Kai von Lewinski (Hrsg.): Immersiver Journalismus Rezensiert von Markus Kaiser

Als das »nächste große Ding der Mensch-Maschine-Interaktion« bezeichnet Kai von Lewinski, Herausgeber des Buchs Immersiver Journalismus, Virtual Reality und Augmented Reality. Deshalb fand im März 2018 an der Universität Passau die Tagung »Immersiver Journalismus – Technik, Wirkung, Regulierung« statt, deren Vorträge in einem in der Edition Medienwissenschaft beim Verlag transcript erschienenen Sammelband gemündet sind.

Auf den ersten Blick wirkt das Buch wie eine bunt zusammengewürfelte Aufsatzsammlung: Im Gegensatz zum lesenswerten Standardwerk Augmented und Mixed Reality für Medien, Marken und Public Relations der beiden Autoren Dirk Schart und Nathaly Tschanz spannt das Buch von Kai von Lewinski einen Bogen von Best-Practice-Beispielen über Technik, Psychologie, Recht, Medienethik und Regulierung mit einem klaren Fokus auf Journalismus. Dadurch ist das Buch in dieser Form einzigartig und bietet einen guten und schnellen Überblick über die verschiedensten Diskussionsthemen rund um X-Realitys, wie Virtual, Mixed und Augmented Reality heute zusammenfassend genannt werden. Schließlich versteht es sich auch nicht als Lehrbuch wie VR-Journalismus von Manuela Feyder und Linda Rath-Wiggin.

Im Buch von Kai von Lewinski beschreibt beispielsweise Andreas Mühlberger im Beitrag »Psychologische Wirkkraft immersiver Medien«, wie Virtual Reality bisher insbesondere in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie zur Therapie von Angststörungen eingesetzt wird. Er schildert unter anderem eine Studie über Phobien, nach der eine solche stärker auftritt, wenn die Probanden eine Spinne in der virtuellen Realität in einem Head-Mounted Display sehen, als wenn sie diese nicht sehen, aber gesagt bekommen, dass vor ihnen eine auf dem Tisch sitzt.

In Bezug auf Journalismus muss Mühlberger aber noch an der Oberfläche kratzen und kann lediglich auf Forschungslücken verweisen, statt Antworten zu geben: »Die Frage, inwieweit das Erleben von traumatisierenden Erlebnissen in VR zu Posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen psychischen Problemen führen kann, was gerade in Bezug auf Kriegsberichterstattung relevant sein wird, ist bisher unbeantwortet.« Diese Probleme träten derzeit aber noch nicht gehäuft auf, »da für den immersiven Journalismus heute oft noch die VR-Vorform des 3D-Videos genutzt wird«. Damit meint Mühlberger statt 3D-Videos aber vermutlich 360-Grad-Videos, die allerdings in der Branche auch nicht als »VR-Vorform« verstanden werden, sondern als Unterscheidungsmerkmal zu VR die Realität ohne zum Beispiel zusätzliche Animationen abbilden. Die weiteren Beiträge sind größtenteils stärker am Journalismus ausgerichtet: In einem sehr lesenswerten Aufsatz stellt Christoph Neuberger von der Freien Universität Berlin programmatische Überlegungen an, wie kommunikationswissenschaftliche Ergebnisse in das Medienrecht einfließen können. Außerdem diskutiert der Direktor des Weizenbaum-Instituts, wie geprüft werden kann, ob innovative Medienformate reguliert werden sollten. Dominic Habel wiederum blickt auf das Thema Werberecht und immersiver Journalismus und zeigt auf, dass Werbung in XR aufgrund des hohen Interaktionsgrades und der Suggestivkraft für die Branche interessant sein kann. Spannend sind seine Ausführungen beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie der Trennungsgrundsatz von redaktionellem Inhalt und Werbung auch in VR-Formaten erreicht werden kann.

Das Buch bietet durch diese vielseitigen Ansätze interessante Gedankenanstöße in den Themenbereich immersiven Journalismus. Es ist in jedem Fall lesenswert, um auch auf Themen zu stoßen, die durch eine einseitige Reduzierung von VR und AR auf journalistische Produktion nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind.

Literatur

Schart, Dirk; Tschanz, Nathaly (2017): Augmented und Mixed Reality für Medien, Marken und Public Relations. 2. Aufl. Konstanz: UVK.

Feyder, Manuela; Rath-Wiggins, Linda (2018): VR-Journalismus. Wiesbaden: Springer VS.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Januar 2020, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22059.

Über den Rezensenten

Markus Kaiser ist Professor für digitalen Journalismus, Medieninnovationen und Change Management in der Kommunikationsbranche an der Technischen Hochschule Nürnberg.

Über das Buch

Kai von Lewinski (Hrsg.): Immersiver Journalismus. Bielefeld [transcript] 2018, 192 Seiten, 34,99 Euro