Rezensiert von Roger Blum
Es ist eine gute Idee, gelungene Masterarbeiten zu einem gemeinsamen Makro-Thema in geraffter Form als Band herauszugeben. Auf diese Weise wird studentische Forschung gebündelt sichtbar. Margreth Lünenborg, Professorin mit dem Schwerpunkt Journalistik an der Freien Universität Berlin, und Saskia Sell, wissenschaftliche Mitarbeiterin im gleichen Bereich, haben diesen Plan umgesetzt, indem sie zwölf jungen Frauen und drei jungen Männern die Möglichkeit gaben, ihre Studien zum politischen Journalismus einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Die beiden Herausgeberinnen gehen dabei von einem umfassenderen Verständnis des Politischen aus, nämlich »als das die Gemeinschaft Konstituierende« (4), »bei dem Journalismus stets Beobachter und Akteur, Beschreiber und Gestalter zugleich ist« (3). Sie grenzen deshalb den politischen Journalismus vom enger gefassten, sich auf die politischen Institutionen und die Politikressorts beziehenden Politikjournalismus ab. Geht man allerdings ihren Sammelband durch, so bezieht sich die überwiegende Zahl der Studien auch wieder auf das politische Personal, die politischen Themen und die journalistischen Konzepte. Neu ist vor allem, dass die Methoden vorwiegend qualitativ und nicht quantitativ sind. Beim interessanten Beitrag über die Glorifizierung und Skandalisierung des Wirtschafts- und Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (Anne Holbach) fühlt man sich an die 25 Jahre zuvor erschienenen »Beziehungsspiele« erinnert, das Buch, in dem in ähnlicher Weise der Fall Späth und der Fall Stolpe thematisiert wurden (vgl. Donsbach/Jarren/Kepplinger/Pfetsch 1993).
Der Band von Margreth Lünenborg und Saskia Sell enthält Bildanalysen zu politischen Demonstrationen, zur Wahlkampfberichterstattung in Deutschland und Israel sowie zur Repräsentation junger Politikerinnen. Er untersucht die China-Berichterstattung, die Umweltberichterstattung, die Berichterstattung über die Migration aus Rumänien und Bulgarien, jene über Sexismus (Brüderle vs. #aufschrei) und jene über Autismus. Es ist die Rede vom Vertrauen in den Journalismus, vom Datenjournalismus und von Exiljournalisten, die Online-Formate als Sprachrohr brauchen. Eine Stärke des Bandes ist, dass er politischen Journalismus nicht einfach nur in Deutschland analysiert, sondern internationale Bezüge herstellt. Nicht alle Beiträge sind allerdings wirklich interessant; und einige gelangen zu ziemlich banalen Ergebnissen. Hier sollen drei Beiträge referiert werden, die Neues bieten: jene über Fixer, über Bürgerjournalisten und über Nutzerpartizipation.
Sophie Klein untersuchte in Israel und in den palästinensischen Gebieten die Rolle der Fixer, Stringer und Producer, jener Einheimischen, die als »unbekannte Helfer im Auslandjournalismus« den Auslandkorrespondentinnen und -korrespondenten zur Hand gehen. Sie werden in den Berichten praktisch nie genannt. Sie wirken als Organisatoren, Türöffner, Vermittler, Übersetzer und führen teilweise selber journalistische Recherchen sowie Interviews durch; sie regen auch Themen an. Aber über die Relevanz und die Form der zu publizierenden Beiträge entscheiden die Korrespondenten und die Heimredaktionen. Die Autorin führte Leitfadeninterviews mit Fixern und deutschen Fernsehjournalisten an Ort und Stelle im Nahen Osten. Sie fand heraus, dass sich die Fixer weitgehend selber als Journalisten sehen und die Stereotypen der Berichterstattung kritisieren, die zu viel den Krieg und die Konflikte und zu wenig den Alltag thematisiere. Fixer bringen die Interessen der eigenen Identität ein. Letztlich befördert dies die Konversionstheorie, wonach das Auslandsbild der Medien sowohl Aspekte des Berichterstattungsgebiets als auch des Heimatlandes enthält.
Débora Medeiros arbeitet den Unterschied zwischen Bürgerjournalisten und traditionellen Medien am Beispiel der Debatte über neue Staudämme und das Waldgesetz in Brasilien heraus. Dazu unterzog sie 440 Online-Texte aus zwei klassischen Magazinen (»Época« und »CartaCapital«) und aus zwei Bürger-Blogs (»Diário da Verde« und »Blog do Sakamoto«), die allerdings von Leuten mit durchaus journalistischer Erfahrung betrieben werden, einer kritischen Diskursanalyse. Diese ergab, dass die traditionellen Medien – abgesehen von ihren Kolumnisten – eher den »Fortschrittsdiskurs« pflegen, die Bürgermedien aber den »Nachhaltigkeitsdiskurs«. Somit kann die Autorin nachweisen, dass die Bürgermedien Gegenöffentlichkeit herstellen.
Jakob Kienzerle schließlich befasst sich mit der Nutzerpartizipation im professionellen Online-Journalismus. Dabei arbeitet er mit dem von Wiebke Loosen und Jan-Hinrik Schmidt entwickelten heuristischen Modell der Publikumsinklusion, das Systemtheorie und Inklusionstheorie kombiniert (Loosen/ Schmidt 2012). Er geht der – bisher in der Forschung vernachlässigten – Frage nach, wie die verschiedenen Elemente der Nutzerpartizipation auf den Websites präsentiert werden. Dort, wo Nutzerkommentare prominent gezeigt werden, wird ihnen entsprechende Relevanz zugeschrieben. Kienzerle schlägt deshalb eine Modifikation des Modells von Loosen und Schmidt vor, indem die Präsentation partizipativer Elemente als neue analytische Dimension eingeführt wird.
Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 9. Juli 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21307
Über diesen Titel
Margreth Lünenborg, Saskia Sell (Hrsg.): Politischer Journalismus im Fokus der Journalistik. Wiesbaden [Springer VS] 2018, 407 Seiten, 59,99 Euro.
Über den Rezensenten
Dr. Roger Blum ist emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern und aktuell Ombudsmann für die SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) in der Deutschschweiz. Seine Forschungsgebiete sind Mediensysteme, politischer Journalismus, Medienethik und Mediengeschichte.