für einen Journalisten der Online-Plattform The Buzzard ist klar: »Kuratierte Angebote werden die Zukunft haben.«[3]

Für die Befragten ist ein wichtiger Aspekt dieser Kurationsleistung möglichst vielfältige Perspektiven darzustellen und für die Rezipient*innen zugänglich zu machen. Journalismus wird dann zum »Meinungsnavigator«, wie der Gründer von The Buzzard erläutert: »Wir sind der Anlaufpunkt, der einen dann zu vielen anderen Stimmen bringt, die im Internet sind.« Auch bei anderen News-Entrepreneurs findet sich dieser Aspekt der Vielfalt und Diversität, wie etwa bei piqd, dekoder oder Perspective Daily, die bewusst Autor*innen zu Wort kommen lassen, die nicht aus dem Journalismus kommen.[4] Deine Korrespondentin und die Beiträge des Agora Projects nehmen in ihren Geschichten konsequent bestimmte Blickwinkel ein,[5] die die Mainstream-Berichterstattung ergänzen sollen. Mit diesem Fokus auf Diversität ist die Intention verbunden, Informationen zu kontextualisieren sowie die verschiedenen Facetten von Themen oder Ereignissen zu beleuchten, um einem umfassenderen Verständnis der Realität näher zu kommen. Die Mission beispielweise von The Buzzard ist es, »ein differenzierteres Bild auf die politischen Debatten unserer Zeit möglich zu machen […]. Um was es uns eigentlich geht ist die Vielfalt der Argumente.« Um dies zu erreichen, so betonen die Befragten (z. B. piqd, Netzpolitik, Perspective Daily, Investigate Europe), seien Raum und Zeit für Recherchen, umfangreiche Reportagen und Hintergrundinformationen nötig, sodass eine »ruhige Betrachtung« möglich wird, in der »die Grautöne eben sehr wohl erlaubt sind« (piqd). Aufgabe und Alleinstellungsmerkmal des Journalismus ist es dann nicht mehr hauptsächlich Informationen zu liefern, sondern Zusammenhänge und vielfältige Perspektiven darzustellen, Hintergrundinformationen und Orientierung zu bieten: »Die Zukunft des Journalismus sollte sein, dass wir weiterhin sehr gut recherchierte und sehr gut aufgeschriebene Geschichten machen. Egal auf welchem Kanal.« (piqd)

These 2: Journalismus mit Haltung

Objektivität im Journalismus ist seit jeher umstritten: Eine objektive Berichterstattung gilt als wichtiger Wert des Journalismus (Meier 2018; Munoz-Torres 2012), zugleich variieren die Ansichten deutlich, was unter diesem Grundsatz zu verstehen ist (ebd.). Darüber hinaus wird grundsätzlich diskutiert, ob eine objektive Berichterstattung überhaupt möglich ist (Neuberger 2017). Vor dem Hintergrund der Debatte um Vertrauen in die Institution Journalismus haben einige der befragten News-Start-ups (Netzpolitik, Perspective Daily, The Buzzard, piqd) ihre Antwort auf diese Frage gefunden: Sie verfolgen einen Journalismus, der selbstbewusst und transparent mit Haltung und Meinung statt (vordergründig) objektiv berichtet. Für Netzpolitik beschreibt ein Befragter dieses Verständnis so: »Wir haben ein anderes Bild von Journalismus, […] weil wir nicht davon ausgehen, dass es einen neutralen Journalismus geben könnte, sondern Journalismus mit Haltung sagen wir dazu. Wir machen eben klar wofür wir stehen und aus welcher Perspektive wir schreiben.«

Dieses Verständnis von Journalismus geht mit generellen Phänomenen einher, wie der Individualisierung in postmodernen Gesellschaften sowie der Personalisierung der öffentlichen Kommunikation und Politik (Blumler/Kavanaugh 1999; Hans 2017). Journalist*innen treten dabei als Einzelpersonen in den Vordergrund (so z. B. bei Netzpolitik, piqd, Krautreporter), verstärkt dadurch, dass sie in den sozialen Medien unter ihrem eigenen Namen kommunizieren, während der Markenname des Arbeitgebers in den Hintergrund rückt (Ruotsalainen/Villi 2018). Deine Korrespondentin experimentiert in dieser Hinsicht mit Podcasts und Video-Formaten, damit »man auch ein bisschen den Menschen hinter dem Namen kennenlernen« kann (Deine Korrespondentin). Wie auch der Journalismus mit Haltung soll dieser personalisierte Journalismus Vertrauen zwischen Rezipient*innen und Journalist*innen (wieder) aufbauen: »Wir suchen oft persönliche Zugänge zu den Geschichten. Unsere Autoren sind sehr präsent, sowohl in der Kommentarspalte als auch in den Artikeln […], weil wir glauben, dass Vertrauen über eine persönliche Ebene entsteht und nicht zwangsläufig über eine institutionelle, wie das früher war.« (Krautreporter)

These 3: Die Zukunft des Journalismus in drei Wörtern:
Kollaboration, Kollaboration, Kollaboration[6]

Kollaborationen verschiedenster Art werden von einigen der untersuchten News-Start-ups als zentrale Organisationsform eines zukunftsfähigen Journalismus gesehen und auch gelebt. Beispiele für die Kooperation zwischen Journalist*innen sind das Agora Project, Investigate Europe und auch Perspective Daily. Die beiden erstgenannten Projekte nehmen eine dezidiert europäische Perspektive ein, für die der Austausch und die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus unterschiedlichen Ländern nicht nur vorteilhaft, sondern unerlässlich erscheint: »Wir machen tolle Geschichten, die man alleine gar nicht machen könnte, selbst wenn man genialer Reporter wäre, kein Mensch kann in fünf bis sechs Ländern gleich recherchieren.« (Investigate Europe) Für den Mitinitiator des Agora Project bedeutet die Zusammenarbeit mehrerer Journalist*innen darüber hinaus eine Annäherung an das bereits skizzierte Ideal einer vielfältigeren, diverseren Berichterstattung: »Wir glauben einfach an diese Idee der Zusammenarbeit, auch dass man nationale Stereotypen immer wieder hinterfragen kann, und das kann man eben nur, wenn man mit Leuten mit unterschiedlichen Prägungsverhältnissen zusammenkommt.«

Aber auch andere Kooperationsformen werden praktiziert. Krautreporter und Correct!v arbeiten mit ihren Leser*innen zusammen, einerseits um lokale, ressourcenaufwändige Recherchen zu ermöglichen (z. B. in Form des Crowd­Newsroom bei Correct!v[7]), andererseits um auf das Wissen der Rezipient*innen zurückgreifen zu können. Andere Start-ups wie Perspective Daily stehen beispielsweise durch Umfragen in regem Austausch mit ihren Abonnent*innen (Eigenangabe, Interview mit Maren Urner), die damit auch auf die inhaltliche Ausrichtung der Produkte Einfluss nehmen können. Diese Form der Einflussnahme ist dabei ausdrücklich erwünscht, da erwartet wird, dass auch Kooperation zu einem (wieder gewonnenen) Vertrauensverhältnis zwischen Journalist*innen und den Leser*innen führen kann: »Uns war das wichtig, dass eine Beziehung zwischen Lesern und Autoren entsteht, zwischen Publikum und Journalisten, dass dieser Graben überwunden wird, der da existiert.« (Krautreporter) Über diese konkreten Beispiele hinausgehend, drücken einige der Befragten den Wunsch aus, dass Kooperation als Arbeitsethos die »Konkurrenzlogik« (Investigate Europe) in der Medienbranche ablösen und sämtliche Phasen der Produktion und Distribution journalistischen Inhaltes prägen sollte – sei es auf Ebene der Medienhäuser (Hepp/Loosen 2018), um sich gemeinsam den Herausforderungen für den Journalismus zu stellen, oder auf Ebene der Artikel und Arbeitsroutinen in den Start-ups (z. B. bei Perspective Daily, Agora Project).

These 4: Die Gesellschaft macht’s:
neue Finanzierungsquellen für den Journalismus

Wie die Finanzierung des Journalismus in der Zukunft aussehen kann, stellt sich nicht nur für die wissenschaftliche Debatte, sondern auch für die News-Start-ups als zentrales Problem dar. Die Befragung hat gezeigt, dass die Gründer*innen der analysierten Unternehmungen häufig auf einen Finanzierungsmix setzen und ihr Erlösmodell auf verschiedene Säulen stützen: »Im Wesentlichen geht es darum einen guten Mix zu schaffen, dass man sich nicht nur auf eine Einnahmequelle konzentriert, sondern unterschiedliche Standbeine aufbaut.« (Deine Korrespondentin) Dies macht die News-Start-ups, so kann vermutet werden, einerseits resilienter und andererseits unabhängiger von Partikularinteressen. Darüber hinaus zeigen sie eine große Offenheit gegenüber alternativen Finanzierungsmodellen, wie zum Beispiel eigene Expertise gegen Honorar bereitzustellen oder themenspezifische Events zu organisieren (z. B. Deine Korrespondentin, dekoder, Netzpolitik).

Insgesamt sind sich die Interviewpartner*innen einig, dass die stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Finanzierung des Journalismus notwendig ist. Die bisher bestehende Form der Querfinanzierung journalistischen Inhalts durch Werbung wird als nicht (mehr) erstrebenswert angesehen.[8] Demgegenüber zeichnen sich zwei andere zentrale Erlösmodelle für den Journalismus von morgen ab. Für viele der Unternehmungen – so etwa Perspective Daily, The Buzzard, Deine Korrespondentin oder Krautreporter – ist der ›Königsweg‹ die Finanzierung durch die eigenen Leser*innen, sei dies über Abonnements oder Crowdfunding-Kampagnen. Diese Finanzierungsform vereint für die News-Entrepreneurs mehrere Vorteile: erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen können als Beweis gelten, ein Produkt kreiert zu haben, das auf Nachfrage stößt und für gut befunden wird. Die Finanzierung durch die Leser*innen schafft darüber hinaus eine klare Orientierungslinie für die Journalist*innen, die sich auch auf die Qualität der journalistischen Produkte auswirken kann: »Nicht jeder werbefinanzierte Journalismus ist automatisch schlechter Journalismus, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er schlechter ist, ist höher, weil die Anreize einfach anders gesetzt werden, als wenn man für seine Leser schreibt.« (Krautreporter) Eine Interviewpartnerin bezeichnet dieses Erlösmodell gar als »unabhängigste Form von Journalismus« (Perspective Daily).

Gleichzeitig ist den Interviewpartner*innen auch bewusst, dass eine Finanzierung ausschließlich über die Leser*innen nicht für alle Projekte oder große Medienhäuser tragfähig ist: Noch sind die Rezipient*innen so sehr an kostenlose Informationen im Internet gewöhnt, dass Bezahlschranken häufig nicht akzeptiert werden (z. B. bei Deine Korrespondentin). In diesem Punkt einen Einstellungswandel herbeizuführen sei ein »langfristiger Erziehungsprozess«, für den die »Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und von Leuten, die es sich leisten können« (Investigate Europe) nötig sei.

Während die akademische Debatte dem kritisch gegenüber steht, sind Stiftungen für viele News-Start-ups eine weitere attraktive Finanzierungsquelle. In den selteneren Fällen, wie etwa bei Correct!v, dekoder oder Investigate Europe, stellen diese die einzige oder wichtigste Finanzierungsquelle dar, für die anderen Entrepreneurs kommen Stiftungsgelder als eine Säule im Finanzierungsmix infrage (u. a. berichtet von Perspective Daily, Deine Korrespondentin). Allerdings weisen Entrepreneurs (z. B. The Buzzard, Deine Korrespondentin) auch auf das Problem hin, dass sich vergleichsweise wenige Stiftungen finden, die Journalismus fördern, da diese Form der Finanzierung in Deutschland noch nicht weit verbreitet ist.[9] Selbst bei gemeinnützigen Projekten – in unserem Sample trifft dies auf Correct!v und dekoder zu – haben die Entrepreneurs die Erfahrung gemacht, dass für eine langfristige Finanzierung durch Stiftungen Hindernisse bestehen. Gemeinnützigkeit ist jedoch nicht nur für das Erlösmodell der Projekte von Relevanz, sondern wurde von den Medienschaffenden auch als ein spezifisches Verständnis von Journalismus diskutiert: »Unser Job ist es Informationen anzubieten, damit Menschen sich dann möglichst gut eine Meinung bilden können, […] damit Demokratie funktioniert. Das haben wir vielleicht noch ein bisschen mehr verinnerlicht als in einer klassischen Redaktion […]. Bei uns gehört es zum Auftrag, sonst könnten wir nicht gemeinnützig bleiben.« (Correct!v)

Insgesamt wurde in den Interviews deutlich, dass die befragten Entrepreneurs zivilgesellschaftliche Finanzierungsquellen der klassischen Investition – wie sie sonst im Start-up-Bereich üblich ist – vorziehen. Zu groß sei nach Darstellung einiger Befragter der Druck, der von diesem Erlösmodell ausgeht (z. B. das Filter) und zu sehr erinnere es an die Werbefinanzierung, von der sich viele der journalistischen Unternehmungen bewusst abgewendet haben. Gegenüber einer staatlich organisierten Finanzierung zeigten sich die Entrepreneurs hingegen eher offen. Mit Blick auf die Funktionen des Journalismus für eine demokratische Gesellschaft argumentiert beispielsweise der Geschäftsführer von piqd, dass »wir staatlich organisierte Strukturen brauchen für die Distribution von Informationen im Internet, die demokratisch kontrolliert sind und die nicht einfach auf dem Kapitalmarkt stehen, also nicht den rein quantitativen Wachstumszwängen unterliegen«. Er nimmt damit eine Position ein, die auch in der Kommunikationswissenschaft diskutiert und dabei stark kritisiert wurde (Kiefer 2011; Ruß-Mohl 2011; Stöber 2011).

Fazit

Mit Blick auf die Funktion und die Identität des professionellen Journalismus zeigt unsere Studie einige Trends, die sich sowohl in den Visionen der Praktiker*innen als auch in wissenschaftlichen Analysen zur Zukunft des Journalismus abzeichnen: Gute Geschichten und professionelle Recherche, Einordnung und Analyse gelten als zentrale Alleinstellungsmerkmale. Journalismus mit Haltung und kollaborativer Netzwerkjournalismus werden als Konzepte wahrgenommen, die den Mehrwert von Medien steigern können. Die Frage nach der Zukunft des professionellen Journalismus beantworten die Vertreter*innen digitaler Start-ups also grundsätzlich optimistisch. Sie sind überzeugt, dass mit einem an die heutige Medienlandschaft angepassten Verständnis von Journalismus, dessen Orientierungsfunktion gefragter ist denn je, der Journalismus seine gesellschaftliche Bedeutung verteidigen kann. Zentrale Herausforderungen bestehen gemäß den News-Entrepreneurs insbesondere auf der Ebene der Organisation und der Finanzierung: Kollaboration müsste sich gegenüber Konkurrenzdenken stärker durchsetzen, die Zahlungsbereitschaft der Rezipient*innen steigen, Vertrauen zurückgewonnen und rechtliche bzw. politische Hürden bei der Finanzierung angegangen werden. Hier sind die News-Start-ups eher bereit, sich von bisherigen Erlösmodellen zu verabschieden und neue Wege zu beschreiten, wie etwa der einer staatlich organisierten Finanzierung, die in der wissenschaftlichen Debatte hingegen hoch umstritten ist, da sie zentrale Fragen nach der Unabhängigkeit von Journalismus berührt.

Die in unserer Studie dargestellten Trends und Herausforderungen generieren sich aus Interviews mit einigen ausgewählten News-Entrepreneurs, die jeweils spezielle Journalismuskonzepte vertreten, und sind so in der Reichweite ihrer Aussagekraft naturgemäß eingeschränkt. Zum einen sind die identifizierten Trends nicht losgelöst von den Schwerpunkten der berücksichtigten Projekte und ihres Entwicklungsstandes zu interpretieren. Zum anderen handelt es sich bei den Interviews um Momentaufnahmen eines sehr dynamischen Feldes, das sich gegenwärtig im Umbruch befindet. Unsere Analyse fokussiert sich daher auf diejenigen Entwicklungen und Impulse für eine Neuausrichtung des Journalismus, die aus Perspektive der befragten Start-ups zentral und aktuell sind. Dennoch können sich, so wird argumentiert (Carlson/Usher 2016; Hepp/Loosen 2019), diese Einblicke in das Verständnis und die Visionen für einen zukunftsfähigen Journalismus der News-Entrepreneurs als aufschlussreich erweisen, da diesen eine Pionierfunktion innerhalb der Branche zugeschrieben wird.

Insgesamt bestätigen die Befragten mit ihren Zukunftsvisionen die Einschätzung von Carlson und Usher (2016) sowie Usher (2017), dass News-Start-ups die Formen, Organisationsweisen und Erlösmodelle des Journalismus modifizieren, das grundlegende Verständnis des Journalismus zugleich erhalten bleibt. Zwar lassen sich die innovativen Formate und Konzepte der News-Entrepreneurs nicht eins zu eins auf traditionelle Medienorganisationen übertragen und es bedarf der weiteren Debatte um normative Fragen. Aber dass die Entrepreneurs zentrale Ideengeber und innovative ›Labore‹ für die Weiterentwicklung des professionellen Journalismus in hybriden und digitalen Medienumgebungen sind, zeigen Beispiele wie das European Investigative Collaborations-Netzwerk[10] zwischen deutschem Spiegel und anderen etablierten europäischen Medien oder die Initiative der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter, verstärkt Dialogformate mit ihren Leser*innen zu etablieren.[11]

Weitere Forschung könnte sich die hier vorgenommene Differenzierung in Funktionen, Konzepte, Organisationsformen und Erlösmodelle zu eigen machen, um unter Berücksichtigung einer höheren Vielfalt und Anzahl von journalistischen Start-ups zu analysieren, welche Trends sich abzeichnen, und ob sich verschiedene Typen von News-Entrepreneurs hinsichtlich ihres Verständnisses von Journalismus systematisch unterscheiden oder aber eine gemeinsame Zukunftsvision von Journalismus entworfen wird. Die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf Journalismuskonzepte, die Organisationsformen von Journalismus und seine Finanzierung sollten dabei mit Blick auf grundlegende Werte des Journalismus wie etwa Autonomie kritisch begleitet (Heft/Dogruel 2019: 694) werden. Ebenso sollten Auswirkungen auf den Journalismus und – in seiner Position als Intermediär – auch auf andere gesellschaftliche Prozesse, wie öffentliche Meinungsbildung und politische Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.

Über die Autorinnen

Alexa Keinert (*1993) ist seit Februar 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Insti­tut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Am Lehrstuhl ›Digitale Kommunikation‹ arbeitet sie in Kooperation mit der Universität Zürich in einem Forschungsprojekt zur ›Lokalen Öffentlichkeit im digitalen Wandel‹. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Öffentlichkeitstheorie, der Medien- und Kommunikationswandel sowie räumliche Dimensionen von Kommunikation und Öffentlichkeit. Sie hat Kommunikations- und Politikwissenschaften in Berlin und Zürich studiert. Kontakt: a.keinert@fu-berlin.de

Dr. Annett Heft (*1971) ist seit Dezember 2017 Leiterin der Forschungsgruppe ›Digitalisierung und transnationale Öffentlichkeit‹ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und der Freien Universität in Berlin. In ihrer Forschung interessiert sie sich für die vergleichende Analyse politischer Kommunikation und Mobilisierung in Europa mit einem besonderen Fokus auf digitale Öffentlichkeiten, transnationale Kommunikation und Europäische Öffentlichkeit, transnationalen Journalismus und Journalistennetzwerke sowie Forschungsmethoden der Computational Social Science. Kontakt: annett.heft@fu-berlin.de

Jun.-Prof. Dr. Leyla Dogruel (*1982) hat 2013 am Institut für Publizistik der FU Berlin promoviert und ist seit Oktober 2017 Juniorprofessorin für Mediensysteme und Medienleistungen am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. In ihrer Forschung untersucht sie, wie sich Kommunikation und Medien(-strukturen) im Zuge gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen wandeln und wie Menschen, aber auch Organisationen und die Gesellschaft insgesamt mit diesen Veränderungen umgehen. Kontakt: dogruel@uni-mainz.de

Literatur

Achtenhagen, Leona: Media entrepreneurship – Taking stock and moving forward. In: International Journal on Media Management, 19(1), 2017, S. 1-10

Aitamurto, Tanja: The impact of crowdfunding on journalism. In: Journalism Practice, 5(4), 2011, S. 429-45

Alfter, Brigitte: Cross-border collaborative journalism. Why journalists and scholars should talk about an emerging method. In: Journal of Applied Journalism & Media Studies, 5(2), 2016, S. 297-311

Beiler, Markus; Krüger, Uwe: Mehr Mehrwert durch Konstruktiven Journalismus? Idee des Konzepts und Implikationen zur Steigerung des Public Values von Medien. In: Gonser, Nicole (Hrsg.): Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht. Wiesbaden, Springer Fachmedien, 2018, S. 167-191

Blumler, Jay; Kavanaugh, Dennis: The third age of political communication. Influences and features. In: Political Communication, 16(3), 1999, S. 209-230

Buschow, Christopher (2018): Die Neuordnung des Journalismus. Wiesbaden, Springer Fachmedien

Carlson, Matt; Usher, Nikki: News startups as agents of innovation. In: Digital Journalism, 4(5), 2016, S. 563-581

Corbin, Juliet; Strauss, Anselm (2008): Basics of Qualitative Research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory. Thousand Oaks, Sage

Deuze, Mark; Witschge, Tamara (2018). Beyond journalism. Theorizing the transformation of journalism. In: Journalism, 19(2), 2018, S. 165-181

Ehl, David; Urner, Maren: Wer gegen Konstruktiven Journalismus ist, hat ihn nicht verstanden. In: Perspective Daily, 21.06.2017. https://perspective-daily.de/article/282/0zfKPLQD (01.08.2019)

Haas, Hannes: Voreilige Nachrufe. Warum Journalismus unverzichtbar bleiben wird. In: Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund (Hrsg.): Krise der Printmedien. Eine Krise des Journalismus? Berlin, de Gruyter Saur, 2010, S. 62-81

Hans, Barbara (2017): Inszenierung von Politik. Zur Funktion von Privatheit, Authentizität, Personalisierung und Vertrauen. Wiesbaden, Springer VS

Heft, Annett; Dogruel, Leyla: Searching for autonomy in digital news entrepreneurism projects. In: Digital Journalism, 7(5), 2019, S. 678-697

Hepp, Andreas; Loosen, Wiebke (2018): ›Makers of a future journalism? The role of ›pioneer journalists and ›pioneer communities in transforming journalism (Communicative Figurations | Working Paper No. 19). Bremen, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung

Hepp, Andreas; Loosen, Wiebke: Pioneer journalism. Conceptualizing the role of pioneer journalists and pioneer communities in the organizational re-figuration of journalism. In: Journalism, 3(2), 2019, S. 1-19

Jarren, Otfried: Massenmedien als Intermediäre. Zur anhaltenden Relevanz der Massenmedien für die öffentliche Kommunikation. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 56(3/4), 2008, S. 329-346

Jarren, Otfried: Journalismus – unverzichtbar?! In: Publizistik, 60(2), 2015, S. 113-122

Kansky, Holger: Paid Content-Modelle in der Übersicht. In: Breyer-Mayländer, Thomas (Hrsg.): Vom Zeitungsverlag zum Medienhaus. Geschäftsmodelle in Zeiten der Medienkonvergenz. Wiesbaden, Springer Gabler, 2015, S. 83-102

Kelle, Udo; Kluge, Susann (2010): Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften

Kiefer, Marie Luise: Die schwierige Finanzierung des Journalismus. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 59(1), 2011, S. 5-22

Lobigs, Frank: Wirtschaftliche Probleme des Journalismus im Internet. Verdrängungsängste und fehlende Erlösquellen. In: Nuernbergk, Christian; Neuberger, Christoph (Hrsg.): Journalismus im Internet. Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden, Springer VS, 2018, S. 295-334

Mast, Jelle; Coesemans, Roel; Temmerman, Martin: Constructive journalism. Concepts, practices, and discourses. In: Journalism, 20(4), 2019, S. 492-503

Mayring, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim, Beltz

Meier, Klaus (2018): Journalistik. Konstanz/München, UVK/Lucius.

Muñoz-Torres, Juan Ramón: Truth and objectivity in journalism. In: Journalism Studies, 13(4), 2012, S. 566-582

Nee, Rebecca Coates: Creative destruction. An exploratory study of how digitally native news nonprofits are innovating online journalism practices. In: International Journal on Media Management, 15(1), 2013, S. 3-22

Neuberger, Christoph: Journalistische Objektivität. Vorschlag für einen pragmatischen Theorierahmen. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 65(2), 2017, S. 406-431

Neuberger, Christoph: Journalismus in der Netzwerköffentlichkeit. Zum Verhältnis zwischen Profession, Partizipation und Technik. In: Nuernbergk, Christian & Neuberger, Christoph (Hrsg.): Journalismus im Internet. Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden, Springer VS, 2018, S. 11-80

Novy, Leonard: Vorwärts (n)immer? Normalität, Normativität und die Krise des Journalismus. In: Kramp, Leif; Novy, Leonard; Ballwieser, Dennis André; Wenzlaff, Karsten (Hrsg.): Journalismus in der digitalen Moderne. Einsichten – Ansichten – Aussichten. Wiesbaden, Springer VS, 2013, S. 17-32

Papacharissi, Zizi: Toward new journalism(s). Affective news, hybridity, and liminal spaces. In: Journalism Studies, 16(1), 2015, S. 27-40

Picard, Robert: Twilight or new dawn of journalism? In: Journalism Studies, 15(5), 2014, S. 500-510

Porlezza, Colin; Splendore, Sergio: Accountability and transparency of entrepreneurial journalism. Unresolved ethical issues in crowdfunded journalism projects. In: Journalism Practice, 10(2), 2016, S. 196-216

Puppis, Manuel; Künzler, Matthias; Jarren, Otfried: Einleitung: Medienwandel oder Medienkrise? In: Jarren, Otfried; Künzler, Matthias; Puppis, Manuel (Hrsg.): Medienwandel oder Medienkrise? Folgen für Medienstrukturen und ihre Erforschung. Baden-Baden, Nomos, 2012, S. 11-24

Ruotsalainen, Juho; Villi, Mikko: Hybrid engagement. Discourses and scenarios of entrepreneurial journalism. In: Media and Communication, 6(4), 2018, S. 79-90

Ruß-Mohl, Stephan: Der Dritte Weg – eine Sackgasse in Zeiten der Medienkonvergenz. Replik auf den Beitrag von Marie Luise Kiefer in M&K 1/2011. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 59(3), 2011, S. 401-414.

Sambrook, Richard: Introduction. In: Sambrook, Richard (Hrsg.): Global teamwork. The rise of collaboration in investigative journalism. Oxford, Reuters Institute for the Study of Journalism, 2018, S. 1-4

Steindl, Nina; Lauerer, Corinna; Hanitzsch, Thomas: Journalismus in Deutschland. Aktuelle Befunde zu Kontinuität und Wandel im deutschen Journalismus. In: Publizistik, 62(4), 2017, S. 401-423

Stöber, Rudolf: Eine gefährliche Finanzierung des Journalismus. Replik auf den Beitrag von Marie-Luise Kiefer in M&K 1/2011. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 59(3), 2011, S. 415-41

Usher, Nikki: Venture-backed news startups and the field of journalism. Challenges, changes, and consistencies. In: Digital Journalism, 5(9), 2017, S. 116-1133

Van Der Haak, Bregtje; Parks, Michael; Castells, Manuel: The future of journalism. Networked journalism. Rethinking journalism in the networked digital age. In: International Journal of Communication, 6, 2012, S. 2923-2938

Vos, Tim; Singer, Jane: Media discourse about entrepreneurial journalism. Implications for journalistic capital. In: Journalism Practice, 10(2), 2016, S. 143-159

Wagemans, Andrea; Witschge, Tamara; Harbers, Frank: Impact as driving force of journalistic and social change. In: Journalism, 20(4), 2019, S. 552-567

Weischenberg, Siegfried (2018): Medienkrise und Medienkrieg. Brauchen wir überhaupt noch Journalismus? Wiesbaden, Springer

Wenzlaff, Karsten: Bezahlbarer Journalismus in der digitalen Moderne. In: Kramp, Leif; Novy, Leonard; Ballwieser, Dennis André; Wenzlaff, Karsten (Hrsg.): Journalismus in der digitalen Moderne. Einsichten – Ansichten – Aussichten. Wiesbaden, Springer VS, 2013, S. 147-158

1 Bspw. die Serie »Zeitenwechsel« der Süddeutschen Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/thema/Zukunft_des_Journalismus (02.10.2018)

2 Zuletzt u. a. von Netzwerk Recherche zum Thema »Journalismus? Nicht umsonst!« (02.10.2018)

3 Die direkten Zitate der Interviewpartner*innen wurden z. T. syntaktisch verändert, um eine guten Lesefluss zu ermöglichen. Größere Auslassungen sind jedoch gekennzeichnet. Alle Interviewpartner*innen haben einer nicht anonymisierten Darstellung der Ergebnisse zugesagt. Zitate wurden, wenn gewünscht, durch die Befragten abgenommen.

4 piqd verfügt beispielsweise über ein »Kuratoren-Team« aus »130 klugen Köpfen«, im dem neben Journalist*innen und Redaktionen auch Schriftsteller*innen, Politiker*innen oder Wissenschaftler*innen vertreten sind: https://www.piqd.de/about (24.02.2019). Teil des dekoder-Teams sind Expert*innen mit akademischen Hintergrund: https://www.dekoder.org/de/hintergrund-materialien (24.02.2019).

5 Das Agora Project bezeichnet sich selbst als »temporary European Newsroom« (https://agora.hostwriter.org/, 24.02.2019), während das Alleinstellungsmerkmal von Deine Korrespondentin Geschichten von Frauen über Frauen ist (https://www.deine-korrespondentin.de/ueber-uns/ (24.02.2019).

6 Titel eines Artikels von Charles Lewis, Gründer des ICIJ, in The Guardian: https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/apr/18/future-of-journalism-collaboration-panama-papers (18.04.2016). Eigene Übersetzung.

7 Website des CrowdNewsroom: https://crowdnewsroom.org/

8 Beispielsweise erklärt Perspective Daily die (finanzielle) Unabhängigkeit von der Wirtschaft zu einem ihrer zentralen Werte (https://perspective-daily.de/ueber_uns#/values (24.02.2019)), auch Correct!v betont die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen als wichtigen Aspekt des Selbstverständnisses (https://correctiv.org/ueber-uns/ (24.02.2019)).

9 Dieser Umstand wird auch in der Branche diskutiert und problematisiert: http://www.carta.info/85466/warum-stiftungen-den-journalismus-staerker-foerdern-sollten/ (25.03.2019).

10 https://eic.network/ (24.02.2019)

11 Beschrieben beispielsweise von Jan Weyrauch, Programmdirektor von Radio Bremen im Beitrag »Nur zu senden reicht nicht mehr« (Die Zeit, Nr. 49/2018, 29. November 2018)


Über diesen Artikel

Copyright

Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

Zitationsvorschlag

Alexa Keinert; Annett Heft; Leyla Dogruel: Wie sehen News Entrepreneurs die Zukunft ihrer Profession? Vier Thesen zum Journalismus von morgen. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 3, 2019, 2. Jg., S. 171-188. DOI: 10.1453/2569-152X-32019-10134-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-32019-10134-de

Erste Online-Veröffentlichung

Dezember 2019