Der Begriff des nordischen Modells hat seit langer Zeit Konjunktur in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten in Kontinentaleuropa und vor allem in Deutschland. In der Tat weisen die Gesellschaften und politischen Systeme von Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden viele politische, kulturelle und gesellschaftliche Gemeinsamkeiten auf.
Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass auch im Mediensystem und in der Ausbildung von Journalisten Gemeinsamkeiten sichtbar sind, ungeachtet der unterschiedlichen Wirkung von Digitalisierung, Medienkonvergenz und Globalisierung. So dokumentiert zum Beispiel der Digital News Report 2017 (Reuters Institute 2017), dass Norwegen, Schweden und Dänemark die Auswertung zur Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten anführen. Die Ausbildung von Journalisten nach einem identifizierbaren nordischen Modell stellt denn auch der zu besprechende Sammelband in den Fokus. Der Band geht zurück auf die Nordic Conference for Journalism Teachers im Jahr 2014 und widmet sich jeweils in mehreren Beiträgen den wesentlichen Aspekten der Journalistenausbildung.
Das erste Kapitel fokussiert Gemeinsamkeiten und betont das Nordische Modell in der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten. Das zweite Kapitel widmet sich den Berufsfeldern und -orientierungen von Nachwuchsjournalisten an Universitäten und Ausbildungsinstitutionen in den jeweiligen nordischen Staaten. Die Herausforderungen in der Journalistenausbildung sind im dritten Kapitel zusammengefasst. Hier werden zum Beispiel die widersprüchlichen Anforderungen von Ausbildungsinhalten und Marktanforderungen, Frauenförderung im Berufsfeld, die Repräsentation von Minderheiten in Redaktionen oder die notwendige internationale Orientierung beleuchtet. Das Schlusskapitel umfasst praktische Fragen zu Kompetenzentwicklung angesichts von Herausforderungen von Newsrooms oder neuen Geschäftsmodellen.
Der Akademisierung der Journalistenausbildung und dem Entstehungshintergrund der Konferenz ist geschuldet, dass von den 27 Autorinnen und Autoren nur zwei nicht in der akademischen Journalistenausbildung tätig sind. Sammel- und Konferenzbände im Detail zu besprechen, ist nicht ohne Auslassungen möglich. Im Folgenden soll deswegen schlaglichtartig auf die benannten Schwerpunkte eingegangen werden, ohne dadurch eine Wertung der einzelnen Beiträge zu formulieren.
Der Sammelband gibt umfangreiche Einblicke in die nordische Journalistenausbildung, die auch in Beziehung zu Untersuchungen und Diskussionen in der deutschen Journalistik und in Journalistenschulen gesetzt werden (vgl. stellvertretend Altmeppen/Hömberg 2002 oder Dernbach/Loosen 2012) bzw. als Anregung dienen können. Gewinnbringend ist die Lektüre trotz der Tatsache, dass nur wenige der Beiträge eine explizit vergleichende Perspektive einnehmen, wie der innerskandinavische Vergleich im Beitrag von Jan Fredric Hovden und Rune Ottosen “New Times, New Journalists?“oder der Vergleich Schweden mit Polen und Russland von Gunnar Nygren. Aber auch die nur auf ein nordisches Land fokussierenden Beiträge werden durch aktuelle Entwicklungen und Diskussionen um Fake News, Minderheitenrepräsentanz oder Umgang mit Unsicherheit und Klimawandel in ihrer Relevanz unterstrichen. So haben Gunn Bjørnsen und Anders Graver Knudsen in “Burdens of Representation“ für ihren Artikel Journalistenschüler in Norwegen untersucht, die ethnischen Minderheiten entstammen und mit unterschiedlichsten Erwartungshaltungen aus sozialem und beruflichem Umfeld konfrontiert sind.
Internationale Ausrichtung hat in den skandinavischen Ländern Tradition. Dem Einfluss dieser Ausrichtung und der aktuellen globalen Herausforderungen auf die Journalistenausbildung in Norwegen geht der Beitrag “Tackling Global Learning in Nordic Journalism Education“ von Terje Skejerdal und Hans-Olav Hodøl nach. Sie beschreiben, dass der ins Curriculum integrierte Besuch in Westafrika vor allem die Karriere und Vorstellung der weiblichen Journalistenschüler beeinflusst hat.
Bedenkenswert auch die Schlussfolgerungen aus dem Beitrag von Roy Krøvel, der den Perspektivwandel von Nachwuchsjournalisten bei komplexen Themen beschreibt. Im Fall der journalistischen Bearbeitung von Klimawandel stellt er eine anfänglich starke Orientierung an Ausbildern fest, die im Laufe der Ausbildung einer Koorientierung an Berufskollegen weicht. Dies interpretiert er dahingehend, dass Journalisten breite Aufgabenbereiche abdecken müssen und sich somit für komplexe Themen und den Umgang mit hochspezialisierten Experten nicht kompetent sehen.
Interessant und bedauerlich zugleich ist die Erkenntnis, dass auch Journalismus in Skandinavien oder konkreter Norwegen trotz lange etabliert geglaubter skandinavischer Geschlechtergleichstellung dieselben Phänomene aufweist, wie jüngst wieder in Deutschland diskutiert: Trotz mehrheitlich weiblicher Studierender in der Ausbildung ist Journalismus im Beruf männlich geprägt. Hege Lamark zieht in ihrem Beitrag “Women Train In- and Out of- Journalism“ den Schluss, dass trotz der Genderziele dies immer noch auch ein Thema für die Journalistenausbildung ist.
Bleibt die Frage, ob es trotz ähnlich gelagerter Herausforderungen in anderen westlichen Demokratien ein einheitliches Nordisches Modell gibt, ob analog zur Sozialstaats- oder Wohlfartsstaatsdiskussion in den skandinavischen Ländern auch der Journalismus und die Journalistenausbildung als ein eigenes Modell beschrieben werden können. Die nordischen Staaten weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, was eben auch auf Mediensysteme, Medienpolitik und Mediennutzung zutrifft. Hallin/Mancini (2004) haben in ihrer Untersuchung der europäischen Mediensysteme die skandinavischen Länder als homogene Gruppe und als Idealtypus des demokratisch-korporatistischen Modells beschrieben. In allen etablierte sich früh eine Massenpresse, die durch Außenpluralismus gekennzeichnet ist, wobei die Parteipresse hierbei einen großen Anteil hatte. In Skandinavien ist eine massive Eigentümerkonzentration festzustellen, der Journalismus ist stark professionalisiert und die Selbstregulierung institutionalisiert. Trotzdem ist der strukturelle Einfluss der Staaten auf das Mediensystem ausgeprägt, wobei die Pressefreiheit als zentrales Gut betrachtet wird. Die Basis des Presseverständnisses, die Prinzipien der Transparenz, die Möglichkeit zur Einsichtnahme von Dokumenten der öffentlichen Verwaltung oder der Steuerbehörden führen aktuell in Schweden zu Problem mit europäischen Datenschutzvorschriften.
Vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten und kulturellen Verbindungen konstatieren sowohl die Herausgeber des Sammelbandes als auch Elin Gardeström Parallelen in der Entwicklung und aktuellen Ausgestaltung der Journalistenausbildung in den vier nordischen Staaten. Die Wurzeln liegen meist in der Nachkriegszeit in lokalen und privatwirtschaftlichen Initiativen, die aber schnell in nationale bzw. in universitäre Programme umgewandelt worden sind. Die ähnliche Entwicklung erklären die Autoren auch mit der durch niedrige Sprachbarrieren begünstigten Koorientierung der Journalistenausbilder in den nordischen Staaten, was bereits in den frühen 60er Jahren institutionalisiert wurde. Die nordischen Länder bevorzugen eine duale Ausbildung, die praktische und akademische Inhalte verknüpft und auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit geringeren Bildungsabschlüssen integriert. Die Akademisierung des Berufsfeldes ist in Skandinavien trotzdem sehr ausgeprägt.
Mediensysteme, Journalismusausbildung und Medienpolitik stehen in den nordischen Staaten vor denselben Herausforderungen wie in anderen westliche Demokratien. Wie mit Blick auf die Klassifizierung von Hallin/Mancini (2004) bereits von Nord (2008) angemerkt, sind die skandinavischen Länder nicht mehr der Idealtypus des demokratisch-korporatistischen Modells. So stellt auch Arne H. Krumsvik im Sammelband fest, dass sich Norwegen in Richtung des liberalen Typus entwickelt, “driven by digitization and commercialization of news media“, die zentralen medienpolitischen Maßnahmen jedoch “are still grounded in the era of political press“ (181). Mit Gesetzesinitiativen zur plattformunabhängigen Medienförderung wird in Norwegen und aktuell vor allem in Schweden versucht, diesen Entwicklungen kurzfristig Rechnung zu tragen (vgl. Nordicom 2016). Dabei wird vorausgesetzt, dass 20 Prozent der Beiträge aus der eigenen Redaktion eines Mediums stammen und Werbung insgesamt nur 40 Prozent einnehmen darf.
Für Diskussionen sorgte die Überlegung, die Förderung an eine Demokratieklausel zu binden, die bislang förderwürdige rassistisch-orientierte Printmedien ausschließt. Zudem wird in Schweden langfristig ein öffentlich-rechtlicher Digitalkanal geplant, der mit 500 Journalisten einerseits die schwindende Abdeckung in der Fläche kompensieren, aber auch einen Beitrag zur Korrektur von Falschmeldungen leisten soll. Die Beiträge dieses Kanals sollen dann von anderen Medien kostenfrei übernommen werden können.
Die Diskussionen um aktuelle Medienpolitik und die im Sammelband zusammengestellten Beiträge zeigen, dass die Beschäftigung mit den nordischen Mediensystemen und der jeweiligen Journalistenausbildung fruchtbar sind. Unabhängig davon, ob man von einem eigenständigen Nordischen Modell der Journalistenausbildung sprechen will oder nicht.
Literatur
Dernbach, Beatrice & Wibke Loosen (Hrsg.): Didaktik der Journalistik: Konzepte, Methoden und Beispiele aus der Journalistenausbildung. Wiesbaden [Springer VS] 2012.
Hallin, Daniel & Paolo Mancini: Comparing media systems. Three models of Media and Politics. Cambridge [Cambridge University Press] 2004.
Nord, Lars: Comparing Nordic media Systems: North between West and East? In: European Journal of Communication. 2008 (1), S. 95-110.
Nordicom: Swedisch inquiry suggests platform-neutral media subsidies. 2016. http://www.nordicom.gu.se/en/latest/news/swedish-inquiry-suggests-platform-neutral-media-subsidies
Reuters Institute for the Study of Journalism: Digital News Report 2017. 2017. http://www.digitalnewsreport.org/
Diese Rezension ist zuerst in rezensionen:kommunikation:medien (r:k:m) erschienen.
Über den Rezensenten
Prof. Volker M. Banholzer forscht an der Technischen Hochschule Nürnberg zu Innovations- und Technikkommunikation in Journalismus, Marketing und PR; Innovation and Technology Governance; Technikkonflikte und Technology Assessment sowie Technik- und Kommunikationskulturen in Schweden und Deutschland. An der TH Nürnberg leitet Banholzer den Studiengang Technikjournalismus und Technik-PR und ist Akademischer Leiter des Zertifikatslehrganges Innovation- & Digital-Leadership der Ohm-Professional-School.
Über das Buch
Jan Fredrik Hovden, Gunnar Nygren, Henrika Zilliacus-Tikkanen (Hrsg.) (2016): Becoming a Journalist. Journalism Education in the Nordic Countries. Reihe: Research Anthologies. Göteborg [Nordicom], 334 Seiten, 28 Euro.