Von Sophie Wannenmacher
Abstract: Wie verständlich sind TV-Nachrichten? Für diesen Beitrag wurden dreißig Nachrichten-Meldungen analysiert, die zwischen November 2022 und Dezember 2022 gesendet wurden. Die analysierten Meldungen und Moderationen stammen aus folgenden Nachrichtensendungen: 20 Uhr-Ausgabe der tagesschau im Ersten (ARD), Sat.1 Abendnachrichten (der neue Name lautet seit Juni 2023 :newstime [vgl. Weis 2023]), RTL Aktuell, logo! im Kinderkanal und heute im ZDF um 19 Uhr. Neben Untersuchungen anhand dreier Verständlichkeitsmodelle wurden auch das Sprechtempo und weitere sprachliche Parameter im Detail analysiert und miteinander verglichen. Die Analysen zeigen, dass logo! und heute die beiden verständlichsten Sendungen sind. Danach folgen die Sat.1 Nachrichten und RTL Aktuell. Die tagesschau ist im Durchschnitt und innerhalb des beobachteten Zeitraums am wenigsten verständlich.
Dieser Beitrag basiert auf einer unveröffentlichten Masterarbeit im Studiengang Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität Berlin.
Keywords: TV-Nachrichten, Nachrichtenrezeption, Nachrichtensprache, Verständlichkeit, Moderation
Einleitung
Nachrichten bringen Menschen auf den aktuellen Stand der Wissens- und Informationsgesellschaft. An politischen Debatten können sich Bürger und Bürgerinnen erst auf der Basis vielfältiger Informationen umfangreich beteiligen.
Laut den ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2023 konsumieren 79 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich lineares Fernsehen (ARD/ZDF-Forschungskommission 2023). Ihrer großen Reichweite wegen ist zu vermuten, dass Nachrichten Einfluss auf den Sprachgebrauch haben.
Die Frage, wie verständlich TV-Nachrichten in Deutschland sind, wird schon lange diskutiert. Verschiedene Artikel thematisierten in den vergangenen Jahrzehnten die Sprache der Nachrichten mitunter kritisch. »TV-Nachrichten unverständlich?«, schrieb der Spiegel bereits im Jahr 1976 und bezog sich dabei auf eine Untersuchung der Universität Tübingen (unbekannt 1976). »Zuschauer verstehen tagesschau nicht mehr«, schrieb die Welt im Jahr 2007 (Welt 2007). »Sprache in der tagesschau. Das unverständliche Ritual« titelte die Süddeutsche Zeitung 2008 (Stolzenberg 2008). Die Zeit schrieb 2023: »Die tagesschau ist eine sehr schlechte Sendung, deshalb muss sie viel länger dauern«, und kritisierte dabei eine hohe Informationsdichte und unverständliche Sprache (Mayr 2023).
Auch wissenschaftliche Publikationen untersuchten die Sprache der Nachrichten. Der Linguist und Medienwissenschaftler Erich Straßner analysierte 1971 die Sprachstrukturen der Nachrichten von fünf Rundfunksendern (Bayerischer Rundfunk, Deutschlandfunk, Norddeutscher Rundfunk, Südwestfunk und Deutschlandsender des DDR-Rundfunks) und kam zu dem Ergebnis: »Die Rundfunknachrichten werden in ihrer jetzigen [1971], historisch entwickelten sprachlichen Form ihrer Funktion, die breite Öffentlichkeit über die aktuellsten Sachverhalte zu informieren, nicht gerecht.« (Böhm et al. 1972: 169) Nachrichten sollten nicht nur die »Ober- und Mittelschicht« erreichen, sondern auch in Umgangs- oder Alltagssprache für die sogenannte Unterschicht rezipierbar sein (Böhm et al. 1972: 170). Werner Früh fand in seiner Studie 1980 heraus, dass »Leser, die bereits alle geistigen Fähigkeiten mobilisieren müssen, um die grundlegenden Zusammenhänge zu erkennen«, keine Energiereserven haben, die das Textverständnis unterstützen könnten (Früh 1980: 216). Daraus leitete er drei Kategorien ab, die die Erinnerungsleistung bestimmen: verständlich – unverständlich, interessant – uninteressant, anstrengend – leicht. Ein Text mit vielen Fachwörtern wird dementsprechend sehr wahrscheinlich schlecht verstanden (vgl. Früh 1980: 216ff.).
Bis in die Gegenwart zieht sich die Debatte darüber, wie verständlich Nachrichten sind und was Verständlichkeit ausmacht. Eine Umfrage in Deutschland aus dem Jahr 2003 ergab, dass 88 Prozent der Zuschauenden nicht jedes Wort der tagesschau verstehen (vgl. presseportal.de 2003). Eine ähnliche Umfrage veröffentlichte im Jahr 2007 TNS Emnid im Auftrag der Programmzeitschrift TV Digital: Die Befragten kannten zwar die vorgelegten Begriffe aus der tagesschau, konnten sie jedoch nicht näher erklären (vgl. presseportal.de 2007). Steffen-Peter Ballstaedt stellte unter anderem fest, dass tieferes Verstehen nicht durch die optimale Verständlichkeit eines Textes entsteht, sondern besonders durch die Motivation und die kognitiven Ressourcen auf der Empfängerseite. Da die Seite des Empfängers oder der Empfängerin aber nicht von Nachrichtenschaffenden beeinflusst werden kann, müssen diese besonders darauf achten, dass Texte in sich schlüssig, klar aufgebaut und auf Anhieb gut verständlich sind (vgl. Ballstaedt 2019: 162f.). Ein Jahr später untersuchte Alexandra Hofstätter das Sprachniveau von tagesschau, heute, RTL Aktuell, Sat.1 Nachrichten sowie RTL II News. Sie kam zu dem Ergebnis: Das Sprachniveau von heute befindet sich zwischen dem der tagesschau und dem der Nachrichtensendungen von Sat.1 und RTL. Die privaten Sender bedienten sich oft affektiver Sprachmittel, nutzten Verstärker und gestalteten die Texte eher im Erzählstil (vgl. Hofstätter 2020: CCLXXXIX).
Der Anspruch sprachlicher Verständlichkeit ist in Nachrichtenredaktionen zwar präsent, er wird in der finalen Revision der Nachrichtenbeiträge und -moderationen auch regelmäßig angesprochen und diskutiert. Allerdings gibt es in Redaktionen kaum standardisierte oder gar wissenschaftliche Verfahren zur Evaluation der Verständlichkeit. Diesen Eindruck schildert auch Mitri Sirin, Moderator der Sendung heute, in einem vorab geführten Interview für diesen Beitrag:
»Ich sehe nur: Das ganze System steht unter extremen Spannungen, aus verschiedensten Gründen, und die Verständlichkeit von Nachrichten kommt erst mal ganz hinten, glaube ich. Die [Verständlichkeit] spielt dabei eine untergeordnete Rolle, und das ist aber eigentlich falsch, weil dein eigentliches Ziel oder deinen Zielauftrag musst du erst mal erfüllen – nämlich wirklich verständliche Nachrichten liefern.« (Interview vom 20.11.2022)
Untersuchungen zeigen, dass das Verstehen von Medienbotschaften wie beispielsweise Nachrichten eine aktive Handlung ist. Der Rezipient, die Rezipientin muss sich auf das Thema einlassen. Er oder sie muss mit der Medienaussage interagieren, damit ein mentales Aktionsmodell entsteht (vgl. Bonfadelli/Friemel 2017: 112). Neben textlichen Merkmalen sind prosodische Merkmale beim Interpretieren gesprochener Texte nicht zu vernachlässigen. Die Sprechenden können die Informationsrezeption positiv beeinflussen, indem sie Intonation und Pausengestaltung so anlegen, dass syntaktische Grenzen und zueinandergehörige Informationen markiert und verdeutlicht werden. Akzentuierung und Variation der Sprechgeschwindigkeit können helfen, wichtige neue Informationen von weniger wichtigen früheren Informationen zu unterscheiden. Ein lebhafter Wechsel zwischen mäßig kurzen und mäßig langen Sätzen erscheint optimal (vgl. Schneider 2001: 141). Texte, die zum Hören geschrieben werden, sollten anders formuliert sein als Texte zum Lesen (vgl. Dürscheid/Sendlmeier 2005: 1f.). Sie müssen so geschrieben sein, dass sie auf Anhieb verstanden werden, denn anders als beim Lesen kann das Publikum den Satz nicht so einfach noch einmal hören. Hinzu kommt, dass die Moderator:innen weitersprechen – Zuschauende können also nicht pausieren, um über das Gesagte nachzudenken (vgl. La Roche 2017: 12f.).
Förderlich für die Verständlichkeit eines Textes ist auch die semantische Redundanz, das wiederholende Umschreiben von Textaussagen, neuen Informationen und Begriffen. Dies gilt allerdings nur, solange die übergeordnete Aussage nicht verloren geht (vgl. Maaß/Rink 2018: 131). Ebenfalls kann die Verständlichkeit erhöht werden, indem Kohärenzrelationen zwischen Sätzen und Satzteilen hergestellt werden, also Verknüpfungen von Ursache und Wirkung, von Problem und Lösung (vgl. Maaß/Rink 2018: 134). Referenzielle und kausale Relationen führen zu schnellerem Textverstehen und leichterem Behalten neuer Information.
Es gibt allerdings kein für alle Rezipient:innen einheitliches Optimum, denn die Verständlichkeit von Texten ist immer auch abhängig von interindividuellen Unterschieden, wie Vorwissen oder kognitiven Ressourcen. Die Sensibilität für die Gestaltung verständlicher Texte, die »language awareness«, sollte in den Nachrichtenredaktionen alltägliche Praxis sein und nie vernachlässigt werden (Maaß/Rink 2018: 155).
Umgekehrt kann vieles das Verstehen erschweren: Mangelhaft formulierte Moderations- und Beitragstexte in Kombination mit unpassenden oder verwirrenden Bildern beeinträchtigen das Verstehen; wie auch Lernschwierigkeiten, Leseschwäche, geringe Deutschkenntnisse, akustische Hörschwächen, Demenz und andere Beeinträchtigungen (vgl. Köhler 2020: 300). Deshalb gibt es vereinfachte Varianten des Sprachgebrauchs: Leichte Sprache und Einfache Sprache. Leichte Sprache hat den geringsten Schwierigkeitsgrad. Sie richtet sich vor allem an Menschen mit Lernschwierigkeiten, Demenz, geistigen Behinderungen oder geringen Deutschkenntnissen (vgl. GfdS 2022; Klein 2024). Für Texte in Leichter Sprache werden einfache und beschreibende Wörter verwendet, Fach- und Fremdwörter kommen selten vor und werden gegebenenfalls erklärt. Seltene Begriffe werden in der Leichten Sprache wiederholt, Synonyme und nicht geläufige Abkürzungen vermieden. Der Nominalstil wird umgangen, die aktive Form wird gegenüber der passiven Form bevorzugt, positive Formulierungen ersetzen Verneinungen (vgl. Bundesarbeitsministerium 2018: 32). Die Sätze bestehen aus vier bis sechs Wörtern und enthalten nur eine Aussage, zum Beispiel »Peter geht es gut« (vgl. Klein 2024). Einfache Sprache richtet sich an alle Menschen, vor allem aber an Menschen mit mehr kognitiven Ressourcen oder besseren Deutschkenntnissen. Sie verwendet einen größeren zulässigen Wortschatz und lässt komplexere Sätze zu, die mehr als eine Aussage enthalten können, zum Beispiel »Peter geht es gut, weil er ausschlafen konnte« (vgl. GfdS 2022; vgl. Klein 2024).
Für Menschen mit Einschränkungen gelten in Bezug auf die Barrierefreiheit mehrere Rechtsnormen. Laut dem Medienstaatsvertrag muss das barrierefreie Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender stetig ausgeweitet werden (vgl. Medienstaatsvertrag 2020, § 7 (1); Stein 2021: 9). Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt den Vertragsstaaten in Artikel 21, Absatz d) vor, dass sie öffentlich-rechtliche wie auch private Sender »dazu auffordern [müssen], ihre Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu gestalten« (UN-Behindertenrechtskonvention 2008). In Annäherung an diese Anforderung unterhält der Deutschlandfunk beispielsweise das Format Nachrichtenleicht (vgl. nachrichtenleicht.de 2024). Die ARD sendet seit Juni 2024 die tagesschau auch in Einfacher Sprache. Außerdem können zum Beispiel Untertitel in der ARD-Mediathek eingeblendet werden, und es gibt ausgewählte Formate, darunter auch die tagesschau in Gebärdensprache. Die ProSiebenSat.1 Group bietet ausgewählte Sendungen mit Untertiteln, in Gebärdensprache oder mit Audiodeskription an, sowie in Leichter Sprache (vgl. Barrierefreiheit in SAT.1 2022). Auch das ZDF stellt Inhalte mit Untertiteln und in Gebärdensprache zur Verfügung. Hinzu kommt bei ZDF und ARD das Tonangebot Klare Sprache, bei dem eine Tonspur mit erhöhter akustischer Sprachverständlichkeit bereitgestellt wird (vgl. Barrierefreie Angebote ZDF 2024). RTL bietet vereinzelt Sendungen mit Untertiteln oder Audiodeskription an (vgl. RTL Group 2023).
Methode
Dieser Beitrag untersucht die Frage: Wie verständlich ist der Inhalt ausgewählter deutscher Fernsehnachrichten im Abendprogramm? Auch die folgenden Unterfragen werden behandelt:
- Inwiefern wirken sich unterschiedliche Parameter der Textgestaltung auf die Verständlichkeit der Texte aus?
- Wie verständlich sind die ausgewählten Nachrichtenbeiträge und -moderationen im Vergleich?
- Wie und wodurch unterscheiden sich die analysierten Sendungen sprachlich voneinander?
Mithilfe linguistischer Analysen und dreier Textverständlichkeitsmodelle wurde ermittelt, welche Faktoren Verständlichkeit herstellen.
Das Fundament der empirisch-qualitativen Forschung für diesen Beitrag sind 30 Nachrichtenbeiträge, die vom 11. November 2022 bis zum 11. Dezember 2022 gesendet wurden. Bei der Auswahl der zu analysierenden Beiträge wurde darauf geachtet, dass diese möglichst von unterschiedlichen Reporter:innen gestaltet und von unterschiedlichen Moderator:innen anmoderiert wurden. Die ausgewählten Sendungen sollten einander in vier Punkten ähnlich sein: Sendezeit, Format, Sendelänge und inhaltlicher Anspruch. Die ausgewählten Nachrichtensendungen sind:
- logo! um 19:50 Uhr im KiKA
- RTL Aktuell um 18:45 Uhr auf RTL
- Sat.1 Nachrichten um 19:55 Uhr auf Sat.1
- tagesschau um 20:00 Uhr im Ersten
- heute um 19:00 Uhr im ZDF
Die folgenden sechs Themen wurden von allen Sendungen behandelt und deshalb für die Analyse ausgewählt:
- Nachricht 1: Mögliche Aufhebung der Corona-Quarantänepflicht, 11.11.2022
- Nachricht 2: Abschluss der Klimakonferenz in Sharm El Sheikh, 18.11.2022 (Ausnahme logo! 17.11.2022)
- Nachricht 3: Erdbeben in Indonesien, 21.11.2022
- Nachricht 4: Oliver Bierhoff verlässt den DFB, 6.12.2022
- Nachricht 5: Razzia: Reichsbürger planten Staatsstreich, 7.12.2022
- Nachricht 6: Probealarm – bundesweiter Warntag, 8.12.2022
Alle transkribierten Texte wurden viermal kopiert für folgende Analysen:
- Mit der ersten Kopie der Transkripte wurde die Sprechgeschwindigkeit erhoben. Dazu wurden alle Zahlen, die in den Beiträgen und Moderationen vorkommen, als Wörter ausgeschrieben und anschließend in Silben zerteilt.
- Die zweite Kopie wurde für die Berechnung der Verständlichkeitsindizes herangezogen. Aus ihr wurden alle O-Töne entfernt, die in Interviews mit Passant:innen, Augenzeug:innen oder Konferenz-Besucher:innen aufgenommen wurden. Ihre Sprache könnte für Verständlichkeits-Berechnungs-Programme unverständlich wirken, weil in der Alltagssprache häufig lange und unvollständige Sätze vorkommen. Außerdem wurden O-Töne aus Gesprächen mit Politiker:innen entfernt, denn sie könnten ihre Reden und Statements absichtlich unverständlich formuliert haben. Korrespondent:innengespräche und von Reporter:innen voraufgezeichnete Statements hingegen wurden im zu analysierenden Text unverändert beibehalten, weil sie von geschulten Redakteur:innen formuliert wurden und in der Regel das Ziel verfolgen, ein Thema verständlich zu transportieren.
- Mit der dritten Kopie wurde die durchschnittliche Wortlänge in Silben für die Berechnung des Flesch-Index ermittelt. Hierzu wurden, wie in der zweiten Kopie, die redaktionsfremden O-Töne entfernt. Anschließend wurde dieser Text in Silben zerteilt. Auch hier wurden alle Zahlen in Wörter übersetzt.
- Die vierte Kopie enthält ebenfalls keine redaktionsfremden O-Töne. Allen Wörtern wurde ihre Wortklasse nach dem Stuttgart-Tübingen-Tagset von der Software TagAnt beigefügt. Die sogenannte ›getaggte Version‹ der Texte wird benutzt, um zum Beispiel Adjektive oder Partizipialkonstruktionen zu finden.
- Die originale Transkription ohne Anpassungen ermöglichte schließlich, die Wörter zu zählen und die durchschnittliche Satzlänge zu erfassen. Damit kann der Flesch-Index berechnet werden.
Der Flesch-Index wurde für jeden Nachrichtenbeitrag, inklusive Moderation, berechnet. Anhand der durchschnittlichen Satzlänge, gezählt in Wörtern (Average Sentence Length, ASL) und der durchschnittlichen Wortlänge in Silben (Average Number of Syllables per Word, ASW) schätzt er die Lesbarkeit und Verständlichkeit eines Textes ab. Das Ergebnis kann von 0 bis 100 reichen. Je höher das Ergebnis, desto verständlicher der Text:
Die Programme AntConc und TagAnt wurden unter anderem zur linguistischen Analyse und zur Konkordanzanalyse herangezogen. Für alle Analysen in TagAnt und AntConc wurde die zweite Kopie der Nachrichten-Transkripte benutzt.
Ergebnisse der Analysen
Insgesamt arbeitete logo! in den analysierten Beiträgen und Moderationen im Vergleich zu den anderen Sendungen am häufigsten mit Grafiken. Die tagesschau benutzte in den analysierten Nachrichten als einzige Sendung keine Grafik oder Karte. RTL Aktuell, heute und die Sat.1 Nachrichten führten wiederholt Live-Gespräche, die tagesschau selten.
Sprechgeschwindigkeit:
Abbildung 1 zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Sendungen. logo! hat mit 260 Silben pro Minuten die langsamste Sprechgeschwindigkeit. Die Sendungen der privaten Sender haben die höchste Sprechgeschwindigkeit – RTL Aktuell mit 282 Silben pro Minuten und die Sat.1 Nachrichten mit 281 Silben pro Minute.
Abbildung 1
Durchschnittliche Sprechgeschwindigkeit
Quelle: eigene Darstellung
Satzlänge:
Lange Sätze, viele Nebensätze und lange Aufzählungen können die Verständlichkeit erschweren (vgl. Klartext-Software 2022). TextLab ermittelt den prozentuellen Anteil überlanger Sätze innerhalb des zu analysierenden Korpus. Als überlange Sätze gelten im HIX Sätze mit mehr als 20 Wörtern.
Abbildung 2 zeigt den prozentuellen Anteil der Sätze mit mehr als 20 Wörtern. Die tagesschau hat zwar die wenigsten überlangen Sätze, allerdings die höchste durchschnittliche Wortanzahl pro Satz (Abb. 3). Das spricht dafür, dass die tagesschau viele lange, aber wenig zu lange Sätze nutzt.
Abbildung 2
Anteil der überlangen Sätze
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 3
Durchschnittliche Satzlänge in Wörtern
Quelle: eigene Darstellung
Adjektive:
Attributive, adverbiale und prädikative Adjektive sind relevante Indikatoren der Verständlichkeit. Zu viele Adjektive können den Text mit unsachlichen Informationen überladen und Wichtiges ausblenden. Adjektive sind nur dann sinnergänzend, wenn sie der Unterscheidung dienen oder wenn sie den Ausdruckswert tatsächlich erhöhen.
Abbildung 4
Adjektive
Quelle: eigene Darstellung
RTL Aktuell hat mit 5,0 Prozent (Abb. 4) den größten Anteil an attributiven Adjektiven. Im Korpus finden sich diese Beispiele: »weitreichenden Beschlüsse«, »hohe Gefahr«, »strikter Maskenpflicht« und »schwere Winterwelle«. Bei den adverbialen und prädikativen Adjektiven liegt RTL Aktuell mit 2,4 Prozent im Mittelfeld. Die meisten Adjektive verzeichnet logo!. Dieses Ergebnis stützt die bisherige Beobachtung, dass logo! eher zu emotionaler, alltäglicher und kindgerechter Sprache neigt: »gutes Beispiel«, »heftigen Folgen«, »faule Kompromisse«, »stark betroffen« und »ehrlich gesagt«. Auch die Sat.1 Nachrichten haben einen hohen Anteil an Adjektiven, zum Beispiel: »millionenschwere Ablöse«, »hohe Bewaffnung«, »feste Größe« und »stumm geblieben«. Sparsam mit den drei beschriebenen Adjektiv-Formen war im analysierten Rahmen heute, zum Beispiel: »wirklich alles«, »vorzeitiges Ende« oder »als absurd bezeichnen«. Die tagesschau hat von allen Sendungen den geringsten Anteil an adverbialen und prädikativen Adjektiven: »komplett abzulehnen«, »weitgehend erfolgreich« und »breit gefächert«.
Partizipialkonstruktionen:
Partizipialkonstruktionen sind Teil der Alltagssprache. Sie bringen Abwechslung in einen Text, allerdings können sie die sprachliche Komplexität erhöhen.
logo! enthält von allen Sendungen die meisten Partizipialkonstruktionen, RTL Aktuell die wenigsten (Abb. 5). Nur wenige mehr enthält die tagesschau. Beispiele aus den Sendungen von logo! sind: »entschuldigt«, »verpasst« und »gestorben«. Die Sat.1 Nachrichten folgen mit Partizipialkonstruktionen wie »gewesen sein«, »hat bekanntgegeben« und »vorbereitet haben«.
Abbildung 5
Partizipialkonstruktionen
Quelle: eigene Darstellung
Passivkonstruktionen:
Passivkonstruktionen verschleiern mitunter, wer die handelnden Personen sind. Sie wirken abstrakt und distanziert. Das Passiv ist nur angebracht, wo etwas erlitten wird oder der Handlungsträger verborgen bleiben soll. TextLab gibt als Obergrenze für einen verständlichen Online-Text einen Anteil von 10 Prozent Passivkonstruktionen pro Text an. Alle analysierten Sendungen liegen unter dieser Maximalgrenze von 10 Prozent.
In Abbildung 6 ist zu sehen, dass logo! die meisten Passivkonstruktionen aufweist, zum Beispiel: »dass jetzt dringend was getan werden muss« und »mit den Ergebnissen soll das System weiter verbessert werden«. Die Sat.1 Nachrichten benutzen ähnlich viele Passivkonstruktionen, zum Beispiel: »wenn ein Mindestabstand […] eingehalten werden kann«. heute gebraucht zum Beispiel die folgende Passivkonstruktion: »wurde heute in Betrieb genommen«. Bei dem Beispiel »Jetzt muss geklärt werden« schiebt sich die Verantwortung auf eine:n unbekannte:n Akteur:in. Solche Formulierungen nehmen dem Thema Konkretheit; mitunter behält das Publikum die Information nicht. Auch RTL Aktuell verwendet vermeidbare Passivkonstruktionen: »Gestritten wird unter anderem um«, »Gehandelt werden viele«.
Abbildung 6
Passivkonstruktionen
Quelle: eigene Darstellung
Fach- und Fremdwörter:
Fremd- und Fachwörter sollen aus der Nachrichtensprache nicht verschwinden, sie erweitern sogar den Wortschatz des Publikums. Werden sie jedoch nicht angemessen erklärt, können sie die Verständlichkeit beeinträchtigen (vgl. Elitz 2000: 145; Hofstätter 2020: CII; Weischenberg/Scholl 1998: 144; Barton 1985: 34; Leonhardt 1981: 14). Insgesamt sind in allen Nachrichtensendungen wenige bis keine fremdsprachigen Wörter enthalten. Der Kontext der Fachwörter wurde für diesen Beitrag nicht weiter analysiert, daher kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob die gefundenen Begriffe in den Nachrichtentexten angemessen erklärt wurden.
Abbildung 7
Fach- und Fremdwörter
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 7 zeigt, dass die tagesschau und heute die meisten Fach- und Fremdwörter benutzen. Beispielsweise enthält der tagesschau-Korpus als einziger das Wort »Ermittlungsrichter«, der heute-Korpus enthält die Wörter »Immunkompetenz« und »Fonds«. Auch logo! enthält Fachwörter, zum Beispiel »Epizentrum«. Die wenigsten Fach- und Fremdwörter enthalten die Sat.1 Nachrichten.
Sätze im Nominalstil:
Sätze mit vielen Nomen haben oft eine starr-sachliche, etwas sperrige und unpersönliche Ausstrahlung, fallweise sind sie auch schwer verständlich. Hinzu kommt eine erhöhte Dichte an Informationen pro Satz (vgl. Kurz et al. 2010: 58). Sätze im Nominalstil lassen sich meist so umgestalten, dass das nominalisierte Verb wieder ein aktives Verb wird (vgl. TextLab 2023). Die Nominalisierung bietet unter sprachökonomischen Gesichtspunkten durchaus Vorteile (vgl. Brandt 2000: 2164). Da bei der Nominalisierung aber das prädikative Verbum zum Nomen wird, muss ein Funktionsverbum (zum Beispiel »durchführen«, »erfolgen« etc.) die Funktion des Prädikates übernehmen. Dadurch verlieren Sätze Spannung und Verständlichkeit. Nominalisierte Verben, Aufzählungen von Nomen und andere Formen der Nomen-Häufung werden dem Nominalstil zugerechnet. Die Verständlichkeitsanalyse-Software TextLab empfiehlt für gut verständliche Online-Texte maximal 18 Prozent an Sätzen im Nominalstil.
Abbildung 8
Sätze im Nominalstil
Quelle: eigene Darstellung
Die tagesschau liegt weit über diesem Zielwert (Abb. 8) und verwendet Nomen-Häufungen wie »Neben Sirenen und Anzeigetafeln laufen Warnmeldungen auch über Warn-Apps, Radio und Fernsehen oder die Feuerwehr«. Auch der Sat.1 Nachrichten-Korpus enthält viele Sätze im Nominalstil, zum Beispiel: »Dieses Mal Geld, das Industriestaaten als Ausgleich für Schäden durch weltweite Extremwetterereignisse […].« RTL Aktuell liegt mit 26 Prozent ebenfalls über dem von TextLab empfohlenen Maximalanteil: »Der als Gefährder eingestufte Adelige aus Thüringen sollte laut Ermittlungen […].« logo! weist deutlich weniger Sätze im Nominalstil auf und bleibt unter dem empfohlenen Maximalwert von 18 Prozent: »Er hält die Entscheidung der vier Bundesländer für einen Fehler.« Obwohl heute die wenigsten Sätze im Nominalstil aufweist, wären zum Beispiel die folgenden Phrasen vermeidbar gewesen: »Die Aufhebung der Isolationspflicht stellt Arbeitgeber vor neue Herausforderungen« und »So geht das Treffen […] in die Verlängerung.«
Verneinungen:
Verneinungen können in vielen unterschiedlichen Formen vorkommen, daher wurde die automatische Erkennung von TextLab mit einem Zielwert von maximal 1 Prozent an verneinenden Begriffen genutzt.
Abbildung 9
Verneinungen
Quelle: eigene Darstellung
Die Sat.1 Nachrichten liegen über dem empfohlenen Wert (Abb. 9): »keinerlei Symptome«, »kein Problem« und »Keiner will dann eine weitere Blamage«. Auch logo! liegt über dem empfohlenen Wert: »echt nicht mehr darüber diskutieren«, »dann wird nichts daraus« und »kein Land der Welt«. heute enthält einen Anteil von 1 Prozent. Einige Verneinungen sollten vermutlich Abwechslung in den Text bringen: »daraus nichts entnehmen«, »nicht leicht einen Überblick zu bekommen« und »nicht das einzige Problem«. Die meisten der benutzten Verneinungen in der tagesschau sind notwendig. Auch RTL Aktuell verwendet hauptsächlich Verneinungen, die kaum zu umgehen sind: »nicht mehr zuhause« und »nicht eigenständigen Staat«. Formulierungen wie »auch keine Hemmung sie anzuwenden« und »entstammen nicht nur einem« könnten allerdings verständlicher ausgedrückt werden.
Verständlichkeitsmodelle:
Abbildung 10 zeigt einen Überblick, bei dem alle drei Modelle (Hamburger Verständlichkeitsmodell, Hohenheimer Verständlichkeitsindex und Flesch-Index) einbezogen sind. Da der HIX nur von 0 bis 20 reicht und die anderen beiden Modelle von 0 bis 100, wurde der HIX für eine gleiche Gewichtung mit 5 multipliziert. Die vertikale Achse stellt die Summe der drei Index-Werte dar. Die Zahlen innerhalb der Blöcke zeigen die Ergebnisse pro Index. Je höher das Ergebnis, desto verständlicher der Text.
Abbildung 10
Verständlichkeitsmodelle insgesamt
Quelle: eigene Darstellung
Laut HIX ist logo! die verständlichste, laut Flesch-Index und Hamburger Verständlichkeitsmodell die zweitverständlichste Sendung. In Summe hat logo! den höchsten Wert erzielt. heute ist in der Berechnung nach dem Hamburger Verständlichkeitsmodell die verständlichste, in Kombination mit den beiden weiteren Modellen die zweitverständlichste Sendung. Die Sat.1 Nachrichten haben den höchsten Wert beim Flesch-Index erreicht. Insgesamt gehen sie als drittverständlichste Sendung aus dieser Analyse hervor. RTL Aktuell ist laut HIX verständlicher als die Sat.1 Nachrichten. In Summe geht RTL Aktuell aus dieser Analyse aber als weniger verständlich hervor. Die tagesschau erreicht beim Flesch-Index und beim HIX die niedrigsten Werte. Einzig beim Hamburger Verständlichkeitsmodell ist RTL Aktuell etwas weniger verständlich. Insgesamt ist die tagesschau trotzdem die unverständlichste Sendung in dieser Analyse.
Die Moderationstexte wurden zusätzlich zur Analyse der Gesamtkorpora in einer separaten Analyse anhand des Hohenheimer Verständlichkeitsindexes verglichen (Abb. 11). Diese ergab, dass heute die insgesamt verständlichsten Moderationstexte schreibt. Die Moderationstexte von logo! sind annähernd so verständlich wie die von heute. Die am wenigsten verständlichen Moderationstexte hat die tagesschau.
Abbildung 11
Hohenheimer Verständlichkeitsindex (Moderationstexte)
Quelle: eigene Darstellung
Diskussion und Fazit
logo! geht aus den Analysen als verständlichste Sendung hervor. Der große Anteil an Adjektiven, Partizipial- und Passivkonstruktionen spiegelt den Wunsch nach einer kindgerechten Sprache wider. Gleichzeitig kann das jedoch die Verständlichkeitswerte negativ beeinflussen. Die geringe durchschnittliche Satzlänge in Wörtern und die wenigen Sätze im Nominalstil wirken sich allerdings offenbar so positiv aus, dass logo! insgesamt aus der Analyse anhand der drei Verständlichkeitsmodelle als die verständlichste Sendung herausgeht. Dazu kommt die geringe Sprechgeschwindigkeit, die das Verstehen ebenfalls erleichtert.
Die tagesschau um 20:00 Uhr scheint sich weniger an der gesprochenen Sprache zu orientieren. Ein Grund dafür kann sein, dass die Texte bei der tagesschau nach wie vor von Redakteur:innen verfasst und ausschließlich von Nachrichtensprecher:innen vorgetragen werden. Die Texte der tagesschau erwecken den Eindruck, durchdacht und präzise formuliert zu sein, was sich unter anderem an den wenigen Partizipialkonstruktionen und Verneinungen zeigt. Die Texte der tagesschau enthalten zwar viele lange, aber wenige zu lange Sätze. Mehr Varianz in der Satzlänge könnte die Verständlichkeit fördern. Außerdem hat die tagesschau die meisten Nominalisierungen. Auffällig selten werden Grafiken und Karten verwendet, die die Verständlichkeit unterstützen könnten. Allerdings gab es im Beobachtungszeitraum mehrere Live-Gespräche mit Expert:innen, die, ähnlich wie Karten und Grafiken, Hintergrundinformationen und persönliche Eindrücke transportieren können und damit das Verständnis fördern – wenn die Gespräche sprachlich und inhaltlich verständlich sind. Die tagesschau wurde, wie auch die beiden anderen öffentlich-rechtlichen Sendungen (logo! und heute), sichtlich langsamer gesprochen als die Sendungen der privaten Sender (RTL Aktuell und Sat.1 Nachrichten).
Die heute-Sendung setzt häufig auf Grafiken und Karten sowie auf Live-Gespräche. Sie scheint außerdem in ihrem Sprachgebrauch einen guten Mittelweg zwischen gesprochener und Schriftsprache gefunden zu haben. Vor allem der Hohenheimer Verständlichkeitsindex stuft heute als sehr verständlich ein. Die Moderationen allein erreichen im Vergleich zu allen anderen Sendungen insgesamt den höchsten HIX. Insgesamt geht heute als verständlichste Sendung für ein erwachsenes Publikum aus der Studie hervor.
Die Sat.1 Nachrichten liegen bei den Verständlichkeitswerten im Mittelfeld. Die Analyse der einzelnen Parameter verstärkt dieses durchwachsene Bild. Die Sat.1 Nachrichten verzeichnen einen hohen Anteil an Verneinungen. Jedoch enthalten sie den geringsten Anteil an Fach- und Fremdwörtern. Laut den herangezogenen Verständlichkeitsmodellen entspricht der Verständlichkeitsgrad dem eines mittelschweren Textes.
RTL Aktuell hat den geringsten Anteil an Verneinungen, Partizipial- und Passivkonstruktionen. Alle Verständlichkeitsmodelle bewerten RTL Aktuell als schwer bis mittelschwer verständlich. Die Verständlichkeit weiter minimieren könnte, dass RTL Aktuell von allen Sendungen die höchste Sprechgeschwindigkeit hat.
In bisherigen Untersuchungen sind sich Forschende nicht immer einig über die angemessene Sprechgeschwindigkeit für Nachrichten. Nachrichtensprache sollte nicht wegen zu geringer Sprechgeschwindigkeit träge und uninteressant wirken. Die bisherigen Untersuchungen stimmen allerdings in einer Behauptung überein: Mit steigender Informationsdichte des Textes sollte die Sprechgeschwindigkeit abnehmen (vgl. Böhm et al. 1972: 169; Dürscheid/ Sendlmeier 2005: 18). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass bei allen analysierten Nachrichtensendungen rasch bis sehr rasch gesprochen wird.
Die angemessene Satzlänge in Wörtern wird von Dürscheid und Sendlmeier als Wechselspiel zwischen kurzen Sätzen von acht bis zehn Wörtern und langen Sätzen mit höchstens 23 Wörtern empfohlen (vgl. Dürscheid/Sendlmeier 2005: 19). Keine der analysierten Sendungen überschreitet diese Marke (Abb. 3). Der HIX interpretiert Sätze mit mehr als 20 Wörtern als zu lang. Demnach enthalten die Sat.1 Nachrichten die meisten und die tagesschau die wenigsten überlangen Sätze.
Die Ergebnisse des Flesch-Index ähneln den Ergebnissen der Arbeit von Udo Michael Krüger. In seiner Forschung zum Thema »Altersgerechte Nachrichten für Kinder« wendete er den Flesch-Index an und erhielt für die tagesschau einen Wert von 39 und für logo! einen Wert von 65 (vgl. Krüger 2009: 587). Die Werte sind den Ergebnissen dieser Studie ähnlich: 42 in der tagesschau und 64 bei logo!
Ein limitierender Aspekt dieser Studie ist der Vorgang der Transkription. Die Entscheidungen etwa über die Position der Satzzeichen haben Einfluss auf spätere Ergebnisse. Darüber hinaus sind die Verständlichkeitsanalysen mit TextLab, Flesch-Index und Wortliga immer unter der Einschränkung zu betrachten, dass sie eigentlich nicht für die Analyse gesprochener, sondern geschriebener Texte konzipiert sind. Karten und Grafiken während der Moderationen wurden zwar für diese Studie registriert, aber die Wechselwirkung zwischen Bild und Ton im Bildmaterial der Nachrichtenbeiträge wurde nicht berücksichtigt. Auch die Größe der Korpora limitiert diese Untersuchung. Die Korpora bestehen durchschnittlich aus 1927 Wörtern. Größere Korpora, ein längerer Beobachtungszeitraum und eine größere Anzahl an Beiträgen unterschiedlicher Autor:innen und Moderator:innen würden ein umfassenderes Bild der aktuellen Nachrichtensprache in Deutschland zeichnen.
Immer wieder erschien in der Recherche die Aussage, die tagesschau würde die deutsche Standardsprache vorgeben. Den vorliegenden Ergebnissen nach ist diese Standardsprache allerdings schwer verständlich. Soll der Standard sprachlich fordernd oder gut verständlich sein? Indem Nachrichten neue und wenig geläufige Begriffe gebrauchen, haben sie die Chance den Wortschatz ihres Publikums zu erweitern: Zu welchem Anteil sollen sie belehren und bilden und zu welchem Anteil sollen sie informieren? Ein Bildungs- und Informationsauftrag kann nur gelingen, wenn die Information auch verarbeitet und verstanden wird. Muss der Versuch, etwas Neues zu lernen, mit Unverständlichkeit einhergehen? Oder kann Neues leichter und besser gelernt werden, wenn es in verständlicher Sprache auftritt?
Die Verständlichkeit der gesprochenen Sprache sollte in Nachrichtenredaktionen einen noch höheren Stellenwert einnehmen. Regelmäßige wissenschaftliche Untersuchungen im Auftrag der Sender könnten analysieren, wie verständlich die verwendete Sprache ist und wo Verbesserungspotential besteht. So könnten die Redakteur:innen und Moderator:innen ihre Texte in dieser Hinsicht gezielter formulieren. Ferner sollte das Publikum beim Schreiben der Texte nicht vergessen werden. Neben richtigen Informationen und genauen Formulierungen ist die Verständlichkeit genauso wichtig. Dazu braucht es häufig mehr Mut zur Einfachheit, gerade bei komplizierten Themen, die viel Vorwissen verlangen. Gut verständliche Sprache in den Medien würde mehr Zuschauende erreichen. Impulse für politische Teilhabe und gesellschaftliche Diskurse würden gefördert, die individuelle Meinungsbildung und damit die Demokratie gestärkt.
Über die Autorin
Sophie Wannenmacher (*1997) hat 2023 ihren Master of Arts in Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität Berlin erworben. Sie arbeitet als Moderatorin und Redakteurin für die ARD. Kontakt: sophie.wannenmacher@icloud.com
Literaturverzeichnis
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Fußnoten
1 Wofür das Akronym steht, ist nicht vollständig bekannt (vgl. Scott 2023).
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Zitationsvorschlag
Sophie Wannenmacher: Über gewöhnliche Wörter und ungewöhnliche Dinge. Eine Analyse der Verständlichkeit deutscher TV-Nachrichten. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 3/4, 2024, 7. Jg., S. 305-326. DOI: 10.1453/2569-152X-3/42024-14632-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-3/42024-14632-de
Erste Online-Veröffentlichung
November 2024