Die Presse und Gaza Restriktionen, Zensur und die Gefahren der Kriegsberichterstattung

Von William Lafi Youmans

Abstract: In Kriegszeiten sind die Streitkräfte der Staaten strategische Kommunikatoren, die versuchen, die öffentliche Wahrnehmung zu steuern. Gleichzeitig können sie den Zugang der Presse zu Informationen besser kontrollieren, was sie zu einer Art »Kampfrichter« werden lässt. Die rechtlichen Schutzbestimmungen für Journalist*innen werden oft mit Verweis auf den Ausnahmezustand gelockert, da an den Konfliktschauplätzen juristische Grauzonen entstehen. Israel hat den Medienzugang zu militärischen Aktionen wie jüngst im Gazastreifen nach dem Angriff der Hamas auf israelische Militärbasen und Gemeinden am 7. Oktober 2023 noch weiter eingeschränkt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die israelische Pressepolitik, die Zensur durch das Militär und die Reaktion westlicher Nachrichtenorganisationen darauf sowie über die Repressalien gegen palästinensische Reporter*innen und Al Jazeera. Ferner wird erörtert, ob die israelische Pressekontrolle Auswirkungen auf die Berichterstattung hat.

Keywords: Israel, Gaza, Kriegsberichterstattung, Pressefreiheit, Sicherheit von Journalist*innen

Übersetzung von Anna Berneiser und Gunter Reus mit Unterstützung von deepl.com

Die Frage des freien Zugangs der Presse zu Kriegsgebieten ist seit Langem umstritten. In den USA verschärfte sich dieser Streit nach dem Vietnamkrieg, der durch Fotojournalismus und Fernsehen visuell besser erfahrbar wurde. Das politische Establishment glaubte, dass die brutalen Bilder des Krieges und die steigende Zahl der amerikanischen Opfer die öffentliche Meinung in den USA gegen das Militär aufgebracht hätten. Das war zumindest die offizielle Lesart. Sie führte zur gängigen Meinung, dass jede militärische Anstrengung zugleich ein Krieg um die öffentliche Meinung ist und dementsprechend der Feind nicht nur der Gegner im Kampf ist, sondern alle, die die Öffentlichkeit negativ gegen diesen Krieg beeinflussen. Staaten, die sich seit den 1970er-Jahren an militärischen Aktionen beteiligten, haben versucht, Medienschaffende stärker zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie die Kriegsanstrengungen nicht untergraben. Sie nennen häufig die Sicherheit der militärischen Operationen und des Medienpersonals als Begründung dafür, dass Medien der Zugang zu Kriegsschauplätzen verwehrt wird. Dies führt natürlich zu einem gewissen Interessenkonflikt. Während eines Krieges sind die Streitkräfte der Staaten strategische Kommunikatoren, die versuchen, die öffentliche Wahrnehmung zu steuern. Gleichzeitig kontrollieren sie in Kriegszeiten stärker den Zugang der Presse zu Informationen. Das macht sie auch zu einer Art Kampfrichter. Die rechtlichen Schutzbestimmungen für Journalist*innen werden oft mit Verweis auf den Ausnahmezustand gelockert, da an den Konfliktschauplätzen juristische Grauzonen entstehen.

Die Mechanismen der Pressekontrolle wurden im Laufe der Zeit immer ausgefeilter. Aufgrund der Lehren aus dem Vietnamkrieg führten die Briten während des Falklandkriegs mit Argentinien im Jahr 1982 ein strenges Pressepool-System ein. Es schränkte den Zugang zu Informationen auf einige wenige Medienschaffende ein, die ihr Arbeitsmaterial, ihre Notizen und Aufzeichnungen anschließend mit anderen Pressevertreter*innen teilen mussten. Dieses äußerst restriktive System haben die US-Militärs im ersten Irakkrieg 1990-1991 übernommen. Die US-Nachrichtenmedien klagten gegen die strengen Beschränkungen und beriefen sich dabei auf die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit. Beim zweiten Irakkrieg, der mit der Invasion der USA in Afghanistan und im Irak Anfang der 2000er-Jahre begann, entwickelte das Militär in Absprache mit den Nachrichtenagenturen ein Programm der »Einbettung«. Die Kriegsreporter*innen durften nun bei den kämpfenden Einheiten mitfahren. Dies verschaffte den Medienschaffenden zwar besseren Zugang zu Kriegsgebieten, gefährdete aber nach Ansicht von Kritiker*innen die Unvoreingenommenheit ihrer Berichterstattung, da sie den Krieg so zwangsläufig aus der Sicht ihres Sponsors und Beschützers erlebten.

Auch Israel stand in der Vergangenheit unter Druck, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Pressefreiheit und dem Wunsch, die öffentliche Meinung über die eigene Politik zu steuern. Israel sah sich bei der blutigen Invasion im Libanon Anfang der 1980er-Jahre und der Niederschlagung der palästinensischen Intifada ein paar Jahre später selbst mit negativer Berichterstattung konfrontiert. Beide Ereignisse kosteten Israel international viel öffentliches Wohlwollen. Im Krieg gegen den Libanon 2006 erlitt das Land dann eine militärische Niederlage, da es nicht gelang, die Hisbollah zu vernichten. Für das öffentliche Image Israels war dieser Krieg eine Katastrophe. Seitdem hat es den Zugang der Medien in Zeiten eines kriegerischen Konflikts immer weiter eingeschränkt, zuletzt während des Krieges im Gazastreifen, der nach dem von der Hamas angeführten Angriff auf israelische Militärstützpunkte und Gemeinden am 7. Oktober 2023 begann. Die Hamas und andere palästinensische Gruppierungen und Kämpfer töteten Hunderte von israelischen Soldat*innen sowie weitere Hunderte von Zivilist*innen und nahmen etwa 240 Menschen aller Altersgruppen als Geiseln. Israel belagerte den Gazastreifen, riegelte seine Grenzen ab, bombardierte ihn aus der Luft und marschierte mit Zehntausenden von Soldaten ein. Im Gazastreifen leben 2,5 Millionen Menschen auf einer Fläche, die nur etwas größer ist als das Stadtgebiet von Dresden. Die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen zahlte für den Überfall der Hamas und Israels Antwort einen hohen Tribut: Zehntausende Tote und Verletzte, Hunderttausende Vertriebene und eine Hungersnot. Die Intensität des Angriffs vom 7. Oktober und des israelischen Krieges im Gazastreifen waren beispiellos in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Sie brachten auch ein neues Ausmaß an Restriktionen für und Repressionen gegen die Presse mit sich.

Abriegelung des Gazastreifens und militärisches Zensurregime

In Israel sind die Rechte der freien Presse nicht in einem verbindlichen Gesetz kodifiziert, obwohl es einige Traditionen und ein Gewohnheitsrecht gibt, auf das sich Befürworter*innen der freien Presse und israelische Presseorgane berufen können. Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs haben eher beratenden Charakter und stellen keine echte gerichtliche Überprüfung dar. Das bedeutet, dass sich die Regierung eher an Gewohnheiten als an verfassungsrechtliche Vorgaben hält.[1] Obwohl die Pressefreiheit vom Grundgesetz, einer Quasi-Verfassung, gestützt wird, schränken strenge Maßnahmen die Freiheit der Medien ein. Um eine Zeitung herauszugeben, ist beispielsweise eine Genehmigung erforderlich. Die militärische Zensur, einschließlich der Vorzensur, ist gesetzlich vorgeschrieben und führt dazu, dass Hunderte von Berichten blockiert und Tausende von Artikeln und Nachrichtenpaketen geändert werden. Im Jahr 2017 verweigerte die israelische Militärzensur beispielsweise »die Veröffentlichung von 271 Artikeln – mehr als fünf pro Woche – und redigierte insgesamt 2.358 Nachrichten, die ihr zur Vorabprüfung vorgelegt wurden, teilweise oder vollständig« (Fisher 2018). Gelegentlich umgehen israelische Journalist*innen die Zensur, indem sie zensierte Beiträge im Ausland veröffentlichen lassen und dann diese Berichterstattung als Quelle angeben. Trotz der strengen Kontrollen ist die israelische Presse recht robust und kritisch.

Die israelischen Pressebeschränkungen wurden allerdings seit Beginn des Gaza-Krieges drastisch ausgeweitet. Israel riegelte den Gazastreifen sofort ab und verwehrte Reporter*innen den Zutritt. Medienorganisationen aus der ganzen Welt protestierten gegen diese umstrittene Maßnahme. Natasha Hausdorff, Direktorin von »UK Lawyers For Israel«, trat dagegen im Februar 2024 in der Sky News-Sendung The World with Yalda Hakim auf und behauptete, Israel verbiete internationalen Journalist*innen die Einreise in den Gazastreifen zu deren eigener Sicherheit. Andere rechtfertigen die Maßnahmen mit Sicherheitsbedenken.

Israel hat, unter Duldung Ägyptens, den Zugang zum Gazastreifen für Journalist*innen komplett abgeriegelt. Das veranlasste Medienschaffende dazu, einen offenen Protestbrief zu verfassen – eine eher seltene Vorgehensweise für einen Berufsstand, in dem Neutralität eine wichtige Rolle spielt. Mehr als 50 Journalist*innen forderten Israel und Ägypten auf, »allen ausländischen Medien freien und ungehinderten Zugang zum Gazastreifen zu gewähren« (Tobitt 2024). Zu den Unterzeicher*innen gehörten Reporter*innen von britischen und US-amerikanischen Nachrichtensendern wie BBC News, Sky News, ITV News, Channel 4 News, CNN, NBC, CBS und ABC. Die Sonderkorrespondentin von Sky News, Alex Crawford, behauptete, sie habe »den Großteil der letzten fast fünf Monate damit verbracht, sich den Hintern aufzureißen, um nach Gaza zu gelangen«. Aufgrund der Schließung der Grenzübergänge habe sie dabei aber kein Glück gehabt. Die Unterzeicher*innen des Briefes zeigten sich von den Sicherheitsargumenten nicht beeindruckt. Sie beteuerten, dass sie als Nachrichteninstitutionen mit reichhaltiger Erfahrung in Kriegsgebieten und speziell in Gaza gut gerüstet seien, um von dort berichten zu können.

Israel gewährte schließlich Reporter*innen Zugang, wenn sie in israelische Militäreinheiten »eingebettet« wurden, und kopierte damit das Vorgehen seines engsten Verbündeten bei den Invasionen im Irak und in Afghanistan zwanzig Jahre zuvor. Ein großer Unterschied zu damals besteht jedoch darin, dass Israel die Grenzen des Gazastreifens nahezu vollständig kontrollieren kann, da Ägypten seinen einzigen Grenzübergang nach Gaza ganz im Interesse Israels geschlossen hat.[2] So hermetisch konnten die USA die Grenzen Afghanistans und des Iraks nicht abriegeln. Ähnlich wie Alex Crawford glaubten auch andere Journalist*innen nicht, dass die Einbettung in die israelischen Streitkräfte eine unabhängige Berichterstattung erleichtern würde. Das Militär »wählt die Route, das Gebiet, in das man sich begibt, wie lange man vor Ort ist und im Grunde genommen auch, wozu Journalist*innen Zugang haben und mit wem sie sprechen oder ob sie überhaupt mit jemandem sprechen können«. Organisationen für Pressefreiheit haben die »strengen Auflagen« der israelischen Regierung für eingebettete Reporter*innen kritisiert, »einschließlich der Vorschrift, dass Berichte vor der Veröffentlichung zur Überprüfung vorgelegt werden müssen, und des Verbots, mit Palästinenser*innen Kontakt aufzunehmen« (Sherwood 2023). Wenn also eingebettete Journalist*innen Berichte produzierten, in denen niemand aus der palästinensischen Bevölkerung zu Wort kam, so geschah dies aufgrund der Vorgaben der israelischen Regierung. Allerdings gab es auch Ausnahmen. Im November führte der eingebettete Reporter Secunder Kermani in seinem Bericht für Channel 4 (UK) ein Interview mit einem Palästinenser in Gaza (Olsted 2023).

Die Militärzensur beansprucht die Zuständigkeit für eine breite Palette von Themen. Das US-Newsoutlet The Intercept erhielt ein von den israelischen Behörden herausgegebenes Memo mit dem Titel »operation ›Swords of Iron.‹ Israeli Chief Censor Directive to the Media« (Klippenstein/Boguslaw 2023). Die von Brigadegeneral und Chefzensor Kobi Mandelblit unterzeichnete Richtlinie listet acht Themen auf, über die »keine Beiträge gesendet werden dürfen« oder für deren Veröffentlichung eine vorherige Genehmigung erforderlich ist: Geiseln, Militäroperationen, Geheimdienstinformationen über »den Feind«, Waffensysteme, Raketenangriffe, Cyberangriffe, Besuche hochrangiger Staatsdiener*innen in Kampfgebieten und jegliche Details und Informationen aus Sitzungen des Sicherheitskabinetts. Der Wortlaut des Vermerks ist allgemein und oft uneindeutig. Der Eintrag über nachrichtendienstliche Erkenntnisse wird mit einem einzigen Satz erläutert: »Alle nachrichtendienstlichen Erkenntnisse über die Absichten und Fähigkeiten des Feindes«. Es ist nicht klar, wessen nachrichtendienstliche Informationen genau gemeint sind oder was diese überhaupt ausmacht, zumal sie oft eine Mischung aus verschiedenen Quellen sind, einschließlich öffentlich zugänglicher Informationen. Ein Verstoß gegen diese Beschränkungen kann zum Verlust des Presseausweises, zu strafrechtlicher Verfolgung oder in Ausnahmefällen sogar zu einer Schließung oder einem Verbot des Nachrichtenmediums führen. Als das Presseamt der israelischen Regierung Presseausweise an über 2.800 internationale Journalist*innen verteilte, sollten sie sich schriftlich mit den Bedingungen der Zensur einverstanden erklären. Während die Rolle des Zensors als eine technische, sicherheitsorientierte Aufgabe dargestellt wurde, berichtete Haaretz, dass Premierminister Benjamin Netanjahu Druck auf das Büro ausübte, um die Berichterstattung über bestimmte Ereignisse aus politischen Gründen einzuschränken (Tov 2023).

Trotz des wachsenden öffentlichen Bewusstseins über Israels Zensurregime machten westliche Medien oft nicht transparent genug, inwieweit sie sich daran hielten. Auch gaben sie nicht ohne Weiteres an, welche Berichte zuvor von der Militärzensur freigegeben worden waren. Eine CNN-interne Anordnung enthüllte, dass alle Berichte über den Gaza-Krieg durch das Jerusalemer Büro, das im Auftrag der israelischen Zensur arbeitet, geprüft werden mussten (Boguslaw 2024). Auf diese Weise konnten auch Berichte, die im Büro in Washington entstanden, an die Vorgaben der israelischen Zensur angepasst werden (Grim 2024). Dies zog interne Debatten über die allgemeine Berichterstattung zum Gazastreifen nach sich. Beobachter*innen zufolge waren hochrangige CNN-Mitarbeiter*innen wie Christiane Amanpour unzufrieden damit, wie der Sender über den Krieg berichtete (Boguslaw/Thakker 2024). Der durchgesickerte Mitschnitt eines Treffens in London dokumentiert, wie Amanpour ihre »Verzweiflung« über das interne Protokoll zum Ausdruck brachte und wie es zu »Eingriffen in Texte« führte. Sie beklagte eine klare »Doppelmoral«, wenn es um die Berichterstattung über Israel ging. An anderer Stelle bemerkte ein CNN-Mitarbeiter, dass aufgrund dieses internen Systems der Freigabe von Geschichten durch Jerusalem bestimmte Begriffe aus der Berichterstattung gestrichen wurden: »Kriegsverbrechen« und »Völkermord« zum Beispiel.

Außerdem wurden schwammige Formulierungen eingefügt: »Israelische Bombenangriffe in Gaza werden als ›Explosionen‹ gemeldet, deren Urheber so lange unklar bleibt, bis das israelische Militär die Verantwortung übernimmt oder bestreitet.« Unverhohlen wurden auch Hinweise auf die Vertrauenswürdigkeit offizieller israelischer Quellen eingefügt. So hieß es zum Beispiel: »Zitate und Informationen, die israelische Armee- und Regierungsbeamte übermitteln, werden in der Regel schnell genehmigt, während die von Palästinensern übermittelten Informationen in der Regel streng geprüft und langsam bearbeitet werden« (Boguslaw 2024). Andere Nachrichtenorganisationen umgingen absichtlich die Zensur, indem sie kritische Beiträge von Büros außerhalb Israels erstellen ließen.

CNN teilte mit, dass die Zensurbehörden die Arbeit von eingebetteten Reportern gebündelt prüfen würden. So berichtete Jeremy Diamond (CNN), normalerweise Korrespondent im Weißen Haus, aus Gaza, wo er in eine Einheit der israelischen Verteidigungskräfte eingebettet war. Nachrichtenmoderatorin Becky Anderson stellte seine Beiträge unter folgendem Vorbehalt vor:

»Journalistinnen und Journalisten, die in die israelischen Streitkräfte (IDF) in Gaza eingebettet sind, arbeiten unter der Beobachtung der israelischen Kommandatur vor Ort und dürfen sich nicht ohne Begleitung im Gazastreifen bewegen. Eine Bedingung für die Einreise in den Gazastreifen unter IDF-Begleitung ist, dass alle Materialien und Filmaufnahmen vor der Veröffentlichung dem israelischen Militär zur Prüfung vorgelegt werden« (Olmsted 2023).

Dies war mehr oder weniger eine Standardformulierung für die eingebetteten Berichte. Interessanterweise kommt der Begriff »Zensor« nicht vor, obwohl er im offiziellen Titel des israelischen Militärbüros, das die Medienberichterstattung beaufsichtigt, enthalten ist. Bei einigen wenigen Gelegenheiten stellte CNN klar, dass die Zensor*innen die Berichte zuvor nicht überprüft hatten, und erklärte, dass die redaktionelle Autonomie gewahrt bleibe. Am 9. Januar 2024 erklärte der Moderator, dass in diesem Fall »CNN den endgültigen Bericht nicht an die IDF weitergeleitet und die redaktionelle Kontrolle behalten hat«. Eingebettete Geschichten belegen offen das Machtverhältnis zwischen Staat und Presse und zwingen die Redaktionen geradezu dazu, die Verantwortung für den Wahrheitsgehalt von sich zu weisen. Bei Berichten, die die Zensur in Jerusalem freigab, war allerdings nicht ersichtlich, inwieweit sie den Richtlinien der Zensor*innen angepasst wurden. Eine Recherche mit der Online-Datenbank Nexus Uni ergab ausschließlich eingebettete CNN-Berichte, die darauf hinwiesen, dass sie dem israelischen Militär zur vorherigen Überprüfung vorgelegt worden waren. Ein CNN-Sprecher sagte, dass Berichte der Militärzensur vorgelegt würden, habe »keinen Einfluss auf unsere (minimalen) Interaktionen mit der israelischen Militärzensur – und wir geben keine Texte im Voraus an sie (oder andere Regierungsstellen) weiter. Wir holen vor der Veröffentlichung von Artikeln Kommentare von israelischen und anderen relevanten Beamten ein, aber das ist einfach gute journalistische Praxis« (Boguslaw 2024). Es ist erwähnenswert, dass andere Sender, wie bspw. ABC News, nicht offenlegten, dass ihre eingebetteten Berichte in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Militärzensur entstanden sind (Olsted 2023). Wiederum andere, wie die BBC, stellten klar, dass der Sender die redaktionelle Kontrolle behalten habe, obwohl die Zensur einen Teil des Berichts, in dem israelische Streitkräfte dargestellt wurden, überprüft hatte (Rufo/Gritten 2024).

Bis März 2024 gab es aus dem Gazastreifen nur einen einzigen öffentlichkeitswirksamen Bericht von einer westlichen Reporterin, die nicht beim israelischen Militär eingebettet war. Die internationale CNN-Chefkorrespondentin Clarissa Ward aus London reiste mit einer medizinischen Einheit aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Gaza ein. Das war die Ausnahme, die die Regel bestätigte. Ward bezeichnete ihre kurze Reise nach Gaza als »ein Fenster in das Kriegsgebiet, aber nur ein kleines«. Jeremy Bowen, internationaler Redakteur der BBC, der viel über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichtet hat, sagte: »Nicht vor Ort zu sein, macht die Berichterstattung viel schwieriger. In der Kriegsberichterstattung geht nichts über den Einsatz der eigenen Augen und Ohren« (Sherwood 2023).

NGOs, die sich für die Pressefreiheit einsetzen, versuchten Israel dazu zu bewegen, Journalist*innen einem besseren Zugang zu gewähren. Die britische Menschenrechtsgruppe ARTICLE 19 drängte Israel, internationale Journalist*innen in den Gazastreifen hineinzulassen, um unabhängige Berichterstattung zu ermöglichen, und bezeichnete die Beschränkungen als einen »Generalangriff auf die Meinungsfreiheit« (ARTICLE 19 2024). Der Oberste Gerichtshof Israels lehnte eine Klage der israelischen Foreign Press Association (FPA) ab, mit der die Regierung gezwungen werden sollte, Journalist*innen die Einreise nach Gaza zu gestatten. Die FPA wandte sich an die Gerichte, nachdem das Militär und die israelische Regierung ihre früheren Forderungen ignoriert hatten. Die Regierung stellte sich auf den Standpunkt, dass die Beschränkungen des Pressezugangs »aus Sicherheitsgründen« gerechtfertigt seien, und zwar sowohl für die Länder als auch für die Reporter*innen, da sie »in Kriegszeiten gefährdet sein könnten«. Die Regierung behauptete, die Zulassung westlicher Nachrichtenmedien im Gazastreifen würde »Soldatinnen und Soldaten gefährden, sollten sie über Truppenstellungen berichten, und für israelisches Militärpersonal« sei es »zu gefährlich, an der Grenze der Presse den Zugang zum Gazastreifen zu erleichtern«. In der Vergangenheit hatte die FPA mehr Glück mit dem Obersten Gerichtshof. Im Jahr 2008 wies das Gericht die Regierung an, Reporter*innen während der Gaza-Operation 2008/09, die einen viel geringeren Umfang hatte als der aktuelle Krieg, den Zutritt zum Gazastreifen zu gestatten (Sengupta 2008). Die Regierung zögerte, dem nachzukommen. Die Journalist*innen erhielten nur während des Waffenstillstands Zugang. Das Gericht sah die Entscheidung natürlich nicht als Präzedenzfall an. Bei den folgenden israelischen Invasionen und Bombardierungen in den Jahren 2012 und 2014 gestattete Israel Reporter*innen den Zugang zum Gazastreifen über den Grenzübergang Erez (Sherwood 2023).

Die Notlage der palästinensischen Medienschaffenden

Während der Ausschluss internationaler Journalist*innen dazu führte, dass sich westliche Medienagenturen noch mehr auf Informationen der israelischen Regierung stützten, wurden sie gleichzeitig noch abhängiger von dem Netzwerk palästinensischer Reporter*innen, Fotograf*innen, Kameraleute, Fixer und Stringer in Gaza. In dem oben zitierten offenen Brief heißt es: »Es besteht ein intensives weltweites Interesse an den Ereignissen in Gaza, und bisher stammt die einzige Berichterstattung von Journalist*innen, die bereits vor Ort waren« (Tobitt 2024). In dem Schreiben wird die Abwesenheit der internationalen Presse mit den Gefahren in Verbindung gebracht, denen palästinensische Medienschaffende ausgesetzt sind, die für ihre Arbeit unter unzumutbaren Bedingungen einen hohen Preis zahlen müssen.

Das Committee for the Protection of Journalists (CPJ), eine führende Organisation, die sich für die Sicherheit von Reporter*innen einsetzt, erklärte am 4. Juni 2024, dass die Zahl der getöteten Medienschaffenden im Gazastreifen den »tödlichsten Zeitabschnitt« seit Beginn seiner Aufzeichnungen im Jahr 1992 kennzeichne. In den ersten sechs Monaten seit Beginn der israelischen Bombenkampagne und der Invasion des Gazastreifens wurden schätzungsweise 107 (CPJ) bzw. 140 (nach Angaben palästinensischer Organisationen) Journalist*innen getötet (CPJa 2024). Das CPJ schätzt, dass palästinensische Reporter*innen im Jahr 2023 75 % der weltweit getöteten Journalist*innen ausmachten. Dies übertrifft bei weitem die 18 palästinensischen Journalist*innen, die Israel zwischen 2001 und 2021 getötet hat. Ein weiterer offener Brief, der von 36 Führungskräften aus der Nachrichtenbranche unterzeichnet wurde, drückte seine Solidarität mit palästinensischen Journalist*innen »in ihrer Forderung nach Sicherheit, Schutz und Freiheit der Berichterstattung« aus (Tobitt 2024). Neben der physischen Gewalt gegen Reporter*innen verstärkte Israel seine Verhaftungen und Inhaftierungen von palästinensischen Reporter*innen sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland. Zwischen Oktober 2023 und Juni 2024 verhaftete Israel 41 palästinensische Journalist*innen im Westjordanland, in Jerusalem und im Gazastreifen, während die Palästinensische Autonomiebehörde drei Journalist*innen verhaftete (Daoud et al. 2024). Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Hamas-Regierung im Gazastreifen keinen formellen Schutz für die Presse bietet und die Zivilgesellschaft, einschließlich der Medien und der sozialen Medien, unterdrückt.

Da die internationalen Medien abgesehen von den arabischen Nachrichtensendern kaum vor Ort in Gaza waren, stützten sie sich auf Stringer und Fixer, um aus der Ferne berichten zu können. Fixer sind Medienmitarbeiter*innen, die Rohberichte schreiben oder produzieren, welche von den heimischen Redaktionen ergänzt oder bearbeitet werden. Fixer helfen den Reporter*innen, ohne an der Produktion mitzuwirken. In manchen Fällen arrangieren Fixer aber auch Interviews, dolmetschen und übersetzen, arbeiten als Fahrer*innen und können auch sonst Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Wie Lindsay Palmer in ihrem Buch The Fixers. Local News Workers and the Underground Labor of International Reporting (2019) schreibt, wäre die internationale Berichterstattung westlicher Nachrichtenagenturen ohne Fixer und Stringer nicht möglich, doch ihre Arbeit bleibt weitgehend unsichtbar und wird unterschätzt. Sie sind die ›weiche‹ Infrastruktur der Auslandsberichterstattung und umso wichtiger geworden, als das Budget für die internationale Berichterstattung bei Zeitungen, Zeitschriften und im Rundfunk dramatisch geschrumpft ist.

Stringer, Fixer und freie Mitarbeiter*innen aus dem Gazastreifen arbeiten unter zermürbenden Bedingungen, die sie körperlich, seelisch und beruflich an ihre Grenzen führen. Nicht nur müssen sie über Ereignisse berichten, die sie und ihre Familien direkt betreffen, sie leben auch unter den schwierigsten Bedingungen – es mangelt an Lebensmitteln, Trinkwasser, Wohnraum und Strom. Und trotzdem wird auch von ihnen eine Unparteilichkeit erwartet, die selbst den erfahrensten Reporter*innen schwerfallen würde. Die palästinensische Journalistenvereinigung beispielsweise konzentrierte sich darauf, die Reporter*innen in Gaza mit Lebensmitteln und Decken zu versorgen (Younes 2024). Die Medienschaffenden im Gazastreifen arbeiten monatelang pausenlos für lokale, regionale und ausländische Nachrichtenagenturen. Die Sonderkorrespondentin von Sky News, Alex Crawford, wies darauf hin, dass Medienorganisationen selten dieselben Reporter*innen über einen längeren Zeitraum in einem Kriegsgebiet halten, »damit sie die Möglichkeit bekommen, sich aufzuladen, sich zu erholen und einen frischen Blick auf die Ereignisse zu werfen, die körperlich und geistig anstrengend und lähmend sind« (Tobitt 2024). Wären internationale Nachrichtenorganisationen im Gazastreifen vor Ort, so wäre der Druck auf lokale Reporter*innen, Produzent*innen und Kameraleute nicht so hoch, bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Aber selbst wenn die Anzahl der einheimischen Medienschaffenden nicht durch Tötung, Verletzung, Inhaftierung oder Flucht dezimiert worden wäre, bleibt unklar, ob man ihnen genug vetraut hätte, die Berichterstattung in den westlichen Medien zu lenken. Denn trotz ihrer heldenhaften Arbeit unter unzumutbaren Bedingungen neigen westliche Medien dazu, sie nicht als vertrauenswürdig und unparteiisch zu betrachten, sondern als Nachrichtenproduzent*innen, deren Arbeitsprodukte oft aus der Ferne überprüft oder neu kontextualisiert werden müssen.

Al Jazeera wird mundtot gemacht

Al Jazeera (AJ) war einer der wenigen globalen Nachrichtensender, die schon vor Oktober 2023 in nennenswertem Umfang in Gaza präsent waren. Er befand sich damit in einer guten Position, um über Israels Krieg gegen die Hamas und die Auswirkungen auf die palästinensische Zivilbevölkerung zu berichten. Der in Katar ansässige Nachrichtensender hatte die israelische Politik schon seit Langem kritisiert; umgekehrt hat Israel Al Jazeera bestenfalls als journalistisches Ärgernis betrachtet. Dennoch erlaubte Israel AJ bis vor Kurzem, innerhalb des Landes zu berichten und zu senden. Wie es AJ seit dem Angriff vom 7. Oktober ergangen ist, ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die zahlreichen Herausforderungen, denen sich Medienschaffende in Gaza gegenübersehen.

Auch die Mitarbeiter*innen von Al Jazeera blieben von der Gewalt nicht verschont, die so vielen anderen Journalist*innen das Leben kostete. Im Dezember berichteten der Leiter des AJ-Büros in Gaza, Wael Al-Dahdouh, und sein Kameramann Samer Abu Daqqa über einen israelischen Luftangriff auf die Haifa-Schule in Khan Younis. Während sie am Ort des Geschehens arbeiteten, schlug erneut eine israelische Drohne in die Schule ein und verletzte die beiden schwer – obwohl sie anhand ihrer Pressewesten als Journalist*innen identifizierbar waren und in der Nähe der Übertragungsgeräte standen. Al-Dahouh konnte fliehen, um medizinische Hilfe zu holen. Aber die Krankenwagen erreichten den Kameramann nicht, der stark blutete. Al Jazeera erklärte, dies sei ein weiteres Beispiel dafür, dass Israel »systematisch Journalist*innen ins Visier nimmt und tötet« (Jeffery 2023). Al-Dahouh hatte zuvor vier nahe Angehörige durch israelische Angriffe verloren. Im folgenden Monat tötete Israel eines seiner verbliebenen Kinder, ebenfalls ein Journalist. Hamza al-Dahdouh arbeitete wie sein Vater als Reporter und Kameramann bei AJ. Er befand sich mit anderen Journalist*innen in einem Auto in einem Gebiet, das Israel zur sicheren »humanitären Zone« erklärt hatte. Der freiberufliche Journalist Mustafa Thuraya wurde ebenfalls getötet, ein dritter, Hazem Rajab, wurde verstümmelt (Khalil 2023). Israel erklärte, der Angriff sei »von Truppen« am Boden ausgeführt worden, weil die Reporter »eine Drohne betrieben und eine Bedrohung für unsere Soldat*innen darstellten«. Die Washington Post veröffentlichte Videoaufzeichnungen, die die palästinensische Thuraya-Drohne vor dem israelischen Angriff gemacht hatte. Daraus ging hervor, dass die Aufnahmen rein journalistischen Zwecken dienten und keine militärische Relevanz hatten (RSF 2024). Drohnenbilder nutzen palästinensische Kameraleute und andere häufig, um das Ausmaß der Zerstörung zu zeigen. Im Februar wurden zwei weitere AJ-Journalisten, der Reporter Ismail Abu Omar und der Fotojournalist Ahmed Matar, durch einen israelischen Drohnenangriff schwer verletzt. Sie wurden getroffen, als sie mit dem Motorrad unterwegs waren und ihre PRESS-Schutzwesten trugen (CPJb 2024).

Israelische Sprecher wiesen den Vorwurf zurück, dass die Angriffe auf AJ vorsätzlich waren. Mark Regev, leitender Berater von Premierminister Netanjahu, behauptete, »Israel zielt nicht absichtlich auf Journalist*innen«. Er nannte dies eine »lächerliche« Anschuldigung, da »wir das einzige Land [in der Region] sind, in dem die Pressefreiheit tatsächlich verankert ist« (Khalil 2024). Der Zeitpunkt dieser Angriffe wirft allerdings Fragen auf. Israels Kommunikationsminister Shlomo Karhi hatte Ende Oktober 2023 versucht, AJ auszuweisen. Karhi sagte dem israelischen Armeeradio: »Das ist ein Sender, der aufhetzt; das ist ein Sender, der Truppen in Versammlungsräumen filmt, […] der gegen die Bürger Israels aufhetzt.« Er bezeichnete ihn als »Propagandasprachrohr« (Reuters 2023). Allerdings hatte Karhi das Problem, dass die gesetzliche Lage unklar war. Deshalb verabschiedete die Knesset im April ein Notstandsgesetz, das es der Regierung ermöglichte, ausländische Nachrichtenmedien, die die nationale Sicherheit bedrohten, zu schließen. Auf Grundlage dieses neuen Gesetzes schloss sie nicht nur das provisorische Büro von AJ in Israel, sondern ging noch weiter: Die Ausrüstung des Senders wurde beschlagnahmt, der Sender von den israelischen Fernsehsendern ausgeschlossen, und seine Website sollte gesperrt werden – all dies waren extremere Schritte, als sie Israel jemals zuvor gegen AJ unternommen hatte (Goldenberg/Gambrell 2024). Das Verbot sollte zunächst für 45 Tage gelten, konnte aber verlängert werden. Wie gesetzlich vorgeschrieben, überprüfte ein Bezirksgericht die Maßnahmen. Es las Schriftsätze, die von Regierungsstellen eingereicht worden waren und der Geheimhaltung unterlagen, und befand, dass AJ die Kriegsanstrengungen der Regierung gefährde, indem es die Standorte der Truppen veröffentliche und eine Propagandafunktion für die Hamas erfülle. Da AJ jedoch keine Möglichkeit hatte, das Verbot rechtlich anzufechten, entschied der Richter, dass es von den 45 Tagen, die angeordnet worden waren, auf 35 Tage verkürzt werden sollte (Sharon 2024).

Verzerrungen in der westlichen Medienberichterstattung?

Ist es möglich, dass die israelischen Pressebeschränkungen zu einer eher pro-isrealischen Berichterstattung geführt haben, oder hat sich das Ganze ins Gegenteil verkehrt? Erste Forschungsarbeiten zur US-Medienberichterstattung über den Gazastreifen zeigen ein deutliches Muster pro-israelischer Voreingenommenheit. Eine Untersuchung der wichtigsten Zeitungen durch Adam Johnson und Othman Ali (2024) ergab ein dramatisch einseitiges Bild bei den angesehensten Presseorganen des Landes. In der New York Times, der Washington Post und der Los Angeles Times wurde »israelisch« oder »Israel« in der Regel weit häufiger in den Nachrichten erwähnt als »palästinensisch« oder Ableitungen dieses Wortes, »selbst wenn die Zahl der palästinensischen Todesopfer die der israelischen bei weitem übertraf«. Entschieden urteilende Wörter wie »Gemetzel«, »Massaker« und »entsetzlich« wurden fast ausschließlich für die Morde an israelischen Zivilist*innen benutzt. Wenn es um Schlagzeilen über getötete oder verletzte Kinder ging, fanden junge palästinensische Opfer kaum Erwähnung – nur zweimal in mehr als 1.100 Nachrichtenartikeln, die vom 7. Oktober bis zum 25. November veröffentlicht wurden, einem Zeitraum, in dem das israelische Militär 6.000 Kinder in Gaza tötete.

In einer Reihe von Infografiken über US-Zeitungen illustrierte die Pulitzer-Preisträgerin Mona Chalabi Daten, die zeigen, wie große Zeitungen das Leben von Palästinenser*innen abwerteten (Chalabi 2023). Aus einem ihrer Diagramme wird ersichtlich, dass die New York Times zwischen dem 7. und 22. Oktober 2023 israelischen Todesopfern unverhältnismäßig mehr Aufmerksamkeit schenkte als palästinensischen. Im Durchschnitt kam auf jeden israelischen Todesfall ein Artikel, ein Verhältnis von eins zu eins. Damit war diese Quote viermal so hoch wie bei palästinensischen Todesfällen. Ähnlich unausgewogen waren die Ergebnisse auch in der Washington Post. Das Wall Street Journal wies sogar ein noch größeres Ungleichgewicht auf: Auf 17 getötete Palästinenser*innen kam hier nur ein einziger Bericht über palästinensische Tote. Ein israelisches Leben schien schlicht mehr Nachrichtenwert zu haben als ein palästinensisches.

Die Fernsehnachrichten schnitten nicht besser ab. In einer von mir durchgeführten Studie über die sonntäglichen Nachrichten-Talkshows auf NBC, CBS, ABC und FOX fanden sich ähnliche Muster bei der Diskussion mit Studiogästen über Gaza (Youmans 2024). Diese politischen Talkshows besetzen zwar eher eine Nische und haben auch keinen so starken Einfluss auf die Nachrichtenagenda wie früher. Trotzdem haben sie immer noch ein größeres Publikum als Kabelsender und nehmen Einfluss auf die Debatten, die sich in den nachrangigen Nachrichtenmedien abspielen. Diese Shows haben sich von der traditionellen journalistischen Norm der Ausgewogenheit entfernt. In Sendungen wie Meet the Press (NBC), Face the Nation (CBS), This Week (ABC) und Fox News Sunday (FOX) waren weitaus mehr pro-israelische als pro-palästinensische Gäste zu sehen. Daher war es keine Überraschung, dass beim Thema Gaza in den mehr als 50 Sendungen, die ich zwischen dem 8. Oktober 2023 und Mitte Januar 2024 analysiert habe, weitaus mehr pro-israelische Argumente zur Sprache kamen. Überraschenderweise waren die Hauptakteure dieses einseitigen Diskurses US-Beamte und -Sprecher*innen wie Außenminister Anthony Blinken oder der Sprecher für nationale Sicherheit des Weißen Hauses, John Kirby.

Es gab scharfe Kritik an den Medien. Sie warf ein Schlaglicht auf die Sprachmuster, die auf Voreingenommenheit hindeuten. Ein Teil dieser Kritik konzentrierte sich auf die Diskrepanz zwischen aktiven und passiven Formulierungen. Dieses Framing führt entweder dazu, Handlungsfähigkeit und damit Verantwortung hervorzuheben oder aber sie zu verschleiern. Dies zeigt sich häufig in Überschriften: Wenn die Hamas angreift, wird darüber in der Regel im Aktiv berichtet; wenn Israel angreift, wird dies gewöhnlich im Passiv dargestellt. Diese Beobachtung ist nicht neu. Nathan Robinson stellte ein ungewöhnliches Muster in Nachrichtenberichten über Israel fest: »Menschen scheinen gewaltsam zu sterben, aber niemand scheint sie jemals zu töten« (Robinson 2018). Eine noch frühere Untersuchung machte dieselbe Beobachtung bereits im Jahr 2001 (Fraitekh 2001). Johnson und Ali (2024) hoben eine passiv formulierte Schlagzeile der New York Times hervor, um diesen Trend zu verdeutlichen: In dem Bericht vom 18. November, den sie als »Times‘ most sympathetic profile of Palestinian deaths in Gaza« [stärkste Äußerung von Mitgefühl der Times für die Todesopfer in Gaza] einstuften, verbarg die Schlagzeile gleichwohl den Täter: »Der Krieg verwandelt Gaza in einen ›Friedhof‹ für Kinder«. Selbst wenn Israel in einer Schlagzeile auftaucht, ist die Headline so formuliert, dass es sich um eine »Explosion«, eine »Bombe« oder ein anderes unbelebtes Objekt handelt, dem die Verantwortung zugeschrieben wird. In einem Bericht vom 8. Juni 2024 (»Israel Rescues 4 Hostages in Assault That Killed Scores of Gazans«) handelt es sich bspw. um einen »Angriff« (assault), der zahlreiche Palästinenser*innen tötete.

Trotz des überwältigend einstimmigen Tenors dieser Ergebnisse lassen sie nicht den Schluss zu, dass die israelischen Pressebeschränkungen die Haupt- oder gar einzige Ursache für diese redaktionelle Voreingenommenheit waren. Erstens kann man aus dieser Korrelation nicht auf einen Kausalzusammenhang schließen. Zweitens ist es wahrscheinlich, dass andere Erklärungen stärker ins Gewicht fallen. So zeigen Forschungsarbeiten zum Verhältnis von Medien und Außenpolitik, dass Mainstream-Nachrichtenorganisationen dazu neigen, die politischen Präferenzen der eigenen eigenen Regierung widerzuspiegeln und sich an den Ansichten der politischen Elite zu orientieren (Bennett 1990). Drittens hat die israelische Politik, die den Zugang der Nachrichtenmedien zum Gazastreifen einschränkt, vielleicht ein bereits bestehendes redaktionelles Ungleichgewicht verschärft, das durch die Überrepräsentation israelischer Perspektiven und die Unterrepräsentation der Palästinenser*innen gekennzeichnet ist. Dies deutet darauf hin, dass die redaktionelle Dynamik im Zusammenspiel mit der Nachrichtenpolitik auch dann zu denselben Mustern geführt hätte, wenn amerikanische Reporter*innen sich frei in Gaza hätten bewegen können. Ähnliche institutionelle Muster legen nahe, dass ein systematisches Ungleichgewicht unvermeidlich war. Zum Beispiel führte CNN im Juni 2024 keine Interviews mit der Hamas. Der Sender hat aber nie ein offizielles Verbot für Gespräche mit Hamas-Vertreter*innen verkündet. Kein einziges Interview mit einer Schlüsselpartei in einem Krieg zu führen, der zweifellos das wichtigste journalistische Thema der Jahre 2023 und 2024 war, während die israelische Führung und israelische Sprecher*innen in unzähligen Interviews zu Wort kamen, ist eine redaktionelle Entscheidung, die nichts mit der Frage des Zugangs zu tun hat. Sie ist letztlich journalistisch unverantwortlich, da man wohl nie versucht hat, einen solchen Zugang zu erhalten. Die Ausblendung der Hamas durch CNN ging sogar noch weiter. Die internen Richtlinien von CNN untersagten die Verwendung von Videomaterial der Hamas »unter allen Umständen, es sei denn, die Redaktionsleitung hat dies genehmigt« (McGreal 2024). Es gab keine derartige Richtlinie für Material, das die israelische Regierung dem Sender zur Verfügung stellte.

Fazit

Tausende Reporter*innen, die im Oktober 2023 nach Israel kamen, konnten die Grenze nach Gaza nicht überqueren und mussten stattdessen von außen berichten. Dazu brauchten sie lokale freie Mitarbeiter*innen, Fixer und Stringer, die ihnen unter großem persönlichem Risiko zur Seite stehen. Die einzige Möglichkeit, die Geschehnisse in Gaza aus eigener Sicht zu schildern, bestand für die Reporter*innen darin, sich dem Militär als eingebettete Journalist*innen anzuschließen. Israel rechtfertigte den Ausschluss von Journalist*innen mit deren Sicherheit – eine Behauptung, die die Nachrichtenorganisationen jedoch zurückwiesen. Trotzdem hat Israel zahlreiche palästinensische Reporter*innen und andere, nicht-eingebettete Medienmitarbeiter*innen in Gaza, verletzt und getötet. Mag sein, dass Israel ihre Sicherheit tatsächlich nicht garantieren konnte, doch die größere Bedrohung ergab sich wahrscheinlich aus Israels großflächigen Bombardierungen.

Trotz der tiefgreifenden Einschränkungen für die Berichterstattung konnte die Öffentlichkeit auf nicht-traditionelle Quellen zurückgreifen, die die traditionelle Informationsarbeit der Medien ergänzen (zum Beispiel NGOs, Soziale Medien und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen), um zu verstehen, was in Gaza geschah. Diese sind kein Ersatz für professionellen Journalismus, mit seiner Methode der Triangulation, der Verwendung zuverlässiger Quellen und der grundlegenden Verpflichtung zur Überprüfung der Fakten. Dennoch konnten viele Menschen in der westlichen Öffentlichkeit das Gefühl haben, selbst aus der Ferne in den Krieg »einzutauchen«, weil sie Zugang zu unzensierten Bildern und Tönen von Nicht-Journalist*innen vor Ort hatten. So kippte die öffentliche Meinung in den USA, vor allem die der jüngeren Generation, viel schneller in Richtung Kriegskritik als der Tenor der Berichterstattung und der Leitartikel. Diese blieben insgesamt zu sehr in den Ansichten der politischen Elite verankert und gingen zu sehr mit den Wünschen der Zensoren konform.

Über den Autor

William Lafi Youmans ist außerordentlicher Gastprofessor an der Northwestern University in Katar und an der School of Media and Public Affairs der George Washington University. Sein Buch Unlikely Audience: Al Jazeera’s Struggle in America (Oxford UP) schildert die Bemühungen des katarischen Nachrichtensenders, auf dem US-amerikanischen Nachrichtenmarkt Fuß zu fassen. Kontakt: wyoumans@gwu.edu

Literatur

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Chalabi, Mona [@monachalabi] (2023): The New York Times has consistently mentioned Israeli deaths more often than Palestinian deaths… [Instagram], veröffentlicht am 19. Oktober 2023, online unter https://www.instagram.com/p/Cyl9HR7O4ap/?hl=en (6. Juni 2024)

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Fussnoten

1 Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, ob parlamentarische Maßnahmen angemessen sind, haben jedoch traditionell großes Gewicht. Als die Knesset Anfang 2023 ein Gesetz verabschiedete, das die Befugnis des Gerichts, Maßnahmen der Regierung für »unverhältnismäßig« zu erklären, aufhob, löste sie monatelange massive Proteste aus, die größten in der Geschichte Israels.

2 Ägypten bestreitet, dass das Presseverbot ausschließlich auf sein Ermessen zurückzuführen ist. Als er Ende Oktober dazu befragt wurde, sagte ein hochrangiger ägyptischer Beamter »it was the Israeli military stopping journalists from entering« (Rufo/Gritten 2024).