Vielerorts hört man heute von kritischen Journalist*innen die Frage, ob Medienmacher*innen sich im Sinne ihrer eigenen Glaubwürdigkeit für mehr Diversität in der Produktion von Nachrichten, Film oder Fernsehen stark machen müssen. Dazu gehört, neben vielfältig besetzten Redaktionen und Produktionsteams, auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Darstellung von Männern und Frauen auf Fernseh- und Kinobildschirmen zu achten. Vor 45 Jahren konstatierten Küchenhoff et al. im deutschen Fernsehprogramm eine Hierarchisierung der Geschlechter zu Ungunsten der Frauen (Küchenhoff et al. 1975: 250).
Was hat sich bis heute in dieser Frage getan? Eine Antwort darauf gibt die Monografie Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen, eine im Halem-Verlag erschienene Studie der Malisa-Stiftung. 3.500 Stunden TV-Programm und zusätzlich 800 Kinofilme haben die Wissenschaftlerinnen Elizabeth Prommer und Christine Linke von der Universität Rostock untersucht. Das Buch fasst in 181 Seiten die Ergebnisse der repräsentativen, standardisierten Erhebung zusammen und liefert darüber hinaus auch interessante Einblicke in deren Entstehungs- und Publikationskontext. Die Studie bringt vier Schlüsselerkenntnisse zu Tage: 1. eine deutliche Unterrepräsentanz von Frauen, 2. einen Altersgap zwischen Männern und Frauen ab 30 Jahren, 3. Männer »erklären die Welt« (Prommer/Linke 2017: 19), und 4. auch im Kinderfernsehen gibt es keine Gleichstellung der Geschlechter. (vgl. ebd.)
Im Vorwort erläutert Maria Furtwängler, Ärztin und bekannte Tatort-Kommissarin, die Hintergründe der von ihr initiierten Studie. Gemeinsam mit ihrer Tochter Elisabeth widmet sie sich seit längerer Zeit dem Schutz von Mädchen und Frauen im Ausland. Das Bewusstsein, dass auch in Deutschland Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht, führte zur Gründung der Malisa-Stiftung, die nach dem Vorbild des von Geena Davis 2004 ins Leben gerufenen »Institute on Gender in Media« v. a. die »Geschlechterdarstellungen in den Medien in Deutschland«auf den Prüfstand stellen will (10). Das Motto der Stiftung lautet: »Sichtbar heißt machbar«. Furtwängler ist es wohl zu verdanken, dass eine bis dato einmalige Kooperation von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanstalten die Studie (finanziell) unterstützt hat, auch wenn sie schreibt, sie habe in der Branche mit dem Thema »offene Türen eingerannt«(11).
Die wissenschaftliche Herleitung der Ausgangsthese erfolgt zunächst durch bekannte Grundannahmen wie der Kultivierungsthese, den Agenda-Setting-Ansatz, der Framingtheorie, Klaus’ Verständnis von den Medien als Produzierende von Rollenvorstellungen und Geschlechterbildern sowie deren Verfestigung und schließlich Mulveys Annahmen über einen dreifachen »male gaze«, in dem Regie, Kamera und Zuschauer durch ihren männlichen Blick das mediale Frauenbild konstruieren. Die Zusammenfassung des Forschungsstandes sowie das Bestreben, ein allgemeines »Unbehagen« (15) empirisch zu überprüfen, begründen die Notwendigkeit der Studie und des erschienenen Buchs. Ziel der Studie war die Gewinnung repräsentativer Daten, um eine »Bilanz des Ist-Zustandes zu liefern« (ebd.).
Der differenzierte Blick auf bisherige Forschungsarbeiten ist untergliedert nach Fernsehen, Fiktion, Information, Kinderfernsehen sowie Kino und fasst eingängig die wichtigsten Ergebnisse von Studien und Forschungserkenntnissen zusammen. Freilich findet hier auch das leuchtende Vorbild der »Tatort-KommissarInnen« Erwähnung, die tatsächlich von der ARD zu 42 Prozent als weiblich angeführt werden (vgl. 22). Am Ende des Kapitels wird jedoch festgehalten, dass in puncto aktueller, vor allem repräsentativer Daten über Geschlechterdarstellungen im Fernsehen und Kino in Deutschland eine Forschungslücke besteht. Ohne wissenschaftliche Begrifflichkeiten überzustrapazieren, reißt das dritte Kapitel die im aktuellen Diskurs als wesentlich erachteten Geistesströmungen an – von Judith Butler über binäre Geschlechterlogik und Heteronormativität bis zur Intersektionalität. Am Ende steht ein Bekenntnis zu Gender Media Studies und dem Ziel der Verringerung von Ungleichheiten in der medialen Darstellung von Personen, die nicht länger regressiv die Entwicklung hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft behindern sollte. Grundlage dafür ist eine valide und reliable Datenerhebung (vgl. 34).
Die methodische Umsetzung erfolgte mit Bedacht auf eine ausreichende Datenmenge, zufällige Stichprobenauswahl und statistische Auswertungsverfahren. Um Forschungsfragen nach Sichtbarkeit, Alter, Funktion und Produktionsbedingungen zu beantworten, haben die Autorinnen der Studie sich für eine standardisierte Inhaltsanalyse von zwei künstlichen Wochen aus dem Jahr 2016 entschieden. Die Stichprobe deckte insgesamt etwa 77 Prozent des Fernsehmarktes ab und umfasste bei den Vollfernsehprogrammen 17 Sender in der Hauptfernsehzeit von 14 bis 24 Uhr, beim Kinderfernsehen 4 Sender von 6 bis 20 Uhr und bei Kinofilmen eine Vollerhebung von deutschen (Ko-)Produktionen zwischen 2011 und 2016. Sechs Codierer*innen haben über neun Monate hinweg an der Studie mitgearbeitet. Wichtig für eine quantitative Analyse dieser Größenordnung sind v. a. ein gutes Codebuch und klare Definitionen – im Fall der vorliegenden Studie war beispielsweise die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenfiguren bzw. -akteur*innen zentral. Auch in Kapitel vier sind sprachlich eingängige Formulierungen, übersichtliche Tabellen und Abbildungen hilfreich für das Verständnis von Forschungsgrundlagen, Begriffsdefinitionen, Zusammenhängen und das eigene Lesevergnügen.
Der Hauptteil des Buches präsentiert gut strukturiert die Ergebnisse, die sich zunächst auf TV-Sendungen beziehen, die in Deutschland (ko-)produziert wurden. Nicht nur in den letzten 25 Jahren, sondern auch über alle Sender (öffentlich-rechtlich wie privat) hinweg lassen sich hinsichtlich der Unterrepräsentanz von Frauen insgesamt kaum bis keine Veränderungen feststellen: auf eine Fernsehfrau kommen zwei Männer. Eine Ausnahme stellen Telenovelas und Soap-Operas dar. Hier ist das Geschlechterverhältnis annähernd ausgeglichen. Besonders selten moderieren (ältere) Frauen Quizsendungen oder kommentieren Unterhaltungssendungen aus dem Off. In der Fernsehfiktion sind Frauen tendenziell etwas präsenter und auch in ihrer Darstellung vielfältiger geworden. Hat Weiderer (1994) noch 35 Prozent Frauen in fiktionalen Sendungen gezählt, sind es heute 43 Prozent (38% in Fernsehserien und 44% in Fernsehfilmen). Zudem werden Fernsehfrauen nicht mehr auf ihren Beziehungsstatus reduziert, sondern auch in beruflichen Kontexten gezeigt. Im Unterschied zum US-Fernsehen werden Frauen und Männer im deutschen Fernsehen »mehrheitlich voll bekleidet und nicht betont sexy« (vgl. 53) inszeniert. Erschütternd sind die Ergebnisse zur Altersdiskriminierung von Frauen, wo es seit der Untersuchung von Weiderer (1993) kaum Veränderungen gibt. Ab Mitte 30 kommen Frauen on Screen sukzessive seltener vor. So ist das Verhältnis von Frauen zu Männern ab 50 Jahren 1:3, ab 60 Jahren 1:4, in der non-fiktionalen Unterhaltung sogar 1:8. Auch in Informationssendungen sind Hauptakteur*innen ab 60 Jahren zu mehr als 80 Prozent männlich. Schauspieler haben somit auch ein größeres Rollenangebot als Schauspielerinnen, die zudem noch durchschnittlich 22 Prozent weniger Gage erhalten.
Kapitel 7 hält ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie fest: Männer erklären die Welt. Es sind in allen Genres, Formaten und Sendern überwiegend Männer, die als Moderator, Sprecher, Showmaster oder Experte durchs Programm führen. Erhoben wurden Unterschiede bezogen auf Geschlecht, Funktion und berufliche Kontexte. In Unterhaltungsshows sind Moderator*innen zu 80 Prozent männlich, in den Informationssendungen ist das Geschlechterverhältnis annähernd ausgeglichen – auch hier gibt es jedoch eine »Altersunsichtbarkeit« (Prommer/Linke 2019: 62) von Frauen. Das größte Ungleichgewicht besteht bei Expert*innen, wo acht von zehn Personen männlich sind. Dies wird in der Praxis häufig damit argumentiert, dass eine geschlechtergerechte Einladungspolitik an der Realität scheitere, da bestimmte Posten nun einmal vorwiegend von Männern besetzt seien. Doch auch hier kontern die Autorinnen, dass das Geschlechterverhältnis nicht adäquat abgebildet werde: so kommen beispielsweise Frauen als juristische Expertinnen nur etwa halb so oft vor wie »im echten Leben« (ebd.: 64). Auch im fiktionalen Programmangebot hinkt die Darstellung der Berufstätigkeit der Realität hinterher – mit Ausnahme der vielen TV-Kommissarinnen in Krimiserien. Handlungsspielräume und Rollenvielfalt sind im deutschen Fernsehen für Männer damit deutlich größer.
Noch deutlicher fallen die Ergebnisse zur Unterrepräsentanz im Kinderfernsehen aus, das zu fast 90 Prozent aus fiktionalen Sendungen besteht. Hier kommen auf eine weibliche Figur drei männliche. Besonders auffällig ist das Ungleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Charakteren bei imaginären Figuren – auf eine weibliche Tierfigur kommen neun männliche. Über die Hälfte der Sendungen hatte gar keine weibliche Protagonistin, umgekehrt haben nur 16 Prozent der Sendungen keinen männlichen Protagonisten. Interessant sind auch die Ausführungen zu v. a. weiblichen Kinderkörpern: diese sind nach den Autorinnen »überwiegend unnatürlich, sexualisiert und realitätsfern« (Prommer/Linke: 92). 50 Prozent der weiblichen Hauptfiguren haben so dünne Körperformen, dass sie damit nicht mehr im anatomisch möglichen Bereich liegen. Weitere 17 Prozent sind extrem dünn, aber immerhin anatomisch prinzipiell möglich. Nur ein Drittel der weiblichen Figuren im Kinderfernsehen liegt damit im »gesunden normalen Bereich« (ebd.: 95).
Insgesamt fällt in der Publikation die Umsetzung gegenderter Formulierungen angenehm auf. So schreiben Prommer/Linke (ebd.: 44) von ihrer »Definition einer ProtagonistIn« und meinen damit Männer und Frauen gleichermaßen. Auf den indefiniten Artikel wird hierbei bewusst das generische Femininum angewandt. Ein Highlight der Publikation sind die zahlreichen, sehr einprägsamen Grafiken und Darstellungen von Ergebnissen.
Um der Tradition der Wissenschaftskritik der Gender Studies zu folgen, könnte die Wahl der Darstellung von weiblichen und männlichen Personen kritisch hinterfragt werden. Gleiches gilt für wissenschaftlich tradierte Kategorisierungen wie »Information« und »Unterhaltung«. Ein Plus ist die verständliche Sprache und die größtenteils schlüssige Aufbereitung und Gruppierung der Ergebnisse. Interessant sind ferner die Erläuterungen zur Publikations- und PR-Strategie, die auch die Berichterstattung über die Studienergebnisse im Nachhinein nochmals kritisch in den Blick nimmt. Insbesondere Claus Kleber hatte sich 2017 mit rhetorischen Fragen und seinem antifeministischen Bias im Interview mit Maria Furtwängler nicht mit Ruhm bekleckert. Dank Kleber jedoch hatte das Thema damals einen erneuten Aufmerksamkeitsschub erhalten. Die Studie von Prommer und Linke schließt eine große Datenlücke in Bezug auf die Darstellung von Frauen und Männern im deutschen Fernseh- und Kinoangebot. In vielen anderen Ländern besteht diese Lücke noch.
Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 5. Dezember 2019, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22032.
Über die Rezensentin
Ingrid Schicker, Bakk.Komm. MA, Mitarbeiterin des gendup – Zentrum für Gender Studies und Frauenförderung der Universität Salzburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin am BIFIE – Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens. Magisterarbeit mit Erkenntnisinteresse auf Geschlechterkonstruktionen mit intersektionellen Bezügen im österreichischen Privatfernsehen. Forschungsschwerpunkte: Gender (Media) Studies und Intersektionalität.
Literatur
Küchenhoff, Erich et al. (1975): Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Eine empirische Untersuchung einer Forschungsgruppe der Universität Münster unter Leitung von Professor Dr. Erich Küchenhoff (= Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit; 34). Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Verlag W. Kohlhammer
Prommer, Elizabeth/Linke, Christine (2017): Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland. Rostock: Institut für Medienforschung, Philosophische Fakultät, Universität Rostock. Online verfügbar unter https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/Broschuere_din_a4_audiovisuelle_Diversitaet_v06072017_V3.pdf (18.08.2019)
Über dieses Buch
Elizabeth Prommer, Christine Linke: Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und Fernsehen. Reihe: edition medienpraxis, Bd. 17. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2019