Schadet Corona dem rechten Populismus? Die Hoffnungen, dass die Pandemie auch den politischen Populismus zerstört, sind verfrüht

von Nina Horaczek

Abstract: Zahlreiche politische Kommentator*innen sehen angesichts der Corona-Epidemie das Ende des politischen Populismus nahen. Tatsächlich befinden sich die Beliebtheitswerte populistischer Parteien seit Ausbruch der Coronakrise im Sinken. Doch das Virus bietet für den medialen Diskurs der Populist*innen auch große Chancen. Sie framen Corona, das unsichtbare, staatenlose Virus in einen greifbaren Sündenbock. Nicht ohne Grund spricht US-Präsident Donald Trump von einem ›chinesischen Virus‹. Zur Verbreitung ihrer Botschaft können sich die Populist*innen diesseits und jenseits des Atlantiks auf ein mediales Netzwerk stützen, das sie und ihre Vertrauten in den vergangenen Jahren sehr geschickt aufgebaut haben.

Killt das Coronavirus als Kollateralschaden die politische Krankheit des Populismus? Wird in Zeiten einer Pandemie eine politische Propaganda nach dem »Wir gegen die Anderen«-Muster obsolet? Zählen dank Corona sachliche Informationen mehr als populistische Verschwörungstheorien?

Ja, meinen zumindest zahlreiche Kommentator*innen. »Den Populisten fehlt das Feindbild«, analysierte die Wochenzeitung Die Zeit Ende Juni. In der derzeitigen Krise würden »offenbar konstruktive Politikansätze belohnt – und destruktive bestraft«.[1] Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel kommentierte kürzlich die Akzeptanz der Corona-Politik von Donald Trump, Boris Johnson und Jair Bolsonaro in seiner Onlineausgabe mit folgenden Worten: »Die Politik der Lüge funktioniert nicht mehr, wenn Menschen sterben.«[2] Im Blogforum der links positionierten Wochenzeitung der Freitag sah Bloggerin »alge93« bereits Anfang Mai das Ende des Populismus kommen: »Wie immer im Leben eröffnen Krisen aber auch Chancen: Vielleicht ist das Ende des Populismus ganz nah.«[3]

Vielleicht haben all diese Stimmen recht. Vielleicht ist der Optimismus jener, die ein Ende des Rechtspopulismus sehen, aber auch Wunschdenken. Derzeit befinden sich die Beliebtheitswerte von Populist*innen im Sinken – wenn auch nicht überall, wie etwa das Beispiel Ungarn zeigt. Doch das Coronavirus bietet für den medialen Diskurs der Populist*innen auch große Chancen. Denn auf beiden Seiten des Atlantiks, von US-Präsident Donald Trump, über den früheren österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache[4], bis zum ungarischen Premierminister Victor Orbán können sich die Populist*innen auf ein mediales Netzwerk stützen, das sie und ihre Vertrauten in den vergangenen Jahren sehr geschickt aufgebaut haben.

Als journalistisches Recherchenetzwerk »Europes Far Right«[5], einem Zusammenschluss von auf Rechtspopulismus spezialisierten Journalist*innen aus sieben verschiedenen Ländern (Italien, Frankreich, Deutschland, Schweiz, Österreich, Polen und Ungarn) konnten wir analysieren[6], wie Rechtspopulist*innen den medialen Diskurs prägen und eine mediale Hegemonie ihrer politischen Inhalte erreichen wollen. Die einzelnen Schritte reichen von der Errichtung eines eigenen Medienimperiums, bis zur Suche nach Sündenböcken, der Diffamierung von Kritiker*innen oder dem Angst Schüren mit Fake News. Natürlich passieren und passierten nicht alle diese Schritte in den untersuchten Ländern gleichzeitig. Aber alle untersuchten rechtspopulistischen Bewegungen nutzen dieselben Mechanismen, wenn auch aufgrund der unterschiedlichen politischen Stärke in unterschiedlicher Weise.

Framing und Fake News

Damit Corona für Populist*innen nicht der Untergang, sondern eine Chance ist, muss zuerst das unsichtbare, staatenlose Virus in einen greifbaren Sündenbock geframed werden. So wurde Corona in den USA zum »chinesischen Virus«. Zwischen dem 16. und 30. März 2020 benutzte US-Präsident Donald Trump diesen Ausdruck für das Coronavirus mehr als zwanzig Mal.[7] Ein Foto, das einem Fotografen der Washington Post von Trumps Redemanuskript gelang, belegt, dass es sich beim »chinesischen Virus« nicht um einen Versprecher, sondern um eine bewusste Provokation handelt. In Trumps Manuskript ist Corona durchgestrichen und durch »Chinese« ersetzt.[8]

In Österreich sprach der Wiener Vorsitzende der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ), Dominik Nepp, auch sogleich von Corona als einem »Asylantenvirus«[9] und verband so in den Köpfen seiner Anhänger*innen das gefürchtete Virus mit Asylbewerber*innen. Asylsuchende werden von der FPÖ als »Corona-Asylanten« bezeichnet. Eine Personengruppe, die zu uns geflohen ist in der Hoffnung, dadurch Krieg und Folter zu entkommen, wird so zur Bedrohung. Und aus einer Krankheit, die keinen Unterschied macht zwischen nationalen Grenzen und Hautfarben, wird so eine sichtbare Gefahr. Schon hat man den perfekten Sündenbock.

Verstärkt wird dieser Effekt mit gezielt platzierten Fake News. In Österreich behauptet die FPÖ, Asylbewerber würden bei den Coronatests gegenüber Inländern bevorzugt.[10] In Deutschland verbreitet der AfD-Politiker und Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller, 88 Prozent der in Italien an Corona Verstorbenen seien in Wirklichkeit gar keine Corona-Toten. Die bayerische AfD-Landesvorsitzende Corinna Miazga warnt in einem eigenen Internetvideo vor »Zwangsimpfungen« – ohne jeglichen Beleg für diese Behauptung.[11]

Die Medien der Rechtsextremen in der Schweiz, Österreich und Deutschland

Nun muss die Botschaft noch in die Welt gelangen. Wer als Populist*in erfolgreich sein will, braucht ein mediales Netzwerk. Das können zum einen traditionelle Medien sein, die von diesen Populist*innen in ein Propagandainstrument umfunktioniert werden. Dies ist zum Beispiel bei der Schweizer Weltwoche der Fall, die viele Jahre ein linksliberales Wochenmedium war, bis sie unter Chefredakteur Roger Köppel, der auch Abgeordneter der rechtspopulistischen SVP in der Schweiz ist, auf einen stramm rechtskonservativen Kurs getrimmt wurde.

So schreibt die Weltwoche, der Kampf gegen das Coronavirus sei »auch ein Kampf der Kulturen«, nämlich ein Kampf zwischen dem autoritären China und dem freiheitlichen Amerika.[12] Die Weltwoche gibt zudem jenen, die in den Covid-19-Maßnahmen der Regierungen eine Hysterie sehen, viel medialen Raum. Etwa einem emeritierten Immunologen, der meint: »Das Virus ist erst mal weg. Wahrscheinlich wird es im Winter zurückkommen, das wird aber keine zweite Welle sein, sondern eben eine Erkältung. Wer als gesunder junger Mensch derzeit mit einer Maske herumläuft, sollte deshalb gescheiter einen Helm tragen, da das Risiko, dass einem etwas auf den Kopf fallen kann, grösser ist als eine schwere Erkrankung an Covid-19.«[13]

Zwar positioniert sich die Weltwoche klar auf Seiten der rechtspopulistischen SVP. Aber im Gegensatz zu anderen Medien aus diesem politischen Spektrum verzichtet sie auf die Wiedergabe jener Verschwörungstheorie, nach der US-Milliardär Bill Gates hinter dem Coronavirus stecke, mit dem Ziel, auf Kosten der Weltgesundheit sein Vermögen zu vergrößern.

Diese Behauptung übernehmen andere Medien, etwa das rechtsextreme deutsche Compact-Magazin. In dessen Juni 2020-Ausgabe ziert Gates das Titelblatt, und zwar mit der Titelzeile »Der Impf-Diktator«.[14] Compact-Magazin hat sogar ein 80-seitiges Compact Aktuell-Sonderheft herausgebracht, mit dem Untertitel »Was uns der Staat verschweigt«. Der Tenor dieser Sonderausgabe: Die Corona-Maßnahmen der deutschen Bundesregierung seien »Alarmismus«, der »hysterische Hygienestaat« führe die deutsche Bevölkerung in eine Diktatur.[15] Das Compact-Magazin ist kein AfD-Magazin, pflegt aber gute Kontakte zu den Rechtspopulist*innen der deutschen AfD.[16] So trat etwa die damalige Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holsteins, Doris von Sayn-Wittgenstein, 2019 auf der vom Compact Magazin organisierten Konferenz »Unsere Geschichte, unser Erbe, unser Stolz« als Rednerin auf.[17] Die AfD-Politiker*innen Uwe Schulz, Udo Hemmelgarn, Petr Bystron und Nicole Höchst waren es auch, die in Deutschland die »1. Konferenz der freien Medien« veranstalteten, und zwar im Herzen der Republik, im Deutschen Bundestag. Ziel dieser Konferenz war laut Programmflyer, »Synergieeffekte und Kooperationsmöglichkeiten« für Fraktion und »Freie Journalisten«[18] auszuloten.

Die rechtspopulistische FPÖ investiert seit mittlerweile zehn Jahren gezielt in parteinahe Medien. »Wir haben aus einer gewissen kommunikativen Not versucht eine Tugend zu machen«, sagte der damalige FPÖ-Generalsekretär und heutige FPÖ-Fraktionsführer im österreichischen Parlament, Herbert Kickl.[19] Zwar schwächelt die FPÖ derzeit aufgrund des Rücktritts ihres Langzeit-Parteichefs Heinz Christian Strache, es ist der Partei aber über die Jahre gelungen, ganz im Stillen ein beeindruckendes Propagandanetzwerk zu errichten. Da gibt es langgediente FPÖ-Medien wie Zur Zeit, eine 1997 vom damaligen FPÖ-Politiker Andreas Mölzer gegründete Wochenzeitung. Das Blatt beschimpfte den Fußballer David Alaba rassistisch, forderte, »anti-autochthon eingestellten Gruppen« das Wahlrecht zu entziehen und das »Arbeitshaus wieder einzuführen«. Die eng mit der FPÖ verbundene Onlineplattform unzensuriert.at, deren Geschäftsführer Walter Asperl Angestellter des FP-Parlamentsklubs ist, hetzt gegen Muslime, Flüchtlinge und Homosexuelle. Das in Oberösterreich erscheinende Magazin Info-Direkt ist wiederum Scharnierstelle zwischen FPÖ und Identitären, einer rechtsextremen Jugend-Splittergruppe, in der auch einige frühere Neonazis aktiv sind. Nun, zu Coronazeiten, ist auf der Internetseite von Info-Direkt zu lesen, Österreich sei »mit Corona auf dem Weg zum Überwachungs-Staat«.

Finanziert werden die rechtsextremen Zeitungsmacher unter anderem von der FPÖ, die in Info-Direkt regelmäßig Inserate schaltet. Die anderen Financiers dieses Hochglanzmagazins liegen im Dunkeln. Auffällig ist jedenfalls der extrem prorussische Kurs des Blattes. Auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe von Info-Direkt war der russische Präsident Vladimir Putin mit Sonnenbrille abgebildet und die Titelzeile lautete: »Wir wollen einen wie Putin«.[20]

Zwischen Rechtsaußen-Medien in Österreich und Deutschland herrscht ein reger Austausch. Der Online-Chefredakteur der oberösterreichischen Zeitschrift Wochenblick, ein weiteres rechtsextremes und FPÖ-nahes Blatt, arbeitete zuvor bei Blaue Narzisse und Sezession, zwei neurechten Medien aus dem AfD-Umfeld. Chris Ares, nationalistischer Rapper aus Deutschland (»Du mein Deutschland – Lied für Chemnitz«), ist dort ebenso Autor von Info-Direkt wie deutsche Identitäre.

Beim von den Identitären organisierten Kongress »Verteidiger Europas« 2016 in Linz trat Jürgen Elsässer, früher für linke Medien tätiger Journalist und nun Chefredakteur des deutschen Compact-Magazin, als Redner auf. Zur Zeit hatte genauso einen Infostand wie Compact, unzensuriert.at, Alles roger? und die neurechte Sezession, deren Macher Götz Kubitschek persönlich mit zehn Kisten voller Magazine im Kofferraum anreiste. Später interviewte Info-Direkt den früheren ARD-Journalisten Armin-Paul Hampel, heute außenpolitischer Sprecher der AfD. Manuel Ochsenreiter, umtriebiger extrem rechter Journalist aus Deutschland, schreibt wiederum als »Nahost-Experte« im Wochenblick, warum Syrien sicher genug ist, um Menschen dorthin abzuschieben. Wochenblick-Chefredakteur Christian Seibert verwahrte sich übrigens im Gespräch mit der österreichischen Wochenzeitung Falter gegen den Vorwurf, sein Magazin sei rechtsextrem. Bei der Berichterstattung über Migration »verzerrt der Mainstreamjournalismus die Wahrheit, und wir wollen einen Kontrapunkt setzen«, sagt er. In Zeiten von Corona sieht dieser Kontrapunkt wie folgt aus: In Italien herrsche nun eine »Corona-Stasi«[21], behauptet der Wochenblick, und in Deutschland schreite die Islamisierung »Dank Corona voran«[22].

Die Medien der Rechtsextremen in den USA und Europa

Derartige Medien im Umfeld von Populisten sind aber kein Phänomen, das sich auf deutschsprachige Länder beschränkt. In den USA nutzt Präsident Donald Trump neben Twitter vor allem den TV-Sender Fox News als seinen Haus- und Hof-Sender. In Frankreich baut Marine Le Pens Rassemblement National (RN), wie sich der Front National seit einigen Jahren nennt, aus der Opposition heraus eigene Medien auf. 2017 gründete der Pressesprecher von Le Pens Nichte, der früheren RN-Politikerin Marion Maréchal, das Hochglanzmagazin L’Incorrect[23], das sich an ein junges Publikum richtet. Die Blattlinie ist klar: Argumente für die Neue Rechte liefern und »die anderen zum Schweigen bringen« (»faites-les taire«).

L’Incorrect ist nicht das einzige Medium, das dem RN ideologisch nahesteht. Das Angebot extrem rechter Medien, speziell online, ist in Frankreich mittlerweile so groß, dass sogar ein eigener Begriff geprägt wurde: »Fachosphère«, eine Faschistensphäre im Netz. Da wäre zum Beispiel Fdesouche, eine Abkürzung für François Desouche. Wie unzensuriert.at hetzt Fdesouche offen gegen Migrant*innen und andere Minderheiten und wurde so zu einer der beliebtesten Plattformen der französischen Fachosphère. Nach Angaben der Analyseseite Alexa waren in Frankreich 2016 sieben der zehn meistgelesenen politischen Websites der radikalen Rechten zuzuordnen. Ihr Einfluss erstreckt sich in Frankreich mittlerweile auch auf konservative Traditionsmedien. Die konservative Tageszeitung Le Figaro hat Éric Zemmour als Kolumnisten, einen Star der Rechten, den Le Pen am liebsten als Kulturminister sehen würde. Zemmour sagt öffentlich, Arbeitgeber hätten das Recht, Araber oder Schwarze abzulehnen, und er erklärte der französischen Fernsehmoderatorin Hapsatou Sy, deren Mutter aus dem Senegal stammt, ihr Vorname sei »eine Beleidigung für Frankreich«.

In Ländern wie Ungarn und Polen, wo Rechtspopulisten an der Regierung sind, nutzen sie ihre Macht aus, um die öffentlich-rechtlichen Sender auf Regierungslinie zu bringen. Als der ungarische Premierminister Viktor Orbán 2002 aus seiner Sicht überraschend die Wahl verlor, fand sich schnell ein Schuldiger: die unabhängigen Medien, die zu kritisch über seine Partei Fidesz berichtet hätten. Also baute sich Orbán aus der Opposition heraus eine mediale Hausmacht auf. Eine zentrale Rolle spielten Fidesz-nahe Oligarchen, die in Zeitungen und in private Rundfunksender investierten. Sie beherrschen heute den ungarischen Medienmarkt. Kritische Journalist*innen wurden entlassen, an ihrer Stelle brave Parteigänger in die Chefsessel gehievt. Leute wie Daniel Papp machten dort Karriere. Der einstige Pressesprecher der rechtsextremen Jobbik wurde vor kurzem Chef des ungarischen Staatsfunks. 2011 machte er Schlagzeilen, als er einen Nachrichtenbeitrag über den Grünen-Politiker und Orbán-Kritiker Daniel Cohn-Bendit verfälschte. In Papps Beitrag war zu sehen, wie Cohn-Bendit auf einer Pressekonferenz mit der Frage konfrontiert wird, ob er der Meinung sei, Kinder sexuell zu belästigen zähle zu den europäischen Grundrechten. Daraufhin habe dieser schweigend den Saal verlassen. Tatsächlich hatte der Grüne die Frage ausführlich beantwortet.

Seit Orbán die staatlichen Medien neu strukturierte, stammen alle Nachrichtenberichte für öffentlich-rechtliche Sender von der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. So ist inhaltlicher Pluralismus von vornherein ausgeschlossen. Zusätzlich stellt MTI ihre Berichte ungarischen Privatsendern kostenlos zur Verfügung. Für kommerzielle Sender und für die Regierung ist das eine Win-win-Situation: Die Privaten sparen sich eine eigene Nachrichtenredaktion, und die Regierung kann ihre Propaganda so noch besser im ganzen Land streuen.

In Österreich musste die FPÖ aufgrund des Ibiza-Skandals 2019 wieder zurück auf die Oppositionsbank und hat deshalb im Gegensatz zu Politikern wie Orban oder der rechtspopulistischen PiS-Partei in Polen weniger Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie nutzt deshalb verstärkt ihren parteieigenen Youtube-Kanal FPÖ TV, auch um Stimmung gegen die Corona-Maßnahmen der türkis-grünen Regierung zu machen: »Hast Du die Angst- und Panikmache der Regierung satt?«, fragt die FPÖ die Zuseher*innen des Spots.[24] Offensichtlich ist: Wer nicht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugreifen kann und auch – wie in den 1990er Jahren der italienische Rechtspopulist Silvio Berlusconi – keine eigenen Privatsender besitzt, setzt heutzutage Social Media als Verstärker ein.

Social Media Plattformen zur Verbreitung von fake news und rechtsextremer Propaganda

Die französische RN-Chefin Marine Le Pen hat auf Facebook derzeit 1,5 Millionen Facebook-Freunde, Matteo Salvini, Vorsitzender von Italiens rechtsextremer Partei Lega, sogar 4,2 Millionen Fans. Salvini hat die Onlinestrategie seiner Lega schon seit längerem völlig auf Facebook ausgerichtet. Die frühere Tageszeitung der Partei, La Padania, wurde 2014 eingestellt, das Lega-Radio Padania sendet nur im Internet. Alles läuft über das Facebook-Profil des Chefs.

Dort hält Salvini politische Reden, während seine vierjährige Tochter durchs Bild tapst, der Lega-Innenminister hüpft in Badehosen in den Pool einer Mafia-Villa, die von der Polizei beschlagnahmt worden ist, oder er sagt seinen drei Millionen Fans per Videobotschaft: »Ihr bezahlt mich. Nur euch gegenüber bin ich verantwortlich.« Über Journalisten spricht der Lega-Chef weniger freundlich. Mit dem Ausspruch, seine Partei werde »dem einen oder anderen schäbigen, kriecherischen Journalisten einen Arschtritt geben«, zitierte die Zeitung Corriere della Sera ihn 2013.

Nun führt Salvini auch via Facebook eine Kampagne für jene, die laut Lega durch die Corona-Maßnahmen der italienischen Regierung in den Ruin getrieben wurden. Und vergisst dabei auch sein Lieblingsthema Migration nicht. Seit er nicht mehr als Innenminister in der Regierung vertreten ist und das Land einen Lockdown durchmachen musste, sei die Zahl der Flüchtlinge, die Italien über das Meer erreichten, um 162 Prozent gestiegen, rechnet der italienische Rechtsaußen auf Facebook vor.[25]

Jenen Rechtspopulist*innen, die an der Regierungsmacht sind, gibt Corona zusätzlich die Möglichkeit, die Pressefreiheit im eigenen Land weiter einzuschränken. Das ist auch vor Corona schon passiert. Doch in der Krise ging etwa der ungarische Premierminister Orbán noch einen Schritt weiter. Ende März erhielt das ungarische Ermächtigungsgesetz einen neuen Passus: Wer öffentlich Falschnachrichten verbreite oder in seiner Berichterstattung Tatsachen verzerre und so den Erfolg der Corona-Schutzmaßnahmen beeinträchtige, könne mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, stand dort zu lesen. Nichts gegen den Kampf gegen Fake News. Aber in einem Land, in dem das ungarische Staatsfernsehen (als öffentlich-rechtlich sind diese Sender schon lange nicht mehr zu bezeichnen) bewusst Fake News verbreitet, lautete die Befürchtung, dieses Gesetz könne eingesetzt werden, um kritische Berichterstattung zu kriminalisieren. Schließlich hatte das ungarische Staatsfernsehen selbst im März 2018, kurz vor den ungarischen Wahlen, aus Deutschland berichtet, wo ein Mann auf der Straße klagte, dass er seine Wohnung habe aufgeben müssen, weil in seiner Nachbarschaft Migranten angesiedelt wurden. Eine Frau erzählte, Hamburg sei so gefährlich, dass sie ihr Haus nur mit Pfefferspray bewaffnet verlasse. Die angeblichen Passanten waren aber AfD-Politiker*innen. Aufgedeckt wurde der Schwindel von Márta Orosz, einer aus Ungarn stammenden Journalistin, die beim investigativen Recherchezentrum Correctiv in Deutschland arbeitet. Orosz wies nach, dass im ungarischen Staatsfernsehen zumindest siebenmal AfD-Politiker*innen zu Wort kamen, ohne deren Parteizugehörigkeit zu nennen. Zu Jahresbeginn 2016 verkaufte das ungarische Staats-TV sogar Bilder sexueller Gewalt auf dem ägyptischen Tahrir-Platz im Jahr 2012 als Aufnahmen von der Kölner Silvesternacht. Und zu Pfingsten 2018 erfuhren die Ungarn in den staatlichen Nachrichten, dass die deutsche Stadt Essen sich wegen des muslimischen Fastenmonats Ramadan zwangsweise in »Fasten« umbenennen müsse. Einen derartigen Bericht gab es tatsächlich – allerdings auf einer deutschen Satireplattform.

Ein Virus, das Angst macht und für das leicht ein Sündenbock gefunden werden kann. Fake News, die von Populist*innen gerne rund um das Coronavirus verbreitet werden. Dazu ein mediales Netzwerk, das in Verbindung mit sozialen Medien ein ideales Transportmittel für die populistische Propaganda ist. Mag sein, dass die Umfragewerte der Rechtspopulist*innen seit Beginn der Coronakrise sinken. Für einen Abgesang ist es aber definitiv zu früh.

Über die Autorin

Nina Horaczek (*1977), geboren in Wien, ist Politologin, Buchautorin und Chefreporterin der Wiener Wochenzeitung Falter. Sie studierte an der Universität Wien und beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Rechtspopulismus in Österreich und Europa. Sie unterrichte zuletzt an den Universitäten Wien und Salzburg sowie am Kuratorium für Journalistenausbildung. Zu ihren Publikationen zählen unter anderem Populismus für Anfänger (gemeinsam mit Walter Ötsch, Westend-Verlag 2017) und im Rahmen des journalistischen Recherchenetzwerks Europe’s Far Right der Sammelband Angriff auf Europa. Die Internationale des Rechtspopulismus (Ch. Links Verlag 2019). Kontakt: horaczek@falter.at

Fussnoten

1 Mark Schieritz: Den Populisten fehlt das Feindbild. In: Zeit Online vom 24.6.2020, https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-06/corona-krise-folgen-staerkung-demokratie-populismus-liberale-welt-hoffnung (29.6.2020)

2 Christian Stöcker: Stunde der Wahrheit für die Populisten der Lüge. In: Spiegel Online vom 28.6.2020, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-und-populismus-stunde-der-wahrheit-fuer-die-politik-der-luege-a-a211f3b9-c30d-4f4c-9810-7cfec8648ef1 (29.6.2020)

3 alge93: Corona und das Ende des Populismus. In: der Freitag vom 1.5.2020, https://www.freitag.de/autoren/alge93/corona-und-das-ende-des-populismus (29.6.2020)

4 Heinz-Christian Strache war ab 2005 Vorsitzender der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und in dieser Funktion von Dezember 2017 bis Mai 2019 Vizekanzler der Republik Österreich. Strache trat im Mai 2019 von beiden Funktionen zurück, nachdem Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung enthüllten, dass Strache heimlich dabei gefilmt worden war, als er einer vermeintlichen Oligarchennichte versprach, ihr Staatsaufträge zu besorgen, wenn sie sich zuvor in die auflagenstärkste Tageszeitung Kronen Zeitung einkauft und positiv über Strache und dessen Partei berichtet.

5 Informationen und Recherchen des Netzwerks »Europe’s Far Right« finden Sie unter https://europesfarright.eu/

6 Siehe Nina Horaczek: Propagandakrieg in Europa: Die Medien der Rechten. In: Falter 42/2018 vom 17.10.2018.

7 Siehe Jérome Viala-Gaudefroy/Dana Lindaman: Donald Trump’s Chinese virus: The politics of naming. In: The Conversation vom 21.4.2020, https://theconversation.com/donald-trumps-chinese-virus-the-politics-of-naming-136796 (29.6.2020). Sämtliche Nennungen von »Chinese virus« durch Trump sind hier abrufbar: https://factba.se/search#%22chinese%2Bvirus%22 (29.6.2020).

9 Presseaussendung der FPÖ Wien vom 17.5.2020.

10 Presseaussendung der FPÖ vom 5.5.2020.

11 N.N.: AfD verbreitet Fake News zu Corona. In: BR24 vom 4.4.2020, https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/afd-verbreitet-fake-news-zu-corona,Rv7jler (29.6.2020).

12 Peter Keller: Das chinesische Virus. In: Weltwoche 13 vom 25.3.2020.

13 Beda M. Stadler: Warum alle falsch langen. In: Weltwoche 24 vom 10.6.2020.

16 Das Recherche-Netzwerk Correktiv hat zum Thema Medien der Neuen Rechten eine siebenteilige Serie veröffentlicht, die interessante weitere Informationen zu diesem Thema bietet: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2016/12/27/futter-fuer-afd-waehler (29.6.2020).

17 Vgl. Andreas Speit: Einsatz für Rechtsextreme. In: die tageszeitung vom 23.8.2019, https://taz.de/AfDlerin-Doris-von-Sayn-Wittgenstein/!5618808&s=compact+magazin/ (29.6.2020).

18 Zitiert nach Tilman Steffen: Weiterbildung für rechtskonservative Blogger. In: Zeit online vom 8.5.2019, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/afd-bundestag-konferenz-freie-medien-blogger (29.6.2020).

19 Sofern nicht extra angegeben, beziehen sich die Zitate auf Nina Horaczek: Propagandakrieg in Europa: Die Medien der Rechten. In: Falter 42/2018 vom 17.10.2018.

20 Info-Direkt 1/2015.

21 Kornelia Kirchweger: Italien setzt auf Corona-Stasi. In: Wochenblick vom 26.5.2020, https://www.wochenblick.at/italien-setzt-auf-corona-stasi/ (29.6.2020).

22 N.n.: Islamisierung Deutschlands schreitet Dank Corona voran. In: Wochenblick vom 26.5.2020, https://www.wochenblick.at/islamisierung-deutschlands-schreitet-dank-corona-voran/ (29.6.2020).

24 Der Spot ist auf https://www.youtube.com/watch?v=jjACXjyTt2Q abrufbar.

25 Matteo Salvini: Facebook-Posting vom 29.6.2020, https://www.facebook.com/salviniofficial/ (29.6.2020).


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Zitationsvorschlag

Nina Horaczek: Schadet Corona dem rechten Populismus?. Die Hoffnungen, dass die Pandemie auch den politischen Populismus zerstört, sind verfrüht. In: Journalistik, 2, 2020, 3. Jg., S. 150-158. DOI: 10.1453/2569-152X-22020-10680-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-22020-10680-de

Erste Online-Veröffentlichung

September 2020