Rita Kohlmaier (2022): Kriegsreporterinnen. Im Einsatz für Wahrheit und Frieden

Rezensiert von Martina Thiele

Über welche besonderen Eigenschaften verfügen Menschen, die über Kriege und Krisen berichten? Was unterscheidet sie von anderen Journalist:innen, die nicht an vorderster Front dabei sind? Und was unterscheidet Kriegsreporterinnen von Kriegsreportern? Dass erstere bis heute in der Minderheit sind? Dass sie dennoch, und gerade weil sie Frauen sind, auffallen? Was also spricht dafür, sich 2022 »Kriegsreporterinnen« und ihrem »Einsatz für Wahrheit und Frieden« zu widmen? Ein Grund ist sicher: die bedrückende Realität der zahlreichen Kriege und Krisen in der Welt.

Über den Zusammenhang von Medien, Krieg, Geschlecht, über Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen durch Krieg ist bereits einiges geschrieben worden (vgl. Biron et al. 2020; von der Lippe/Ottosen 2016; Klaus/Wischermann 2013; Thiele et al. 2010). Die Theoretisierungen von Geschlecht, Heteronormativität und (un)doing gender zielen darauf ab, falschen Zuschreibungen von Friedfertigkeit und Gewalttätigkeit, Verantwortungsgefühl und Mut entlang von Zweigeschlechtlichkeit oder Nationalität etwas entgegenzusetzen. Als populärer und anschlussfähiger erweisen sich jedoch differenztheoretisch argumentierende Studien, wonach Frauen anders sind und anders agieren (müssen) als Männer. Auch Rita Kohlmaier begründet die Fokussierung auf Kriegsreporterinnen mit einer anderen, weiblichen Sichtweise und einem spezifischen Zugang zu Menschen: »Doch es ist unbestritten, dass der weibliche Blick auf die Kriege ein besonderer ist. Es ist auch der Blick für die stillen Opfer, für die Menschen, die so oft ganz allgemein als ›die Zivilbevölkerung‹ benannt werden. Aber jede und jeder von ihnen hat ein eigenes Schicksal, das erzählt werden sollte« (S. 8).

30 Kriegsreporterinnen porträtiert Kohlmaier in einem Band, der die Leserin durch seine Aufmachung, Informationsdichte und Bildauswahl, seine historische Perspektive und erschütternde Aktualität sofort in den Bann zieht. Warum Kriege? Und warum sich in Lebensgefahr begeben, um darüber zu berichten? »Die Welt muss das sehen«, so der Grund, den letztlich alle Journalistinnen nennen und der den Untertitel des Bandes rechtfertigt: »Im Einsatz für Wahrheit und Frieden.«

Die Porträts beruhen auf umfassender Recherche, sind jedoch unterschiedlich lang und auch in der Form sehr verschieden. Einmal gibt es ein ausführliches Porträt über die Fotografin Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan getötet wurde, einmal nur einen kleinen Auszug aus einer Rede, die Antonia Rados 2011 vor Wiener Publizistik-Studierenden gehalten hat. Kohlmaier deckt mit den Porträts einen Zeitraum ab, der vom Ersten Weltkrieg bis zum gegenwärtigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine reicht. Doch hat sie sich gegen eine chronologische Ordnung und für eine thematische entschieden.

In fünf Kapiteln werden zwischen vier und sieben Kriegsberichterstatterinnen vorgestellt. Kapitel 1 trägt die Überschrift »Live aus …« und schildert die Arbeit von Christiane Amanpour, Katrin Eigendorf, Catherine Jentile, Clarissa Ward und Antonia Rados. In Kapitel 2 geht es um »Die Macht der Bilder« und um Margaret Bourke-White, Lynsey Addario, Lee Miller und Nicole Tung. Kapitel 3 mit dem Titel »Frontberichte und Literatur« zeigt anhand von Martha Gellhorn, Carolin Emcke, Oriana Fallaci, Marguerite Higgins, Janine di Giovanni, Erika Mann und Åsne Seierstad die Schnittmenge zwischen journalistischen Darstellungsformen und literarischen Gattungen bzw. wie sehr sich Journalismus und Literatur ergänzen und befruchten in der Befassung mit Krieg. Kapitel 4 ist den Journalistinnen gewidmet, die in Ausübung ihres Berufs ihr Leben gelassen haben: Anja Niedringhaus, Dicky Chapelle, Marie Colvin, Gerta Taro und Anna Politkowskaja. Kapitel 5 behandelt durch die Porträts von Nataliya Gumenyuk, Alice Schalek, Yevgenia Belorusets, Anisa Shaheed, Gisèle Kahimbani, Lyliane Safi und Judith Raupp eine besondere Involviertheit. Es trägt den Titel »Mein Land unter Feuer«.

Diese Ordnung und die Vorstellung bekannter und (bislang) weniger bekannter Journalistinnen erlaubt neue Einsichten und Querverbindungen. Deutlich wird, wie spezifisch die jeweiligen Gegebenheiten in einem Krieg und regionalen Konflikt sind, zugleich was »den« Krieg ausmacht. Er sei, so Nicole Tunc, »ein Platz der Extreme – es geht darum, wie Menschen ihre Menschlichkeit verlieren, aber auch, wie sie sie erlangen« (S. 9).

Kohlmaiers Protagonistinnen berichten, wie die Erfahrung des Krieges sie und ihren Blick auf Menschen verändert. Sie diskutieren, was Professionalität bedeutet, und betonen die besondere Rolle und Verantwortung des Journalismus. So attestiert Christiane Amanpour social media und social networking zwar eine zunehmende Relevanz, zugleich aber stellt sie Journalist:innen als diejenigen heraus, die »verpflichtet sind, ihre Quellen zu verifizieren, Fakten zu prüfen, Querverbindungen zu recherchieren und vor Ort selbst den Geschichten hinterherzugehen« (S. 15). Ohne ausgebildete Reporter:innen, die einem Berufsethos und Verhaltenskodex folgten, sei eine unabhängige und um Wahrheit ringende Kriegsberichterstattung nicht möglich. Doch wie steht es um die Ausbildung von Journalistinnen weltweit? Judith Raupp, die in der Demokratischen Republik Kongo lebt und sich als freie Journalistin, Medientrainerin und -beraterin in der Journalist:innenausbildung engagiert, schildert eindrücklich die Not und die Gewalt, der alle Frauen ständig ausgesetzt sind, sowie die qua Geschlecht noch einmal erschwerten Bedingungen, den Journalistinnen-Beruf zu erlernen und auszuüben.

Rita Kohlmaiers Werk ist durch den Elisabeth Sandmann Verlag, in dem schon vier andere »Frauen-Bücher« von ihr erschienen sind, ansprechend gestaltet. Jedes Porträt enthält mindestens ein Bild der Protagonistin, zumeist in Ausübung ihres Berufes, aussagekräftige Zitate und Infokästen mit den wichtigsten Angaben zur Person. Der Anhang versammelt die genutzten Quellen, überwiegend Presseartikel und Biographisches. Mit der Aufarbeitung kommunikations- und medienwissenschaftlicher Literatur zum Thema hält sich Kohlmaier nicht auf, obwohl – oder weil? – sie in München Neuere Deutsche Literatur, Politik- und Kommunikationswissenschaft studiert hat und Absolventin der Deutschen Journalistenschule ist. Ihr Zugang ist ein anderer: Das Thema Krieg ist zwar leider immer aktuell, aber gerade jetzt scheint die Aufmerksamkeit der deutschen Leser:innen bedingt durch den Krieg gegen die Ukraine besonders hoch. Aktualität ist entscheidend. Schnelligkeit. Und gute Kontakte. So basiert das Porträt über Katrin Eigendorf auf einem Interview, das Kohlmaier selbst im Juni 2022 mit der ZDF-Reporterin geführt hat, die durch ihre engagierte Afghanistan- und Ukraine-Berichterstattung größere Bekanntheit erlangt hat.

Wenngleich Kohlmaier sich auf Frauen als Kriegsberichterstatterinnen konzentriert, ist ihr Zugang ein breiter: Sowohl historische als auch gegenwärtige und für ganz unterschiedliche Medien arbeitende Journalistinnen und Fotografinnen werden vorgestellt, auch eine etwas globalere Perspektive ist erkennbar, bei der nicht nur »westlich sozialisierte« Reporterinnen, die über die Krisen in fernen Ländern berichten, in den Mittelpunkt rücken, sondern auch die Akteurinnen vor Ort und jüngere Journalistinnen zu Wort kommen. Nach welchen Kriterien die Auswahl der Porträtierten erfolgt ist, legt die Publizistin nicht offen, auch nicht, warum sich die Porträts so sehr in ihrer Länge und Form unterscheiden.

Wer eine geschlechtertheoretisch fundierte Auseinandersetzung mit dem beruflichen Selbstverständnis von Kriegsberichterstatter:innen oder mit Journalismuskulturen zwischen Objektivitätsnorm und Parteilichkeit sucht, wird in dem Band nicht direkt fündig, wer aber mehr über einzelne Frauen wissen will, die dafür sorgen, dass wir uns ein Bild vom Krieg machen können, wird dankbar sein für die 30 Porträts mutiger Journalistinnen.

Über die Rezensentin

Dr. Martina Thiele ist Professorin für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und gesellschaftliche Verantwortung am Institut für Medienwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Journalistik/Journalism Research und forscht zu Öffentlichkeitstheorien und publizistischen Kontroversen; Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung sowie sozialer Ungleichheit in und durch Medien.

Literatur

Biron, Bettina; Duchkowitsch, Wolfgang; Lamprecht, Wolfgang (Hrsg.)(2020): Frauen – Medien – Krieg. Über Rollenbilder und Mythen vom Ersten Weltkrieg bis heute. Wien: Lit.

Klaus, Elisabeth; Wischermann, Ulla (Hrsg.)(2013): Journalistinnen. Eine Geschichte in Biographien und Texten 1848-1990. Wien: Lit.

Thiele, Martina; Thomas, Tanja; Virchow, Fabian (Hrsg.)(2010): Medien – Krieg – Geschlecht. Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen. Wiesbaden: Springer VS.

von der Lippe, Berit; Ottosen, Rune (Hrsg.)(2016): Gendering War and Peace Reporting. Some Insights – some missing links. Göteborg: Nordicom. Rezensiert von Julia Lönnendonker in rezensionen:kommunikation:medien, 30. Januar 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20893

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 30. Januar 2023, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/23646

Fussnote

Über dieses Buch

Rita Kohlmaier (2022): Kriegsreporterinnen. Im Einsatz für Wahrheit und Frieden. München: Elisabeth Sandmann Verlag, 176 Seiten, 28,- Euro.