von Horst Pöttker
Abstract: In Deutschland ist die Universitätsdisziplin Journalistik, die gegenüber dem Journalistenberuf – ähnlich wie die Medizin gegenüber dem Arztberuf – Innovations- und (Aus-)Bildungsaufgaben zu erfüllen hat, im Vergleich zu den USA, aber auch zu Russland wenig akzeptiert. Das drückt sich u. a. in einer ablehnenden Haltung von Medienpraktikern gegenüber wissenschaftlicher Berufsbildung von Journalistinnen und Journalisten aus. Der Aufsatz macht einen fachgeschichtlichen Grund für dieses Defizit aus: In den USA konnte journalistische Berufsbildung bereits in den 1920er Jahren an vielen Hochschulen etabliert werden, weil der Journalismus sich dort früh von Parteipolitik und Gesinnungsfragen gelöst hatte und die Verleger die Qualifikationsaufwendungen für einen Beruf mit öffentlicher Aufgabe gern der öffentlichen Hand überließen. In Deutschland dagegen hatten in dieser Gründerzeit der Journalistik Verleger und Chefredakteure das Sagen, die sich gleichzeitig als Parteipolitiker oder Kirchenvertreter verstanden. Sie mochten die Ausbildung ihres journalistischen Personals nicht der Institution Universität überlassen, die auf wissenschaftliche Sachlichkeit bedacht war und ist. Dagegen hat sich das Fach Journalistik in der UdSSR früher und kräftiger entwickelt als in Deutschland, weil dort sowohl die Medien als auch die Universität in der Hand der herrschenden Einheitspartei KPdSU lagen. Um in Deutschland mit der berufsbegleitenden Wissenschaft Journalistik voranzukommen, dürfen die historischen Gründe für ihre traditionelle Schwäche hierzulande nicht vergessen werden.
Die folgenden Überlegungen[1] gehen vom Selbstverständnis der Journalistik als Wissenschaft aus, die ihre Aufgabe darin sieht, dem Journalistenberuf – ähnlich wie die Medizin dem Arzt- oder die Pädagogik dem Lehrerberuf – durch Forschung und mit ihr verbundene Lehre zu helfen, seine spezifische Aufgabe zu erfüllen: das Herstellen von Öffentlichkeit, von optimaler Unbeschränktheit gesellschaftlicher Kommunikation und optimaler Transparenz gesellschaftlicher Verhältnisse; pragmatisch: möglichst vielen Menschen unerschrocken und fair möglichst viele richtige und wichtige aktuelle Informationen zu vermitteln.[2]
Problem: Akzeptanzdefizit der Journalistik in Deutschland
In Deutschland gibt es das Fach Journalistik nur an einer Handvoll Universitäten, grundständige Studiengänge wie in Dortmund und Eichstätt sind singulär geworden, seitdem die in München und Leipzig aufgegeben wurden; meist handelt es sich um Aufbau- oder Zusatzprogramme, überwiegend an Fachhochschulen. Und obwohl »Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung«[3] gesetzliche Aufgaben von Hochschulen sind, gibt es an öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen kaum (noch) Fortbildungsangebote für berufstätige Journalistinnen und Journalisten.[4]
Den – etwa im Vergleich zu den USA – wenigen Angeboten an wissenschaftlicher Berufsbildung entspricht ein relativ geringer Anteil von Journalistinnen und Journalisten, die über ein Journalistik-Studium in den Beruf gelangt sind. In den USA haben »36,2 Prozent aller hauptberuflichen Journalisten einen Journalismus- [besser: Journalistik-] Abschluss« (»major journalism«). »Rechnet man die Studienabschlüsse in Bereichen wie Radio-, TV-Journalismus, mass communication oder communication mit dazu, steigt die Zahl sogar auf 49,5 Prozent.«[5] Die Hälfte der US-Journalistinnen und -Journalisten hat also das einschlägige Fach studiert und ist nicht – wie überwiegend in Deutschland – nach dem Studium eines berufsfremden Fachs und/oder einem Volontariat in einem Medienbetrieb zum Journalismus gekommen.
Außerdem fehlen der deutsch(sprachig)en Journalistik Institutionen. Es gibt z. B. keinen Fachverband wie die amerikanische »Association of Education in Journalism and Mass Communication« (AEJMC, www.aejmc.org).
Nicht zuletzt drückt sich das gesellschaftliche Inseldasein der Journalistik in Deutschland darin aus, dass das Fach in der Praxis des von ihm begleiteten Berufs wenig Zuspruch findet. Anders als Ärzte, Rechtsanwälte oder Ingenieure stehen Verleger und Journalisten Anregungen aus der Wissenschaft oft desinteressiert oder sogar ablehnend gegenüber. Legendär ist das Bonmot des Leiters der Gruner & Jahr-Journalistenschule, Wolf Schneider, Professoren ließe er nicht über die Schwelle seiner Einrichtung. 2010 nahm der für Volontäre verantwortliche Redakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ), Detlef Esslinger, besonders die Ausbildungsfunktion des »Leerfachs« Journalistik aufs Korn:
»Es ist ein Fach, in dem man seine Studienzeit vergeudet – und zwar ganz gleich, ob man an ein gutes oder an ein schlechtes Institut gerät. Ganz gleich, ob der Hochschullehrer selber einen Grundkurs Interview bräuchte […] oder wirklich etwas von Texten versteht […].«[6]
Und eine Online-Einführung in deutsche Medienstudiengänge beginnt mit der Warnung: »Viele Zeitungsmacher raten von einem solchen Studium eher ab.«[7]
Ein möglicher Grund für die Reserviertheit gegenüber dem Fach mag sein, dass die Journalistik von Medienpraktikern, die das Hochschulsystem aus der Distanz betrachten, leicht mit der Kommunikationswissenschaft im Allgemeinen verwechselt wird. Die ist in Deutschland breiter aufgestellt und besser sichtbar als die praxisorientierte Journalistik, was auch mit der Tradition der »reinen« Wissenschaft im »Elfenbeinturm« zusammenhängt.[8] Auch mit dieser Tradition lässt sich erklären, warum in der deutschen Kommunikationswissenschaft das systemtheoretische Paradigma und mit ihm die Überzeugung von einer besonderen Effizienz autonomer, scharf von der Umwelt abgegrenzter, auf einen eigenen Code fixierter »Systeme«, zu denen auch das Wissenschaftssystem gehört, prägend geworden sind. Das erschwert die Akzeptanz der Journalistik in der Medienpraxis, wenn sie als Teil der Kommunikationswissenschaft verstanden wird.
Klaus Meier hat darauf hingewiesen, dass ein an der Systemtheorie orientiertes und daher auf Abgrenzung von der Berufspraxis setzendes Leitbild, das sogar in Teilen der Journalistik selbst um sich gegriffen hat, zu Spannungen auch innerhalb ihrer Institute und Studiengänge führen muss.[9] Er kritisiert die konfliktgeladene Dualität zweier Leitbilder, von denen das eine auf praxisfreundliche Nähe, das andere auf kritische Distanz setzt.
Wäre das die einzige Erklärung, wäre die Journalistik wegen ihrer divergenten Leitbilder allein für die Rückständigkeit wissenschaftlicher Berufsbildung für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland verantwortlich. Es ist notwendig, dass sie sich selbstkritisch nach ihrem Anteil daran befragt, aber hinreichend kann das nicht sein. Denn warum findet journalistische Berufsbildung als Wissenschaft ausgerechnet in Deutschland – anders als in den USA, aber auch in Russland – so wenig Akzeptanz? Warum ist es in Deutschland nicht gelungen, sie auf breiter Basis an Hochschulen zu verankern?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, soll zunächst die historische Entwicklung der Journalistenausbildung an öffentlichen Hochschulen betrachtet werden. Motiv und Leitvorstellung ist die Prämisse, dass wissenschaftliche Berufsbildung die Qualität[10] von journalistischen Tätigkeiten und Produkten fördern kann. »Fluchtpunkt für theoretische Positionen, Methodenwahl und -entwicklung sowie Ergebnisinterpretation« ist in der Journalistik »die Qualität des Journalismus.«[11]
Wie bei Ärzten, Lehrern, Juristen, Ingenieuren und heute sogar Köchen ist auch bei Journalisten wissenschaftliche Berufsbildung ein Zeichen für die Modernität einer Gesellschaft, zumal der Journalistenberuf eine höchstrichterlich definierte öffentliche Aufgabe hat.[12] Hat Deutschland als »verspätete Nation«[13] auch in dieser Hinsicht einen noch nicht (ganz) aufgeholten Modernitätsrückstand?
Ausgangspunkt: Die Idee der akademischen Berufsbildung für den Journalismus kam um 1900 auf – auch in Deutschland
Die Idee, nicht nur Ärzte, Richter oder Ingenieure, sondern auch Journalistinnen und Journalisten akademisch auszubilden, kam in den Ländern des Okzidents etwa um die gleiche Zeit auf: an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, im Zuge der Professionalisierung des Journalismus.[14] 1904 publizierte der Erfolgsverleger Joseph Pulitzer in den USA seinen Aufsatz The College of Journalism,[15] in dem er die Notwendigkeit wissenschaftlicher Journalistenausbildung begründete. 1908 wurde an der Universität von Missouri die erste akademische »school of journalism« in Nordamerika eingerichtet. Gründungsdekan Walter Williams betonte die Analogie mit der Rechtswissenschaft, der Medizin, der Pädagogik und anderen berufsorientierten Fächern:
»The School [of Journalism] is co-ordinate, equal in rank, with the schools or collages of law, medicine, engeneering, agriculture and teacher’s collage. The requirements for admission to the school will be the same as to other departments of the University.«[16]
In seiner Ansprache vor dem Verlegerverband von Missouri wies Williams darauf hin, dass wissenschaftliche Journalistenausbildung einen dem Labor oder der Universitätsklinik entsprechenden Bereich des praktischen Lernens, Übens und Erprobens braucht: »The new departure adds the laboratory to the lecture method, the clinic supplementing of the class-room. It trains to do by doing. The new method loses none of the value of the old. It adds to it.«[17]
Auch in Deutschland tat sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einiges. 1895 begann der Neuzeithistoriker und frühere Redakteur Adolf Koch an der Universität Heidelberg mit pressekundlichen Vorlesungen, die er 1897 um praktische journalistische Übungen ergänzte und dafür ein »Journalistisches Seminar« einrichtete.[18] 1899 gründete der wohlhabende Publizist Richard Wrede in Berlin eine erste selbstständige Hochschule für Journalistenausbildung, in deren Programm theoretische Studienelemente zu Pressegeschichte und -recht mit stilistischen Übungen für unterschiedliche journalistische Genres kombiniert wurden.[19] 1916 gründete der Nationalökonom und Wirtschaftsjournalist Karl Bücher, mit dem Max Weber in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bei seiner großen, letztlich aber nicht realisierten Presse- und Journalisten-Enquête kooperieren wollte,[20] mit Unterstützung des Verlegers Edgar Herfurth in Leipzig das erste Institut für Zeitungskunde an einer deutschen Universität.
Bereits 1909 hatte Bücher ein detailliertes Konzept für ein Studienprogramm vorgestellt, das neben einem theoretischen auch einen praktischen Teil mit Übungen in einem »Laboratorium« und einer Zeitungs-»Lehrredaktion« vorsah.[21] Durch den Ersten Weltkrieg erfuhren diese Pläne zunächst einen Schub, denn die nationalistische Propaganda-Presse in allen am Krieg beteiligten Ländern wurde in deren Bevölkerungen nicht kritiklos aufgenommen. Bücher wollte deshalb in der Universität (künftige) Journalistinnen und Journalisten zu mehr sachlicher Distanz von strategischen Interessen erziehen. Im Winter 1915 schloss er in der Aula der Universität Leipzig seinen zuvor in der norwegischen Zeitschrift Samtiden publizierten Vortrag »Der Krieg und die Presse« mit der Erinnerung an die »lange versäumte Pflicht […], für die Erziehung eines Journalistenstandes mit öffentlichen Mitteln zu sorgen, der in jeder, vor allem aber in sittlicher Hinsicht den Anforderungen der Gegenwart gewachsen ist«.[22]
Büchers Gründungsidee war nicht zweckfreie Zeitungsforschung, sondern wissenschaftlich fundierte Qualifikation von Journalistinnen und Journalisten, nicht zuletzt auf den Feldern der Berufsethik und des professionellen Selbstverständnisses. Für solche auf die Berufspraxis ausgerichtete Aus- und Weiterbildung stand in Deutschland mit den journalistischen Lehr- und Handbüchern von Johann Hermann Wehle (1883)[23], Johannes Frizenschaf (1901)[24], Richard Jacobi (1902)[25], Richard Wrede (1902)[26] und weiteren Autoren[27] schon vor dem Ersten Weltkrieg eine stattliche Reihe von Unterrichtsmaterial zur Verfügung.
Auch in Frankreich, in der Schweiz[28] und in Russland hatte man bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Idee wissenschaftlich fundierter Journalistenaus- oder -weiterbildung gefasst und umzusetzen begonnen. Im Zarenreich bot 1905 der Jura-Professor Leonid E. Vladimirov erste Journalistik-Kurse an der Universität Moskau an.[29]
Frage: Warum fiel die Idee in Deutschland nicht auf fruchtbaren Boden?
Anders als vor allem in den USA, wo sich die Journalistik bis 1915 bereits an 38 Universitäten etabliert hatte[30] und viele der heute an die tausend überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen und über hundert Journalistik-Fakultäten und -Institute mit akkreditierten Hauptfachstudiengängen in den 1920er Jahren gegründet wurden,[31] fiel die Idee in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg nicht auf fruchtbaren Boden.
Es entstanden in der Weimarer Republik nicht nur keine neuen Einrichtungen, was im Vergleich mit der dynamischen Entwicklung in den USA bereits als Rückschlag gelten kann. Das von Karl Bücher gegründete Leipziger Institut beispielsweise, das sich ursprünglich der Journalistenausbildung verschrieben hatte, ging im Laufe der 1920er Jahre zu einer als zweckfrei verstandenen empirisch-analytischen Presseforschung über, aus der sich später die Kommunikationswissenschaft entwickelt hat. Aus Karl Büchers »Erziehung eines Journalistenstandes mit öffentlichen Mitteln« war unter seinem Leipziger Nachfolger Erich Everth eine Zeitungskunde geworden, die sich ausdrücklich von der Praxis fernhielt. In Everths »Studienplan zur Ausbildung in Zeitungskunde« von 1928[32] hieß es gleich am Anfang:
»Zeitungskunde ist ein theoretisches Fach wie alle anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die an der Universität getrieben werden. […] Ein Fach für Journalistik gibt es an der Universität Leipzig nicht, es gibt nur das Fach der Zeitungskunde. […] Wissenschaftlich kann man zum Journalisten nur vorgebildet, nicht ausgebildet werden.«[33] (Everth 1928, S. 3)
Den Faden außerbetrieblicher Ausbildung für den Journalistenberuf nahmen erst wieder die Nationalsozialisten mit ihrer 1935 gegründeten »Reichspresseschule« in Berlin auf.[34] Nach 1945 wurde dieser Faden zunächst nur in der DDR weitergesponnen, wo mindestens zwei Drittel der Journalistinnen und Journalisten die 1954 gegründete Journalistik-Fakultät (später »Sektion«) an der Karl-Marx-Universität Leipzig durchliefen, die in dem traditionsreichen, zwischen 1933 und 1945 zwischenzeitlich von NS-affinen Zeitungswissenschaftlern wie Hans Amandus Münster geführten Institut eingerichtet worden war.[35] Heute befindet sich dort das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, zu dem auch ein seit Wintersemester 2007/08 nicht mehr grundständiger, auf digitale Technologien spezialisierter Journalistik-Studiengang (»Master of Science Journalismus«) gehört.
In der Bundesrepublik Deutschland kam es erst seit den 1970er Jahren, im Zuge des Demokratisierungs- und Modernisierungsschubs nach 1968, mit den Gründungen von Journalistik-Studiengängen an den Universitäten Dortmund, München und später Eichstätt sowie der nach 1990 radikal reformierten Weiterführung an der Universität Leipzig zu akademischer Journalistenausbildung. Teilweise, vor allem in Dortmund und Eichstätt, war diesen Ansätzen partieller Erfolg beschieden, teilweise, wie in Leipzig und München, wurden sie wieder reduziert oder abgeschafft, insgesamt haben sie sich nicht zu einer Disziplin entwickelt, die anderen berufsorientierten Wissenschaften vergleichbar wäre.
Die Frage ist also nicht, warum die Deutschen nicht auf die Idee gekommen sind, Journalistinnen und Journalisten akademische Qualifikationsmöglichkeiten zu verschaffen, sondern warum diese Idee in den 1920er Jahren und den Jahrzehnten nach 1945 im demokratischen Deutschland weniger gesellschaftliche Resonanz fand als z. B. in den USA und auch – dort aufs Ganze gesehen etwas später – in der Sowjetunion und später in der DDR.
In Moskau kam es 1921 zur Gründung eines Journalistik-Instituts, aus dem 1947 die Journalistik-Fakultät der Lomonossow-Universität hervorging.[36] Nach der ersten Gründungswelle von Instituten in Moskau, Leningrad und Minsk, aus denen bald – in Leningrad z. B. 1961 – Journalistik-Fakultäten hervorgegangen waren, gab es in der UdSSR Anfang der 1960er-Jahre einen zweiten Schub für die Journalistik in Kasan, Rostov am Don, Woronesch und anderen Hochschulen. An der Universität Rostov z. B. begann man 1960 mit der Journalistenausbildung. 1962 wurde dort ein »Labor« (Lehrredaktion) eingerichtet und der erste Lehrstuhl mit Professor Vsevolod N. Bojanovic besetzt, dem weitere, spezialisierte Lehrstühle (Geschichte und Theorie des Journalismus, Stilistik, Massenmedien) und 1965 ein strukturierter Studiengang folgten.[37]
These: Der deutsche Gesinnungsjournalismus ließ wissenschaftliche Berufsbildung nicht zu
In den angelsächsischen Ländern hat sich der Journalismus früh, in den USA spätestens in den 1880er Jahren,[38] von der Parteipolitik gelöst. Die Verleger dort hatten entdeckt, dass man mit unabhängig recherchierten und verständlich dargestellten Fakten mehr Menschen erreichen und bessere Geschäfte machen kann als mit parteipolitischer Programmatik oder religiösem Engagement, womit man fast nur bei Leserinnen und Lesern ankommt, die die betreffende Gesinnung teilen. Die kommerziell und pragmatisch denkenden Verleger konnten und wollten der Universität, deren Bestimmung traditionell ebenfalls Distanz zu Ideologien, Sachlichkeit, unabhängiges Denken war, hier gern die Qualifikation ihres journalistischen Personals überlassen. Als Motiv spielte dabei gewiss auch eine Rolle, dass sich so die Kosten für journalistische Berufsbildung auf die Allgemeinheit übertragen ließen.
Viele Steuerzahlerinnen und -zahler werden damit einverstanden gewesen sein, weil Journalismus in der angelsächsischen Tradition seit jeher als Beruf mit sozialer Aufgabe verstanden wird, der durch das verlässliche Herstellen von Transparenz eine für die Gesellschaft wie für ihre Individuen nützliche Leistung erbringt. Gründungsdekan Walter Williams:
»The argument for the State’s support of education is that of self-preservation. […] The State supports schools that the products of the school may uphold the State. […] Training is given to physicians that they may save the lives of the State’s citizens […]. Shall the State not train in its schools for journalism, the profession that more than any other, is a bulwark for a free government. […] A weak, cowardly, corrupt press means the downfall of a free State. It is the duty, therefore, of the State to maintain itself by the fostering of schools for the training of journalists.«[39]
Ähnlich wie Karl Bücher, der von amerikanischen Vorbildern gelernt hatte,[40] verstand Williams unter akademischem »training« von Journalisten einerseits das praktische Einüben von technischen Fertigkeiten; andererseits aber auch die Entwicklung einer professionellen Haltung, die vom Bewusstsein aufrechterhalten wird, wozu der Journalistenberuf da ist. »What is journalism for?«[41] ist eine bis heute in angelsächsischen Handbüchern für die Journalistenausbildung besonders häufig gestellte und auch beantwortete Frage: um Transparenz, Öffentlichkeit, »publicness« herzustellen, damit die Gesellschaft sich ihrer Probleme bewusst wird und die Individuen ihr Leben auf der Höhe der Möglichkeiten, die die Kultur ihnen bietet, gestalten können.
In Deutschland war die Situation nach dem Ersten Weltkrieg eine andere. Auch hier hatte es Anfang des 20. Jahrhunderts Ansätze zu einer professionellen Trennung des Öffentlichkeitsberufs von Politik und Gesinnungskämpfen gegeben.[42] Aber Max Weber hat noch – oder schon wieder – 1919 in seinem Vortrag »Politik als Beruf« den Journalisten als einen modernen Sonderfall des »Demagogen« unter die abendländische Gestalt des Berufspolitikers eingereiht und sogar in die Nähe des »Parteibeamten« gerückt.[43]
Die 1920er Jahre waren in Deutschland eine Zeit der wieder aufblühenden Gesinnungspublizistik. Das kann mit der »verspäteten Nation« im Allgemeinen,[44] aber auch mit den Nachwirkungen der Militärzensur im Ersten Weltkrieg[45] (Dolchstoßlegende) und mit der durch das demütigende Kriegsende (Versailler Vertrag) aufgeheizten politischen Atmosphäre im Besonderen erklärt werden.
Dass in dieser Phase die Ansätze zur Lösung des Journalismus von parteipolitischen Auseinandersetzungen, die vor dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland bemerkbar gewesen waren,[46] revidiert wurden, geht aus zeitungswissenschaftlichen Darstellungen der damaligen Zeit hervor. Bei Otto Groth findet sich nicht nur der von ihm statistisch belegte Hinweis, dass in den zwanziger Jahren »die Zahl der Blätter, die sich als parteilos bezeichnen oder die Angabe einer politischen Richtung ablehnen, […] nahezu auf den Stand von 1898«[47] abgesunken war; sondern mit dem Hinweis auf die »Verschärfung der politischen Gegensätze« in der Weimarer Republik, »die einen heftigen Kampf um die Presse mit sich brachte«, auch der Grund für diese deutsche Sonderentwicklung. Groth weiter:
»Der Aufkauf zahlreicher Zeitungen durch mächtige Gruppen wirtschaftlicher Interessenten, die diese Blätter den rechtsstehenden Parteien zu Verfügung stellten, der Aufstieg der Deutschnationalen Volkspartei brachten der liberalen, vor allem der demokratischen Presse eine empfindliche Einbuße.«[48]
Die liberale Großstadtpresse, allen voran die von den jüdischen Familien Mosse und Ullstein verlegten Zeitungen Berliner Tageblatt und Vossische Zeitung, aber auch die Frankfurter Zeitung oder das Hamburger Fremdenblatt, hatte sich, an der Spitze der Professionalisierung des Journalismus in Deutschland stehend, zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg von Gesinnungskriterien zu emanzipieren begonnen.[49] Aber ihnen standen nicht nur Tausende von national-konservativ gefärbten Provinzzeitungen, sondern auch eine reichhaltige, durchaus auflagenstarke Parteipresse inklusive kommunistischer und sozialdemokratischer Organe sowie katholisch geführte, zur Zentrums-Partei geneigte Blätter gegenüber.
Kurt Koszyk hat in seiner Pressegeschichte, nach wie vor das präziseste Standardwerk, viele Zeitungen der Weimarer Republik schlicht nach den Farben des Parteienspektrums eingeteilt, von den »konservativen Gruppen«, »liberalen Großverlagen«, »Demokraten und Nationalliberalen« über »Fortschrittliche Außenseiter«, die »Deutsche Zentrumspartei« und »Sozialdemokratie und Gewerkschaften« bis zur »Presse der KPD«.[50] Viele Verleger und Chefredakteure hatten gleichzeitig Parteiämter und staatspolitische Funktionen inne. Alfred Hugenberg, der »Zar« des nach ihm benannten Pressekonzerns, war auch Vorsitzender der »Deutschnationalen Volkspartei« (DNVP) und gehörte dem ersten Kabinett Hitler an;[51] Friedrich Stampfer, der Chefredakteur des SPD-Zentralorgans Vorwärts, war die gesamten 1920er Jahre Mitglied der gesetzgebenden Kammer und hat seine Wahl in den Reichstag als einen unbedeutenden Umzug von der Presse-Etage in das Parterre der Abgeordneten geschildert[52] – wobei er Chefredakteur des Vorwärts blieb.
Diese Verleger und Chefredakteure, so die These, die in erster Linie Sozialdemokraten, Kommunisten, Katholiken, Nationalsozialisten usw. waren, mochten die berufliche Sozialisation ihres journalistischen Personals nicht der für Sachlichkeit zuständigen Institution Universität überlassen. Es sollte ja die Tendenzen ihrer Blätter vertreten, und das hätte die Universität den angehenden Journalistinnen und Journalisten austreiben, es mindestens in Frage stellen und relativieren können.[53] Ohne die Unterstützung von Verlegern aber, gar gegen die Interessen der Medienunternehmen, lässt sich akademische Berufsbildung von Journalistinnen und Journalisten nicht etablieren.
An manchen Auseinandersetzungen um zeitungswissenschaftliche Institutsgründungen und Berufungen in den 1920er Jahren ist abzulesen, wie – neben der praxisfernen Tradition der deutschen Wissenschaft – auch die Verleger in dieser entscheidenden Phase den Ausbau berufsorientierter Journalistenausbildung gehemmt haben.
Konflikte darum haben sich nicht so abgespielt, dass die Verleger explizit ihre Vorbehalte gegenüber einer sachlich-wissenschaftlichen Ausbildung für den Journalistenberuf geäußert hätten. Dieses Motiv hat auf der Hinterbühne gewirkt, während man auf der Vorderbühne die Praxisuntüchtigkeit der Institution Universität vorschob.
Gelegentlich wird allerdings auch die Hinterbühne sichtbar, auf der es um die Auseinandersetzung zwischen wissenschaftlicher Sachlichkeit und der Möglichkeit zu politischer oder religiöser Einflussnahme ging. So wurde 1928 nicht Otto Groth an das Deutsche Institut für Zeitungskunde (DIZ) an der Universität Berlin berufen, der Erfahrungen aus langjähriger Tätigkeit als Zeitungsjournalist mit der herausragenden zeitungswissenschaftlichen Leistung jener Jahre[54] verband und damit die für die Journalistik konstitutive »Integration von Theorie und Praxis«[55] vorweisen konnte. Berufen wurde gegen den Willen der Philosophischen Fakultät, aber auf Empfehlung der Verbände der Verleger (Verein Deutscher Zeitungs-Verleger, VDZV) und auch der Journalisten (Reichsverband der Deutschen Presse, RDP) Emil Dovifat, ein katholischer Publizist, der bekanntlich das Modell der Gesinnungspublizistik auch noch nach 1945 bis in die 1960er Jahre prolongierte und seine Lehrbüchlein Zeitungslehre I und II in den Jahrzehnten zwischen 1930 und 1960 an die jeweils herrschenden Gesinnungen angepasst hat.[56]
Ein anderes Beispiel: Dass 1926 das Institut für Zeitungskunde, das zu der Zeit noch eine Journalistenschule hätte werden können, in Dortmund gegründet wurde und nicht an die Universität in Münster kam, wo sich Karl Büchers Leipziger Mitarbeiter Johannes Kleinpaul als Lektor um wissenschaftlich fundierte Praxis-Kurse bemüht hatte, ist nicht zuletzt der Furcht des damaligen »Niederrheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins« (NWZVV) zu verdanken, an der Universität könnten die »geistigen« Interessen der Verleger zu kurz kommen. Hintergrund dieser Furcht war ein vom Journalistenverband RDP gefordertes und bereits als amtlicher Entwurf vorliegendes Gesetz, dass das inhaltliche Bestimmungsrecht der Verleger über ihre Zeitungen einschränken sollte. Auch hier kämpfte ein katholischer Verleger und gleichzeitig Reichstagsabgeordneter der Zentrums-Partei, der Dortmunder Lambert Lensing sen., besonders engagiert sowohl gegen das Gesetz wie gegen die Implementierung des Zeitungs-Instituts an der Universität Münster. In Dortmund, damals noch ohne Universität, an die dann erst nach 1975 das Institut für Journalistik kam, hofften die Verleger, leichter zu einer Journalistenausbildung in eigener Regie zu kommen, wenn denn überhaupt so etwas außerbetrieblich etabliert werden sollte. Dass hierfür das Interesse am Gesinnungseinfluss ein Motiv war, geht aus einem Schreiben des NWZVV-Vorsitzenden Otto Dierichs an die Mitglieder des Verbands vom 19. April 1926 hervor:
»Leider ist heute ein großer Teil der Öffentlichkeit […] der Ansicht, daß in der Presse der Verleger im Wesentlichen nur die Rolle des Kaufmanns spielt, während er mit dem Geistigen in der Zeitung verhältnismäßig wenig zu tun hat. Diese Auffassung kann, wie der Journalistengesetzentwurf zeigte, für die deutsche Verlegerschaft sehr gefährlich werden. Deshalb haben wir geglaubt, daß die Organisationen der deutschen Verlegerschaft […] die Pflicht haben, sich […] auch der Pflege des geistigen Standards widmen zu müßen.«[57]
Da der Verlegerverband Mitglieder unterschiedlicher politischer Couleur vertrat, war dies eine Formulierung, mit der sich das allen Verlegern gemeinsame Interesse am programmatischen Einfluss auf die Redaktionen – heute würde man sagen: am »Tendenzschutz« oder in Österreich an der »Blattlinie« – wahren ließ.
Zu klären bleibt, warum die Idee der akademischen Journalistenausbildung z. B. in der Sowjetunion oder der DDR auf fruchtbaren Boden fiel, obwohl es dem Journalismus in diesen Ländern – getreu der Leninschen Devise, dass die Zeitung »nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator«[58] zu sein habe – gewiss nicht an Parteilichkeit gemangelt hat?
Die Antwort liegt auf der Hand: Wo sich die Universität in derselben Hand befand wie die Medien, nämlich in der Hand einer staatstragenden Einheitspartei, da konnte, ja wollte man die journalistische Berufsbildung gern der Universität überlassen. War die Universität hier doch von der gleichen Gesinnung beseelt wie die Medien und wie die Dirigenten der Medien es von den Journalisten erwarteten.[59]
Fazit: Historisches Bewusstsein als Motor von Entwicklung
Institutionen können von einem Tag zum andern ausgewechselt werden. Zäsuren dieser Art in Deutschland waren der 8. Mai 1945 mit der Befreiung vom NS-Regime durch die Alliierten bzw. die Gründung der beiden deutschen Staaten 1948/49 sowie – in Ostdeutschland – der 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer und in seiner Folge die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.
Auch im Mediensystem und im Journalismus waren mit diesen Daten institutionelle Umbrüche verbunden: vor allem die rechtliche Garantie der Pressefreiheit durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die zum 1. November 1949 von den Siegermächten akzeptiert und am 3. Oktober 1990 in dieser Form auf das Gebiet der vormaligen DDR übertragen wurde.
In der Kultur, auch der journalistischen, sind solche Umbrüche nicht möglich. Menschen wechseln nicht von einem Tag zum andern ihre Verhaltensweisen, denn sie sind auf Kommunikation mit Hilfe von Sprache und anderen symbolischen Zeichensystemen angewiesen. Das lässt nur sukzessiven Wandel zu, weil ein flexibler Kern der Zeichen aus Gewohnheit entschlüsselbar bleiben muss, damit Kommunikation möglich ist; und die Träger von Kultur, die Akteure an der Basis, werden in aller Regel nicht abrupt ausgewechselt; die meisten derjenigen, die im Juni 1945 in Deutschland oder im November 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR lebten, taten das auch ein Jahr zuvor. Auf habitualisierten Denk- und Handlungsweisen beruhende Kulturbestände sind deshalb oft zählebiger als Institutionen. Mentalitätsgeschichtliche Forschung rekonstruiert kontinuierliche Ströme im kulturellen Untergrund,[60] an deren Oberfläche institutionelle Zäsuren zunächst allenfalls Wellenbewegungen auslösen.
Aus der Sozialgeschichte ist zu lernen, dass in Deutschland das Ende einer von autoritären Mustern geprägten Epoche kulturell nicht 1945, sondern erst ab Anfang der 1960er Jahre mit dem Abtreten der für das NS-Regime unmittelbar verantwortlichen Kohorte anbrach.[61] Dieser verzögerte Wandel ist auch bei Medien und Journalismus erkennbar. Pläne mehrerer Innenminister der 1950er Jahre zu Pressegesetzen, die Zeitungs- und journalistische Berufsverbote ermöglicht hätten,[62] das von Kanzler Adenauer beabsichtigte Staatsfernsehen oder die Aktivitäten der staatlichen Gewalten in der Spiegel-Affäre lassen Kontinuitäten eines obrigkeitlichen Diskurses auch noch in der Nachkriegsdemokratie erkennen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese subkutane Kontinuität zwar mit Grundsatzurteilen zur Fernsehorganisation 1961[63] und zur Spiegel-Affäre 1966[64] institutionell gebrochen, aber sie kann auch heute noch aufflackern.[65]
Was die Tradition des Gesinnungsjournalismus[66] betrifft, haben empirische Untersuchungen von Wolfgang Donsbach[67] und anderen die Bedingung der Möglichkeit eines kritischen Bewusstseins von ihr erfüllt. Auch wenn sie nicht unwidersprochen geblieben sind,[68] haben diese Untersuchungen eine auch in den Medien selbst anzutreffende Aufmerksamkeit dafür geweckt, dass es im deutschen Journalismus eine stärkere Neigung zu Gesinnungstendenzen gibt als etwa in den USA.[69] Dass diese aus der Kommunikationswissenschaft angestoßene kritische (Selbst-)Erkenntnis ein Verblassen der gesinnungspublizistischen Tradition gefördert hat, wird daran deutlich, dass nach Veröffentlichung von Donsbachs Studien in den 1990er Jahren in Deutschland der Anteil der sich zum Objektivitätsideal bekennenden Journalisten deutlich gestiegen ist.[70]
Anders als die gesinnungspublizistische Tradition selbst ist das Akzeptanzdefizit der Journalistik als deren Folge bisher ohne Bewusstsein von ihren historischen Wurzeln geblieben. Wenn maßgebliche Journalisten wie Detlef Esslinger sich gegen journalistische Berufsbildung an Universitäten wenden, tun sie das mit dem seit den 1920er Jahren gebräuchlichen Argument einer Praxisuntüchtigkeit der Universität. In welcher Tradition man sich damit bewegt, scheint ebenso wenig bewusst zu sein wie der Umstand, dass Deutschland in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich ein Sonderfall ist.
Um in Deutschland oder Österreich mit der wissenschaftlichen Berufsbildung von Journalistinnen und Journalisten weiterzukommen, ist es zwar nicht hinreichend,[71] aber nötig, die in diesen beiden Ländern ähnlichen historischen Wurzeln der prekären Lage des Fachs freizulegen. Dass die Länder seit sieben Jahrzehnten ähnliche Prozesse der Verwestlichung und Demokratisierung durchlaufen (haben), wird von ihren Politikerinnen und Politikern gern beschworen und von der Sozialgeschichte (an)erkannt. Mit der notorisch aufbrechenden Fremdenfeindlichkeit, der mit der Digitalisierung einhergehenden Fragmentierung und Brutalisierung des öffentlichen Diskurses und dem Verblassen liberaler Verantwortungsethik zugunsten rigider Regelkonformität, gerne »Werteverfall« genannt, wird allerdings deutlich, dass dieser Prozess weder vollendet noch unumkehrbar ist.
Ein Schritt zu dieser Vollendung kann die Förderung sozialwissenschaftlich fundierter Berufsbildung von Journalistinnen und Journalisten sein, die zumal in der durch den digitalen Umbruch ausgelösten Medienkrise hilft, die gefährdete Qualität des Journalismus durch notwendige Innovationen zu sichern. Öffentlichkeit ist wie Vollbeschäftigung, Rechtstaatlichkeit, Selbstbestimmung oder Marktregulierung eine regulative Idee, deren Umsetzung der Pflege bedarf, um ihre für die Gesellschaft und ihre Individuen produktive Wirksamkeit zu entfalten. Das ruft nach einer am Wertaxiom dieser Idee orientierten Wissenschaft, die Bedingungen ihrer Realisierung sine ira et studio erforscht. Indem sie ihn auf rationale und empirische Füße stellt, kann solche Wissenschaft zur Effektivität des auf die Öffentlichkeitsaufgabe verpflichteten Berufs beitragen – nicht zuletzt mittels beruflicher Aus- und Weiterbildung, in die die Ergebnisse ihrer Forschung einfließen.
Das berufsbezogene Universitätsfach Journalistik ist für die Qualität der journalistischen Praxis nicht irrelevant, wie sich in den USA auch in deren durch den digitalen Medien- und Kulturumbruch ausgelösten Krise noch zeigt. Was Journalistinnen und Journalisten in US-Hochschulen lernen, zeigt sich z. B. daran, dass sogar Boulevardzeitungen wie USA today Umfrageergebnisse so präsentieren, wie der Presserat es in Deutschland weitgehend vergeblich verlangt.[72] Und dass ihnen dort nicht nur professionelle Arbeitstechniken, sondern in einem besonders wichtig genommenen, »ethics« genannten Teilfach auch ein Bewusstsein davon vermittelt wird, wozu ihre Gesellschaft sie braucht,[73] lässt sich daran erkennen, dass es neben Richterinnen und Richtern vor allem gut ausgebildete, aufgabenbewusste, in diesem Sinne professionelle Journalistinnen und Journalisten nicht nur bei den großen »quality papers« sind, die der Hoffnung auf Erhaltung demokratischer Strukturen und Handlungsweisen auch unter der Trump-Administration Hoffnung geben.
In Deutschland wird die Evidenz dieser Situation stärker als anderswo von historischen Hinterlassenschaften getrübt. Die gilt es ins Bewusstsein zu heben.
Über den Autoren
Horst Pöttker (*1944), Univ.-Prof. i. R. Dr. phil.-hist., Technische Universität Dortmund, z. Z. Lehraufträge an den Universität Hamburg (UHH) und der Technischen Universität Hamburg (TUHH); kam nach Promotion und Habilitation im Fach Soziologie und einer Tätigkeit als Zeitschriftenjournalist ins Fach Journalistik, Schwerpunkt: gesellschaftliche und historische Grundlagen des Journalismus; zu seinen Arbeitsgebieten gehören der Ursprung und die Entwicklung des Journalistenberufs, die er von der Geschichte der Medien unterscheidet. Kontakt: horst.poettker@tu-dortmund.de
Fussnoten
1 Überarbeitete Version meiner Abschiedsvorlesung vom 1. Februar 2013 im Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund. Ein erster Teil zu meiner Tätigkeit am Institut für Journalistik der (Technischen) Universität Dortmund ist weggefallen, der zweite Teil zur Geschichte der Journalistik wurde erweitert und aktualisiert.
2 Das Konzept dieser Wissenschaft habe ich 1996 in meiner Dortmunder Antrittsvorlesung vorgestellt. Vgl. Pöttker, H. (1998): Öffentlichkeit durch Wissenschaft. Zum Programm der Journalistik. In: Publizistik, 43. Jg., S. 229-249. Klaus Meier hat 2012 in seiner Eichstätter Antrittsvorlesung an dieses Konzept angeknüpft und seine Überlegungen zum Transfermodell Forschung – Praxis für die Druckfassung erweitert. Vgl. Meier, K. (2014): Transfer empirischer Evidenz. Entwurf eines reformierten Leitbilds und Programms der Journalistik. In: Publizistik, 59, S. 159-178. Journalistische Professionalität ist vor allem an einer verlässlichen Orientierung an der bleibenden Aufgabe Öffentlichkeit zu erkennen; erst danach an der Befolgung wandelbarer, von historischen Umständen beeinflusster Regeln und Techniken.</p
3 HRG, §2, Abs. 1 (Hervorh.: H. P.).
4 Ausnahmen z. B: Das nach kurzer Laufzeit wieder eingestellte Weiterbildungsprojekt für nordrhein-westfälische Lokaljournalisten INLOK an der TU Dortmund. Einen Einblick gibt Pöttker, H./Vehmeier, A. (Hrsg.) (2013): Das verkannte Ressort. Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus. Wiesbaden: Springer VS. An der privaten »Deutschen Universität für Weiterbildung« wird keine explizit journalistische Fortbildung, aber ein Weiterbildungs-Master »International Media Innovation Management« angeboten, dessen Ziele so beschrieben werden: »Sie entwickeln neue Strategien, Produkte und Services, die das Potenzial des Internets nutzen – mit seinen innovativen Möglichkeiten zur Distribution medialer Inhalte und Interaktion mit dem Publikum.« (http://www.duw-berlin.de/de/masterstudium/executive-master-in-international-media-innovation-management.html; 14. 8. 2015.) Der von dem früheren Spiegel-Redakteur Alexander von Hoffmann initiierte, 2005 ausgelaufene »Modellversuch Journalisten-Weiterbildung« an der FU Berlin gehörte in den 1970er Jahren zu den prägenden Startprojekten der wissenschaftlichen Berufsbildung für Journalisten in der Bundesrepublik. Vgl. Kötterheinrich, M. (Red.) (1984): Dokumentation über den Modellversuch Journalisten-Weiterbildung an der Freien Universität. 2., erg. Aufl. Berlin: Historische Kommission; Hoffmann, A. v. (1997): Aufbruch zur wissenschaftlichen Journalistenausbildung. In: Kutsch, A./Pöttker, H. (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft autobiographisch. Opladen: Westdeutscher Verlag (=Publizistik, Sonderheft 1), S. 161-183. Nach dem digitalen Medienumbruch, der einen tiefgreifenden Wandel journalistischer Selbstverständnisse, Regeln und Arbeitstechniken nach sich zieht, erscheint Weiterbildung für bereits im Beruf stehende Journalisten besonders wichtig.
5 Harnischmacher, M. (2010): Journalistenausbildung im Umbruch. Zwischen Medienwandel und Hochschulreform: Deutschland und USA im Vergleich. Konstanz: UVK, S. 133; zum Vergleich entsprechende Zahlen für Deutschland im Jahr 2005: Journalistik-Studium: knapp 14%; plus Publizistik/Kommunikationswissenschaft/Medienwissenschaft ca. 17%, zusammen knapp 31%; vgl. Weischenberg, S./Malik, M./Scholl, A. (2006): Die Souffleure der Mediengesellschaft: Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz: UVK, S. 67, 265.
6 Vgl. Esslinger, D. (2010). Journalistik, ein Leerfach. In: SZ online, http://www.sueddeutsche.de/karriere/journalistenberuf-journalistik-ein-leerfach-1.166697; 12. 8. 2015.
7 Lüpke-Narberhaus, F.: Irgendwas mit Medien? Medien- und Journalismus-Studiengänge. In: http://www.studis-online.de/Studienfuehrer/medien-studieren.php, S. 1; 12. 8. 2015.
8 Das Hochschulwesen der USA ist seit der »progressive era« Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich praxisorientierter, auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Zur Literaturwissenschaft etwa gehören dort Schreibschulen, in denen Schriftsteller ihr Metier lernen können. Auch aus dieser Tradition ist die Stärke der amerikanischen Journalistik zu erklären.
9 Vgl. Meier 2014 a.a.O., S. 162f.
10 Zur Klärung des Begriffs journalistische Qualität, der sich entgegen einem gängigen Bonmot von Stefan Ruß-Mohl nicht schwerer »an die Wand nageln« lässt als andere Begriffe der Journalistik, vgl. Arnold, K. (2013): Qualität im Journalismus. In: Meier, K./Neuberger, Ch. (Hrsg.): Journalismusforschung. Stand und Perspektiven. Baden-Baden: Nomos, S. 77-88: Pöttker, H. (2000): Kompensation von Komplexität. Journalismustheorie als Begründung journalistischer Qualitätsmaßstäbe. In: Löffelholz, M. (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 375-390.
11 Meier 2014 a.a.O., S. 168.
12 Vgl. BVerfG-Urteil zur Spiegel-Affäre von 1965, http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv020162.html#Rn035 (05. 12. 2015)
13 Vgl. zu den sozialhistorischen Wurzeln dieser Verspätung Wehler, H.-U. (1987): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. München: C.H. Beck, bes. S. 53-57, »Belastungen des Modernisierungsprozesses«, sowie zu den ideologischen Folgen Plessner, H. (1974): Die verspätete Nation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (zuerst 1935).
14 Vgl. Requate, J. (1995): Journalismus als Beruf. Die Entstehung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
15 Pulitzer, J. (1904): The College of Journalism. In: North American Review, no. DLXX, p. 641-680.
16 Williams, W. (1929): The State University School of Journalism: Why and What. In: Williams, S. L. (ed.): Twenty Years of Education for Journalism. A History of the School of Journalism of the University of Missouri Columbia, Missouri, U.S.A. Columbia (MO): E. W. Stephens Publishing Company, p. 411-417, p. 411.
17 Williams (1929) a.a.O., p. 411. Wolfgang Streitbörger hat den heutigen Studiengang in Missouri untersucht, ebenso die Curricula am Institut für Journalistik der TU Dortmund und zwei weiteren Studiengängen in den USA und Deutschland. In Missouri und Dortmund ist er auf ein mittleres Niveau der Integration von Theorie und Praxis gestoßen. Er ergänzt diese beiden Begriffe durch den dritten, ebenfalls der antiken Tradition entnommenen der »Techne«, der genauer erfasst, was in »Praxisveranstaltungen« berufsorientierter Studiengänge auf welche Weise angeeignet werden soll. Vgl. Streitbörger, W. (2014): Grundbegriffe für Journalistenausbildung. Theorie, Praxis und Techne als berufliche Techniken. Wiesbaden: Springer VS.
18 Vgl. Kutsch, A. (2010): Professionalisierung durch akademische Ausbildung. Zu Karl Büchers Konzeption für eine universitäre Journalistenausbildung. In Eberwein, T./ Müller, D. (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 427-453, S. 429, 438.
19 Vgl. Kutsch, A. (2010) a.a.O., S. 438.
20 Vgl. Weischenberg, S. (2012): Max Weber und die Entzauberung der Medienwelt. Theorien und Querelen – eine andere Fachgeschichte. Wiesbaden: Springer VS, S. 109-134. Weischenberg erzählt amüsant vom intensiven, durchaus schwierigen Verhältnis der beiden Gelehrten hohen Ranges, die sich bei aller unterschwelligen Rivalität gewaltige Mühe gaben, höfliche Contenance zu wahren.
21 Vgl. Kutsch, A. (2010) a.a.O., S. 442.
22 Bücher, K. (2001): Der Krieg und die Presse. In Pöttker, H. (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien. Konstanz: UVK, S. 220-250, S. 250.
23 Wehle, J. H. (1883): Die Zeitung. Ihre Organisation und Technik. Journalistisches Handbuch. Wien: Pelt; Leipzig: A. Hartleben’s Verlag.
24 Frizenschaf, J. (1901): Die Praxis des Journalisten – ein Lehr- und Handbuch für Journalisten, Redakteure und Schriftsteller. Leipzig: Walther Fiedler.
25 Jacobi, R. (1902): Der Journalist. Hannover: Jaenecke.
26 Wrede, R. (1902): Handbuch der Journalistik. Berlin: Verlag Dr. R. Wrede.
27 Vgl. Birkner, T. (2012): Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605–1914. Köln: Herbert von Halem, S. 332f.
28 Vgl. Kutsch 2010 a.a.O., S. 437-440.
29 Vgl. Истоки журналистского образования в МГУ. In: http://www.journ.msu.ru/about/history/journalism.php?print=Y (7.11.2020)
30 Vgl. Kutsch 2010 a.a.O., S. 437.
31 Zur Gründung, Entwicklung und heutigen Situation der Journalistik in den USA vgl. Starck, K. (2018): Was sagen Sie Ihrer Tochter, wenn sie Journalistin werden will? Zur Zukunft des Journalismus und der journalistischen Berufsbildung in den USA. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung. 1. Jg., Ausg. 2, S. 29-50 (https://journalistik.online/wp-content/uploads/2018/06/starck-was-sagen-sie_Journalistik_2-2018_de.pdf, 20. 1. 2020);
32 Für den Zugang zu diesem Konzept danke ich Erik Koenen.
33 Everth, E. (1928): Das Studium der Zeitungskunde an der Universität Leipzig. Leipzig: Alfred Lorentz.
34 Vgl. Müsse, W. (1995): Reichspresseschule – Journalisten für die Diktatur? Ein Beitrag zur Geschichte des Journalismus im Dritten Reich. München u. a.: K. G. Saur.
35 Zur wechselvollen, für die Entwicklung der Journalistik in Deutschland exemplarischen Geschichte des von Karl Bücher gegründeten Leipziger Instituts gibt es m. W. bisher keine durchgehende Gesamtdarstellung. Für die NS-Zeit vgl. Ehrich, U. (1991): Das Institut für Zeitungswissenschaft an der Universität Leipzig 1933-1945: ein Arbeitsbericht. In: medien & zeit, 6. Jg., H. 1, S. 22-30; sowie zu einem Spezialaspekt Jacob, K. (2014): Journalistinnen im Nationalsozialismus: Eine Studie zu den Absolventinnen der Zeitungskunde der Universität Leipzig. Hamburg: Diplomica Verlag; für die DDR-Zeit vgl. Meyen, M. (2019): Die Erfindung der Journalistik in der DDR. Ein Beitrag zur Fachgeschichte der Nachkriegszeit. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 2. Jg., Ausg. 1, S. 3-32 (https://journalistik.online/wp-content/uploads/2019/02/journalistik-1-2019-meyen-de.pdf; 20. 1. 2020) ); außerdem den durch persönliche Erfahrung überaus kritisch gefärbten Bericht von Klump, B. (1978): Das rote Kloster. Hamburg: Hoffmann und Campe; zu den institutionellen Strukturen Conley, P. (2012): Der parteiliche Journalist; Die Geschichte des Radio-Features in der DDR. Berlin: Metropol Verlag, S. 33-46; das Lehrbuch von Kurz, J./Müller, D./Pötschke, J./Pöttker, H. (2000): Stilistik für Journalisten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag (erw. Neuaufl. 2010), ist ein Versuch, Leistungen der DDR-Journalistik im Bereich Sprache und Darstellungsformen zu aktualisieren und so aufzuheben.
36 Vgl. http://www.journ.msu.ru/eng/FacultyofJournalismMSU.pdf (7.11.2020)
37 Für Informationen, die die Entwicklung der Journalistik an der Universität Rostov a. D. betreffen, danke ich Alla G. Bespalova.
38 Vgl. Høyer, S./Pöttker, H. (Hrsg.) (20142): Diffusion of the News Paradigm 1850 – 2000. Göteborg: Nordicom.
39 Williams (1929) a.a.O., S. 416.
40 Vgl. Kutsch (2010) a.a.O., S. 443-445.
41 Sanders, K. (2003): Ethics and Journalism. London u.a.: Sage, S. 160; Harcup, T. (2004): Journalism: Principles and Practice. London u.a.: Sage, S. 2.
42 Vgl. Birkner, T. (2012) a.a.O., S. 283-286.
43 Vgl. Weber, M. (2001): Politik als Beruf. In Pöttker, H. (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien. Konstanz: UVK, S. 329-347, S. 335-338 (zuerst 1919).
44 Vgl. Wehler , H.-U. (1987) a.a.O., Plessner (1974) a.a.O.
45 Vgl. Koszyk, K. (2010): Journalismus und »Volksstimmung« im Ersten Weltkrieg. In Eberwein, T./Müller, D. (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 455-466.
46 Vgl. Birkner, Th. (2010): Das Jahrhundert des Journalismus – ökonomische Grundlagen und Bedrohungen. In: Publizistik, 55. Jg., S. 41-54.
47 Groth, O. (1929): Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik). 2. Band. Mannheim u. a.: J. Bensheimer, S. 469.
48 Groth, O. (1929) a.a.O., S. 471.
49 Vgl. z. B. Gillessen, G. (1986): Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich. Berlin: Siedler, S. 11-34.
50 Vgl. Koszyk, K. (1972): Deutsche Presse 1914–1945. Geschichte der deutschen Presse, Bd. 3. Berlin: Colloquium, S. 240-336.
51 Vgl. Holzbach, H. (1981): Das »System Hugenberg«. Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP. Stuttgart: DVA.
52 Vgl. Koszyk, K. (1999): Friedrich Stampfer. Abwägend und ausgleichend. In ders.: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten, hrsg. v. W. Hömberg, A. Kutsch , H. Pöttker. Münster: LIT, S. 457-460, S. 458.
53 Tendenzschutz kennt das deutsche Recht bis heute – Journalisten können aufgrund des Betriebsverfassungsgesetzes entlassen werden, wenn sie nicht zur Linie des betreffenden Mediums passen.
54 Groths vierbändiges Standardwerk Die Zeitung (1928-1930) mit dem Untertitel Ein System der Zeitungskunde (Journalistik [!]), Mannheim u. a.: J. Bensheimer.
55 Vgl. Meier 2014 a.a.O.; zur Kritik an dieser Formel vgl. Streitbörger 2014 a.a.O.
56 Eine präzise Rekonstruktion dieser Metamorphosen-Serie wäre eine eigene Untersuchung wert.
57 zit. n. Maoro, B. (1987): Die Zeitungswissenschaft in Westfalen 1914 bis 45. Das Institut für Zeitungswissenschaft in Münster und die Zeitungsforschung in Dortmund. München u.a.: K. G. Saur (=Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Bd. 43), S. 185..
58 Lenin, W. I. (1976): Womit beginnen? In: ders.: Werke, Bd. 5, Mai 1901 – Februar 1902. Berlin: Dietz, S. 5-13 (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1901/05/womitbeg.htm; 5. 12. 2015).
59 Unter Stalin war freilich selbst hier das Verhältnis zwischen Partei und Universitäts-Journalistik nicht konfliktfrei, wie aus einer Erinnerung der Literaturnobelpreisträgerin von 2015 hervorgeht: »Vor dem Krieg studierte mein Vater am Institut für Journalistik in Minsk. Er erzählte, wenn sie nach den Semesterferien wiederkamen, hätten sie oft keinen einzigen früheren Dozenten mehr angetroffen, weil sie alle verhaftet worden waren.« Alexijewitsch, S. (2015): Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus. [Frankfurt a. M.:] Suhrkamp, S. 13.
60 Vgl. z.B. Anm. 13.
61 Vgl. Doering-Manteuffel, A. (1983): Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer: Außenpolitik und innere Entwicklung 1949–1963. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Schildt, A. (2007): Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90. München: Oldenbourg; ders./Siegfried, D. (2009): Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. München: Hanser.
62 Im Entwurf für ein Pressegesetz des Bundesinnenministeriums von 1952 hieß es: »Zeitungen und Zeitschriften, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik oder den Gedanken der Völkerverständigung richten oder in denen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen […] aufgefordert oder angereizt wird, können […] verboten werden. Hierüber entscheidet der für den Erscheinungsort der Zeitung oder Zeitschrift zuständige Landesminister des Innern. Beschränkt sich die Verbreitung der Zeitung oder Zeitschrift nicht auf das Gebiet eines Landes, so kann der Bundesminister des Innern das Verbot aussprechen.« Zit. n. Buchloh, St. (2002): »Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich«. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas. Frankfurt a. M.: Campus, S. 64.
63 Vgl. http://web.ard.de/ard-chronik/index/6222?year=1961; 5. 12. 2015.
64 Vgl. Pöttker, H. (2012): Meilenstein der Pressefreiheit – 50 Jahre Spiegel-Affäre. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 62. Jg., H. 29-31, S. 39-46.
65 Wie die im Jahre 2015 erhobene Anklage gegen den Recherche-Blog netzpolitik.org auf der Grundlage des Landesverrats-Paragraphen 94 StGB gezeigt hat, der nicht nur den primären Verrat von geheimen Informationen, sondern auch deren sekundäre Veröffentlichung unter Strafe stellt.
66 Vgl. Pöttker, H. (2009): Verspätete Modernisierung. Zur Tradition des (politischen) Gesinnungsjournalismus in Deutschland. In: Averbeck-Lietz, S./Klein, P./Meyen, M. (Hrsg.): Historische und systematische Kommunikationswissenschaft. Bremen: edition lumière, S. 485-496.
67 Vgl. z. B. Donsbach, W. (1999): Journalismus und journalistisches Berufsverständnis. In: Wilke, J. (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 489-517.
68 Problematisch ist vor allem, dass die in ihnen so oder ähnlich notorisch gestellte Frage, ob Journalisten sich entweder als soziale Wachhunde oder als objektive Berichterstatter verstehen, von einer problematischen Alternative ausgeht; es ist ja möglich, das Journalisten sich als Aufdecker von gesellschaftlichen Missständen durch zutreffende Feststellung und Aufdeckung von gesellschaftlichen Missständen verstehen.
69 Eine Problematik, die durch die oberflächliche Implementierung des angelsächsischen Modells nach 1945 und die damit einhergehende Verdecktheit politischer Diskurse in den Medien noch verschärft wurde.
70 Vgl. Weischenberg, S. u. a. 2006 a.a.O., S. 102, 107. Danach wollten 2005 satte 89% der deutschen Journalisten »das Publikum möglichst neutral und präzise informieren«, 1993 waren es nur 74%; und entsprechend wollten 2005 nur 58% »Kritik an Missständen üben«, während es 1993 noch 63% waren.
71 Dazu gehören weitere Faktoren wie ein Berufsverband der in der journalistischen Aus- und Weiterbildung Tätigen.
72 »UMFRAGEERGEBNISSE – Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit. Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.« PUBLIZISTISCHE GRUNDSÄTZE (PRESSEKODEX), Ziffer 2, Richtlinie 2.1. (https://www.presserat.de/files/presserat/dokumente/download/Pressekodex2017light_web.pdf; 25. 1. 2020)
73 In der angelsächsischen Journalistik orientieren sich berufsethische Analysen an der Frage: »What is journalism for?« Vgl. z. B. Sanders, K. (2003): Ethics and Journalism. London u.a.: Sage, S. 160; Harcup, T. (2004): Journalism. Principles and Practice. London u.a.: Sage, S. 2.
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Zitationsvorschlag
Horst Pöttker: Historisch bedingt. Zum Akzeptanzdefizit der Journalistik in Deutschland. In: Journalistik, 3, 2020, 3. Jg., S. 216-233. DOI: 10.1453/2569-152X-32020-10978-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-32020-10978-de
Erste Online-Veröffentlichung
Dezember 2020