Von Robert W. McMahon
Abstract: Konsumgüter mit Überwachungsfunktionen verbreiten sich immer mehr, während zugleich der Journalismus unter stetig stärker werdenden wirtschaftlichen Druck gerät. Daraus ist ein fruchtbarer Boden entstanden, in dem Überwachungskapitalismus gedeiht und Journalismus zu seinem Erfüllungsgehilfen wird. Wie die Untersuchung eines Korpus mit journalistischen Texten nahelegt, lässt sich diese Komplizenschaft an einem Berichterstattungsstil erkennen, den wir hier als »gehaltlose Kritik« konzipieren.
Keywords: Überwachung, Überwachungskapitalismus, Journalismus
Übersetzung: Kerstin Trimble
In den Vereinigten Staaten ist Überwachung allgegenwärtig. Davor verschont bleibt nur ein kleiner Teil der Gesellschaft, der bewusst abseits des Netzes lebt, also weder öffentliche Versorgungseinrichtungen noch Bankensysteme nutzt und Technologie sowie jeglichen Kontakt mit staatlichen Stellen vermeidet. Die meisten Menschen müssen sich jedoch zwangsläufig Überwachung in der einen oder anderen Form unterwerfen, um effektiv an der Gesellschaft teilzuhaben, Dienstleistungen zu nutzen und die Annehmlichkeiten von Internet und Technologie zu genießen. Ist die Zielperson eine Person of Color, wirtschaftlich benachteiligt oder gilt anderweitig als verdächtig oder gefährlich, kann die Überwachung gezielt, unausweichlich und besonders robust sein. Im Laufe der Zeit sind Formen und Methoden der Überwachung alltäglich geworden, die früher unter die Rubrik Überwachungsstudien gefallen wären und als »die Grauzone am Rande von Überwachung, Paranoia und Verschwörung« (Murakami Wood 2009: 2) galten. So kann beispielsweise ein vernetztes Thermostat, das die Zimmertemperatur je nach Bedarf anheben oder senken kann, auch die Anwesenheit von Menschen in einem Raum aufzeichnen. Eine mit Videokamera ausgestattete Türklingel, die Aufnahmen erstellt und speichert, ist auch für die Polizei leicht zugänglich. Tatsächlich hat sich die Überwachungspraxis so stark ausgeweitet und ist so hartnäckig geworden, dass manche behaupten, wir leben heute in einer Überwachungskultur (Lyon 2018). Eine Kultur der Überwachung kommt jedoch nicht einem Zustand der totalen Überwachung gleich. Viele Produkte und Technologien werden nicht zwangsläufig für Überwachungszwecke entwickelt oder verwendet. Bei Produkten, die explizit zur Überwachung eingesetzt werden können, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern, die Geschäftsmodelle der Hersteller und die spezifischen Fähigkeiten des jeweiligen Produkts berücksichtigt werden, um einzuordnen, wie weit diese Nutzung geht. Dennoch bildet die weitreichende und invasive Überwachung durch Produkte wie vernetzte Türklingeln und Thermostate durchaus die Konturen einer Überwachungskultur aus. Die Hersteller müssen dieses Produkte so präsentieren und verkaufen, dass Verbraucher:innen sich für diese Funktionen begeistern oder sie zumindest billigend in Kauf nehmen. Ich bin mir zwar bewusst, dass sich ein beträchtliches Segment der Bevölkerung der Überwachung nicht entziehen kann, oft aufgrund ihrer Hautfarbe/Ethnizität oder ihres wirtschaftlichen Status. In diesem Projekt interessiert mich jedoch vor allem der Teil der Bevölkerung, der sich bereitwillig darauf einlässt. Wer sich für den Kauf eines Überwachungsprodukts entscheidet oder, vielleicht besser gesagt, sich diese Entscheidung leisten kann, holt es sich in die Wohnung oder trägt es am Körper und lädt damit das digitale Äquivalent eines Spions in den eigenen Lebensbereich ein. Das bezeichnet man als Luxusüberwachung (Gilliard 2022; Gilliard/Golumbia 2021).
Literaturübersicht
Im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts untersucht diese Studie kritisch, inwiefern der in bestimmten US-Medien geführte Diskurs die Hegemonie der Überwachung und des Überwachungskapitalismus fördert. Dies ist von zentraler Bedeutung, denn »Diskurse sind taktische Elemente oder Blöcke, die im Bereich der Gewaltverhältnisse operieren« (Foucault 2009: 319). Überwachung beruht auf asymmetrischen Machtverhältnissen (Andrejevic 2014). Ein Großteil des Diskurses hierüber basiert auf einem dauerhaften und beständigen Fundament von Werten und Konzepten, das Bourdieu (1977) als »Doxa« bezeichnet. Sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass sich Überwachung an öffentlichen Orten, in privaten Räumen und in der Gesellschaft insgesamt etabliert, wenn nicht sogar willkommen geheißen wird. Dies führt zu dem, was Foucault (1977) als den Moment bezeichnet, in dem »man zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung wird« (203), und zwar in großem Maßstab. Da der Journalismus eine elementare Rolle in der Diskursproduktion spielt, muss untersucht werden, wie er zur Schaffung einer Überwachungskultur beigetragen hat bzw. wie er dazu beiträgt, sie aufrechtzuerhalten. Wie Habermas feststellte, sind »Zeitungen und Zeitschriften, Radio und Fernsehen die Medien der öffentlichen Sphäre« (Habermas 1964/1974: 49) und somit einflussreiche Instrumente der öffentlichen Meinungsbildung. Sinkende Einnahmen und andere wirtschaftliche Zwänge, verbunden mit einer Verlagerung der Distributionskanäle und Fragmentierung des Publikums zwingen jedoch die Nachrichtenplattformen dazu, sich nach anderen Einnahmequellen umzusehen. Das wiederum kann sich darauf auswirken, wie sie die Öffentlichkeit beeinflussen. Dies geschieht zum Beispiel durch das Einbetten von Links – sogenannter Partnerlinks – in Artikeln. Der Klick darauf führt zu einer Website, auf der man ein Produkt kaufen kann und dabei eine Verkaufsprovision für die Nachrichtenplattform generiert.
Das ist besonders im Technikjournalismus problematisch, wenn zum Beispiel bei einer Rezension das besprochene Produkt in die Kategorie fällt, die Zuboff (2015) das große Andere nennt – ein Netzwerk von Geräten und Institutionen, das menschliches Verhalten und Denken aufzeichnet und kommerzialisiert – sowie in das größere Schema des Überwachungskapitalismus, der »einseitig menschliche Erfahrung als kostenloses Rohmaterial beansprucht« (Zuboff 2019: 8). Darüber hinaus führt das Spannungsverhältnis, in dem sich die Nachrichtenplattform als faktischer Verkaufskanal für das Produkt befindet, häufig zu einer Berichterstattung, die Funktionen, Annehmlichkeiten oder Ästhetik eines technischen Konsumguts in den Vordergrund stellt und die negativen Überwachungsaspekte in den Hintergrund verbannt. Ich bezeichne diese Berichterstattung als gehaltlose Kritik und konzeptualisiere sie als eine Art Kritik, die zwar sichtbar ist, der Logik des Überwachungskapitalismus aber wenig entgegensetzt. Diese gehaltlose Kritik bietet eine Fassade journalistischer Unparteilichkeit, doch der Text dahinter dient letztlich dazu, unter dem Anschein ausgewogener Berichterstattung Überwachung an Verbraucher:innen zu verkaufen. Für eine Nachrichtenplattform, die über Partnerlinks überwachungsrelevante Technologieprodukte an Verbraucher:innen verkauft, ist handfeste Kritik vielleicht nicht mehr wirtschaftlich. Dies veranschaulicht die Behauptung von Carlson (2015), dass »trotz der normativen Strenge redaktioneller Unabhängigkeit in der Praxis die Macht des Kommerz die journalistische Autonomie schon immer kompromittiert hat« (851), denn die Verbraucher:innen vom Kauf eben dieser Überwachungsprodukte abzuhalten, würde sich ja negativ auf eine wichtige Einnahmequelle auswirken.
Journalistische Grundsätze oder Werte haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, lassen sich aber generell anhand einiger weniger Ansätze beschreiben: Glaubwürdigkeit der Nachricht, der Journalist:innen oder des Senders sowie Qualität (Molyneux/Coddington 2020); Objektivität, Wahrhaftigkeit und Fairness (Walters 2021); Journalismus im Dienste und als Teil der Demokratie (Dilts 2005). All dies steht unter dem Dach einer Berufsethik, die Journalist:innen dazu verpflichtet, die Wahrheit zu berichten, Schaden zu minimieren sowie unabhängig und transparent zu arbeiten (Society of Professional Journalists 2014). Folgendes Zitat bringt journalistische Werte auf den Punkt, wie sie die meisten Menschen außerhalb von Journalismus und Wissenschaft verstehen: »Die Wahrheit suchen. Die Wahrheit sagen. Unabhängigkeit.« (Chua 2018: 94) Viele Menschen in den Vereinigten Staaten stehen den Nachrichtenmedien skeptisch gegenüber (Pew Research Center 2020), weshalb sich die Branche selbst in letzter Zeit um mehr Transparenz bemüht hat (Koliska 2022). [1] Dennoch greifen die Menschen oft auf journalistische Quellen ihres Vertrauens zurück, um sich über aktuelle Ereignisse, Politik, Sport, das Wetter oder in diesem Fall über Konsumgüter zu informieren. Dies liegt daran, dass »der Glaube an seriösen Journalismus – ob Print oder digital – auf dem Vertrauen in die Professionalität der journalistischen Praxis beruht« (Liebes 2000: 295). Faktoren wie Vertrauen, Glaube oder Transparenz in Bezug auf Nachrichtenkonsument:innen sind ein kompliziertes Feld und daher auch ein Schwerpunkt der Journalismusforschung. Dennoch prägt der Nachrichtenjournalismus nach wie vor den Diskurs über Überwachung mit. Die Rolle des Journalismus beim Verkauf von Überwachungsprodukten lässt sich daraus ableiten, wie die Überwachungsaspekte einer Technologie in den Vordergrund gerückt oder verschleiert werden, ob Datenschutzbedenken zur Sprache kommen, oder ob sie erst geäußert und dann beiseite gewischt werden.
Ein bewährter Grundsatz in diesem Bereich ist die Trennung der redaktionellen Seite von der Werbeseite der Organisation, um einen unangemessenen Einfluss von Geschäfts- oder Werbedruck auf die Berichterstattung zu vermeiden. Bourdieu (1998) beschrieb dies als ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Polen, dem kulturellen und dem wirtschaftlichen Pol. In der Praxis ließe sich dies als physische Trennung umsetzen. Rhetorisch ist der Grundsatz aber oft metaphorisch gemeint, ähnlich wie die Trennung zwischen Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten (Coddington 2015). Gans (1980) hat jedoch eine entscheidende Beobachtung gemacht: »Wenn Nachrichtenunternehmen unter höherem Gewinndruck stehen, birst der althergebrachte Damm zwischen ›Kirche‹ (der redaktionellen Seite des Unternehmens) und ›Staat‹ (der geschäftlichen Seite)« (24). Das wird heute deutlicher als je zuvor.
Methode
In diesem Projekt zeige ich anhand der folgenden Forschungsfragen, wie Journalismus in den Vereinigten Staaten die Hegemonie des Überwachungskapitalismus fördert:
- Wie wird Überwachung in den Nachrichtenmedien verkauft?
- Wie halten Nachrichtenmedien die Hegemonie des Überwachungskapitalismus aufrecht?
Um diese Fragen zu untersuchen, wurde ein Textkorpus mit etwa 300 Artikeln [2] in US-Nachrichtenmedien über einen Veröffentlichungszeitraum von zwei Jahren (1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2019) zusammengestellt. Die Wahl dieses spezifischen Zeitraums richtete sich nach den ersten Snowden-Enthüllungen im Jahr 2013, die eine weltweite Diskussion über ungerechtfertigte staatliche Massenüberwachung auslösten (siehe Gellman/Poitras 2013; Greenwald/MacAskill 2013). In den Folgejahren hielt die Berichterstattung über die Snowden-Enthüllungen die Diskussion im nationalen und globalen Bewusstsein aufrecht. Darüber hinaus fällt in diesen Zeitraum auch der bedeutsame Moment, als der Skandal um Facebook/Cambridge Analytica (siehe Cadwalladr/Graham-Harrison 2018) die massenhafte Überwachung von Verbraucher:innen und die Manipulation der Wählerschaft im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl 2016 aufdeckte. Beide Skandale waren von großer Tragweite und die weltweite Presse berichtete ausführlich darüber. Zeitgleich stieg vor diesem Hintergrund der Absatz vernetzter Konsumgüter immer weiter an.
Für dieses Projekt sammelten wir Artikel aus Publikationen, die zu den führenden US-Medien gehören (Tabelle 1), wie etwa: The Wall Street Journal, The New York Times, The Washington Post, Consumer Reports und Fox News aufgrund ihres Bekanntheitsgrades, seiner Reputation und Reichweite. Ebenso wurden Artikel aus Technik- oder Nischenpublikationen herangezogen: The Verge, Gizmodo, Engadget, PC Magazine, CNET und Popular Mechanics aufgrund ihrer gezielten Ausrichtung auf Technik, ihres Bekanntheitsgrades in diesem Bereich und der Tatsache, dass 20 % bis 70 % ihres Traffics von Online-Suchmaschinen stammt (was bedeutet, dass man über eine Produktsuche auf die Seite gelangt). Der Durchschnitt liegt bei knapp unter 50 %. [3]
Diese Websites sind auch unabhängig von Werbetreibenden oder den dort rezensierten Produkten, oder behaupten zumindest, redaktionell davon getrennt zu sein. Ich griff entweder über die Website oder die Datenbank ProQuest Historical Newspapers auf die einzelnen Publikationen zu und durchsuchte sie dann nach den folgenden Stichwörtern: Ring, Alexa, Video-Türklingel, Smart-Lautsprecher, Smart Tech, Smart Home, Fitbit und Fitness-Tracker.
Im Sinne von Halls Praxis (1975), Texte erst »lange einweichen zu lassen« (15), habe ich diese Texte vorab untersucht, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, wie sich Nachrichtenartikel mit dem Konzept der Überwachung auseinandersetzen. Erste Notizen habe ich in einer Tabelle festgehalten. Als sich die Themen herauskristallisierten, wurde jeder Artikel erneut durchgesehen, manchmal auch mehrmals, um das jeweilige Hauptthema zu ermitteln, was ebenfalls in einer Tabellenspalte festgehalten wurde. Von den zahlreichen ermittelten Themen konzentriert sich dieser Beitrag auf gehaltlose Kritik. Dieses Projekt wendet als Analysemethode die von Fairclough (1985, 1995, 2000a, 2000b) vorgestellte kritische Diskursanalyse (CDA) an. Wie Buozis (2018) prägnant zusammenfasste, lassen sich damit »Texte mit den darin enthaltenen diskursiven Praktiken und den soziokulturellen Praktiken der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, miteinander in Verbindung setzen« (40). Darüber hinaus bestätigten Fairclough und Fairclough (2018) und van Dijk (1993, 2011) den Wert der CDA als geeignetes Instrument für eine kritische soziale Analyse und das Verständnis von Machtbeziehungen. Darüber hinaus lässt sich mit CDA durchaus auch ein multidisziplinärer Ansatz anwenden, um Machtbeziehungen und ihre kulturellen Implikationen zu beleuchten. Da Überwachung von Natur aus auf asymmetrischen Machtbeziehungen beruht (Andrejevic 2014), ist CDA hier ein geeigneter Ansatz.
Gehaltlose Kritik
Das Thema der gehaltlosen Kritik kann auf verschiedene Art und manchmal auch auf mehrfache Weise im selben Text auftauchen. Die folgenden Abschnitte gliedern die Ergebnisse um einige der Formen, in denen gehaltlose Kritik in Erscheinung trat. Diese Gliederung soll kein strukturell starres Konzept gehaltloser Kritik suggerieren, sondern dient lediglich der Orientierung. Ebenso wenig soll behauptet werden, alle Texte enthielten gehaltlose Kritik.
Tabelle 1
Publikationsort und Verteilung der Artikel
Publikationsort |
2017 |
2018 |
2019 |
Summe |
CNET |
1 |
3 |
10 |
14 |
Consumer Reports |
7 |
4 |
12 |
23 |
Engadget |
1 |
5 |
18 |
24 |
Fox News |
8 |
1 |
2 |
11 |
Gizmodo |
0 |
1 |
17 |
18 |
PC Mag |
12 |
12 |
8 |
32 |
Popular Mechanics |
10 |
6 |
5 |
21 |
Popular Science |
0 |
0 |
1 |
1 |
The New York Times |
2 |
11 |
15 |
28 |
The Verge |
1 |
3 |
21 |
25 |
The Washington Post |
8 |
10 |
8 |
26 |
Wall Street Journal |
0 |
8 |
4 |
12 |
Schuldverschiebung/Fokus auf die Zukunft
Ein Ausgangspunkt für die Diskussion über das Konzept der gehaltlosen Kritik ist ein beliebtes und weit verbreitetes Überwachungsprodukt: der intelligente Lautsprecher. Zum Hintergrund: Das technologische Herzstück eines so genannten Smart Home ist der Smart Speaker, auch Sprachassistent, virtueller Assistent oder intelligenter persönlicher Assistent genannt. Dieses Gerät besteht aus Mikrofonen und einem oder mehreren Lautsprechern; es verfügt über Computerverarbeitungs- und Netzwerkfähigkeiten und ist mit künstlicher Intelligenz verbunden, um auf Fragen zu reagieren oder Befehle auszuführen. Zwar gibt es in diesem Feld der Verbrauchertechnologie mehrere Hersteller, doch sind die Produkte von Amazon und Google am bekanntesten und haben im Zeitraum von Q3 2016 bis Q3 2021 zusammen fast die Hälfte des weltweiten Marktanteils erobert.
Einer Schätzung zufolge wurden 2017 weltweit etwas über 42 Millionen intelligente Lautsprecher (aller Hersteller) verkauft. Bis 2025 wird mit über 409 Millionen gerechnet. Das ist ein Anstieg von 873 % in nur acht Jahren.
Dieses Produkt ist praktisch ein vernetztes Abhörgerät, das auch auf Befehle reagieren oder Fragen beantworten kann. Um das Gerät zu aktivieren, muss zunächst ein bestimmtes Wort oder eine Phrase (ein sogenanntes »Weckwort« oder »Schlüsselwort«) ausgesprochen werden. Dann kann man Befehle geben wie: »Alexa, schalte das Licht in der Küche ein«; oder Fragen stellen wie: »Okay Google, wie wird das Wetter morgen?« So einfach sich die Technologie oberflächlich beschreiben lässt, steht dahinter doch eine komplexe Reihe von Rechen- und Überwachungsaktivitäten, Datenerfassung, -speicherung und -analyse sowie eine komplizierte Beziehung zwischen den Nutzer:innen, dem Gerät und dem dahinter stehenden Unternehmen. Es ist wichtig, sich die Funktion des Weckworts bewusst zu machen, denn es bedeutet ja, dass das Gerät immer zuhört, zumindest, um darauf reagieren zu können.
Vor diesem Hintergrund beschrieb ein Artikel auf der Website von Fox News (Casey 2017) einen Vorfall mit dem intelligenten Lautsprecher Google Home und einem Werbespot für eben jenes Produkt, der während des Super Bowl 2017 ausgestrahlt wurde. Im Werbespot wurde das Weckwort »Okay Google« ausgesprochen, was unzählige Google Home-Geräte in echten Haushalten aktivierte. Der Artikel erwähnte noch einen ähnlichen Vorfall, der den intelligenten Lautsprecher von Amazon betraf. Oberflächlich betrachtet könnte man diese Ereignisse lustig oder ironisch finden, doch veranschaulichen sie die Überwachungskapazitäten dieser Geräte und zeigen, wie wenig Kontrolle ihre Besitzer:innen darüber haben.
Der einzige Kritikpunkt dieses Artikels an solchen Geräten und den Vorfällen war, dass sich das Weckwort des Google Home-Geräts nicht ändern ließ. Der Artikel ging nicht auf die offensichtlichen Überwachungsfähigkeiten des Geräts ein und äußerte keine Bedenken hinsichtlich Datenschutz, sondern schlug den Nutzer:innen lediglich vor, wenn möglich das Weckwort zu ändern. Anders gesagt: Das Risiko und die Verantwortung wurden auf die Verbraucher:innen abgewälzt. Der Artikel schloss mit der Aussage: »Google Home ist trotzdem ein fantastischer intelligenter Lautsprecher mit großartigem Klang und einer tiefen Integration mit anderen Google-Produkten – hoffen wir nur, dass er intelligent genug wird, um den Fernseher zu ignorieren.« (Absatz 7) Diese Kritik ist gehaltlos, weil sie sich mit der nachgewiesenen Problematik der Überwachung durch das Gerät gar nicht auseinandersetzt, sondern sie einfach in die Hoffnung ummünzt, dass das Gerät selbst bald besser wird.
Dieses Beispiel aus dem Textkorpus enthielt zwar keine Links, unter denen die erwähnten Produkte zum Kauf erhältlich waren (Partnerlinks), doch lohnt sich ein genauerer Blick auf die Urheberschaft des Artikels. Denn dann wird klar, wie durchlässig die Mauer zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt ist. Im Gegensatz zu Carlsons (2015) Studie über »Native Advertising« gab es in diesem Beitrag keine eindeutigen Hinweise darauf, dass der Text von einem Werbetreibenden gesponsert wurde. Als Autor des Artikels wird jedoch ein Mitarbeiter von Tom’s Guide angegeben, einer separaten Website mit Rezensionen von Technikprodukten. Die Herkunft dieser Website ist insofern interessant, als dass sie eine mögliche Geschäftsbeziehung zwischen Fox News und Tom’s Guide aufzeigt, bei der die Technik-Website Fox News mit technikjournalistischen Inhalten versorgt. Diese Beziehung lässt sich erahnen, wenn man das Kleingedruckte ganz unten auf der Website von Tom’s Guide liest. Dort heißt es nämlich, das Medium gehöre zu »der internationalen Mediengruppe und dem führendem digitalem Verlag US Inc« (Tom’s Guide, undatiert). Der Mutterkonzern von Future US Inc. ist Future plc, »eine globale datengetriebene Plattform für Fachmedien, die sich auf firmeneigene Technologie stützt und über diversifizierte Einnahmequellen verfügt« (Future Plc 2021: 2). Mit anderen Worten: Future ist ein digitales Werbe- und Marketingunternehmen, das Inhalte für seine eigenen vertikalen B2B- und B2C-Kanäle erstellt, wie etwa Tom’s Guide, oder gezielt Inhalte außerhalb des eigenen Ökosystems für Werbekunden platziert. So nutzt eine Marke wie Google Future plc als Plattform, um für ihre Produkte wie Google Home zu werben. Sie verfassen positive Inhalte über das Produkt für die von Future produzierten vertikalen Kanäle, die wie unabhängige, separate Online-Magazine wirken. Diese Inhalte werden dann andernorts platziert, beispielsweise durch den Ankauf von Werbeplätzen auf der Website von Fox News. Die Inhalte sind um zwei gängige thematische Gattungen des Technologiejournalismus herum organisiert: Produktbesprechungen und Anleitungen zur Verwendung eines Produkts. Darüber hinaus kann ein Unternehmen wie Future plc auch als Krisenmanagement-Team fungieren. Wenn etwa ein Werbespot beim Super Bowl versehentlich einen intelligenten Lautsprecher aktiviert, werden negative Nachrichten mit Artikeln abgedämpft, die das Produkt in den höchsten Tönen loben und Verbesserungen bei künftigen Produktversionen verheißen.
Visuelle Anhaltspunkte
Popular Mechanics (Linder 2019) veröffentlichte einen Vergleich der intelligenten Lautsprecher von Amazon und Google. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel, wo der Artikel von einem externen Unternehmen erstellt wurde, wurde dieser Beitrag von einer internen Redakteurin verfasst. Er enthielt fünf Bewertungsbereiche, eine vergleichende Analyse und einen »Gewinner« für jede Kategorie sowie eine Schlussfolgerung, in der ein Gesamtsieger gekürt wurde. In den ersten vier Kategorien, die den größten Teil des Artikels ausmachen, wurden Kosten, Design und Funktionen bewertet. In der letzten Kategorie wurden Datenschutzfragen erwogen. Hier wollen wir uns drei diskursive Kontexte näher ansehen, weil sie das Konzept der gehaltlosen Kritik untermauern. Erstens suggeriert allein das rhetorische Gewicht, also die Textmenge im Vergleich zum Rest des Beitrags der Leserschaft, dieser Abschnitt sei weniger wichtig als die anderen Faktoren. Zweitens steht die Bewertungskategorie »Datenschutz« am Ende des Gesamttextes. Es handelte sich um einen außergewöhnlich langen Online-Artikel, in den überdies noch mehrere Werbeanzeigen eingebettet waren. Es ist zwar keine wissenschaftliche Maßeinheit, doch waren fast sieben Fingerbewegungen auf dem Trackpad nötig, um zur Kategorie Datenschutz zu gelangen. Dies ist eine bewusste redaktionelle Entscheidung, bei der die Präsentation den diskursiven Wert der Informationen vermittelt. Wertvolle Informationen werden zuerst präsentiert, weniger wertvolle zuletzt. Diese Gliederung ist ein visueller Hinweis auf den publizistischen und journalistischen Wert innerhalb des Artikels. Zuletzt wird im Abschnitt über Datenschutz auf einen Vorfall hingewiesen, bei dem eine von Amazon verwaltete und von einer Betroffenen Person unter der Datenschutzgrundverordnung (DGSVO) angeforderte Datei versehentlich an den falschen Empfänger gesendet wurde. Bei einem anderen Vorfall habe ein Gerät begonnen, gruselig zu kichern.
Der bisher bekannteste Vorfall war, als Amazon in Deutschland versehentlich eine ganze Datei mit angeforderten Sprachaufnahmen an die falsche Person schickte. Nach der Datenschutzgrundverordnung können alle Bürger:innen in den 28 EU-Ländern eine vollständige Datei aller Informationen anfordern, die ein Unternehmen über sie erfasst hat. Als jemand von Amazon sämtliche über Alexa zu seiner Person erfassten Audiodateien anforderte, schickte Amazon versehentlich 1.700 Sprachdateien an die falsche Person. Hoppla.
Amazon hat noch weitere kontroverse Vorfälle verursacht. In einem Fall interpretierte Alexa einen Sprachbefehl fälschlicherweise als »Alexa, lache«, was viele unerbetene und extrem gruselige Kicheranfälle auslöste. (Solche Anekdoten könnte man sich besser kaum ausdenken.) Das ist nicht unbedingt ein Datenschutzproblem, zeigt aber, dass Weckwörter keine perfekte Methode sind, um das Aufzeichnen privater Gespräche zu verhindern. In einem anderen Fall sendete Alexa eine Sprachaufzeichnung einer privaten Unterhaltung vom Gerät einer Familie an einen ihrer Kontakte.
Der Gewinner hier ist Google, weil es bislang noch keine Aufnahmen an die falschen Adressaten geschickt hat und nicht grundlos schauerlich lacht. (Abschnitt »Wer bietet den besseren Datenschutz?)
Insgesamt werden diese Vorfälle als unbedeutende oder lustige Einzelfälle dargestellt und rhetorisch im größeren Kontext von Überwachung, Datenerfassung und der tatsächlichen oder potenziellen Verwendung dieser Daten heruntergespielt. Der Artikel benennt keinen eindeutigen Gewinner oder Verlierer; beide Produkte werden als ausgezeichnet bewertet und die Lesenden können mit gutem Gewissen ein beliebiges der beiden Produkte kaufen – obwohl es sich bei den skizzierten Mängeln nicht um Einzelfälle handelt. »Ästhetisch gesehen bieten beide Unternehmen sehr schöne Produkte, sodass man da nichts falsch machen kann« (Abschnitt »Wer gewinnt: …«), schließt die Journalistin, wohl davon ausgehend, dass Ästhetik bei der Kaufentscheidung eine zentrale Rolle spielt. »Die Entscheidung wird wohl darauf hinauslaufen, welches System für Sie leichter zu integrieren ist.« (Abschnitt »Wer gewinnt: …«) Diese Aussage impliziert auch, dass die Verbraucher:innen ohnehin schon in den Tentakeln der Überwachungskrake von Google oder Amazon gefangen sind und sich damit abgefunden haben. Außerdem waren Partnerlinks zum Kauf beider Produkte deutlich erkennbar.
Das nächste einschlägige Beispiel aus dem Korpus ist ein Artikel der Washington Post (Fowler 2017) mit dem Titel »Smart-Home-Geräte: Ein Leitfaden für Skeptiker«. Der Titel lässt vermuten, dass dieser Leitfaden im Sinne und aus der Perspektive eines Technikskeptikers geschrieben ist. Der Journalist warnt den Leser im ersten Satz: »Bevor Sie irgendwelche ›intelligenten‹ Geräte kaufen, vergewissern Sie sich erst, dass sie nicht dumm sind.« (Absatz 1) Für skeptische Verbraucher:innen ist das ein wichtiger Aspekt. Der Journalist zitiert einige Umfragen, denen zufolge Smart-Home-Geräte beliebte Weihnachtsgeschenke und weit verbreitet sind. So wird den Lesenden potenziell schon das Gefühl vermittelt, vielleicht etwas zu verpassen. Bevor der Journalist die fünf für diesen Artikel ausgewählten intelligenten Produkte vorstellt, beschreibt er seine Fachkenntnis und eigene Skepsis gegenüber der Technologie: »Ich habe bereits Dutzende von Smart-Home-Produkten getestet und dabei gelernt, jedem Gadget skeptisch gegenüberzustehen, das wie eine Star-Trek-Requisite wirkt. Gegenüber Dingen, die zuhören, beobachten oder Daten sammeln, ist ein wenig Paranoia geboten.« (Absatz 4). Diese Formulierung scheint für einen kritischen Technikjournalisten angemessen und ergänzt die anderen Ebenen des Artikels, also die Überschrift und die Einleitung, die eher beschwichtigend wirken und der Leserschaft versichern, dass es im Folgenden um ihre Skepsis und Besorgnis gegenüber der Smart-Home-Technologie gehen wird.
Der Artikel stellt fünf verschiedene intelligente Geräte vor: eine Videotürklingel, die Ring Video Doorbell, einen vernetzten Lichtschalter von Lutron, den Eero Mesh-Router für das hauseigene WLAN, ein vernetztes Thermostat von Ecobee und einen vernetzten Lautsprecher von Sonos. Jeder Bericht ist in vier Kategorien gegliedert: der Nutzen des Geräts, seine Nachteile, warum es jeweils das Beste in seiner Kategorie ist und die Sicherheitsfunktionen des Geräts. Besonders in zwei dieser Kategorien, nämlich Nachteile und Sicherheitsaspekte, hätte der Redakteur seiner Paranoia »über Dinge, die zuhören, beobachten oder Daten sammeln« Ausdruck verleihen können (Absatz 4), weil ja alle der besprochenen vernetzten Geräte in irgendeiner Form zuhören oder beobachten und Daten sammeln. Die Gehaltlosigkeit der Kritik zeigt sich jedoch in diesen Kategorien bei allen untersuchten Produkten. Bei den Themen Produktkosten, Aufwand der Installation, Abo-Gebühren oder Akkulaufzeit werden die jeweiligen Nachteile angesprochen, doch die ständige Überwachung durch diese Geräte oder die Möglichkeit der Datenerfassung wird nicht erwähnt. Sicherheitsaspekte bespricht der Journalist in Bezug auf die Verfügbarkeit von Software-Updates und, im Fall des Lutron-Lichtschalters, die unternehmensseitige Prüfung der Produkte auf Hackerschwachstellen. Dazu, »ob seine Systeme jemals angegriffen wurden, wollte sich der Anbieter jedoch nicht äußern« (Abschnitt 2, Absatz 4), was die Befürchtungen skeptischer Lesender nicht gerade zerstreut. Sogar bei der vor Überwachungsproblemen nur so strotzenden Ring Doorbell werden keine Bedenken hinsichtlich Datenerfassung oder der Automatisierung rassistischer Überwachung geäußert. Die Gehaltlosigkeit der Kritik ist sogar visuell erkennbar: Die Abschnitte über den Nutzen und die Begründung, warum das Gerät jeweils das beste in seiner Kategorie ist, sind doppelt so lang wie die Abschnitte über Nachteile und Sicherheitsaspekte (Abb. 1).
Abbildung 1
Rezension der Ring Video Doorbell
Quelle: Screenshot
Die Washington Post ist ein interessantes Beispiel dafür, wie zusätzlich zu oder kombiniert mit anderen wirtschaftlichen Faktoren auch die Besitzverhältnisse in den Medien den Technologiejournalismus verkomplizieren. Die Tatsache, dass Jeff Bezos, Gründer und damaliger CEO von Amazon, die Washington Post 2013 für 250 Millionen Dollar erwarb (Saba 2013), belastet die ohnehin schon bröckelnde Grenze zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten noch zusätzlich. Die Akquisition setzt die Washington Post vielleicht unter noch größeren redaktionellen Druck, da Amazon eine Vielzahl von Überwachungsprodukten für den Haushaltsgebrauch herstellt, besitzt und verkauft, darunter sprachaktivierte Assistenten, die Ring-Produktlinie und die drahtlosen Eero-Mesh-Router. Außerdem wiesen einige Artikel im Textkorpus auf andere Produkte hin, die mit der künstlichen Intelligenz Alexa ausgestattet sind. Alexa ist Amazons bekannter Sprachassistent und auch in einer Vielzahl anderer Verbraucherprodukte zu finden, wie in Autos (Barry 2019) oder sogar in Badezimmerspiegeln und Toiletten (Moscaritolo 2018). Dies verdeutlicht, dass Amazon Alexa in ein breites Spektrum unterschiedlicher Verbraucherprodukte und persönlicher Bereiche integrieren möchte (Weise 2018).
Die zahllosen von Amazon tangierten Verbraucherprodukte schaffen ebenso viele mögliche unangenehme Situationen für Technik-Journalist:innen der Post, die ihre Kritik an diesen Produkten mäßigen müssen, entweder auf Anweisung des Unternehmens oder durch Selbstzensur. Artikel, die sich in irgendeiner Weise mit Jeff Bezos oder Amazon befassen, sind zudem mit einem Hinweis versehen, dass das jeweilige Unternehmen Bezos gehört. Dass jahrzehntelanger Druck komplexer wirtschaftlicher, beschäftigungspolitischer und technologischer Faktoren journalistische Normen destabilisiert hat, die einst als unverrückbar galten, mag der Durchschnittsbürger und -leserschaft vielleicht entgehen. Doch ein expliziter Hinweis in einem Artikel, dass der Eigentümer des Mediums zugleich Eigentümer des Unternehmens bzw. der Technologie hinter dem hier rezensierten Verbraucherprodukt ist, macht die komplexe Beziehung mehr als deutlich.
Gehaltlose Sprache
Der Textkorpus zeigt, dass sich gehaltlose Kritik auch auf andere subtile Weise äußern kann. So beschreibt Consumer Reports (Fowler B. 2019) in einem Produkttest für eine neue Fitbit-Smartwatch und den dazugehörigen Online-Coaching-Service, wie Fitbit die von der Smartwatch erzeugten Daten erfasst und auf eigenen Servern speichert. Als Modus Operandi des Überwachungskapitalismus wirft dies eine Reihe von Bedenken für die Überwachungs- und Datenschutzforschung auf, insbesondere weil es um hochsensible, spezifische Gesundheitsdaten geht, die von Krankenversicherungen und Arbeitgebern missbraucht werden können. Besonders anfällig sind diese Daten im Kontext der USA, wo die meisten Personen im erwerbsfähigen Alter über ihre Arbeitgeber krankenversichert sind, was als Zusatzleistung gilt und von einem aktiven Beschäftigungsverhältnis abhängt. Durch dieses in den USA typische Arrangement kann es vorkommen, dass diese sehr spezifischen, persönlichen Gesundheitsdaten der Beschäftigten an den Arbeitgeber oder die Krankenkasse zurückverkauft werden. Indem zum Beispiel niedrigere Beiträge in Aussicht gestellt werden, wird Druck auf die Beschäftigten ausgeübt, sich (bei der Arbeit und privat) im Sinne des Arbeitgebers zu verhalten. Die Journalistin schwächt diese Sorge jedoch ab, indem sie den Kreis der Betroffenen minimiert: »Für einige Menschen kann das datenschutzrechtliche Bedenken aufwerfen [Hervorhebung hinzugefügt].« (Absatz 1, Abschnitt zu Fitbit Premium) In der Analyse wird der Kritikpunkt, also das Datenschutzproblem, erst vorgebracht und gleich wieder entkräftet, indem völlig unbegründet behauptet wird, es wären ja nicht allzu viele Menschen davon betroffen. Was diese Kritik noch weiter abschwächt, ist der Gedanke, das Problem sei ja lediglich eine Besorgnis, also ein rein theoretisches Problem. Ausgeblendet wird die tatsächliche Verwendung der erfassten Daten oder der potenzielle Schaden dadurch, dass Fitbit über diese Daten verfügt und was es damit tun könnte.
Gegengewicht
Gehaltlose Kritik besteht auch darin, dass jedem Kritikpunkt in Bezug auf Überwachung ein starkes diskursives Gegengewicht entgegengestellt wird. Ein Artikel in Popular Mechanics (Moseman 2017) über die jährliche Unterhaltungselektronikmesse Consumer Electronics Show (CES) 2017, wo neueste Entwicklungen in zahlreichen Produktkategorien vorgestellt werden, befasste sich beispielsweise mit dem aufkommenden Trend zur Integration von Sprachassistenten in PKW. Der Anstoß zur Verschmelzung verschiedener Technologie-Plattformen liegt darin, dass »Autofans meinen, dass Ihr nächstes Auto Sie kennen wird« (Absatz 5) und »der von Siri, Cortana und Alexa angestoßene Trend zu persönlichen Cyber-Assistenten nun über Ihr Handy oder Zuhause hinaus auch Ihr Auto kolonisiert« (Absatz 5). Der Begriff »kolonisieren« ist mit seiner langen Geschichte von extraktiven Rationalitäten, Grausamkeiten und Leiden eine seltsame Wortwahl seitens des Autors, aber auch eine interessante Beschreibung dieser technologischen Verflechtung, weil darin auch Konzepte wie Kontrolle und Ressourcenextraktion mitschwingen. Diese Konzepte bezeichnen Couldry und Mejias (2018) als Datenkolonialismus, »die räuberischen extraktiven Praktiken des historischen Kolonialismus mit den abstrakten Quantifizierungsmethoden der Informatik« (1), die den Logiken von Überwachung und Überwachungskapitalismus zugrunde liegen.
Anstatt hier jedoch eher den kritischen Pfad dieser technologischen Entwicklung zu verfolgen, schreibt der Autor: »Die Vorteile liegen auf der Hand.« (Moseman 2017: Absatz 7) Im weiteren Verlauf des Artikels führt er eine Reihe sogenannter Vorteile an, wie etwa die nahtlose Integration von Heim und Auto. Insgesamt ist der ganze Artikel ein Gegengewicht zu der einzigen Feststellung, die Moseman zum Thema Überwachungskapitalismus trifft, und die er mit den folgenden Sätzen noch weiter entkräftet:
Das Ganze hat aber auch eine andere Seite, und es geht nicht nur darum, dass Unternehmen all diese Daten über Sie sammeln, indem sie Sie dazu bringen, mit einer niedlichen Roboterstimme zu sprechen. Wenn Alexa Ihre Freundin mit einer eigenen Geschichte wird – gewissermaßen Ihre Weggefährtin – werden Sie sie dann einfach zurücklassen, wenn Ihr Alexa-integriertes Auto den Geist aufgibt, und sich für ein neues Fahrzeug ohne Alexa entscheiden? Wahrscheinlich nicht. Wir wollen diese Geschichte ja nicht aufgeben. Wenn die Zukunft uns eine Welt beschert, in der wir keine eigenen Autos mehr besitzen, werden Sie dann nur noch Leihwagen von Toyota und keine Hondas nutzen, weil Ihre Freundin Yui Sie erwartet? [Hervorhebung hinzugefügt] (Absatz 14)
Anstatt also auf das schädliche Potenzial exponentiell wachsender, zur Extraktion verfügbarer Datenmengen einzugehen, oder auf die noch bessere Datenqualität, weil sich die Daten noch enger mit Einzelpersonen verknüpfen lassen, oder statt auch nur anzudeuten, dass Dritte, wie etwa Autoversicherungen, sehr an diesen Daten interessiert wären und dafür bezahlen würden, begründet Moseman vor allem, warum Verbraucher:innen in diesem panoptischen Schema verbleiben möchten. Darüber hinaus stellt er vor allem den Gedanken in den Vordergrund, dass »dein Auto dich kennenlernen wird« (Absatz 5) und warum das so wichtig ist. Im Vergleich wirkt seine Kritik an der Datenerhebung vergleichsweise unbedeutend. Darüber hinaus identifiziert sich der Autor durch das Pronomen »wir« mit der Nutzergruppe, die diesem Problem gemeinsam gegenübersteht. Statt als unabhängiger Experte aufzutreten, der Fakten untersucht und Machtstrukturen in Frage stellt, leitet er die Nutzergemeinschaft mit seinem Fachwissen an.
Einbindung der Öffentlichkeitsarbeit
Die Beziehung zwischen dem Apparat der Öffentlichkeitsarbeit und ihrem Einfluss auf den Journalismus ist seit langem bekannt und wurde bereits wissenschaftlich untersucht. Durch den Personalabbau im Journalismus wächst die Macht der Öffentlichkeitsarbeit, Nachrichteninhalte zu beeinflussen. Das wird mitunter als Churnalismus oder PR-isierung bezeichnet (Jackson/Moloney 2016; Macnamara 2016). Im Kontext gehaltloser Kritik stützen sich Technik-Journalist:innen bei ihrer Berichterstattung oft auf Pressemitteilungen von Unternehmen. Berechtigte Bedenken hinsichtlich Überwachung werden so abgeschwächt oder verschleiert. Gerade Amazons Ring-Produkte und -Dienste sind hier zu nennen, weil Amazon/Ring besonders aggressiv gegen negative Presse vorgeht. Zwei Artikel auf Engadget, einer Online-Website für Technologie-Nachrichten und -Rezensionen, zeigen, wie die Pressemitteilung als journalistische Quelle berechtigte und stichhaltige Kritik unterbinden kann. Zunächst wird in einem Artikel eine in Ring-Türklingeln entdeckte Sicherheitslücke beschrieben (Fingas 2018). Ändert jemand das Geräte-Kennwort, fordert die Software andere Nutzer, wie Mitbewohner:innen oder Lebenspartner:innen, nicht zur Eingabe des neuen Kennworts auf, um Aufnahmen oder die Live-Übertragung des Geräts anzuzeigen. Dass sämtliche Nutzer:innen ein neu eingerichtetes Passwort verwenden müssen, ist übliche Praxis und entspricht auch dem gesunden Menschenverstand, insbesondere im Hinblick auf häusliche Gewalt. Fingas berichtet, dass »in einem Fall ein Ex-Partner die Kamera monatelang weiter beobachtete« (Absatz 1), wobei der Ex nicht nur eine Live-Übertragung von der Kamera ansehen, sondern auch alle aufgezeichneten Videos herunterladen konnte. Fingas stellt außerdem zu Recht fest, dass »bei Smart Homes die Sicherheitsvorkehrungen besonders streng sein müssen. Ein lockerer Umgang damit führt schnell zu Verletzungen der Privatsphäre« (Absatz 3). Kurz gesagt: Das Passwortproblem ist ein Beispiel für einen eher leichtfertigen Umgang mit Sicherheit bei Ring, was zu realen Schäden führt. Dies gilt für die Ebene der Privathaushalte, mit der sich Fingas befasst, aber auch (und das bleibt unerwähnt) für zu lockere Richtlinien auf höheren, staatlichen oder nationalen Ebenen, was zu Datenschutzverletzungen im größeren Maßstab führen kann.
Diese Kritik wird jedoch entkräftet, sowohl am Ende dieses kurzen Artikels und in der Überschrift, wo auf eine aktualisierte Version des ursprünglichen Artikels hingewiesen wird (Abb. 2). Die Aktualisierung besteht in einer von Ring herausgegebenen Erklärung zu der Schwachstelle, die in den Artikel eingebunden ist. Hier sind zwei Aspekte interessant. Erstens wird die Erklärung in voller Länge veröffentlicht. Sie nimmt ein Drittel des gesamten Artikels ein und die Schrift ist fetter und größer gedruckt als der Artikel, sodass sie den Lesenden ins Auge fällt. Zweitens folgt sie dem üblichen, formelhaften Diskurs im Krisenmanagement: Das Unternehmen schätzt die Kunden; das Unternehmen ist bestrebt, hohen Standards zu entsprechen; das Unternehmen unternimmt weitere (oft nicht näher bezeichnete) Schritte, um das Problem zu vermeiden oder zu beheben. Sie enthält jedoch auch Formulierungen, die auf subtile Weise das Augenmerk und die Schuld auf die Nutzer:innen verlagern. Unter dem Strich negieren beide Elemente, die visuelle Gestaltung der Unternehmenserklärung sowie die Abwälzung der Schuld auf die Nutzer:innen die im Beitragstext geäußerte Kritik und machen sie unwirksam.
Abbildung 2
Engadget Beitrag mit PR-Statement
Source: Screenshot
Die Taktik, eine Pressemitteilung eines Unternehmens eins zu eins zu übernehmen, wendet Engadget auch in einem anderen Artikel zu Ring an (Fisher 2019). Darin berichtet die Journalistin, wie und wo Amazons Ring in den Vereinigten Staaten mit der örtlichen Polizei zusammenarbeitet. Vermittelt wird diese Partnerschaft durch »Ring Neighbors«, eine Social-Media-ähnliche App für Nutzer:innen von Ring-Produkten, die sie mit örtlichen Polizeidienststellen verbindet. Zum Zeitpunkt des Berichts waren 405 Polizeiwachen beteiligt, die über Ring Videomaterial von allen Mitgliedern des Nachbarschaftsportals anfordern können. Die Polizeibehörden, die diese Partnerschaft mit Amazon eingegangen waren, wurden zudem aufgefordert, Ring-Kameras zu bewerben und zu verschenken. Dies wurde teils mit Steuergeldern subventioniert, was gleich in mehrfacher Hinsicht bedenklich ist: Datenschutz und bürgerliche Freiheit; die Umgehung des Rechtswegs durch Schaffen einer Situation, in der Strafverfolgungsbehörden ohne Haftbefehl auf Filmmaterial zugreifen können; und die Befürchtung, dass Minderheitengemeinschaften noch stärker überwacht werden.
Weder im ursprünglichen Engadget-Artikel noch in den aktualisierten Versionen wurde jedoch deutlich, wie schwer diese Bedenken wiegen. Ähnlich wie der oben erwähnte Artikel von Fingas (2018) enthält auch dieser Beitrag eine auffällige Erklärung von Ring, die größere Bedenken über diese Partnerschaft beiseiteschiebt. Neben dem Abdruck der Pressemitteilung des Unternehmens zitiert die Journalistin auch aus einem lobenden Blogbeitrag von Ring über den Erfolg dieser Partnerschaft mit der Polizei. Der nächste Satz unter der Erklärung beginnt mit »Einige sind der Ansicht, Ring gehe zu weit« (Fisher 2019: Absatz 4). Auch hier schwächt die Wortwahl »einige« die Kritik am Expansionsstreben von Ring ab, um sein Überwachungsnetz auszuweiten und seine Integration in die öffentliche Infrastruktur zu vertiefen, besonders im Lichte der erheblichen Bedenken, die prominente Vertreter:innen aus Politik, Recht und Journalismus geäußert haben. Dies wird durch einen Nachtrag am Ende des Artikels zusätzlich untermauert, der die Lesenden auf eine Aktualisierung des ursprünglichen Artikels hinweist. Dies ist eine gängige journalistische Praxis, die normalerweise der Richtigstellung von Fehlern dient. Hier und im Artikel von Fingas (2018) enthält die Aktualisierung jedoch lediglich Informationen von Ring zur Untermauerung der eigenen Position und keine Quellen, die Kritikpunkte belegen.
Quantität der Kritik
Das Konzept der gehaltlosen Kritik wird auch daran deutlich, wie viel Platz der Kritik im Inhalt eines Artikels eingeräumt wird. Mit anderen Worten: Das Verhältnis zwischen der kritischen Textmenge und den anderen Textteilen vermittelt den Lesenden das Gewicht bzw. die Gehaltlosigkeit der Kritik. Ein erhellendes Beispiel hierfür ist eine Produktrezension aus dem Textkorpus dieses Projekts, die von einer führenden Online-Website für technische Nachrichten (CNET) veröffentlicht wurde (Crist 2019). Mit knapp dreitausend Wörtern bzw. etwa vierzig Absätzen gehört diese Rezension zu den längeren Texten in diesem Korpus.
Vor dem Artikel steht in kleiner, heller Schrift der Hinweis, dass CNET eine Provision erhält, wenn Leser:innen Produkte oder Dienstleistungen über die im Artikel angegebenen Links erwerben, dass es sich also um Partnerlinks handelt (Abb. 3).
Diese Links sind ein Beispiel für Aufweichung der von Gans (1980) und Coddington (2015) beschriebenen Trennung zwischen »Kirche und Staat« im digitalen Zeitalter. Darüber hinaus manifestieren diese Partnerlinks das, was Hanitzsch (2007) über Beziehungen der Medien zu Menschen formulierte, »in ihrer Rolle als Bürger:innen oder Verbraucher:innen, wobei erstere Rolle zunehmend von der letzteren verdrängt wird« (374). CNET macht deutlich, dass die Lesenden als Verbraucher:innen verstanden werden. Hier ist das bewertete Produkt Nest Hub Max, ein Sprachassistent von Google. Partnerlinks führen zu drei verschiedenen Einzelhändlern. Da der Inhalt dieses Artikels in das Genre Produktrezension fällt, sollten wir uns hier an Hamamis (2019) Behauptung erinnern, dass sich positive Produktrezensionen auf das Verbraucherverhalten auswirken. CNET bietet den Lesenden nämlich auch eine Kaufmöglichkeit.
Abbildung 3
CNET affiliate link disclaimer
Quelle: Screenshot
Bei dem Produkt handelt es sich um einen sprachgesteuerten Assistenten mit Bildschirm und Kamera, der andere Smart-Home-Geräte steuern und auf Anfragen oder Befehle reagieren kann. Dass diese Art von Gerät über eine Kamera verfügt, war zwar zu dieser Zeit keine Neuheit mehr, doch für dieses Google-Produktangebot war es erstmalig. Außerdem ist die Kamera mit einer Gesichtserkennungssoftware ausgestattet, die Gesichter verfolgen und einige einfache Gesten erkennen kann. Wie andere Produkttests auf anderen Plattformen enthält auch diese Rezension einen kurzen Abschnitt mit den Vor- und Nachteilen sowie dem Fazit. Der einzige Nachteil, der spezifisch in Bezug auf Überwachung angesprochen wird, ist das Fehlen einer physischen Abdeckung, um die ständig aktive Kamera zu verdecken. Von den vierzig Absätzen in diesem Artikel befassen sich nur sechs mit Aspekten von Überwachung und Datenschutz und deren Auswirkungen. In den sechs Absätzen taucht mehrmals die Formulierung »laut Google« auf. Hier werden Behauptungen von Google-Sprecher:innen kritiklos wiedergegeben, um die Bedenken datenschutzorientierter Verbraucher:innen zu zerstreuen. Außerdem wird beschrieben, wie Nutzer:innen das Gerät vor Unbefugten schützen können, zum Beispiel durch eine Zwei-Faktor-Authentifizierung, was mit Googles aktueller, künftiger oder potenzieller Datenerfassung durch das Gerät allerdings nichts zu tun hat. Den Aussagen von Google wird also stillschweigend zugestimmt, wodurch selbst dieser kurze Abschnitt zum Thema Datenschutz in seiner Wirkung auf die Lesenden noch mehr an Gewicht verliert.
Schlussfolgerung
Überwachung und Überwachungskapitalismus ziehen sich wie ein roter Faden durch viele, wenn nicht sämtliche Aspekte der menschlichen Existenz. Der unendliche von Menschen produzierte Datenstrom wird von einer wachsenden Zahl von Überwachungskapitalisten stetig, hartnäckig und immer umfangreicher abgegriffen und füllt die Kassen einiger weniger Technologieriesen. Darüber hinaus schrumpft bekanntermaßen die Barriere zwischen Unternehmen, die mit diesen Daten handeln, und staatlichen Stellen, die sie erwerben wollen, um bestehende Gesetze und Vorschriften zu umgehen, ganz besonders in den Vereinigten Staaten. Staatliche Stellen oder Polizeibehörden haben ein Interesse daran, Daten über ihre Bevölkerung zu überwachen und zu sammeln, unterliegen aber datenschutzrechtlichen Einschränkungen. Die Vorstellung, dass sie diese überwinden können, indem sie die Daten einfach von Überwachungskapitalisten kaufen, sollte bei Bürger:innen in demokratischen Regierungssystemen die Alarmglocken schrillen lassen. Allgemein scheinen die Gesetzgeber unvorbereitet oder unfähig zu sein, die negativsten Aspekte des Überwachungskapitalismus zu regulieren, darauf einzuwirken oder sie einzuschränken – bestenfalls. Schlimmstenfalls haben sie kein Interesse daran oder wollen es gar nicht, weil die Wurzel des Überwachungskapitalismus, nämlich die Daten, für übergreifende nationale Interessen (siehe die Snowden-Enthüllungen von 2013) oder für individuelle politische Ambitionen (siehe die Enthüllungen von Facebook/Cambridge Analytica im Jahr 2018) kooptiert werden können. Darüber hinaus können in den USA wegen lückenhafter Gesetze zur Wahlkampffinanzierung und geheimen Finanzierungsmechanismen enorme, nahezu unbeschränkte und oft unsichtbare Geldmengen in die Taschen von Politiker:innen fließen. Wo sich Technologieunternehmen und Gesetzgeber die Klinke in die Hand geben, entstehen lukrative Beschäftigungsmöglichkeiten, was künftige Lobbyarbeit und Einflussnahme stärkt. Zusammengenommen kann dies sicherlich dazu führen, dass eben jene Behörden, die für die Regulierung der Technologiebranche zuständig sind, ihr mehr als gewogen gegenüberstehen. Es ist wichtig, Kontrolle als die zugrundeliegende Logik und Daseinsberechtigung von Überwachung zu erkennen. Die zentrale Frage lautet also: Wer übt diese Kontrolle aus, wodurch, und woher stammt diese Macht?
Vor diesem Hintergrund sind die Inspiration und der Ursprung dieses Projekts zu sehen. Viele zuvor erwähnten Aktivitäten fanden im Verborgenen statt, bis sich Informant:innen zu Wort meldeten und hartnäckige Enthüllungsjournalist:innen damit befassten. Dieses Projekt hingegen konzentriert sich auf das Konzept der offenkundigen Überwachung und wie sich Menschen dazu bringen lassen, sich damit anzufreunden und dazu ermutigt werden, aktiv damit in Interaktion zu treten. Wie diese Studie außerdem gezeigt hat, tragen Medienprodukte, insbesondere im Technik- und Nachrichtenjournalismus im weiteren Sinne, wesentlich dazu bei, die Hegemonie des Überwachungskapitalismus aufrecht zu erhalten. Diese Studie zwingt uns, diese Rolle anzuerkennen, und veranschaulicht, wie der Journalismus auf verschiedenen Wegen diskursiv und direkt zu einer gefährlichen Situation beiträgt: die Erfassung und Monetarisierung menschlichen Verhaltens in allen Formen, der Überwachungskapitalismus.
So schwierig es auch ist, muss sich der Nachrichtenjournalismus dagegen wehren, durch den eigenen Diskurs die zerstörerische Natur des Überwachungskapitalismus zu verschleiern und sein Wachstum zu fördern, indem der Journalismus selbst vom Verkauf der Technologie profitiert, über die er angeblich unabhängig berichtet. Es liegt auf der Hand, dass der Nachrichtenjournalismus bei seiner Berichterstattung über Überwachungsprodukte seine Rolle als Wachhund für den Schutz der Menschenrechte anerkennen und erfüllen muss. Wenn eine Gesellschaft durch gehaltlose Kritik in einen Zustand totaler Überwachung getrieben wird, muss der Journalismus sich dem stellen, diese Vorgänge hinterfragen und klar über die negativen Auswirkungen berichten. Wir leben in einer Zeit, in der autoritäre Regime weltweit auf dem Vormarsch sind und sich eine auf Konsumgütern basierende Überwachungsinfrastruktur rasant ausbreitet und bestehende robuste staatliche Überwachungsnetze ergänzt. Politische Regime nutzen dies dann letztlich zur Kontrolle ihrer Bürger:innen. Es ist also extrem wichtig, diesem Phänomen Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Problematik ist von äußerster Dringlichkeit und der Journalismus muss entsprechend reagieren.
Über den Autor
Dr. Robert McMahon (*1967) promovierte in Medien und Kommunikation an der Temple University, wo er heute in einer Verwaltungsrolle tätig ist. Seine Forschung im Bereich Überwachungsstudien wird durch breitere Themenbereiche untermauert: Macht, wie sie sich in der Gesellschaft manifestiert und durch sie ausgeübt wird, insbesondere durch die Logik von Kapitalismus, Politik, Regierungsführung und Technologie; sowie die Mitschuld der Medien an der Produktion und Reproduktion von Ideologien, die diese Macht stützen. Kontakt: robert.mcmahon@temple.edu
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Zitationsvorschlag
Robert W. McMahon: Gehaltlose Kritik. Wie Journalismus Überwachungstechnologien fördert. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 1, 2024, 7. Jg., S. 35-59. DOI: 10.1453/2569-152X-12024-13930-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-12024-13930-de
Erste Online-Veröffentlichung
Mai 2024