Von Eduard-Claudiu Gross und Tanjev Schultz
Abstract: Der Beitrag untersucht das Zusammenspiel zwischen sozialen Medien und etablierten Medien bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen 2024/25 und betont die zentrale Rolle von Journalismus und Pressefreiheit in einer von digitalen Plattformen dominierten Ära. Soziale Medien, insbesondere TikTok, avancierten zu einer disruptiven Kraft, die den Diskurs beeinflussen und rechtsradikale Kandidaten durch orchestrierte Kampagnen und algorithmische Verzerrungen begünstigen konnten. Zugleich zeigt die Studie die anhaltende Bedeutung etablierter Medien, denen es in Rumänien gelungen ist, falsche politische Behauptungen zu korrigieren und ernsthafte Debatten zu führen. Der Fall des am Ende siegreichen, politisch gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Nicușor Dan veranschaulicht, wie eine Kombination aus traditionellen Medienauftritten und kreativem Einsatz digitaler Kommunikation auf Plattformen wie TikTok und Meta den Bedrohungen durch Populismus und Extremismus trotzen kann. Das Beispiel Rumäniens ist lehrreich auch für andere Länder, die in der digitalen Ära die Integrität demokratischer Debatten und Wahlen schützen müssen.
Keywords: Social Media, TikTok, Wahlmanipulation, Algorithmen, Rumänien
Ist die Annahme obsolet, dass etablierte Medien und professioneller Journalismus für den Ausgang von Wahlen wichtig sind? Zählt heute nur noch der Erfolg auf digitalen Plattformen? Ein Beispiel für den medialen Wandel liefert die rumänische Präsidentschaftswahl im Jahr 2024. Der rechtsradikale Kandidat Călin Georgescu erreichte in der ersten Runde, die später annulliert wurde, unerwartet den ersten Platz – trotz seiner auffälligen Zurückhaltung, in traditionellen Medien aufzutreten und sich öffentlichen Debatten zu stellen. Georgescu hatte sich auf Podcasts und Social Media konzentriert. So umging er klassische Formate, konnte kritischen Fragen ausweichen und dennoch einen erheblichen Teil der Bevölkerung erreichen. Was Chadwick (2017) als »hybrides Mediensystem« bezeichnet hat, ließ sich in Rumänien gut studieren: Traditionelle Medien können politische Debatten nicht mehr allein prägen, sie konkurrieren und interagieren mit alternativen Angeboten und den digitalen Plattformen – und werden von diesen teilweise in den Schatten gestellt.
Das überraschende Ergebnis, das 2024 mit Hilfe digitaler Kommunikation erzielt wurde, deutet auf einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise hin, wie politische Informationen zirkulieren und das Wahlverhalten beeinflussen. Wie Bennett und Pfetsch (2018) argumentieren, geht es nicht nur um eine taktische Innovation, sondern um eine grundlegende Neugestaltung der Beziehung zwischen Medien, Politik und Bevölkerung. Dieser Aufsatz untersucht den Wandel durch soziale Medien und beleuchtet die besondere Rolle von TikTok in einem dramatischen Wahlkampf. Die Ereignisse in Rumänien liefern Material für eine Fallstudie, die helfen kann, weltweite Trends in der politischen Kommunikation zu erfassen. Mit seinem postkommunistischen Erbe und einer noch relativ jungen Entwicklung freier Medien (vgl. Starck 1999), mit seiner digitalen Transformation und seinen Ansätzen in der Medienregulierung kann das rumänische Beispiel lehrreich für all diejenigen in Wissenschaft und Praxis sein, die sich für das Zusammenspiel von digitalen und etablierten Medien sowie demokratischen Prozessen interessieren.
In seinem ersten Akt zeigt das Beispiel Rumäniens, wie Kandidatinnen und Kandidaten erfolgreich Wahlkampf führen, indem sie über digitale Medien direkte Verbindungen zu Bürgerinnen und Bürgern aufbauen und die journalistische Gatekeeper-Funktion aushebeln. Im zweiten Akt, nach der Annullierung der ersten Wahlrunde, lehrt das Beispiel Rumäniens jedoch auch: Professioneller Journalismus und traditionelle Medien können in bestimmten Konstellationen noch immer wirkungsvoll sein und der Demokratie einen wichtigen Dienst erweisen. Am Ende turbulenter Monate wurde im Mai 2025 der politisch gemäßigte Kandidat Nicușor Dan zum neuen rumänischen Präsidenten gewählt. Sein Wahlerfolg ist, wie wir hervorheben werden, auch ein Beleg dafür, dass die etablierten Medien noch nicht abgeschrieben werden dürfen. Klassischer Journalismus, TV-Debatten und seriöses, schnelles Faktenchecken können noch immer etwas bewirken.
Die Rolle von TikTok in der ersten Wahlrunde 2024
In der ersten Wahlrunde 2024 avancierte TikTok zu einem zentralen Medium der politischen Kommunikation in Rumänien. Wie haben die Kandidatinnen und Kandidaten diese Plattform genutzt, wie effektiv waren sie dabei und welche Herausforderungen für die Medienregulierung haben sich ergeben? Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum haben auf TikTok gesetzt, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Vor allem der ultranationalistische Kandidat Călin Georgescu – bis dahin eine weitgehend unbekannte Figur – führte auf TikTok einen, wie Beobachter es nannten, »geschickten Wahlkampf« (Carlugea/Wesolowsky 2024). Durch den Einsatz kurzer, viraler Clips erreichte er Millionen junger Menschen und hatte bis zum Wahltag rund 260.000 TikTok-Follower. Seine Inhalte bestanden hauptsächlich aus Frage-und-Antwort-Segmenten und Kritik an der EU und der NATO (Păvălucă 2024).
Auch andere waren auf TikTok präsent, darunter der Vorsitzende der rechtsextremen Allianz für die Union der Rumänen (AUR) George Simion, der ehemalige Premierminister Victor Ponta, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Marcel Ciolacu und die reformorientierte Kandidatin Elena Lasconi. Doch nur Georgescu ist es gelungen, »das volle Potenzial der Plattform« auszuschöpfen (Carlugea/Wesolowsky 2024). Ein TV-Interview mit ihm kam in der ursprünglichen Ausstrahlung nur auf eine Reichweite von etwa 70.000 ›Views‹, auf TikTok erzielte ein Ausschnitt dann aber 4,1 Millionen Aufrufe.
Mehrere Parteien versuchten, trotz eines Verbots politischer Werbung auf TikTok, bezahlte Influencer-Kampagnen zu schalten. Wie ein journalistisches Projekt enthüllte, hatte die mitte-rechts-orientierte Nationalliberale Partei (PNL), die zur Regierung gehörte, einen Auftrag für eine TikTok-Kampagne vergeben. Allerdings wurde diese ›gekapert‹, um für Georgescu zu werben. Das bestätigte später die rumänische Steuerbehörde, die nachwies, dass die PNL TikTok-Werbung und Hashtags finanziert hatte, die letztlich aber Georgescu zugutekamen (Goury-Laffont 2024).
Freigegebene Geheimdienstdokumente zeigen, dass etwa 381.000 US-Dollar an TikTok-Influencer gezahlt worden sein sollen, um für Georgescu zu werben (Chan 2024). Demnach sollten Influencer und deren Empfehlungen das Verbot politischer Werbung auf TikTok umgehen. Während andere Parteien mit mehr oder weniger großem Erfolg versuchten, TikTok für konventionelle politische Botschaften zu nutzen, profitierte Georgescu von einer effektiven, jugendorientierten Strategie. Rumänische TikTok-User zeigten ein – für eine überwiegend junge Bevölkerungsgruppe – ungewöhnlich hohes politisches Engagement. Eine Umfrage im Dezember 2024 unter den Nutzerinnen und Nutzern von TikTok im Alter von 18 bis 35 Jahren hat ergeben, dass die Mehrheit von ihnen vor der (dann kurzfristig abgesagten) Stichwahl wahlbezogene Inhalte und diverse fragwürdige politische Behauptungen auf der Plattform gesehen hatte. Auch wenn TikTok die Methode der Umfrage in Frage stellte, stimmen ihre Ergebnisse mit anderen Hinweisen für eine erhebliche Durchdringung der Plattform mit politischen Inhalten überein. Viele junge Rumäninnen und Rumänen nutzen TikTok nicht nur zur Unterhaltung, sondern als primäre Nachrichtenquelle. Soziale Medien sind laut Eurobarometer-Daten in Rumänien schon seit längerer Zeit wichtiger für aktuelle Informationen als im Durchschnitt der EU-Länder (Eurobarometer 2023).
Georgescu und seine Leute setzten auf virale Content-Strategien und Hashtag-Kampagnen, um das Engagement zu steigern. User erstellten Mitmach-Memes, zum Beispiel »Von welchem Ort aus unterstützt ihr Georgescu?«, die zum Teilen anregten und ein Gefühl kollektiver Identität förderten. Georgescus eigene Inhalte vermischten nationalistische und anti-europäische Rhetorik mit Bildern aus seinem Alltag (Kirchenbesuche, Judotraining, Joggen), die den Politiker als sympathische Person zeigen sollten (Global Witness 2024). Eines von Georgescus erfolgreichsten TikToks verbreitete die falsche Behauptung, ukrainische Geflüchtete erhielten deutlich mehr finanzielle Unterstützung als rumänische Kinder – eine Darstellung, die vom journalistischen Faktencheck widerlegt wurde (Factual 2024). Das Video erzielte dennoch mehr als fünf Millionen Aufrufe (Arambescu 2024). Die TikTok-Kampagne des Rechtsradikalen kombinierte emotionale nationalistische Appelle und Fehlinformationen mit expliziten Aufrufen, diesen Inhalten noch mehr Reichweite zu verschaffen.
Mehrere Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass das Empfehlungssystem von TikTok Georgescus Inhalte überproportional verbreitete. Kontrollierte Experimente mit TikTok-Konten zeigten, dass pro-Georgescu-Beiträge 4- bis 14-mal häufiger empfohlen wurden als Inhalte, die Lasconi unterstützten (Global Witness 2024). Rumänische Medien und NGOs berichteten, dass automatisierte Konten, unauthentische Profile und algorithmische Verzerrungen auf TikTok maßgeblich zu Georgescus Aufstieg von einer Randfigur zum vorläufigen Gewinner in der ersten Wahlrunde beigetragen hätten (Henley 2024). Obwohl TikTok bestritt, ihn bevorzugt zu haben, ist das Ausmaß seines digitalen Erfolgs bemerkenswert: Georgescu sammelte Hundertausende Follower und erreichte Millionen von Videoaufrufen – und übertraf seine Konkurrenten damit um Längen (Haeck 2024; Ilie 2024).
Ende November 2024 gingen die rumänischen Behörden auf die wachsenden Bedenken ein, als ANCOM, das Amt zur Regulierung der Telekommunikation, die Europäische Kommission aufforderte, gemäß dem Digital Services Act (DSA) eine Untersuchung zur Rolle von TikTok bei der Wahl einzuleiten. Kurz darauf unternahm das rumänische Verfassungsgericht den beispiellosen Schritt, die erste Runde der Wahl aufgrund »ausländischer Einmischung« und algorithmischer Verzerrung zu annullieren – eine offizielle Bestätigung dafür, dass TikTok die Wahl erheblich beeinflusst hatte (Europäische Kommission 2024).
Verdeckte Operationen und Kampagnen zur Desinformation auf TikTok alarmierten die Behörden. TikTok selbst identifizierte nun mehrere verdeckte Netzwerke, die auf rumänische Wählerinnen und Wähler abzielten. Mitte Dezember gab das Unternehmen bekannt, Zehntausende unechter Konten gesperrt und Millionen betrügerischer Likes und Follower entfernt zu haben. TikTok teilte mit, man habe ein Netzwerk aufgelöst, das aus 4.453 gefälschten Konten mit jeweils etwa drei Followern bestanden und von der Türkei aus operiert haben soll. Es soll hauptsächlich für die rechtsradikale Partei AUR und in geringerem Maße für Călin Georgescu geworben haben. Nach der Annullierung der Wahl sperrte TikTok weitere 22.764 Konten. Darüber hinaus wurde ein rumänisches Netzwerk identifiziert, das mit 78 Konten für Georgescu geworben hatte. Andere Netzwerke hatten für die Parteien PNL und PSD getrommelt. Laut den Transparenzberichten von TikTok blockierte die Plattform während des Wahlkampfs in Rumänien mehr als 92.000 Fake-Accounts und verhinderte Millionen betrügerischer Interaktionen (TikTok Newsroom 2024).
So illustrieren die Präsidentschaftswahlen in Rumänien im Jahr 2024 den starken Einfluss, den Social-Media-Plattformen, in diesem Fall vor allem TikTok, auf demokratische Prozesse ausüben können. Das wirft drängende Fragen auf zur Transparenz der Algorithmen, zur Regulierung der Plattformen und zur Entwicklung der politischen Kommunikation in einer digitalen Medienumgebung.
Herausforderungen für die Behörden
Die politischen Prozesse und Wahlkämpfe in Rumänien stehen zunehmend unter dem Einfluss digitaler Plattformen. Dieser Abschnitt wirft einen Blick auf den aktuellen regulatorischen Rahmen für Online-Inhalte rund um Wahlen – und auf die neuen Herausforderungen, die durch immer raffiniertere Formen der Manipulation entstehen.
Um Desinformation und illegale Inhalte im Netz wirksamer zu bekämpfen, hat die rumänische Regierung eine zentrale Kontrollstruktur geschaffen. Mit dem Gesetz Nr. 50/2024 wurde ANCOM zur zuständigen Behörde »für alle Aspekte der Aufsicht über Online-Dienste« ernannt, einschließlich der Aufsicht über digitale Plattformen (Cristescu 2024). Ziel ist eine stärkere Zentralisierung der Regulierung und ein klarer Mechanismus gegen illegale Inhalte und Desinformation im Wahlkampf.
Trotz der angestrebten Zentralisierung bleibt die Regulierung digitaler Wahlkampfinhalte in Rumänien zersplittert. Die Bündelung der Zuständigkeiten bei ANCOM ist bislang nur teilweise gelungen. So mischt weiterhin auch der Nationale Audiovisuelle Rat (CNA) mit und versucht, seine Kontrolle auf Videoinhalte in sozialen Netzwerken auszuweiten – unter anderem durch sogenannte »Entfernungsanordnungen« für Social-Media-Beiträge. Das stößt auf Kritik: Organisationen wie ApTI und ActiveWatch werfen dem CNA vor, seine Kompetenzen unrechtmäßig auszudehnen und Sanktionen ohne klare gesetzliche Grundlage zu verhängen (Bunea 2025). Zusätzlich sind auch die Ständige Wahlbehörde (AEP) und das Zentrale Wahlbüro (BEC) in die Aufsicht involviert. Bei begründeten Beschwerden können sie Plattformbetreiber verpflichten, illegale Wahlwerbung zu entfernen (G4Media Redaction 2025a).
Die Umsetzung des europäischen Digital Services Act (DSA) macht die Lage in Rumänien zusätzlich kompliziert. Den Plattformen werden Transparenzpflichten auferlegt. Nutzerinnen und Nutzer, deren Inhalte eingeschränkt wurden, können Widerspruch einlegen und sich mit entsprechender Dokumentation an ANCOM wenden. Die rumänische Behörde kann Beschwerden bearbeiten, sofern die betreffende Plattform in Rumänien ansässig ist, andernfalls leitet sie den Fall an eine Ansprechperson im Herkunftsland weiter (G4Media Redaction 2025b). In der Praxis erweist sich die Koordination zwischen den unterschiedlichen Stellen jedoch oft als schwierig und ineffizient.
Als Reaktion auf die Annullierung der Parlamentswahl im November 2024 hat das rumänische Parlament zudem schärfere Regeln für politische Online-Inhalte verabschiedet. Gesponserte Wahlbotschaften müssen nun deutlich mit Identifikationscodes für die Kampagne und Geldgeber gekennzeichnet sein. Beiträge, die diese Anforderungen nicht erfüllen, können von Plattformen laut einem im Januar 2025 erlassenen Gesetz »innerhalb von weniger als fünf Stunden« entfernt werden (Chastand/Malingre 2025). Diese Regeln ergänzen die DSA-Vorschriften zur transparenten politischen Werbung und zur Eindämmung von Desinformation.
Für die Umsetzung der neuen Vorschriften wurden Meldewege geschaffen: Bürgerinnen und Bürger können mutmaßlich illegale Inhalte an das Zentrale Wahlbüro (BEC) melden. Wird eine Beschwerde für berechtigt befunden, kann das Amt – über die Ständige Wahlbehörde (AEP) – eine Einschränkung des Inhalts auf der jeweiligen Plattform anordnen. ANCOM unterstützt den Prozess mit Leitlinien und Formularen, um sowohl die Bevölkerung als auch politische Akteure bei der Beschwerdeführung zu unterstützen (G4Media 2025a). Wahlkampagnen müssen darüber hinaus Vorschriften zur Finanzierung und Kennzeichnung politischer Werbung einhalten: Jedes bezahlte Kampagnenmaterial ist meldepflichtig und muss der BEC angezeigt werden. Doch trotz dieser Reformen kam es während der Wahlen 2025 zu Problemen. Der spätere Wahlsieger Nicușor Dan warf der AEP vor, »böse Absichten« zu verfolgen – weil sie gegen anonyme, diffamierende Online-Inhalte nicht eingeschritten sei. Gleichzeitig beklagte er, dass authentische Unterstützerinnen und Unterstützer seiner Kampagne durch Algorithmen benachteiligt würden, während negative anonyme Beiträge »nicht sanktioniert« würden (Emilian 2025). Der Fall zeigt: Die Debatte über eine faire und effektive Regulierung digitaler Wahlkampfkommunikation ist längst nicht abgeschlossen.
Ein Problem sind nicht mehr nur schlichte Falschmeldungen (›Fake News‹), sondern ausgefeiltere Techniken der Manipulation. Laut einem Bericht der Organisation Expert Forum können politische Akteure den digitalen Raum »mit einer Flut von Informationen, Memes und Videos über den eigenen Kandidaten sowie negativer Propaganda über Gegner überfluten« (Ioniță/Voinea 2025). Durch den Einsatz von Bot-Netzwerken und Fake-Accounts lassen sich die Sichtbarkeit und wahrgenommene Glaubwürdigkeit von Akteuren künstlich steigern. Diese Taktiken werden als »Coordinated Inauthentic Behavior« (CIB) bezeichnet, als koordiniertes unauthentisches Verhalten. Die Analyse von Expert Forum zeigt, dass die Algorithmen der Plattformen bis an die Grenze oder über die Grenze des Erlaubten hinaus ausgenutzt werden. Daten aus einem 30-Tage-Zeitraum belegen die Dimension: 600 CIB-basierte Videos erzielten mehr als 100 Millionen Aufrufe. Darunter waren 270 Clips zugunsten des rechtsradikalen Kandidaten George Simion sowie 180 Beiträge, die den Regierungskandidaten Crin Antonescu unterstützten (Ioniță/Voinea 2025).
Die offiziellen Accounts der Kandidaten hatten ein verdächtiges Wachstum an Followern. Allein Victor Ponta bekam in der letzten analysierten Woche (20.–24. April 2025) 100.000 neue TikTok-Follower, Nicușor Dan rund 30.000. Eine Analyse der Kommentare zu den Videos der Kandidaten deutet auf einen hohen Anteil von Dopplungen hin – ein Hinweis auf Bots. Bei Ponta lag der Anteil an Dopplungen bei 47,6 Prozent, bei Dan waren es 37 Prozent, bei George Simion 23,1 Prozent (Ioniță/Voinea 2025). Besonders bemerkenswert ist der Fall von Crin Antonescu, dessen scheinbar große Sichtbarkeit (118 Millionen Aufrufe in den letzten Monaten) »hauptsächlich auf Unterstützungsnetzwerke und nicht auf die Aktivität seines offiziellen Accounts« zurückzuführen war, den er »systematisch vernachlässigt« hatte (Ioniță/Voinea 2025).
Die Intransparenz des TikTok-Algorithmus erschwert es, gegen CIB vorzugehen. Die Organisation Expert Forum betont, dass »wir praktisch im Dunkeln tappen« (Ioniță/Voinea 2025). Dem rumänischen Staat fehlt es an der Expertise und den Mitteln, um effektiv gegen Manipulationen vorzugehen. Expert Forum beklagt, dass sich die Behörden vor allem um Fälle kümmern würden, die sich leicht erfassen lassen, während systemische Probleme im Zusammenhang mit CIB vernachlässigt würden (Ioniță/Voinea 2025). Der Fall von Nicușor Dan verdeutlicht dies: Im April 2025 gab er bekannt, dass er seine bezahlte Wahlwerbung (ca. 15.000 Euro pro Tag) eingestellt habe, nachdem seine Instagram-, Facebook- und TikTok-Profile »von Hunderttausenden gefälschter Konten überschwemmt« worden waren, die seine Beiträge aggressiv verbreitet hätten (Bularca/Popescu 2025; Otopeanu 2025). Der Politiker informierte die zuständigen Behörden, reichte Beschwerde ein und verlangte die Identifizierung derjenigen, die die Bots bezahlt hatten; der Ausgang des Verfahrens: ungewiss.
Die rumänischen Erfahrungen zeigen, dass trotz bestehender Ansätze zur Regulierung erhebliche Herausforderungen und Risiken bei der Bekämpfung digitaler Manipulationen in Wahlkämpfen existieren. Der Taktik von CIB – dem koordinierten, unauthentischen Verhalten im Netz – kann die aktuelle Internet-Regulierung bisher wenig entgegensetzen. Deutlich wird damit ein Bedarf an verbesserter Aufsicht, mehr Transparenz der Plattformen und einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Behörden und Internetunternehmen.
Transfer der Nationalisten – von Georgescu zu Simion
Das Verhältnis zwischen den beiden Kandidaten Călin Georgescu und George Simion ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Übertragung von Wahlkapital. Für Simion, den Vorsitzenden der rechtsradikalen AUR, fungierte Georgescu, den das Verfassungsgericht von der für 2025 neu angesetzten Wahl ausgeschlossen hatte, als politische Galionsfigur. Er verhalf Simion dazu, sich erfolgreich als »Souveränist« zu inszenieren (Popescu 2025), der die rumänische Nation zu neuer Größe und Stärke bringen wolle. Diese Strategie, bei der sich Simion auch am US-Präsidenten Donald Trump orientierte, bescherte ihm in der ersten Wahlrunde 2025 einen Erfolg. Simion lag vorne, erreichte die Stichwahl – und übernahm so die Rolle von Georgescu, der selbst nicht mehr antreten durfte. Simion stellte ihm im Falle eines Wahlsiegs das Amt des Ministerpräsidenten in Aussicht.
Ende des Jahres 2024 war Georgescu als ›unabhängiger‹ Kandidat aus dem ersten Wahlgang mit 2.120.401 Stimmen und einem Anteil von 22,94 Prozent als Spitzenreiter hervorgegangen. Simion hatte 1.281.325 Stimmen (13,86 %) erhalten (Popescu 2025). Ein halbes Jahr später, bei der Wahl 2025, verzeichnete Simion einen dramatischen Zuwachs und kam im ersten Wahlgang auf 3.862.761 Stimmen (40,96 %) – ein Wert, der nicht nur sein vorheriges Ergebnis übertraf, sondern auch die Gesamtzahl der Stimmen, die er und Georgescu zuvor gemeinsam erhalten hatten (3.401.726 Stimmen) (Agerpress 2025; Cristea 2025).
Abb. 1
Verteilung der Stimmen 2024/2025 (jeweils erste Wahlrunde)
Grafik: eigene Darstellung
Die rund 460.000 zusätzlichen Stimmen, die Simion erhielt, deuten darauf hin, dass er neue Gruppen von Wählerinnen und Wählern jenseits des Lagers der Souveränisten mobilisieren konnte. Medienanalysen stützen diese Interpretation und zeigen, dass seine Kampagne nicht nur die Strahlkraft Georgescus nutzte, sondern insgesamt breitere gesellschaftliche Resonanz fand (HotNews 2025). So wendeten sich auch ehemalige Anhängerinnen und Anhänger der Sozialdemokratischen Partei (PSD) Simion zu. Politiker wie Crin Antonescu fanden bei ihnen dagegen keinen Anklang.
Nicușor Dans Medienpräsenz und die Rolle des Fernsehens
Im Wahlkampf zur zweiten Runde der Präsidentschaftswahl 2025 bemühte sich der politisch gemäßigte, unabhängige Kandidat Nicușor Dan – bislang vor allem als Bürgermeister von Bukarest bekannt – verstärkt um mediale Sichtbarkeit. Er trat in mehreren reichweitenstarken Fernsehsendungen auf, um den Rückstand gegenüber George Simion aufzuholen. Insbesondere seine Teilnahme an politischen Debatten und landesweit beachteten TV-Formaten bildete einen zentralen Bestandteil seiner Kampagne – zumal Simion auf Fernsehauftritte weitgehend verzichtete und seine Kommunikation, ähnlich wie zuvor Georgescu, auf digitale Plattformen, allen voran TikTok, konzentrierte. Das Ungleichgewicht in der Medienpräsenz der beiden Kandidaten ermöglichte es Dan, die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums zu gewinnen, auch von Menschen und Gruppen, die weniger in den sozialen Medien aktiv sind.
So verfolgten am 15. Mai 2025 im Durchschnitt rund 220.000 Zuschauerinnen und Zuschauer eine TV-Debatte mit Nicușor Dan im öffentlich-rechtlichen Sender TVR 1 (Obae 2025c). Auch wenn diese Quote im Vergleich zu anderen Formaten moderat ausfiel, dürfte der Auftritt in einem Sender, der mit politischer Ausgewogenheit und Seriosität assoziiert wird, Dan geholfen haben, sein sachorientiertes Profil zu schärfen – insbesondere gegenüber urbanen Wählerinnen und Wählern. Er signalisierte damit Bereitschaft zu ernsthaften inhaltlichen Auseinandersetzungen.
Einen weiteren wichtigen Auftritt hatte Dan bereits einen Tag zuvor, am 14. Mai, bei România TV: Eine Sondersendung mit ihm erreichte dort durchschnittlich rund 665.000 Zuschauer (Obae 2025b). Da der Sender in der Anhängerschaft George Simions traditionell stark verankert ist, eröffnete sich Dan hier eine gute Gelegenheit, seine Positionen und seine Person einem Publikum vorzustellen, bei dem er bislang weniger bekannt oder populär war.
Am Abend des 13. Mai hatte Dan zudem an einer von Mihai Gâdea moderierten Debatte auf Antena 3 teilgenommen, die landesweit rund 480.000 Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten (Obae 2025a). Das Publikum des Senders gilt als politisch interessiert und empfänglich für aufwendig inszenierte, spektakuläre Formate. In diesem Umfeld konnte sich Dan einem wichtigen Bevölkerungsteil wirkungsvoll präsentieren – einem Segment, das sich für aktuelle Themen interessiert und trotz wachsender digitaler Angebote nach wie vor auch klassisches Fernsehen schaut.
Tabelle 1
TV-Auftritte von Nicușor Dan im Wahlkampf 2025
Sendung/Format |
TV-Sender |
Datum |
Uhrzeit |
Reichweite landesweit |
Reichweite Städte |
Reichweite kommerzielle Zielgruppe |
Debatte (Mihai Gâdea als Moderatorin) |
Antena 3 |
13.05. 2025 |
19:00-23:45 |
480.000 |
355.000 |
115.000 |
Debatte |
România TV* |
14.05. 2025 |
20:00-22:00 |
665.000 |
450.000 |
150.000 |
Debatte |
TVR 1 |
15.05. 2025 |
21:00-00:00 |
220.000 |
160.000 |
60.000 |
Debatte – die einzige mit beiden Kandidaten |
Euronews |
8.05. 2025 |
20:00-00:00 |
272.000 |
233.000 |
135.000 |
* beliebt bei Simions Anhänger:innen
Im Gegensatz zu Nicușor Dan verzichtete der nationalistische Kandidat George Simion im Zeitraum vom 4. bis 18. Mai 2025 weitgehend auf Auftritte in Fernsehsendungen mit nennenswerter Reichweite und konzentrierte sich auf die sozialen Medien, vor allem auf TikTok. Insbesondere Bürgerinnen und Bürgern, die online weniger aktiv sind, blieb sein politisches Profil damit schwerer zugänglich – sie erhielten kaum Gelegenheit, seine Positionen oder seine Persönlichkeit im Rahmen einer klassischen Debatte kennenzulernen. Die einzige direkte Konfrontation der beiden Kandidaten fand am 8. Mai 2025 in einer von Euronews moderierten Sendung statt, die 272.000 Zuschauer erreichte – und damit hinter der kumulierten Reichweite von Dan zurückblieb.
Nicușor Dans mediale Präsenz im Fernsehen erwies sich als entscheidender Faktor für seine Sichtbarkeit im Wahlkampf, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Abwesenheit seines Gegners.
Durch die Teilnahme an verschiedenen Formaten erreichte Dan ein heterogenes Publikum, vermittelte seine Botschaften an Zuschauerinnen und Zuschauer unterschiedlicher Milieus und setzte zugleich einen deutlichen Kontrast: Während sich Dan als Kandidat im klassischen öffentlichen Raum positionierte, beschränkte sich Simion weitgehend auf digitale Plattformen und entfaltete eine Wirkung vornehmlich innerhalb einer bestimmten ›Blase‹.
Entscheidend war dabei nicht allein die Reichweite der einzelnen Sendungen. Nicușor Dans Auftritte in den etablierten Medien wirkten als Katalysatoren für eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten George Simion. Nach der gemeinsamen Debatte wurde Dan in breiten Teilen der Medienberichterstattung als klarer Sieger wahrgenommen. Er profitierte dabei auch von Simions Patzern, etwa der Bemerkung »Ich bin besser als Sie im Wortwerfen«, auf die Dan prompt und trocken mit »Genau, genau« reagierte (Sava 2025). Das proeuropäische Lager um Dan verstand es, diese Auftritte gezielt zu nutzen, um das Bild Simions als oberflächlichen, unvorbereiteten und unseriösen Kandidaten weiter zu festigen.
Abwesenheit als Symbol
George Simions Weigerung, an weiteren TV-Debatten teilzunehmen, wurde zum Politikum: Der für ihn reservierte, leer gebliebene Stuhl im Fernsehstudio wurde zum Symbol für politische Distanz und mangelnden Mut zur Auseinandersetzung. Auch im Internet bildete sich rund um dieses Bild eine lebhafte und oft ironische Kommunikationswelle. Zahlreiche Menschen und Organisationen griffen das Motiv des leeren Stuhls auf und verbreiteten humorvolle Botschaften wie »Wir haben George Simion gefunden« (Coșlea 2025).
Das Thema gewann noch an Brisanz, als der Comedian Micutzu eine Debatte initiierte, an der Simion zunächst teilnehmen wollte, später jedoch absagte und bestritt, den Teilnahmebedingungen zugestimmt zu haben. Die Veröffentlichung einer Audioaufnahme, in der Simion seine Zusage gegeben hatte, verstärkte den Eindruck von Unaufrichtigkeit und Wankelmut. Micutzu stellte daraufhin die pointierte Frage: »Warum fliehen wir vor der Debatte und lügen dann?« (Zia 2025). Im Rumänischen enthielt diese Frage zudem eine Anspielung auf die Grammatikfehler von Mitgliedern der rechtsradikalen POT-Partei (Young People’s Party), die Simion unterstützte. Im Internet reagierten Nutzer und Nutzerinnen wiederholt mit einem Stuhl-Emoticon auf Simions Beiträge. Auch Simions Treffen mit europäischen Politikerinnen und Politikern wie Georgia Meloni oder dem polnischen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki führten nicht zu prominenter Unterstützung – was den Eindruck politischer Schwäche verstärkte.
Nicușor Dans kontinuierliche Präsenz im traditionellen Medienraum, verbunden mit der symbolischen Wirkung der Abwesenheit seines Gegners, trug entscheidend zur Stärkung seiner Position in der zweiten Wahlkampfrunde bei. Es gelang Dan, sich als präsenten, gut vorbereiteten und dialogorientierten Kandidaten zu profilieren – ein markanter Kontrast zu seinem Gegner, der ausweichend und weitgehend isoliert wirkte.
Prebunking und verantwortungsvoller Journalismus
Am Morgen des 17. Mai 2025, nur einen Tag vor der Stichwahl, verschwand plötzlich der TikTok-Account von George Simion. Nutzerinnen und Nutzer, die seine Seite aufrufen wollten, lasen die Standardmeldung »Dieser Account konnte nicht gefunden werden«. Was folgte, war ein Paradebeispiel für narratives Hijacking. In seiner Rolle als selbsternannter Systemkritiker war Simion bestens dafür gerüstet, politische Zensur zu beklagen. Ein Journalist von Realitatea TV, bekannt für seine populistischen Beiträge, kommentierte umgehend: »Die Verzweiflung des Systems ist deutlich sichtbar.« Ein Netzwerk von TikTok-Influencern verbreitete diese Deutung nahezu in Echtzeit. Dieser kritische Moment kurz vor der entscheidenden Wahl war auch deshalb so brisant, weil das nationalistische Lager wochenlang behauptet hatte, bereits Georgescu sei um den Wahlsieg betrogen worden. Sogar US-Vizepräsident J.D. Vance hatte so argumentiert und Rumänien als Beispiel für angeblich undemokratische Verhältnisse in Europa angeführt.
Doch die Strategie der Nationalisten scheiterte. Dazu trug maßgeblich ein zeitgemäßer, faktenorientierter Journalismus bei. Ausschlaggebend war dabei unter anderem der Einsatz des sogenannten Prebunking, einer proaktiven Methode zur Bekämpfung von Fehlinformationen. Anders als das Debunking, das erst nach der Verbreitung falscher Behauptungen reagiert, wirkt Prebunking wie eine psychologische Impfung: Es bereitet die Öffentlichkeit auf bevorstehende Desinformation vor, indem es die rhetorischen und emotionalen Mechanismen offenlegt, mit denen diese voraussichtlich operieren wird (Lewandowsky/van der Linden 2021; Roozenbeek/van der Linden 2019). In diesem Fall setzte die Redaktion von Context.ro die Prebunking-Strategie um, indem sie unmittelbar Kontakt zu TikTok aufnahm, um die Situation zu klären. Innerhalb weniger Minuten erhielt sie die Bestätigung, dass Simion seinen Account freiwillig deaktiviert hatte – ein Befund, der das Zensurnarrativ rasch entkräftete, bevor es sich verbreiten konnte. Simion musste nun improvisieren. Kurz vor dem Wahlsonntag rief er einen »Tag der Stille« aus und kündigte die Sperrung all seiner Social-Media-Konten an. Dennoch postete er weiterhin auf X (ehemals Twitter), um den Kontakt zu seiner treuesten Anhängerschaft aufrechtzuerhalten.
Der rumänische Fall verdeutlicht eindrücklich die zentrale Bedeutung einer freien und kritischen Presse im Kampf gegen Desinformation. Er zeigt zugleich, dass dieser Kampf auch im Zeitalter der sozialen Medien und einer Aufmerksamkeitsökonomie, die durch Kurzformate auf Plattformen wie TikTok und Instagram befeuert wird (Napoli 2019), keineswegs aussichtslos ist. Zugleich waren aber auch die Gefahren möglicher Echokammern zu erkennen, in denen bestimmte Inhalte durch Algorithmen verstärkt werden und sowohl die Polarisierung als auch die Anfälligkeit für Desinformation zunehmen können (Cinelli et al. 2021; Sunstein 2018). In Social-Media-Netzwerken verbreiten sich Desinformationen rasant – sofern sie nicht rechtzeitig durch glaubwürdige Fakten und Gegennarrative gestoppt werden. Die Fragmentierung des digitalen Diskurses stellt die traditionelle journalistische Autorität weiterhin auf die Probe. Die Erfahrungen bei der Wahl in Rumänien bestätigen jedoch, dass eine Prebunking-Strategie in Kombination mit rascher, investigativer Berichterstattung weiterhin ein wirksamer demokratischer Schutz sein kann. Im Zeitalter des viralen Populismus bleibt die Wahrheit, schnell überprüft und transparent vermittelt, die beste Verteidigung.
Fazit
Die rumänischen Präsidentschaftswahlen 2024/25 sind ein eindrucksvolles Beispiel für den Wandel politischer Kommunikation in modernen Demokratien. Die Kommunikation bewegt sich dynamisch in traditionellen und sozialen Medien, getrieben von Influencern und journalistischen Redaktionen, aber auch von den Algorithmen der digitalen Plattformen. TikTok erwies sich in Rumänien als disruptive Kraft, die nationalistischen und populistischen Kandidaten Sichtbarkeit verschaffte und die öffentliche Debatte teilweise verzerrte. Zugleich zeigt der Wahlsieg des politisch gemäßigten Kandidaten Nicușor Dan, dass eine vielschichtige Medienstrategie mit Präsenz in traditionellen Medien, glaubwürdiger Kommunikation und digitaler Anschlussfähigkeit der Schlüssel zum Erfolg sein kann. Die Bedeutung der sozialen Medien darf demnach zwar nicht unterschätzt, aber eben auch nicht überschätzt werden.
Nicușor Dans kontinuierliche Präsenz in den klassischen Medien, insbesondere in Fernsehdebatten und Interviews, erwies sich als entscheidender Vorteil: Sie ermöglichte ihm, sein Programm und seine Person einem breiten Publikum zu vermitteln, auch jenen Teilen der Bevölkerung, die auf digitalen Plattformen weniger aktiv sind. Gleichzeitig nutzte Dan TikTok und Meta mit kreativer Leichtigkeit, um jüngere Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Demnach kann die Kommunikation in sozialen Medien die etablierten Medien und journalistischen Formate sinnvoll ergänzen, aber nicht unbedingt vollständig ersetzen. Das rumänische Beispiel ist in dieser Hinsicht für den professionellen Journalismus ermutigend: Offenbar können journalistische Angebote und insbesondere TV-Debatten in bestimmten Konstellationen weiterhin ein aufklärendes Potenzial entfalten – und das in einer Zeit, in der sie sich in anderen Ländern in Bühnen des Populismus oder sogar in regelrechte »Lügenschleudern« verwandelt haben (Schultz 2024). In Rumänien profitierte der moderate Kandidat allerdings auch davon, dass sein populistischer Kontrahent den meisten Debatten fernblieb und sich nur ein Mal einem direkten TV-Duell stellte.
Die Erfahrungen aus dem rumänischen Wahlkampf unterstreichen die anhaltende Relevanz eines kritischen, unabhängigen Journalismus. In einer Zeit, in der algorithmisch gesteuerte Informationsflüsse und koordinierte Manipulationsstrategien das Fundament demokratischer Debatten bedrohen, gewinnt der Zugang zu glaubwürdigen Informationen und zu einer vielfältigen Medienlandschaft sogar noch an Bedeutung. Der rumänische Fall zeigt: Professionell arbeitende, verantwortungsbewusste Redaktionen bleiben unverzichtbar. Auch und erst recht in einer digitalen, hybriden Medienumgebung können sie noch immer Entscheidendes zur Information und Aufklärung der Bevölkerung beitragen. Sie bilden im besten Fall ein Gegengewicht zur Intransparenz und Volatilität, mit der Informationen in den sozialen Medien auf der Basis von Algorithmen und fragwürdigen Kampagnen kursieren.
Im digitalen Zeitalter hängt der Schutz der Demokratie unter anderem von diesen zwei Faktoren ab: der Stärkung eines widerstandsfähigen, unabhängigen Journalismus und der Etablierung eines robusten Regulierungsrahmens, der algorithmische Dynamiken und digitale Manipulationspotenziale wirksam begrenzt. Das rumänische Beispiel erinnert eindringlich daran, dass sich die politische Kommunikation im digitalen Medienraum zwar weiterentwickelt, die Grundpfeiler demokratischer Ordnung – Transparenz, Verantwortlichkeit und Pressefreiheit – jedoch unverrückbar im Zentrum bestehen bleiben müssen.
Über die Autoren
Eduard-Claudiu Gross, Ph.D., ist Juniordozent an der Lucian-Blaga-Universität im rumänischen Sibiu, wo er Strategien zur Bekämpfung digitaler Desinformation untersucht. Zu seinen Interessen gehören Medienbildung und Medienkompetenz und wie sie dazu beitragen können, die Verbreitung falscher Informationen zu reduzieren. Ihn beschäftigt außerdem die Schnittstelle zwischen künstlicher Intelligenz und menschlicher Kreativität, vor allem im Hinblick auf die philosophischen und sozialen Implikationen von KI. Kontakt: eduard.gross@ulbsibiu.ro
Tanjev Schultz ist Professor für Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, Deutschland. Er beschäftigt sich mit Medienethik, Medienvertrauen, Theorien der Demokratie und der Entwicklung des Rechtsextremismus. Im Sommersemester 2025 war er Gastprofessor an der Lucian-Blaga-Universität in Sibiu, Rumänien. Er ist einer der Herausgebenden der Zeitschrift Journalistik / Journalism Research. Kontakt: tanjev.schultz@uni-mainz.de
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Zitationsvorschlag
Eduard-Claudiu Gross, Tanjev Schultz: Social-Media-Dynamik im rumänischen Präsidentschaftswahlkampf 2024–2025. Die disruptive Rolle von TikTok und die bleibende Bedeutung von Journalismus und traditionellen Medien. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 2, 2025, 8. Jg., S. 203-222. DOI: 10.1453/2569-152X-22025-15310-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-22025-15310-de
Erste Online-Veröffentlichung
Juli 2025