von Jana Rick
Abstract: Journalistisch tätige Rentner*innen blieben bisher in der Forschung weitgehend unbeachtet. Doch Studien liefern Hinweise darauf, dass diese Akteursgruppe in Deutschland einen Großteil freiberuflicher Journalist*innen ausmacht, weshalb es gilt, die Rentner*innen in den Untersuchungsfokus zu rücken. Der vorliegende Beitrag basiert auf einer Befragung von 102 Journalist*innen aus ganz Deutschland, die Rente beziehen und im Journalismus haupt- oder nebenberuflich tätig sind. Die Daten ermöglichen eine erste Beschreibung von Rentner*innen im Journalismus und geben Auskunft über ihre soziodemografischen Merkmale, Arbeitssituation und Arbeitsbedingungen. Die Ergebnisse zeigen, dass viele der Rentner*innen aus Leidenschaft im Journalismus arbeiten. Die Daten liefern jedoch auch Hinweise darauf, dass einige Rentner*innen unter anderem aus finanzieller Notwendigkeit berufstätig sind. Die Erkenntnisse zu Rentner*innen im Journalismus werden in zehn Thesen zusammengeführt.
All das zeigt, dass die Thematik der Alterserwerbstätigkeit im Journalismus vielseitig ist und gleichzeitig mit einer Reihe an krisenhaften Entwicklungen in der Arbeitswelt von Journalist*innen in Verbindung gebracht werden kann. Im Fokus einer eigenen Studie standen journalistisch tätige Rentner*innen jedoch noch nie. Es liegen kaum Zahlen oder sonstige Informationen zu diesen Akteur*innen im Journalismus vor, man kann sie als unterforschte Gruppe bezeichnen. Der vorliegende Beitrag soll diese Forschungslücke füllen und erste empirische Daten zu Rentner*innen im Journalismus sammeln und präsentieren.
1. Rentner*innen im Journalismus: Eine Systematisierung bestehender Literatur
Wagner und Möhring (2020a,b) machen in ihrer Studie zu freiberuflichen Journalist*innen im Lokaljournalismus auf die sogenannten »Senior-Quereinsteiger*innen« aufmerksam. Diese seien im Durchschnitt 64 Jahre alt und in erster Linie Rentner*innen und Pensionär*innen (vgl. Wagner/Möhring 2020b). Sie haben in der Regel kein Volontariat im Journalismus abgeschlossen (ebd.). Die Senior-Quereinsteiger*innen arbeiten laut der Studie eineinhalb Tage pro Woche in der Lokalredaktion, sind zu zwei Dritteln männlich und verdienen im Durchschnitt 496 Euro monatlich (ebd.)
Die »Nebenbei-Journalist*innen« derselben Studie sind hauptsächlich Frauen und Männer in Pension oder Rente. Im Gegensatz zu den Senior-Quereinsteiger*innen haben sie ein Volontariat absolviert und sind im Schnitt 60 Jahre alt (vgl. Wagner/Möhring 2020b: o.S.). Diese Gruppe an Journalist*innen würde im Durchschnitt monatliche Einkünfte von 660 Euro erzielen, also etwas mehr als die Senior-Quereinsteiger*innen. Die Studie kommt weiter zum Ergebnis, dass insgesamt fast ein Viertel der Freien im Lokalen über 65 Jahre alt ist (vgl. Wagner/Möhring 2020a). Hinweise darauf, warum diese beiden Gruppen an Rentner*innen im Journalismus tätig sind, lassen sich der Studie nicht entnehmen.
Motive für die journalistische Erwerbstätigkeit können hingegen bei einer Gruppe an Rentner*innen vermutet werden, die an dieser Stelle als »prekäre Rentner*innen« bezeichnet werden sollen. Diese sind in erster Linie selbstständig im Journalismus tätig. Bei ihnen ergibt sich durch die Freiberuflichkeit das Problem der Altersvorsorge. Meyen und Springer (2009: 23) bringen es mit folgendem Zitat auf den Punkt: »Wer wenig verdient, zahlt auch wenig in die gesetzliche Rentenversicherung ein.« Es kann also vermutet werden, dass viele Rentner*innen nach wie vor freiberuflich im Journalismus tätig sind, weil sie aus finanziellen Gründen keine andere Wahl haben. Auch eine Studie des DJV (2009: 16-17) weist darauf hin, dass viele freiberufliche Journalist*innen aufgrund niedriger Einkommen und hoher finanzieller Belastung, wie beispielsweise der Studienfinanzierung für Kinder, keine finanziellen Mittel mehr für eine Zusatzrente aufwenden können. Auch daraus lässt sich schließen, dass die zunehmend prekären Verhältnisse im Journalismus es notwendig machen, dass Rentner*innen (noch) arbeiten. An dieser Stelle muss jedoch auch angemerkt werden, dass sich die hier vorgestellten Gruppen an Rentner*innen im Journalismus nicht strikt voneinander trennen lassen, sondern dass Überschneidungen möglich sind. Es kann beispielsweise durchaus sein, dass die Nebenbei-Journalist*innen aus finanziellen Gründen unfreiwillig im Journalismus arbeiten und somit auch den prekären Rentner*innen zuzuordnen sind.
Die Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit der Rentner*innen erscheint im Hinblick auf eine mögliche Kategorisierung ein relevantes Kriterium zu sein, auf dessen Basis Gruppen an Rentner*innen erstellt werden könnten. Sie erscheint als eine mögliche Dimension, anhand derer man bestehende Erkenntnisse zu Rentner*innen im Journalismus eventuell sortieren kann: Rentner*innen, die freiwillig im Journalismus arbeiten, könnte man als »intrinsische journalistische Rentner*innen« bezeichnen, da sie ohne jeglichen Zwang beruflich tätig sind. Ihnen bereitet die journalistische Tätigkeit Freude, ihre Leidenschaft für den Journalismus ist also der Hauptgrund für die Berufstätigkeit im fortgeschrittenen Alter. Zu dieser Gruppe an Rentner*innen existieren jedoch nur wenige empirischen Befunde, die die Leidenschaft für Journalismus als Motivation, im Rentenalter zu arbeiten, widerlegen würden. Es liegen jedoch Hinweise vor, dass bei nebenberuflich freien Journalist*innen allgemein oftmals das Motiv der »Freude am Schreiben« überwiegt (Rinsdorf/Theiss 2020: 62).
»Frührentner*innen« hingegen werden genauso wie prekäre Rentner*innen zu ihrem Status als arbeitende Rentner*innen gedrängt. Belege für diese spezifische Gruppe finden sich in einer Reihe an Studien, in denen ehemalige Journalist*innen befragt wurden, die ihre Jobs verloren haben. In Zion et al. (2016, 2018) handelt es sich hierbei beispielsweise um Journalist*innen in Australien, denen gekündigt wurde und die daraufhin in Rente gegangen sind. In anderen Studien wird davon berichtet, dass ältere Journalist*innen aufgrund von Sparmaßnahmen der Medien aus ihren Stellen gedrängt werden, in Ushers Beitrag (2010: 919) wird in diesem Zusammenhang von »encouraged retirements« gesprochen. So beschreibt auch ein ehemaliger älterer Journalist in einer Studie von Percival (2019: 12) seine Situation wie folgt: »I have not actually retired, but I have been retired… It’s a real shame because I feel I actually have a lot left to give« (Percival 2019: 12). Betreffen würde diese Form der erzwungenen Frührente vor allem Journalist*innen, die sich am Ende ihrer Karriere befinden (vgl. Cohen et al. 2019: 9). Bekannt über diese besondere Gruppe an Rentner*innen ist, dass sie hauptsächlich männlich und im Schnitt 51 Jahre alt sind (vgl. Zion et al. 2016b: 129; 2018: 17, 29). Damit sind sie um einiges jünger als die Rentner*innen, die in der Studie von Wagner und Möhring (2020b) beschrieben wurden, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie eben verfrüht in Rente »geschickt« wurden oder aufgrund des Jobverlustes früher in Rente gegangen sind, als möglicherweise geplant. Ob die Gruppe der Frührentner*innen noch journalistisch aktiv ist, beispielsweise freiberuflich, wird in den Studien allerdings nicht erwähnt.[1]
In den zitierten Studien wird erwähnt, dass Rentner*innen hauptsächlich »nebenberuflich« im Journalismus arbeiten (vgl. Rinsdorf/Theiss 2020: 61; Wagner/Möhring 2020b: o.S.). Diese Zuschreibung mag durch die Arbeit in »relativ geringen Umfängen« zustande kommen (vgl. Wagner/Möhring 2020b). Generell werden hauptberufliche Journalist*innen in der Literatur als solche bezeichnet, wenn sie mehr als 50% ihres Einkommens aus journalistischen Tätigkeiten beziehen oder mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit journalistischer Tätigkeit verbringen (vgl. Weischenberg et al. 2006: 36). In Bezug auf Rentner*innen ist diese Definition jedoch als kritisch zu betrachten, was im Folgenden näher erläutert werden soll. Es stellen sich beispielsweise die Fragen, ob die Rente in der Definition als »Einkommen« gesehen werden kann, ob das Rentendasein als Beruf gilt und ob die Zeit als Rentner*in somit als »Arbeitszeit« bezeichnet werden kann. Ist man beispielsweise Journalist*in im Nebenberuf, weil man im Hauptberuf Rentner*in ist? Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Rentner*innen nebenberuflich im Journalismus tätig ist, wie es auch die Studie von Wagner und Möhring (2020b) beweist. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rentner*innen viele Stunden wöchentlich im Journalismus tätig sind und/oder ein hohes Einkommen durch diese Tätigkeit erzielen. In der vorliegenden Studie konnten sich die Befragten deswegen selbst als haupt- oder nebenberuflich einstufen, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass die Antworten der Rentner*innen hinsichtlich des Haupt- oder Nebenberufs somit auf ihrem eigenen subjektiven Selbstverständnis beruhen. Aus diesem Grund wurden während der Datenauswertung die Zuschreibungen mit den jeweiligen Arbeitszeiten und dem erzielten Einkommen verglichen. Es kann vermutet werden, dass jene, die angegeben haben, nebenberuflich im Journalismus tätig zu sein, mit einer weiteren bezahlten Tätigkeit mehr Einkommen erzielen und/oder nur hin und wieder einzelne Aufträge aus dem Journalismus annehmen. Umgekehrt kann bei einem Großteil der Rentner*innen davon ausgegangen werden, dass sie sich als Journalist*in im Hauptberuf sehen, da sie neben dieser bezahlten Tätigkeit keiner weiteren nachgehen. Möglicherweise sehen sich auch viele Rentner*innen als hauptberufliche*r Journalist*in, da das Einkommen aus dem Journalismus größer ist als die bezogene Rente. Vergleicht man haupt- und nebenberufliche Rentner*innen dieser Studie hinsichtlich ihres Einkommens und ihrer Arbeitszeit, so zeigt sich, dass die Zuordnung des Berufsstatus trotz möglicher Unklarheiten in der Definition durchaus plausibel und wahrheitsgetreu stattfand (siehe Absatz 4.2.).
2. Forschungsfragen und Ziele
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Prekarisierung des journalistischen Berufsfeldes (vgl. u. a. Gollmitzer 2014; Hanitzsch/Rick 2021) und der steigenden Erwerbstätigkeit von Rentner*innen in Deutschland (vgl. u. a. Bundesagentur für Arbeit 2019; Brenke 2013) lohnt es sich, Rentner*innen als Akteur*innen des Journalismus in das Blickfeld zu rücken. Ziel der Studie ist deswegen die Beschreibung der bislang wenig beachteten Gruppe, wobei Erkenntnisse geliefert werden sollen, die auf die Beantwortung folgender Forschungsfragen abzielen:
- FF1: Wer sind die Rentner*innen im Journalismus?
- FF2: Wie ist die Arbeitssituation der Rentner*innen?
- FF3: Unter welchen Bedingungen verrichten die Rentner*innen ihre Arbeit?
Der vorliegende Beitrag soll als erster Versuch gesehen werden, journalistisch tätige Rentner*innen statistisch zu erfassen und Merkmale über sie und ihre Arbeit herauszufinden. Die Daten sollen einen Einblick in die Arbeitswelt noch journalistisch aktiver Rentner*innen geben und dabei Fragen bezüglich ihrer Merkmale, Arbeitssituation und ihren Arbeitsbedingungen beantworten. FF1 bezieht sich auf die Soziodemografie der Rentner*innen, während FF2 behandelt, bei welchen Medien und in welchem Beschäftigungsverhältnis sie im Journalismus tätig sind. Nachdem die Systematisierung bestehender Literatur Hinweise darauf lieferte, dass prekäre Verhältnisse im Journalismus dazu beitragen können, im fortgeschrittenen Alter noch erwerbstätig zu sein, sollen auch die Arbeitsbedingungen untersucht werden, unter denen die Rentner*innen ihre Arbeit verrichten (FF3). Die Erforschung der Arbeitsbedingungen journalistisch tätiger Rentner*innen soll sich dabei sowohl auf die Zeit vor als auch während der Corona-Pandemie beziehen und das Einkommen, die Arbeitszeiten, die Arbeitszufriedenheit und das Sicherheitsgefühl der Rentner*innen berücksichtigen. Die dritte Forschungsfrage ergibt sich zudem durch die Einbettung der Studie in ein laufendes Forschungsprojekt zur Prekarisierung im Journalismus, zu dem in Abschnitt 3 des Aufsatzes weitere Informationen folgen. An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass die Studie nicht das Ziel verfolgt, alle im vorangegangenen Abschnitt angerissenen Aspekte im Detail zu untersuchen. Sie soll lediglich einen ersten Einblick in die Thematik geben und kann durch erste deskriptive Daten zu Rentner*innen im Journalismus als Ansatzpunkt für weitere Forschung angesehen werden.
3. Methodische Vorgehensweise
Die Daten, die für diese Untersuchung herangezogen werden, stammen aus einer deutschlandweiten Onlinebefragung von 1055 haupt- und nebenberuflichen Journalist*innen verschiedener Anstellungsbedingungen. Im Rahmen eines DFG-Projektes zur Prekarisierung im Journalismus (vgl. Hanitzsch/Rick 2021) wurden mithilfe der Unterstützung der Berufsverbände wie dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di) von Oktober bis Dezember 2020 Journalist*innen aus ganz Deutschland rekrutiert. Die Verteilung des Fragebogens lief in erster Linie über die Mitgliederverzeichnisse und Newsletter der Verbände, sowie über deren Social-Media-Kanäle. Nach der zweimonatigen Feldphase konnten über 1000 Journalist*innen erreicht werden, was nicht nur für die Berufsverbände als effiziente Multiplikatoren spricht, sondern auch für die hohe Relevanz der Thematik der Prekarisierung. Dennoch muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass es sich bei der Befragung um keine repräsentative Erhebung handelt.
Im Prozess der Fragebogenkonstruktion wurde im Hinblick auf Prekarisierungstendenzen im Journalismus auf Literatur aus der Arbeitssoziologie (z.B. Amable 2006; Fuchs 2006) zurückgegriffen. Gleichzeitig orientieren sich viele der Fragen an Arbeiten zu prekären Bedingungen im Journalismus (z.B. Schnedler 2019; Strassberger 2019). Nachdem sich die Befragung an Journalist*innen verschiedener Anstellungsverhältnisse richtete, wurden mittels Filtern spezifische Fragen mit Bezug auf beispielsweise die Arbeitsbedingungen freiberuflicher Journalist*innen gestellt. Ergänzt wurde der Fragebogen mit Fragen zur Soziodemografie der Journalist*innen und zu veränderten Arbeitsbedingungen durch die Corona-Krise. Daten wie das Alter der Journalist*innen, die journalistische Berufserfahrung und die Arbeitszeit wurden offen abgefragt, ebenso das Einkommen. Letzteres wurde anschließend in Kategorien nach Hanitzsch et al. (2019: 90) verdichtet. Bei den Sozialleistungen, Gründen für die Freiberuflichkeit und den Homeoffice-Bedingungen wurde auf Mehrfachantworten zurückgegriffen, während für Angaben zum Medientyp, Beschäftigungsverhältnis und der Position innerhalb der Redaktion Fragen mit Einfachauswahlen eingesetzt wurden. Subjektive Konstrukte wie die Arbeitszufriedenheit, die wahrgenommene prekäre Belastung und die Sicherung des Lebensunterhalts wurden mittels einer fünfstufigen Likert-Skala abgefragt. Offene Antworten bezüglich der veränderten Arbeitsbedingungen während der Corona-Krise und eine abschließende Kommentarfunktion auf der letzten Seite des Fragebogens gaben den Journalist*innen zudem die Möglichkeit, ihre aktuelle Situation in eigenen Worten zu schildern.
Für die Untersuchung der Rentner*innen im Journalismus wurden aus dem bereinigten Datensatz der Prekarisierungsstudie alle Fälle entnommen, die bei der Frage nach den Sozialleistungen angaben, Rente zu beziehen.[2] Das Hauptkriterium für die Aufnahme in die Stichprobe war also die Antwort »Ich beziehe Rente«. Auf diese Weise ergab sich ein Rentner*innen-Sample von 104 Fällen. Die Daten geben keine Auskunft darüber, wie hoch die bezogene Rente ist oder um welche Art der Rente es sich handelt. Nicht Teil des Samples sind Senior*innen, die im Journalismus tätig sind, aber keine Rente beziehen. Dies kann als eine Limitation der Studie gesehen werden genauso wie die Tatsache, dass die niedrige Stichprobengröße lediglich für eine explorative Annäherung der im Fokus der Forschung stehenden Befragten dienen kann. Im Prozess der Datenbereinigung wurden zwei Fälle aufgrund von unplausiblen Angaben ausgeschlossen, wodurch sich ein Sample von 102 Rentenbeziehenden ergab, die journalistisch aktiv sind. Die Daten wurden mit SPSS ausgewertet und offene Antworten separat abgespeichert, um zur Veranschaulichung darauf zurückgreifen zu können.
4. Ergebnisse
4.1. Soziodemografische Daten der Rentner*innen im Journalismus
Die Mehrheit der Befragten ist männlich (77,5%) und zwischen 60 und 69 Jahre alt (MW=69,5; SD=4,9). Der jüngste Rente beziehende Journalist ist 56 Jahre alt, der älteste 83. Das durchschnittliche Alter der Rentner*innen liegt bei 69,5 Jahren.
Tabelle 1
Altersverteilung der Befragten (n=100)
Alter | n | Prozent |
50-59 Jahre | 2 | 2,0 |
60-69 Jahre | 55 | 55,0 |
70-79 Jahre | 38 | 38,0 |
80 und älter | 5 | 5,0 |
Damit stimmen die Befunde in etwa mit den Merkmalen der »Senior-Quereinsteiger*innen« aus der Studie von Wagner und Möhring (2020b) überein, denn bei ihnen ist diese Gruppe der Lokaljournalist*innen auch mehrheitlich männlich und im Durchschnitt 64 Jahre alt. Mehr als die Hälfte der Rentner*innen der vorliegenden Untersuchung lebt mit einer Partnerin/einem Partner zusammen und keine*r der Befragten hat Kinder unter 18 Jahren. Diese Befunde könnten dafür sprechen, dass die Rentner*innen keine Familienverantwortung mehr tragen und gleichzeitig in vielen Fällen das eigene Einkommen mit dem einer Partnerin/eines Partners ausgleichen können.
Über die Hälfte der Journalist*innen können einen Masterabschluss oder einen ähnlichen Abschluss vorweisen. Die journalistische Berufserfahrung der Befragten ist wie zu erwarten sehr hoch: Im Durchschnitt arbeiten die Befragten seit 38,5 Jahren im Journalismus, die über 80-jährigen Rentner*innen sogar durchschnittlich seit 53,4 Jahren (MW=38,5; SD=11,3; Min=9; Max=60). Lediglich zwei Befragte haben angegeben, weniger als 10 Jahre journalistische Berufserfahrung nachweisen zu können. Somit kann ausgeschlossen werden, dass Rentner*innen als Quereinsteiger*innen im Journalismus tätig sind. Ganz im Gegenteil – hinter ihnen liegen viele Jahre journalistische Berufserfahrung, der Großteil von ihnen kann also als Profis bezeichnet werden. Dies kann für die Redaktionen als großer Vorteil gesehen werden, schließlich bringen die Rentner*innen das notwendige Wissen und viel Erfahrung mit.
4.2. Beschäftigungsverhältnis und Arbeitsumfeld
Während 22,5% der Befragten angegeben haben, als nebenberufliche Journalist*innen tätig zu sein, haben sich 77,5% als Hauptberufler*innen eingestuft. Dieser hohe Anteil an hauptberuflichen Journalist*innen im Sample macht deutlich, dass die Tätigkeit in den meisten Fällen keineswegs sporadisch ausgeübt wird. Die Teilnehmenden beziehen zwar Rente, aber stehen noch mitten im Beruf. Dass Vollzeitbeschäftigungen bei älteren Menschen gerade bei Selbständigen immer beliebter werden, zeigen auch Studien zur Erwerbsbeteiligung der ab 65-Jährigen in Deutschland (Brenke 2013: 3). Die Verteilung gibt jedoch auch Aufschluss darüber, wie die Befragten »Hauptberuf« definieren.
Die Rentner*innen machen fast ein Drittel (31,9%) aller nebenberuflicher Journalist*innen (n=72) der Gesamtstudie aus.[3] Rentner*innen arbeiten zum Großteil freiberuflich im Journalismus (81,4%). Insgesamt 15,7% gaben an, als Feste*r Freie*r oder Pauschalist*in tätig zu sein. Einzelfälle stellen eine Vollzeitanstellung und zwei Teilzeitanstellungen dar (vgl. Tabelle 2). Erstere wird von einem 66-Jährigen besetzt, die beiden Teilzeitstellen von einem 72-Jährigen und einem 67-Jährigen.
Tabelle 2
Beschäftigungsverhältnisse der Rentner*innen (n=102)
Beschäftigungsverhältnis | n | Prozent |
Freie*r Journalist*in | 83 | 81,4 |
Feste*r Freie*r oder Pauschalist*in | 16 | 15,7 |
Feste Anstellung in Vollzeit (unbefristet) | 1 | 1,0 |
Feste Anstellung in Teilzeit (unbefristet) | 1 | 1,0 |
Feste Anstellung in Teilzeit (befristet) | 1 | 1,0 |
Die Rentner*innen machen mit 23,4% fast ein Viertel aller freiberuflichen Journalist*innen (n=436) der Gesamtstudie aus. Die meisten freiberuflichen Rentner*innen (44,9%) haben angegeben, im Schnitt für etwa drei bis vier Arbeitgeber*innen zu arbeiten. Die Gründe für die Freiberuflichkeit variieren, doch die Befunde lassen Vermutungen zu, warum die Rentner*innen nach wie vor im Journalismus tätig sind. In einem Mehrfachantworten-Set von sechs möglichen Gründen entschieden sich 27,7% der Befragten aufgrund des Wunsches nach inhaltlicher und gestalterischer Freiheit für die Freiberuflichkeit. Am zweit häufigsten wurde die Antwortmöglichkeit »Eine Festanstellung war nicht zu finden« gewählt (24,4%). Ein beachtlicher Teil der freiberuflichen Rentner*innen würde also gerne in einer Festanstellung arbeiten. Überraschend wenige Befragte (18,1%) gaben hingegen den Grund »Altersteilzeit« für ihre freiberufliche Beschäftigung an. Auch die weiteren möglichen Gründe »familiäre Verpflichtungen«, «Wunsch nach mehr Flexibilität« und »sonstige Gründe« wurden jeweils von weniger als einem Drittel der Befragten angekreuzt.
Tabelle 3
Medien, für die die Befragten »hauptsächlich« tätig sind (n=102)
Medientypen | Prozent |
Tageszeitung | 33,0 |
Zeitschrift | 23,4 |
Nachrichtenagentur/Nachrichtendienst | 11,7 |
Eigenständiges Online-Medium | 9,6 |
Radio | 6,4 |
Anzeigenblatt | 5,3 |
Fernsehen | 4,3 |
Online-Ableger eines Offline-Mediums | 4,3 |
Sonntags- und Wochenzeitung | 2,1 |
Verbreitungsgebiet | Prozent |
Überregional | 51,1 |
Lokal/Regional | 48,9 |
Der Großteil der Rentenbezieher*innen ist für Tageszeitungen hauptsächlich überregionaler Reichweite tätig (vgl. Tabelle 3), die meisten als Autor*innen. Teil der Stichprobe sind jedoch auch ein Auslandskorrespondent, ein Bildjournalist, eine Fotografin und zwei Moderatorinnen. Der festangestellte Journalist in Vollzeit ist ein Chefredakteur. Zudem haben drei Feste Freie/Pauschalist*innen eine Führungsposition.
4.3. Einkommen und (wahrgenommene) Arbeitsbedingungen
Rentner*innen, die im Journalismus tätig sind, erzielen im Durchschnitt ein Netto-Einkommen von 1411 Euro (vor Corona). Im Nebenberuf liegt der Mittelwert bei 797 Euro, im Hauptberuf bei 1609 Euro. Damit liegen die Verdienste der Rentner*innen weit über den Durchschnittswerten der Senior-Quereinsteiger*innen und der Nebenbei-Journalist*innen, die im ersten Abschnitt des Aufsatzes genannt wurden (vgl. Wagner/Möhring 2020b). Das Durchschnittseinkommen des vorliegenden Samples unterscheidet sich außerdem geschlechtsspezifisch: Während weibliche Rentner*innen im Journalismus 1237 Euro verdienen, haben die männlichen Journalisten ein durchschnittliches Einkommen von 1456 Euro. Diese Lücke mag auch dadurch begründet sein, dass mehr Frauen angegeben haben, nebenberuflich journalistisch tätig zu sein als Männer. Der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern liegt hierbei bei 11,5%. Warum mehr Rentnerinnen nebenberuflich und mehr Rentner hauptberuflich im Journalismus tätig sind, ist fraglich. Eine Vermutung könnte sein, dass mehr Frauen noch zusätzlich familiären Verpflichtungen nachgehen und somit weniger Zeit für die journalistische Tätigkeit haben. Diesen Grund für die Freiberuflichkeit wählten fast 16% der Rentnerinnen und nur 3,2% der Rentner.
Abbildung 1
Abdeckung des Lebensunterhalts der Journalist*innen im Hauptberuf (n=77)
Rentner*innen arbeiten im Durchschnitt 29,1 Stunden im Journalismus. Das ist eine längere Arbeitszeit als in einem durchschnittlichen Teilzeitjob in Deutschland, der im Mittel 19,5 Stunden zählt (Destatis 2021b: o.S.). Rentner*innen, die angegeben haben, nebenberuflich im Journalismus tätig zu sein, arbeiten durchschnittlich 17,6 Stunden wöchentlich, während hauptberufliche eine durchschnittliche Arbeitszeit von 32,6 Stunden angegeben haben. Die höchste durchschnittliche Arbeitszeit ist den 60- bis 69-Jährigen zuzuordnen, diese haben auch im Vergleich mit den anderen Altersklassen das höchste Einkommen.
Nicht alle hauptberufliche Journalist*innen können ihren Lebensunterhalt immer vom Einkommen aus dem Journalismus abdecken. Mit 35,1% wurde bei dieser Frage die Option »selten« am häufigsten gewählt, am zweithäufigsten entschieden sich die Hauptberufler*innen mit 22,1% für »nie« (vgl. Abbildung 1).
Diese Angaben können als alarmierend gesehen werden, nachdem auch 38,7% im Fall unvorhergesehener größerer Ausgaben nur »selten« auf Rücklagen zurückgreifen können. Nachdem bei beiden Fragen das reine Einkommen aus dem Journalismus im Fokus stand, bleibt offen, ob es den Rentner*innen möglich ist, die finanzielle Lücke mit ihrer Rente auszugleichen. Die beiden folgenden Beschreibungen von zwei Rentner*innen machen jedoch deutlich, dass dies aufgrund der kleinen Rente nicht immer leicht ist:[4]
»Von dem angegebenen Betrag kann man natürlich nicht leben. Eine geringe Rente kommt noch hinzu. Trotzdem immer noch wenig.«
»Ich bin gern freie Journalistin, weil der Beruf mir gefällt, aber könnte zur Zeit davon nicht leben ohne Rente, die auch klein ist.«
Fakt ist auch, dass einige Rentner*innen neben ihrer Tätigkeit im Journalismus noch anderen bezahlten Tätigkeiten nachgehen. Insgesamt 17,7% der Rentner*innen, die angegeben haben, hauptberuflich im Journalismus zu arbeiten, führten eine Nebentätigkeit an. Diese wird beispielsweise als Fotograf*in, Autor*in, Dozent*in oder Übersetzer*in ausgeübt.
Insgesamt 43,1% der Befragten schätzen die eigene Arbeitssituation als prekär ein, bei den freiberuflichen sind es sogar 48,2%. Zwei von fünf empfinden dies als »belastend«, mehr als ein Viertel sogar als »sehr belastend« (vgl. Tabelle 4).
Tabelle 4
Prekäre Belastung (n=102)
Prozent | |
Extrem belastend | 11,4 |
Sehr belastend | 27,3 |
Belastend | 40,9 |
Etwas belastend | 15,9 |
Überhaupt nicht belastend | 4,5 |
Auch bei der Frage nach dem eigenen Sicherheitsgefühl dominiert die Unsicherheit: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich in Bezug auf das aktuelle Arbeitsverhältnis »unsicher«. In der Studie wurde auch nach den Faktoren gefragt, die zu diesem Sicher- oder Unsicherheitsgefühl führen. Beim Unsicherheitsgefühl dominiert mit 63,5% das »niedrige Einkommen«, gefolgt vom Faktor des »unsicheren Einkommens« (59,6%). An dritter Stelle der Unsicherheitsfaktoren steht das Alter der Journalist*innen. Insgesamt 55,8% wählten dies als Ursache für ein unsicheres Gefühl in Bezug auf die Arbeitssituation. Bei dieser Angabe spielen höchst wahrscheinlich Aspekte wie Altersvorsorge und Gesundheit eine entscheidende Rolle.
Interessanterweise wurde das Alter von 67,3% der sich sicher fühlenden Rentner*innen auch als Sicherheitsfaktor gewählt. Die Gründe hierfür lassen sich nur vermuten, doch das fortgeschrittene Alter und die damit verbundene Rente sowie die Tatsache, nicht mehr vollständig im Berufsleben zu stehen, können sicherlich auch zu einem beruhigenden Gefühl beitragen. Die drei folgenden offenen Antworten von teilnehmenden Rentner*innen dienen als Beispiel für diese Wahrnehmung:
»Bedingt durch mein Alter und Rentenbezug ist meine heutige Situation gut.«
»Verglichen mit Kolleg*innen bin ich dank fortgeschrittenen Alters wohl in einer eher passablen Lage.«
»Ich beziehe Rente, bin nicht mehr auf meine Einnahmen als freie Journalistin angewiesen.«
Die bezogene Rente stellt für 65,3% der Befragten einen Sicherheitsfaktor dar.
4.4 Arbeitszufriedenheit
Die befragten Journalist*innen der Studie sind größtenteils mit ihrer Tätigkeit im Journalismus zufrieden. 71,6% stimmen der Aussage zu, dass der Journalismus ihre Leidenschaft ist, und knapp die Hälfte von ihnen (47,5%) ist mit dem Beruf allgemein »eher zufrieden«. Insgesamt 35,6% sind sehr zufrieden damit. Außerdem haben 59,8% oft Freude bei der Arbeit und 63,7% sind stolz auf ihre Arbeit. Diese hohe Arbeitszufriedenheit würde für die Gruppe der »intrinsischen journalistischen Rentner*innen« sprechen, da den Befragten die Tätigkeit im Journalismus Spaß macht und sie diese möglicherweise als Berufung sehen. Vielleicht gibt ihnen die Arbeit auch das Gefühl, im Rentenalter noch etwas beitragen zu können.
Abbildung 2
Zufriedenheit der Journalist*innen bezüglich ihres Einkommens in Prozent (n=102)
Mehr als ein Viertel der Rentner*innen ist jedoch sehr unzufrieden mit dem Einkommen aus dem Journalismus (vgl. Abbildung 2).
4.5 Einfluss der Corona-Krise
Die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängenden Veränderungen machen auch den Rentner*innen zu schaffen, das zeigen die Ergebnisse der Befragung. 61,7% der Teilnehmer*innen haben angegeben, dass sich ihre Arbeitsbedingungen während der Corona-Krise verschlechtert haben. Mehr als zwei Drittel der freiberuflichen Rentner*innen berichten von Honorareinbußen aufgrund der Corona-Krise, bei der Hälfte von ihnen führen diese zu Existenzängsten. So schreibt eine Teilnehmerin: »Nahezu keine Aufträge seit März 2020.« In einer weiteren Antwort heißt es: »KEINE Aufträge, nichts: kein Budget für Freie.« Bei Journalist*innen, die angegeben haben, unter Existenzängsten zu leiden, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Rente nicht ausreicht, um die Einkommenseinbußen im Journalismus abzufedern. Ein Viertel der freiberuflichen Rentner*innen und 6,3% der Festen Freien/Pauschalist*innen haben finanzielle Unterstützung in Form der Corona-Soforthilfe beantragt.
Darüber hinaus waren oder sind 80% der Rentner*innen, die normalerweise nicht von zuhause aus arbeiten, im Homeoffice. Dabei haben etwas mehr als zwei Drittel von ihnen einen ungestörten Raum zum Arbeiten zur Verfügung, doch nur 33,3% einen Schreibtisch. Große Schwierigkeiten scheinen auch bezüglich einer stabilen und guten Internetverbindung zu bestehen, da 58,3% der Rentner*innen angegeben haben, technische Verbindungsprobleme bei Video-Konferenzen oder anderen Online-Meetings zu haben. Möglicherweise ergibt sich dadurch die Tatsache, dass sich nur knapp 16,7% der Befragten vorstellen können, auch in Zukunft von zuhause aus zu arbeiten.
5. Fazit
Der vorliegende Beitrag hatte das Ziel, eine bislang weitgehend unbekannte Gruppe an Journalist*innen, nämlich journalistisch tätige Rentner*innen, in den Fokus zu stellen. Er widmet sich einer kaum erforschten Gruppe, die die Berichterstattung in deutschen Medien allerdings mitzuprägen scheint. Die Daten geben Auskunft darüber, in welchen Beschäftigungsverhältnissen und unter welchen Bedingungen Rentner*innen im Journalismus arbeiten, wie viel Einkommen sie dabei erzielen und wie zufrieden sie mit ihrer Tätigkeit sind. Auf Basis der Untersuchung können folgende zehn Thesen zur Arbeit von Rentner*innen im Journalismus aufgestellt werden:
- These 1: Der typische Rentner im Journalismus ist männlich und 69 Jahre alt.
- These 2: Die Rentner*innen bringen in der Regel viel journalistische Berufserfahrung mit, der Durchschnitt liegt hier bei 38,5 Jahren.
- These 3: Die überwiegende Mehrheit arbeitet hauptberuflich im Journalismus mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 32,6 Stunden.
- These 4: Die Rentner*innen sind meist freiberuflich und vorwiegend als Autor*innen bei Tageszeitungen und Zeitschriften mit überregionaler Reichweite tätig.
- These 5: Die Rentner*innen verdienen im Durchschnitt 1411 Euro netto im Monat.
- These 6: Die Rentner*innen arbeiten aus Leidenschaft und sind mit ihrer journalistischen Tätigkeit größtenteils zufrieden. Lediglich mit dem Einkommen ist der Großteil von ihnen unzufrieden.
- These 7: Mehr als ein Drittel der Rentner*innen stuft sich als prekär beschäftigt ein, knapp über die Hälfte von ihnen fühlt sich in Bezug auf das Arbeitsverhältnis eher unsicher.
- These 8: Viele Rentenbeziehende haben Schwierigkeiten, ihren gesamten Lebensunterhalt mit dem Einkommen aus dem Journalismus abzudecken und auch auf Rücklagen können nur wenige zurückgreifen.
- These 9: Ihr fortgeschrittenes Alter nehmen die Rentner*innen sowohl als Sicherheitsfaktor als auch als Unsicherheitsfaktor wahr. Die bezogene Rente gibt vielen Befragten Sicherheit.
- These 10: Die Arbeitsbedingungen der Rentner*innen haben sich in der Corona-Krise verschlechtert. Viele der freiberuflich Tätigen haben Einkommenseinbußen, was bei der Hälfte von ihnen zu Existenzangst führt.
Die Befunde unterstützen die Annahme von Wagner und Möhring (2020b), dass ältere Journalist*innen insgesamt einen unterschätzten Anteil freiberuflicher Journalist*innen ausmachen und dass ihre Arbeit keineswegs ein Randphänomen ist. Sie stemmen also einen beachtlichen Anteil der Berichterstattung und sollten in zukünftigen Studien gerade in Bezug auf die Freiberuflichkeit mehr Berücksichtigung finden. Auch im Blick behalten werden sollten die Folgen, die der steigende Anteil an Nebenbei-Journalist*innen mit sich bringt. So bewies die Untersuchung von Monika Moenikes (2001: 111) beispielsweise, dass die Berichterstattung sogenannter Hobby-Journalist*innen verschiedene Mängel aufweist und somit als Gefahr für die Qualität der journalistischen Produkte gesehen werden kann.
Für viele der Rentner*innen der vorliegenden Untersuchung scheint der Journalismus jedoch mehr als nur ein Hobby zu sein. Sie sind beruflich noch sehr aktiv, vereinzelt nehmen sie in den Redaktionen sogar Führungspositionen ein. Im Zusammenhang mit der hohen Anzahl an hauptberuflichen Rentner*innen im Sample sollte jedoch darüber nachgedacht werden, die Definition des Hauptberufes hinsichtlich berufstätiger Rentner*innen im Journalismus anzupassen. Hierbei sollte geklärt werden, welchen Anteil das Einkommen aus dem Journalismus im Vergleich zur Rente ausmacht und bei welchem Verhältnis tatsächlich von einem journalistischen Hauptberuf gesprochen werden kann.
Die aufgezeigten Ergebnisse verdeutlichen prekäre Strukturen des Journalismus, sowohl in der Natur des freiberuflichen Journalismus-Berufes als auch in der Branche allgemein. Die Befunde bestätigen unsichere Beschäftigungsverhältnisse in der journalistischen Freiberuflichkeit, da Rentner*innen selbst ihr Arbeitsverhältnis als prekär einstufen und das Gefühl der Unsicherheit unter ihnen dominiert. Gleichzeitig dienen der bewiesene Gender-Pay-Gap unter den Rentner*innen, die hohen Einkommenseinbußen durch die Corona-Krise und die Tatsache, dass viele hauptberufliche Rentner*innen ihren Lebensunterhalt nur selten mit dem Einkommen aus dem Journalismus abdecken können, als objektive Indikatoren für Prekarität im journalistischen Berufsfeld (vgl. u. a. Dörre et al. 2006). Somit kann festgehalten werden, dass Rentner*innen eine Akteursgruppe im Journalismus darstellen, an der sich die Krise des Journalismus aus einer neuen Perspektive untersuchen lässt. Es kann davon ausgegangen werden, dass bestehende Literatur und Forschung, die sich mit krisenhaften Entwicklungen im Journalismus beschäftigen, die journalistische Tätigkeit von Rentner*innen als eine mögliche Begleiterscheinung oder Konsequenz übersehen. Das klassische Phänomen der hohen Berufszufriedenheit der Journalist*innen (vgl. Buckow 2011: 114; Weischenberg et al. 2006: 89ff.) konnte jedoch parallel dazu auch unter Rentner*innen festgestellt werden.
Die niedrige Stichprobengröße der Befragung sowie der rein quantitative Zugang zur Thematik stellen die größten Limitationen der Studie dar. Es gilt, die spezifische Gruppe an Journalist*innen weiter zu erforschen, schließlich bleiben noch viele Fragen offen. Die Daten legen nahe, dass in erster Linie die Motivation weiter untersucht werden sollte, im Rentenalter im Journalismus tätig zu sein. Die Befunde liefern erste Hinweise darauf, dass finanzielle Gründe, aber auch die reine Freude an der journalistischen Arbeit im Vordergrund stehen. Die Motivation, trotz bezogener Rente im Journalismus tätig zu sein, sollte dabei auch mittels qualitativer Interviews erfasst werden. Dabei sollte auch der Frage nachgegangen werden, welchen Anteil das Einkommen aus dem Journalismus am Gesamteinkommen der Rentner*innen ausmacht. Die Ergebnisse deuten vereinzelt darauf hin, dass die alleinige Rente bei einigen Befragten nicht zum Überleben ausreichen würde, und bestätigen damit die Tatsache, dass einige Rentner*innen im Journalismus arbeiten, um einer Altersarmut entgegenzuwirken (vgl. Destatis 2021a). Die Ergebnisse liefern also eindeutige Hinweise auf die im konzeptionellen Abschnitt vorgestellten prekären Rentner*innen und deuten auf eine potentielle Altersarmut hin, gerade jetzt in der Corona-Krise, durch die vielen freiberuflichen Journalist*innen Aufträge fehlen. Diese Problematik ist nicht nur im Journalismus anzutreffen. Verschiedene Studien weisen unabhängig vom Beruf auf eine steigende Altersarmut in Deutschland hin, diese könnte sogar bis 2039 noch weiter steigen (vgl. Haan et al. 2017; Seils 2020).
Das Feld verlangt außerdem nach Studien, die der Frage nach der Rolle von Rentner*innen in den Redaktionen nachgehen. Wagner und Möhring (2020b) weisen bereits darauf hin, dass die Senior-Quereinsteiger*innen im Lokalen vor allem Kontakte pflegen und Texte sowie Fotos von Veranstaltungen liefern. Zukünftige Untersuchungen sollten thematisieren, welche Aufgaben die Rentner*innen bei Medien verschiedener Reichweiten übernehmen und inwieweit sich beispielsweise auch die Arbeit von freiberuflichen Rentner*innen und Festen Freien unterscheidet. Auch interessant wäre das Beleuchten der Arbeitgeber*innenseite: Warum beschäftigen Medien Rentner*innen, welche Vorteile ergeben sich neben der hohen Erfahrung dieser Gruppe Journalist*innen? Wird aufgrund von Personalmangel oder auch zur Einsparung von Sozialleistungen auf ehemalige Journalist*innen in Rente zurückgegriffen? Die Beantwortung dieser Fragen würde auch Rückschlüsse auf die Arbeitsmarktsituation des Journalismus zulassen.
Über die Autorin
Jana Rick (*1996), M.A., ist seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte im Bereich der Journalismusforschung liegen auf der Prekarisierung im Journalismus und den journalistischen Arbeitsbedingungen. Sie hat Kommunikations- und Kulturwissenschaften an der Freien Universität Bozen und Medienwissenschaften an der Universität Innsbruck studiert. Kontakt: jana.rick@ifkw.lmu.de
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Fussnoten
1 Eine für diese Untersuchung nicht relevante, aber dennoch zu erwähnende Gruppe an Rentner*innen im Journalismus sind berufsunfähige Rentner*innen, die hauptberuflich im Journalismus tätig waren, aber beispielsweise aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage sind, zu arbeiten. Da in der Studie jedoch nur Rentner*innen befragt werden sollen, die noch journalistisch aktiv sind, wird dieser Typus in der Untersuchung nicht berücksichtigt.
2 Die genaue Fragestellung lautete: »Bitte geben Sie an, ob Sie durch Ihren Arbeitgeber, durch die Künstlersozialkasse oder durch andere Anspruch auf eine Rentenversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und Kündigungsschutz haben.«Die beiden Ausweichoptionen lauteten: »Ich beziehe Rente.« und »Ich bin noch im Studium.«
3 Ergebnisse der Gesamtstudie »Prekarisierung im Journalismus« können in Hanitzsch/Rick (2021) nachgelesen werden.
4 Bei diesen und den unten stehenden offenen Antworten handelt es sich um Kommentare, die die Befragten auf der letzten Seite des Fragebogens eingetragen haben. Hierbei wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, zur Befragung oder zum besseren Verständnis der eigenen Antworten etwas anzumerken.
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Zitationsvorschlag
Jana Rick: Journalist*innen im Unruhestand. Eine Bestandsaufnahme von Rentner*innen im Journalismus in Zeiten der Prekarisierung und der Corona-Pandemie. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 3, 2021, 4. Jg., S. 218-237. DOI: 10.1453/2569-152X-32021-11780-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-32021-11780-de
Erste Online-Veröffentlichung
November 2021