»Verteidigt die Institutionen!« Öffentlich-rechtliche Medien sichern Demokratie

Von Barbara Thomaß

Abstract: Die Erwartungen, die an die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gestellt werden, sind gewaltig – die Notwendigkeit, diesen Erwartungen Genüge zu tun, ist mindestens ebenso groß, und die Motivation, dieses auch zu leisten, ist mehr als hoch. Die Gefahr, an überbordenden Erwartungen zu scheitern und mit möglicherweise sich ändernden politischen Mehrheiten in den Ländern einem Siechprozess anheimgestellt zu werden, ist real. Noch treten erst zwei Ministerpräsidenten offen dafür ein, über die Zusammenlegung von ARD und ZDF nachzudenken, und eine Kürzung des Rundfunkbeitrags (ein Einfrieren würde bei der derzeitigen Inflation darauf hinauslaufen) wird fast täglich von weiteren befürwortet. Wenn allerdings auch ein ARD-Intendant formuliert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk »…nicht in Verfasstheit und Umfang wie bisher bestehen« (Buhrow 2022) bleiben muss, wird es dringend erforderlich, zu hinterfragen, was unter einer Reform zu verstehen ist. Es hat sich eingebürgert, wenn von Reformen die Rede ist, Budgetkürzungen zu meinen. Von anderen gesellschaftlichen Bereichen (Infrastruktur, Bahn, Gesundheit, Pflege) wissen wir, wie in den Reformdiskurs eingekleidete Sparvorgaben zu mannigfaltigen Problemen geführt haben. Wenn Reformdebatten mehr erbringen sollen, als Ideen für Einsparungen zu produzieren, gilt es, nach den Hintergründen der Reformforderung und des Reformwillens zu fragen.

Da es schon fast zu einer – teils ironisierenden – Üblichkeit geworden ist anzugeben, aus welcher Position oder Rolle heraus eine Meinung zu der genannten Reformdebatte geäußert wird, soll das hier ebenfalls nicht unterbleiben: Ich schreibe als Wissenschaftlerin mit den Erkenntnissen aus über 30 Jahren Forschungen zu öffentlich-rechtlichen Medien im internationalen Vergleich und mit den Erfahrungen als zunächst Fernseh-, dann Verwaltungsrätin im ZDF.

Unter den vielen Stimmen, die sich in der laufenden Debatte zu Wort gemeldet haben, möchte ich die Forderung des Hamburger Senators für Kultur und Medien, Carsten Brosda, nach einem Zukunftsentwurf aufgreifen, der Grundsatzfragen zu den Leistungen der Sender für unsere demokratische Gesellschaft beantworten soll und von dem ausgehend die konkreten Reformschritte abgeleitet werden sollten (vgl. Hartung 2023b).

Die Frage nach den Funktionen der öffentlich-rechtlichen Medien ist nicht ohne einen normativen Bezug auf die demokratische Qualität unserer Gesellschaft zu beantworten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt und aktualisiert im Hinblick auf die gegenwärtige und zukünftige Kommunikationslandschaft getan – eindeutig und hochaktuell zuletzt in der Begründung zum Urteil über den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag, als es u. a. die neuen Unsicherheiten hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen konstatierte und schrieb: »Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden« (BVerfG 2021).

Um zu ermessen, welche Leistungen öffentlich-rechtliche Medien im Hinblick auf diese Erfordernisse in Deutschland erbringen, ist ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern hilfreich. Im Media for Democracy Monitor (Trappel/Tomaz 2021), wird auf der Basis von zahlreichen Indikatoren der Zustand der Demokratie im Zusammenhang mit den Leistungen und der Stärke der öffentlich-rechtlichen Medien in achtzehn Ländern verglichen. Wir können den Schluss ziehen, dass Länder, in denen öffentlich-rechtliche Medien eine vergleichsweise starke Position in der Medienökologie einnehmen, in Bezug auf die übergreifenden Dimensionen Freiheit/Information, Gleichheit/Interessenvermittlung (Mediation) und Kontrolle/Watchdog besser abschneiden als Länder, in denen sie einen geringen Zuschaueranteil erreichen und eine schwächere Position einnehmen (vgl. Thomass et al. 2022).[1] Deutschland wiederum – das zeigen die Daten – liegt im Rahmen der untersuchten Länder zusammen mit Dänemark, Finnland, Großbritannien und Schweden in der Spitzengruppe (Horz-Ishak/Thomass 2022).

Wenn wir also von der Erkenntnis ausgehen, dass öffentlich-rechtliche Medien, die vom Bundesverfassungsgericht erwarteten Leistungen zumindest vergleichsweise zufriedenstellend erbringen, stellt sich die Frage, aufgrund welcher Bedingungen und Strukturen sie das können. Wenn Defizite und Probleme identifiziert werden, heißt das aber auch, dass diese nicht durch die Zerstörung von Strukturen, die bisherige Leistungen sichergestellt haben, behoben werden sollten.

Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland stellen ein starkes System dar – sowohl im Hinblick auf die Zuschauer:innenakzeptanz als auch mit Blick auf die Finanzierung. Der Rundfunkbeitrag ist einer der höchsten in der EU, sowohl was den Beitrag pro Haushalt angeht, als auch die Summe, die durch die hohe Zahl der Beitragszahlenden erbracht wird. Was oft als Problem gedeutet wird – »zu teuer« – kann also aus einer anderen Perspektive auch als Stärke gedeutet werden: Es ist ausreichend Geld im System für Produktionen, kulturelle Aktivitäten, qualifiziertes Personal, ein weltweites Korrespondent:innennetz, gute Arbeitsbedingungen usw. vorhanden, die erst zusammen ein attraktives Programm ergeben können.

In der Zuschauer:innenakzeptanz liegen die öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands im europäischen Vergleich ebenfalls im oberen Drittel (vgl. Thomass et al 2022: 192). Die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF sind regelmäßig die Nachrichtenmarken, denen am meisten vertraut wird (vgl. Hölig et al. 2022). Und wenn man diese starke Positionierung mit den einschlägigen Demokratieindizes vergleicht, besteht zumindest eine Korrelation, die wir in der oben genannten Untersuchung auch als Kausalität deuten konnten.

Eine weitere Stärke der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland ist die strukturelle Absicherung ihrer Unabhängigkeit. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat mit seiner juristisch mehrfach abgesicherten Unabhängigkeit eine einzigartige Stellung in Europa. Kaum ein anderes Konstrukt des öffentlichen Rundfunks in der EU ist so konsequent darauf ausgelegt, Staats- und Wirtschaftsferne herzustellen. Diese wird auch durch das weltweit einzigartige mehrstufige Verfahren der Festsetzung der Finanzierung durch die KEF und die Länderparlamente abgesichert. Dieses – Expertise und föderale Strukturen kombinierende – Verfahren bedingt allerdings auch eine gewisse Gefahr der Blockierung, wie in der Auseinandersetzung um die jüngste Beitragserhöhung zu sehen war. Das föderale System der Rundfunkanstalten, das im Hinblick auf seine Mehrfachstrukturen jetzt heftig in der Kritik steht, bringt jedoch eine weltweit ebenfalls einzigartige Vielfalt an Inhalten und Perspektiven hervor, welche dem normativen Gebot einer vielfältigen Medienlandschaft entsprechen. Innerhalb dieser Vielfalt ergeben sich aber sich auch unerwünschte Doppelungen.

Durch das Konstrukt der Vertretung der sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Medien wird in der programmlichen Kontrolle ebenfalls eine Vielfalt an Perspektiven und gesellschaftlichen Sichtweisen abgebildet, die in anderen Systemen weniger gegeben sind.

All dies ist verbesserungswürdig und -fähig zugunsten des effizienteren Einsatzes der Ressourcen, der kompetenteren Aufsicht, der vielfältigeren Abbildung gesellschaftlicher Sichtweisen, der Einbeziehung der Mitarbeiter:innen und Kreativen, der Innovation und vieler weiterer Aspekte, die es in einer gesellschaftlichen Debatte herauszuarbeiten gilt. Und es sind vor allem in den vergangenen Monaten und Wochen etliche Probleme sichtbar geworden, die einer besseren Funktionserfüllung im Wege stehen.

Die Vorgänge im rbb haben vor allem eine mangelnde Aufsicht zutage gefördert, ein Eindruck, der in den folgenden Wochen und Monaten noch verstärkt wurde. Probleme innerhalb der Sendeanstalten stehen Defiziten in der Aufsicht gegenüber. Als Probleme innerhalb der Sendeanstalten werden ressourcenvergeudende Mehrfachstrukturen genannt, fehlende finanzielle Sensibilität und Vorwürfe unausgewogener Berichterstattung, mangelnde journalistische Unabhängigkeit, zu viel politische Einflussnahme, mögliche Geschäfte mit Verwandten, Gehälter, Nebeneinkünfte und Pensionsrücklagen, eine zu große Zahl von Direktor:innen, zu viel Zentralität (Degeto), zu wenig Zentralität (Personalwirtschaft), zu viele (Radio-)Sender, zu viele Wiederholungen, Sparmaßnahmen im Programm, nicht genügend Angebote, die alle Bevölkerungsgruppen ansprechen, zu viele Online-Aktivitäten, zu wenig Ansprache der jungen Bevölkerung, die vornehmlich Online-Medien nutzt, zu wenig Innovation, zu viel Gendern und wokes Programm …

Wenn man alle Problembenennungen und Vorwürfe sezieren würde, stieße man auch auf eine Vielzahl von Widersprüchen, weil unterschiedliche Akteur:innen aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen in der aufgeheizten Debatte alle Kritik ins Feld führen, die sich länger angestaut hat. Die Vorwürfe an die Gremienaufsicht sind kürzer mit den Worten Kontrollversagen und mangelnde Expertise zusammengefasst.

Aus einer grundsätzlicheren Betrachtung lässt sich ein Akteur:innenproblem identifizieren: Die Mängel bei der Gremienaufsicht sind nicht anders oder größer als bei anderen Großorganisationen (man denke an den Abgasskandal bei VW), sie stehen nur – durchaus berechtigt – heftiger in der Debatte. Die zentrale Frage jedoch ist, wer kann den Veränderungsprozess zum Besseren organisieren? Die Gremien sind von Politik abhängig, die Intendant:innen können nicht ihre eigene Aufsicht organisieren, die Länder verteidigen ihre Kompetenzen, haben aber nur begrenzte Möglichkeiten sie auszuüben, der Bund kann nicht handeln. Wer zerschlägt diesen gordischen Knoten? Weil dieser so unentwirrbar erscheint, ist es nicht verwunderlich, dass das Schwarze-Peter-Spiel Hochkonjunktur hat. Der Zukunftsrat soll diesen nun zerschlagen.

Als zentrale Voraussetzung für jedwede Veränderungen im System der öffentlich-rechtlichen Medien wird allenthalben die Notwendigkeit eines stabilen Rundfunkbeitrages angeführt. Durch die vielfältigen Beiträge und Wortmeldungen mit diesem Tenor wird von vorneherein eine Möglichkeit, die Institution zu sichern, tabuisiert: die angemessene und maßvolle Erhöhung des Beitrages, die angesichts von Inflation, Tariferhöhungen oder fernsehspezifischen Preissteigerungen notwendig wird, wenn der Auftrag, wie ihn die Länder formuliert haben, erfüllt werden soll. Die Finanzierungsdebatte wird also vor die inhaltliche Debatte geschaltet, bevor überhaupt nur der Ansatz eines Konsenses in Sicht ist, wie öffentlich-rechtliche Medien der Zukunft ausgestaltet werden sollen.

Aus der Perspektive dieses Strebens nach Kürzung des Beitrages – die Rede von der Stabilität des Beitrages wird unter den genannten Prämissen zu einem Euphemismus – sind die Vorschläge, kleinere Sender wie SR oder RB zu schließen, zwar konsequent, ebenso wie das laute Nachdenken über eine »Zusammenlegung« von ARD und ZDF. Ob sie die genannten Probleme des Systems lösen würden, wird ungeprüft vorausgesetzt und muss bezweifelt werden.

Die Reformvorschläge, die in der zurückliegenden Zeit gemacht wurden, lassen sich nach prozessualen und materiellen Lösungen unterscheiden. Steht das Procedere möglicher Reformen (runder Tisch, Expert:innenkommission etc.) im Mittelpunkt oder werden konkrete Vorschläge für die genannten Probleme gemacht? Außerdem sollte auch danach unterschieden werden, ob die unmittelbare Krise im Mittelpunkt steht, der mit neuen Regeln und Standards begegnet werden soll, oder ob zukunftsweisende Lösungen für die Sicherung öffentlich-rechtlicher Medien im Mittelpunkt stehen.

Die Optimierung der Verwaltungsstrukturen, die von mdr-Intendantin Karola Wille vorgestellt wurden und die auf die Verschlankung der Prozesse innerhalb der ARD zielen (sie sind schon vor dem rbb-Skandal angestoßen worden), beziehen sich auf die vielfältigen Forderungen nach Kostenminimierung und Vermeidung von Doppelstrukturen. Die ARD betreibt nun eine umfassende Verwaltungsreform, indem alle neun ARD-Häuser sowie das Deutschlandradio und die Deutsche Welle alle SAP-unterstützten betriebswirtschaftlichen Prozesse harmonisieren und standardisieren (vgl. Hartung 2023a). Die ARD ist – das kann man der Organisationsform selbst nicht vorwerfen – als Konstrukt schwerfällig, weil es nur konsensual arbeiten kann, und hat durch die scharfe öffentliche Debatte jetzt viel Druck und Motivation erhalten, die genannten Prozesse voranzutreiben.

Für die Verbesserung der Aufsicht und ihrer Strukturen ist einiges geschrieben worden, das es weiterzuentwickeln gilt: mehr Expert:innen in die Gremien (vgl. Hain/Rösner 2022), mehr Weiterbildung und Expertise für die Gremien, Stärkung der Gremienkontrolle durch besser ausgestattete Gremienbüros und ihre Möglichkeiten, externe Expertise einzukaufen, die Vereinheitlichung der Standards der Gremienkontrolle.

Wenn wir nun nicht nur die genannten Probleme in den Fokus für Reformen, also Problemlösungen stellen, sondern demokratisch-kommunikative Probleme, die eine Medienlandschaft hervorgebracht hat, welche durch eine hemmungslose Globalisierung der Medienkommunikation entstanden sind, stellen sich andere Fragen.

Es ist vor allem der Mangel an Regulierung, der uns eine Kommunikationslandschaft beschert hat, die Pfetsch et al. einmal als »dissonante Öffentlichkeiten« bezeichnet haben (Pfetsch et al. 2018). Diese Dissonanz, die mehr ist als ein Missklang, nämlich die Gefahr einer demokratiegefährdenden Unfähigkeit zum gesellschaftlichen Diskurs und einer den gesellschaftlichen Zusammenhalt auflösenden Heterogenisierung, ist es, die das Bundesverfassungsgericht zu der oben genannten Mahnung motiviert hatte.

Wohl ist zu berücksichtigen, dass die Ursachen für mangelnde Qualität des demokratischen Diskurses und scheinbar unüberbrückbare unterschiedliche Ansichten tiefergehende Ursachen haben, als dass sie durch ein funktionierendes Mediensystem allein behoben werden können. Doch ist an dieser Stelle festzuhalten, dass – siehe oben – gesellschaftlich verantwortete, öffentlich finanzierte und öffentlich kontrollierte Medien einen unabdingbaren Beitrag zum Erhalt dieser Qualitäten darstellen.

Es ist nun weiter in der Betrachtung zu berücksichtigen, dass wir in den vergangenen Jahren auf individueller Ebene eine stetige Zunahme der Medienzeitbudgets, des Anteils am Haushaltsbudget, das für Medien ausgegeben wird, und am Medienmarkt eine Zunahme des Umsatzes beobachten konnten. D. h. der Medienmarkt ist – auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite – ein Wachstumsmarkt. Und da soll eine wichtige Säule des Mediensystems schrumpfen?

Wir wissen, dass durch die Plattformisierung der Medienkommunikation weitere Entwicklungen und Gefahren drohen, wie manipulierte digitale Wahlkampfkommunikation, algorithmengesteuerte Polarisierungen und aggressives Kommunikationsverhalten in den digitalen Kommunikationsinfrastrukturen und die Beeinflussung von Selektion und Verarbeitung von Informationen durch Algorithmen, die den Unternehmenszielen kommerziell agierender intermediärer Akteure wie Meta und Google dienen.

Ausgehend von der Position, dass öffentlich-rechtliche Medien wichtiger denn je für den Erhalt demokratischer Diskurse sind, sehe ich zuvorderst zwei Notwendigkeiten: Es gilt die Akzeptanz der Sender in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Und es ist notwendig, das Tabu zu brechen, der Beitrag dürfe nicht erhöht werden. Für ersteres haben alle politischen Akteur:innen eine große Verantwortung – die Sender selbst natürlich auch. Aber solange das Sperrfeuer jener Vorwürfe anhält, die nicht berechtigt sind, sind alle Bekenntnisse, wir bräuchten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wohlfeil. Wir brauchen vielfältige Stimmen, die betonen, was wir an ihm haben und warum er wichtig ist – dabei zählen die bisherigen Argumente, und neue sind willkommen.

In der Analyse, welches die Treiber der zu beobachtenden Entdemokratisierung in vielen Ländern sind, kommt das renommierte Carnegie-Institut zu dem Schluss, dass Demokratien auch unterhöhlt werden, weil konservative (nicht antidemokratische!) Kräfte an den demokratischen Institutionen sägen (vgl. Carothers/Press 2022). Und Timothy Snyder ruft in seiner Streitschrift »Über Tyrannen. Zwanzig Lektionen für den Widerstand«, die den Aufstieg des Trumpismus zum Hintergrund hat, dazu auf: »Verteidige Institutionen! … Institutionen schützen sich nicht selbst. Sie stürzen eine nach der anderen, wenn nicht jede von ihnen von Anfang an verteidigt wird« (Snyder 2021: 13). Verteidigen und gleichzeitig an Schrumpfungsprozessen arbeiten ist nicht kompatibel.

Wenn öffentlich-rechtliche Medien verteidigt werden sollen, heißt das auch, sie finanziell angemessen auszustatten. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Aufgaben vielfältig ausbuchstabiert. Die Gesellschaft ist zunehmend fragmentiert, deshalb brauchen Bürger:innen und Mediennutzende ein vielfältigeres Angebot. Dieses Angebot, das den geforderten demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen Rechnung tragen soll, muss im Wettbewerb mit anderen Angeboten bestehen können, sonst wird es langfristig marginalisiert. Zudem nützt dieser Wettbewerb auch denjenigen, die öffentlich-rechtliche Angebote nicht rezipieren, weil diese Angebote als Benchmarks für die kommerziellen Sender dienen und deren Angebot dadurch nicht auf ein unakzeptables Niveau fällt (vgl. Eisenegger/Udris 2018).

Die Aufgaben, die vor den Anstalten liegen, wenn sie in der demokratischen Gesellschaft ihre Relevanz und ihre Akzeptanz erhöhen wollen, sind groß und anspruchsvoll: Die Informationsangebote müssen wieder Jüngere und jene Gruppen, die den Öffentlich-Rechtlichen eher fernstehen, erreichen; die gesellschaftlichen Debatten müssen aus allen Bereichen, wie auch Kultur, Bildung und Wissenschaft, abgebildet werden; die Präsenz auf allen Plattformen muss gesteigert und dazu die Plattformstrategie ausgebaut werden. Diese wiederum braucht starke und europaweite Partner, auch aus der Zivilgesellschaft. Damit müssen Transparenz, Kommunikation und Partizipation organisiert werden. Deutlich muss der Unterschied des Angebotes zu den privatwirtschaftlichen Anbietern erkennbar werden. All diese Aktivitäten und attraktiven Angebote erfordern kompetente, qualifizierte Mitarbeiter:innen, und die sind bei steigendem Fachkräftemangel auch nur mit gutem Geld zu bekommen.

Wenn also über eine Reform des Systems der öffentlich-rechtlichen Medien debattiert und ihr funktionsfähiger Erhalt angestrebt wird, so muss ein Konsens über folgende Fragen erarbeitet werden: Welche Funktionen soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllen? Welche Probleme bestehen derzeit, die diese Funktionserfüllung behindern? Welches sind die Ursachen dafür? Wie sind diese Ursachen zu beheben?

Vor den erforderlichen Maßnahmen dürfen medienpolitische Akteur:innen nicht zurückschrecken. Eine Kürzung der Mittel, die für die gewaltigen kommunikativen Aufgaben bereitgestellt werden müssen, löst vielleicht kurzfristig das Akzeptanzproblem, langfristig wird es dies aber erhöhen. Und es wird nicht zu lösen sein, wenn permanent der politische Druck durch eine rhetorische Delegitimierung der Sender anhält oder noch erhöht wird.

Die Allgemeinheit profitiert als Ganzes von einem öffentlich-rechtlichen Angebot, das für den öffentlichen Diskurs in unserer Demokratie unverzichtbar ist. Daher muss die Medienpolitik der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Finanzierungsgarantie nachkommen und Sorge tragen, dass die Erfüllung und notwendige Fortentwicklung des Auftrags finanziert werden kann. Bevor also der Reformeifer, den die Medienpolitiker:innen aus den Staatskanzleien jetzt an den Tag legen, im Sinne einer Kürzungsagenda überhandnimmt, sollte der von Carsten Brosda geforderte Zukunftsentwurf vorliegen, der Grundsatzfragen zu den Leistungen der Sender für unsere demokratische Gesellschaft beantwortet.

Über die Autorin

Barbara Thomaß (*1957) ist emeritierte Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Seniorresearcher am Leibniz-Institut für Medienforschung |Hans-Bredow-Institut. Sie ist zweite stellvertretende Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates und Vorstandsvorsitzende der Akademie für Publizistik in Hamburg. Ihr Forschungsgebiet ist der internationale Vergleich von Mediensystemen mit den Schwerpunkten Medien und Demokratie, europäische Medienpolitik, Medienethik und journalistischer Ethik sowie Medienentwicklungszusammenarbeit. Kontakt: Barbara.Thomass@rub.de

Literatur

Buhrow, Tom (2022): Wir müssen die große Reform wagen, jetzt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.11.2022. Online unter https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ard-und-zdf-tom-buhrow-schlaegt-eine-grundsatzreform-vor-18432251.html

BVerfG (2021): Beschluss des Ersten Senats vom 20. Juli 2021 – 1 BvR 2756/20 -, Rn. 1-119, http://www.bverfg.de/e/rs20210720_1bvr275620.html

Carothers, Thomas; Press, Benjamin (2022): Understanding and Responding to Global Democratic Backsliding. Carnegie endowment for International Peace. https://carnegieendowment.org/2022/10/20/understanding-and-responding-to-global-democratic-backsliding-pub-88173

Eisenegger, Mark; Udris, Linards (2018): Warum die SRG Ihnen nützt, selbst wenn Sie sie nicht nutzen. In: Republik vom 15.02.2018. https://www.republik.ch/2018/02/15/warum-die-srg-ihnen-nuetzt-selbst-wenn-sie-sie-nicht-nutzen

Hain, Karl-E.; Rößner, Tabea (2022): Unabhängigkeit durch Kompetenz. Vorschläge für eine Reform von ARD und ZDF. In: epd medien 39/22 vom 30. September 2022. https://www.epd.de/fachdienst/epd-medien/schwerpunkt/debatte/unabhaengigkeit-durch-kompetenz

Hartung, Helmut (2023a): »Wir starten die umfassendste Verwaltungsreform in der Geschichte der ARD«. In: medienpolitik.net vom 2.01.2023. https://www.medienpolitik.net/2023/01/wir-starten-die-umfassendste-verwaltungsreform-in-der-geschichte-der-ard/

Hartung, Helmut (2023b): »Eine grundlegende Neubegründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks«. In: medienpolitik.net vom 9.01.2023. https://www.medienpolitik.net/2023/01/eine-grundlegende-neubegruendung-des-oeffentlich-rechtlichen-rundfunks/

Hölig, Sascha; Behre, Julia; Wolfgang Schulz (2022): Reuters Institute Digital News Report 2022 – Ergebnisse für Deutschland. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Juni 2022 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts) https://leibniz-hbi.de/de/publikationen/reuters-institute-digital-news-report-2022-ergebnisse-fuer-deutschland

Horz-Ishak, Christine; Thomass, Barbara (2021): Germany. Solid journalistic professionalism and strong public service media. In: Trappel, Josef; Tomaz, Tales (Hrsg.): The Media for Democracy Monitor 2021: How leading news media survive digital transformation (Vol. 2). Göteborg: Nordicom, University of Gothenburg. https://doi.org/10.48335/9789188855428

Pfetsch, Barbara; Löblich Maria; Eilders Christiane (2018): Dissonante Öffentlichkeiten als Perspektive kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung. In: Publizistik, 63(4), 477-495.

Snyder, Timothy (2021): Über Tyrannen. Zwanzig Lektionen für den Widerstand. München: C.H.Beck.

Thomass, Barbara; Fidalgo, Joaquim; Grönvall, John; Karadimitriou, Achilleas; Nord, Lars (2022): Public service media. Exploring the influence of strong public service media on democracy. In: Trappel, Josef; Tomaz, Tales (Hrsg.): The Media for Democracy Monitor 2021: How leading news media survive digital transformation (Vol. X). Göteborg: Nordicom, University of Gothenburg. https://doi.org/10.48335/9789188855428

Trappel, Josef; Tomaz, Tales (Hrsg.): The Media for Democracy Monitor 2021: How leading news media survive digital transformation (Vol. 2). Göteborg: Nordicom, University of Gothenburg. https://doi.org/10.48335/9789188855428

Fussnote

1 Zur Methodik und den Indikatoren des Media for Democracy Monitor vgl. Trappel/Tomaz 2022


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Zitationsvorschlag

Barbara Thomaß: »Verteidigt die Institutionen!«. Öffentlich-rechtliche Medien sichern Demokratie. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 1, 2023, 6. Jg., S. 100-109. DOI: 10.1453/2569-152X-12023-12962-de

ISSN

2569-152X

DOI

https://doi.org/10.1453/2569-152X-12023-12962-de

Erste Online-Veröffentlichung

April 2023