Rezensiert von Rudolf Thomas Inderst
Die Digitalspielindustrie erlebt herausfordernde Zeiten und sendet widersprüchliche Signale: Einerseits ertönen triumphale Erfolgsmeldungen wie die Tatsache, dass 2023 insgesamt 19 Smartphone-Spiele den »Sprung über die Umsatzmilliarde in Dollar seit dem Launch« (Kleffmann 2024) geschafft haben. Andererseits werden Hiobsbotschaften vermeldet: Über 9.000 Digitalspiel-Entwickler:innen verloren im vergangenen Jahr ihren Arbeitsplatz (Barislowitsch 2023).
So vielfältig sich die Digitalspiel-Industrie zeigt, so unterschiedlich manifestiert sich der dazugehörige Fachjournalismus. Die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Buches über Digitalspiel-Journalismus kommt daher im genau richtigen Augenblick. Denn nachdem Ende 2023 bereits das langjährige Print-Spielemagazin GamePro und auch Games Aktuell eingestellt werden mussten, kochte die Debatte über die Krise im Digitalspiel-Journalismus wieder hoch. So konstatierte taz-Autor Martin Seng: »Die technikaffine Berichterstattung vernachlässigt aber oft die politischen und kulturellen Aspekte, die das Medium mit sich bringt. Themen wie Rechtsextremismus im Gaming, der wachsende Brancheneinfluss Chinas, russische Spiele-Propaganda oder auch unreflektierter US-Patriotismus sind im Gaming-Journalismus nur Randerscheinungen« (Seng 2024). Plötzlich stand damit erneut die Forderung nach einer kulturkritischeren Form des Digitalspiel-Journalismus im Raum. Die Reaktion sollte nicht ausbleiben – so konterte Petra Fröhlich, Chefredakteurin des B2B-Onlinemagazins GameWirtschaft: »Dabei müsste man doch irgendwann mal zur Kenntnis nehmen, dass der feuilletonistische Edelfeder-Ansatz analog zum real existierenden Sozialismus gescheitert ist. Immer und immer wieder. Von der Nachfrage nach einer solchen Dienstleistung könnten grob geschätzt keine 20 Leute auskömmlich (sprich: hauptberuflich) leben – in ganz Deutschland« (Fröhlich 2024).
Um die geschichtlich gewachsenen Zusammenhänge innerhalb des Digitalspiel-Journalismus besser verstehen zu können, eignet sich das kürzlich bei Springer VS erschienene Handbuch Game-Journalismus von Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe ausgezeichnet. Es wendet sich als Recherchekompendium an Journalist:innen und Digitalspiel-Forscher:innen sowie interessierte Spieler:innen. Auf rund 340 Seiten bietet der Band insgesamt 23 Beiträge, die in die Kapitel »Grundlagen des Game-Journalismus«, »Berichterstattungsgegenstände des Game-Journalismus«, »Anlässe der Berichterstattung«, »Berufsfelder im Game-Journalismus«, »Spannungsfelder des Game-Journalismus« und schließlich »Recherche« aufgeteilt sind. In einem Interview zur Konzeption des Bandes befragt, äußerte sich Herausgeber Bigl wie folgt: »Für das Handbuch haben wir uns […] für eine Struktur entschieden, die man auch wiederfindet, wenn man andere Medien analytisch betrachtet«; weiterhin sei auffallend, »wie wenig fundierte Darstellungen es zum Game-Journalismus gibt« (Inderst 2024). Damit hat Bigl recht – die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Feld blieb bislang eher spärlich.
Die Bandbreite der Beitragenden verdeutlicht beispielhaft die inhaltliche Vielfalt des Buches: So versucht der langjährige Journalist Andreas Garbe in seinem Aufsatz »Quotenbringer und Prügelknabe« nachzuweisen, weshalb sich die Berichterstattung über PC- und Videospiele in den General-Interest-Medien in den letzten Jahren ausgerechnet durch den (Ex-)US-Präsidenten Donald Trump zu normalisieren beginnt. Jochen Koubek wiederum, Professor in Bayreuth im einzigen universitären Masterstudiengang zur Digitalspiel-Forschung Deutschlands, thematisiert in seinem Beitrag Verkäufe, Subskriptionen, Transaktionsgebühren und Advertising als vier Formen der Monetarisierung für Digitalspiele. Damit zeigt er auf, wie Digital-Game-Studies-Forschung und Berichterstattung thematisch eng geführt zielführend miteinander arbeiten können. Die Herausgeber präsentieren im Handbuch Game Journalismus eine übersichtliche, zugängliche und qualitativ hochwertige Einführung in die Grundlagen, Entwicklung und Herausforderungen des wissenschaftlichen Fachgebiets sowie aktuelle Trends und Herausforderungen für Journalist:innen und Spieler:innen. Durch umfassende Reflexionen zu den Spannungsfeldern, denen Digitalspiel-Journalist:innen gegenüberstehen, bieten Bigl und Stoppe sowohl wissenschaftliche als auch praxisorientierte Einblicke in die längst überfällige Erforschung des Fachfeldes.
Über den Autor
Dr. phil. Dr. rer. cult. Rudolf Thomas Inderst, M.A. ist Ressortleiter für Digitalspiele beim Online-Journal »Titel kulturmagazin« und Professor für Game Design an der IU Internationale Hochschule mit dem Schwerpunkt Digital Game Studies. Er ist Gründer und Host des Podcasts »Game Studies« bei New Books Network und editiert den wöchentlichen Newsletter »DiGRA D-A-CH Game Studies Watchlist«. Kontakt: rudolf.inderst@googlemail.com
Literatur
Barislowitsch, Nils (2023): Bericht: 2023 haben über 9.000 Entwickler ihren Arbeitsplatz verloren. In: Shock 2. https://mag.shock2.info/bericht-2023-haben-ueber-9-000-entwickler-ihren-arbeitsplatz-verloren/
Fröhlich, Petra (2024): Clickbait (Fröhlich am Freitag). In: GamesWirtschaft. https://www.gameswirtschaft.de/meinung/froehlich-am-freitag-2024-05-clickbait/
Inderst, Rudolf (2024): Über das Schreiben über Spiele schreiben. Im Gespräch mit Benjamin Bigl. In: Nahaufnahmen. https://www.nahaufnahmen.ch/2024/02/12/ueber-das-schreiben-ueber-spiele-schreiben/
Kleffmann, Michael (2024): 19 Mobile Games knackten 2023 die Umsatzmilliarde. In: Gamesmarkt. https://www.gamesmarkt.de/publishing/neue-umsatzmilliardaere-19-mobile-games-knackten-2023-die-umsatzmilliarde-16f283b867c4099e15806748cc1cb740
Seng, Martin (2024): Neue Clickbait-Opfer. In: taz.de, 30.1.2024. https://taz.de/Krise-der-Gaming-Magazine/!5985738/
Diese Rezension erschien zuerst am 29. Oktober 2024 auf rezensionen:kommunikation:medien, abrufbar unter: https://www.rkm-journal.de/archives/25171
Über diesen Titel
Benjamin Bigl, Sebastian Stoppe (Hrsg.) (2024): Game-Journalismus. Grundlagen – Themen – Spannungsfelder. Ein Handbuch. Wiesbaden: Springer VS, 343 Seiten, 139,99 Euro.