Katherine M. Engelke: Die journalistische Darstellung von Vertrauen, Misstrauen und Vertrauensproblemen im Kontext der Digitalisierung Rezensiert von Beatrice Dernbach

Vertrauen ist das Schlagwort der Moderne. Wer vertraut wem und warum? Oder vielmehr: Warum wird wem nicht (mehr) vertraut? Wächst das Misstrauen gegenüber politischen und ökonomischen Akteuren? Seit 20 Jahren erforscht die PR-Agentur Edelman weltweit das Vertrauen in Regierungen, Nicht-Regierungsorganisationen, Wirtschaft und Medien (https://www.edelman.de/research/edelman-trust-barometer-2020). Leider ist dieser Link in der sonst sehr umfangreichen Bibliographie der Dissertation von Katherine M. Engelke nicht zu finden. Das ist nicht problematisch, hätte aber einen weiteren Blick in empirische Erkenntnisse des Forschungsgegenstandes ermöglicht. Diese Anmerkung ist allerdings angesichts der Gesamtleistung der Autorin eine Petitesse.

Zweifellos ist das gewählte Forschungsfeld in jeder Hinsicht gesellschaftlich relevant. Und sicher spielen Medien und Journalismus eine große Rolle als Vertrauensintermediäre; vor allem die universellen Tageszeitungen stellen Politik, Wirtschaft, kulturelle und soziale Lebenswelten, Wissenschaft, Religion, Recht und andere gesellschaftliche Subsysteme dar und bewerten sie beziehungsweise die Handlungen der Akteure – was Vertrauen in sie herstellen kann oder auch nicht, was aber zumindest eine Plattform für die Diskussion über Vertrauensprobleme bietet. Irritierend aber ist, dass die Autorin nicht darauf eingeht, dass Medien – neben ihrer gesellschaftlichen Funktion der Komplexitätsreduktion und Orientierung – selbst seit Jahrzehnten mit der Vertrauensfrage konfrontiert sind. Vor allem seit der Digitalisierung und der damit einhergehenden Erweiterung und Öffnung der Medienproduktion im Internet und insbesondere den sozialen Medien werden die Standards der journalistischen Selektion und Hervorhebung der Informationen sowie deren Widerspruchsfreiheit regelmäßig hinterfragt. Medien und Journalismus sind also nicht nur Transporteure der Entwicklungen, sondern den Folgen mit allen Konsequenzen ausgesetzt, was seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten zu Desorientierungen und Umbrüchen in der Branche führt.

In den Kapiteln 2 und 3 trägt Katherine Engelke sehr akribisch viele Forschungs- und empirische Erkenntnisse zur Digitalisierung und zum Framing zusammen. Sie wägt sehr klug zwischen deren Schwächen und Stärken ab und entscheidet sich am Ende klar für die Ansätze, die sie anschließend für die empirische Umsetzung einsetzen kann, vor allem für die Entwicklung der Indikatoren und Kategorien ihrer Inhaltsanalyse. Es lässt sich darüber streiten, ob die ebenfalls sehr ausführliche Auseinandersetzung mit der Vertrauensforschung im vierten Abschnitt nicht zu spät kommt. Wie auch immer: Die erste Hälfte des Buches ist in jeder Hinsicht bereichernd und für jeden ein Muss, der zu Vertrauen und Framing forscht. Und er setzt hohe Erwartungen in den zweiten Teil – die nicht enttäuscht werden.

Mit dem fünften Kapitel zu »Vertrauensdimensions-Frames« leitet die Autorin in ihre empirische Studie über. In den Tabellen 11 (vgl. 248), 12 (vgl. 250f.) und 13 (vgl. 253) stellt sie sehr übersichtlich die deduktiv gewonnenen Elemente der Vertrauens-, Misstrauens- und Vertrauensprobleme-Frames dar. In der ersten Spalte sind jeweils die Elemente von Robert Entmans Ansatz zu erkennen: Problemdefinition, Ursachenidentifikation, Bewertung und Handlungsempfehlung. In der mittleren Spalte finden sich darauf fokussierte Aspekte wie Vertrauenssubjekt und -objekt, Vertrauensneigung und -würdigkeit, Bewertung der Subjekte und Objekte sowie die Betrachtung der geplanten oder durchgeführten Maßnahmen. In der rechten Spalte identifiziert Engelke die möglichen Ausprägungen (z. B. Person, Gruppe, Organisation, System). Der große Vorteil dieser Herangehensweise ist deren Offenheit und damit die Übertragbarkeit auf andere thematische Kontexte als den der Digitalisierung.

Die insgesamt neun Forschungsfragen unterteilt die Autorin in zwei Interessensblöcke: Der erste konzentriert sich auf die generelle journalistische Darstellung der Vertrauensdimensionen, der zweite auf die Vertrauensdimensions-Frames in Bezug auf digitale Sachverhalte. In einem mehrstufigen Verfahren hat das Forschungsteam (Doktorandin plus zwei studentische Hilfskräfte) 2091 Beiträge aus den Jahren 2002 bis 2015 aus fünf Zeitungen ausgewählt und untersucht. Die Medien Spiegel, Spiegel online, taz, Stuttgarter Zeitung und Kölner Express wurden ausschließlich nach den journalistischen Kriterien Medienart, Reichweite und Verbreitungsweg bestimmt. Die Studie ist damit weit entfernt davon, repräsentativ zu sein – diesen Anspruch erhebt die Autorin jedoch auch nicht.

In Tabelle 23 (vgl. 350) sind die zentralen Tendenzen übersichtlich zusammengefasst. Die untersuchten Medienbeiträge ähneln sich einerseits, andererseits gibt es erwartbare Unterschiede. Sowohl die Problemdefinition als auch die Ursachenidentifikation konzentrieren sich vor allem auf Personen und Gruppen sowie Organisationen; häufig sind keine Bewertungen identifizierbar (und falls doch, werden vor allem die Objekte, aber nicht Ver- oder Misstrauen negativ bewertet) und schon gar keine Handlungsempfehlungen gegeben. Die Darstellung der Vertrauensprobleme steigt über die Jahre an und sehr deutlich kristallisieren sich beim Thema Digitalisierung Schlüsselereignisse wie die NSA-Affäre (2013) und der VW-Abgasskandal (2015) mit negativen Vertrauenseffekten heraus. Der Wert dieser Studie liegt weniger in den Einzelergebnissen, sondern darin, dass erstmals theoretisch ein Instrumentarium ausgearbeitet wurde, das seine Tauglichkeit im empirischen Einsatz bewiesen hat und auf andere Themenfelder übertragbar ist.

Der Akademischen Rätin an der Universität Münster ist es gelungen, eine theoretisch-fundierte empirische Analyse der drei Dimensionen Vertrauen-Misstrauen-Vertrauensprobleme im Kontext der Digitalisierung vorzulegen. Das rechtfertigt in gewisser Weise den Umfang von fast 500 Seiten, wenngleich sich für die Veröffentlichung der aktualisierten Dissertation an manchen Stellen Kürzungspotenzial ergeben hätte.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 9. März 2020, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22121

Über die Rezensentin

Dr. Beatrice Dernbach ist Professorin für Praktischen Journalismus im Studiengang Technikjournalismus / Technik-PR der TH Nürnberg. Zu ihren Schwerpunkten gehören Fachjournalismus, Nachhaltigkeit und Ökologie im Journalismus, Narration im und Vertrauen in Journalismus sowie Wissenschaftskommunikation.

Über das Buch

Katherine M. Engelke: Die journalistische Darstellung von Vertrauen, Misstrauen und Vertrauensproblemen im Kontext der Digitalisierung. Theoretische Entwicklung und empirische Erfassung von Vertrauensdimensions-Frames. Reihe: Aktuell. Studien zum Journalismus, Bd. 13. Baden-Baden [Nomos] 2018, 492 Seiten, 94,- Euro.