Daniel Siemens (2022): Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert

Rezensiert von Stine Eckert

Er sei kein Frauenförderer gewesen, sagt Daniel Siemens im Online-Talk des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft am 15. März 2022 über Hermann Budzislawski, dessen Biografie er geschrieben hat. Es ist die erste, die dem Mann »Hinter der Weltbühne« gewidmet ist. Immer wieder kommt der Biograf darin auf das schwierige Verhältnis von Budzislawski zu Autorinnen zu sprechen: z. B. als er im Exil der 29-jährigen Hannah Arendt eine Absage erteilte, die ihm anbot für die Neue Weltbühne über den jüdischen Weltkongress zu schreiben, auch weil sie signalisierte, dass sie andernfalls zur Konkurrenz, dem Tage-Buch gehen könne. Oder als er Dorothy Thompson, eine der bedeutendsten U.S.-amerikanischen Journalist*innen ihrer Zeit, eine eigenständige Persönlichkeit und publizistische Leistung absprach. Doch der Reihe nach.

Siemens läuft, wie in Biografien üblich, die Lebensstationen von Budzislawski chronologisch ab, teilt sein Leben unter vier politischen Regimen auf 413 Seiten in zehn Kapitel auf. Achtundzwanzig Schwarz-Weiß-Bilder ergänzen den Band. Der Journalist und Herausgeber Hermann Budzislawski wurde am 11. Februar 1901 im Kaiserreich in Berlin als drittes Kind eines Fleischermeisters und Kaufmanns und seiner Frau Jenny in eine jüdisch-preußische Familie mit polnischen Wurzeln geboren. Besuch der jüdischen Knabenschule, Oberrealschule, Abitur. Nach mehrmaligem Studienortwechsel promovierte er an der Universität Tübingen 1923 zum Thema »Eugenik. Ein Beitrag zur Ökonomie der menschlichen Erbanlagen« aus seiner Position als junger Sozialist heraus und schloss mit »summa cum laude« ab (S. 30-32). Seine ersten journalistischen Erfahrungen machte er in der Weimarer Republik Mitte der 1920er-Jahre mit kurzen Texten in Berliner Zeitungen, während er nebenbei als Hauslehrer arbeitete und so seine spätere Frau Johanna, »eine gute Partie aus christlich-jüdischem Hause« (S. 43), kennenlernte. Die Geburt von Tochter Beate folgte 1929. Siemens betont immer wieder, dass Materialien zu den persönlichen und familiären Umständen nur sporadisch im Nachlass erhalten sind und somit viele Aspekte unklar bleiben: »Auch wie es in der Ehe aussah, ist kaum bekannt.« (S. 43)

Erst für den 6. Dezember 1932 findet der Biograf den ersten namentlich gekennzeichneten Artikel, der Budzislawski als Autor in der Weltbühne ausweist; weitere Beiträge zu Wirtschaftsthemen folgten. Siemens kontrastiert diesen unscheinbaren Anfang seiner publizistischen Karriere mit dem rapiden Niedergang der jungen Demokratie. Im Chaos dieser Zeit gelang es Budszislawski nach der Flucht ins politische Exil erst nach Zürich, dann nach Prag, durch geschickte Manöver 1934 zum Redaktionsleiter der Neuen Weltbühne, der Nachfolgerin der Weltbühne zu werden. Als ein Niemand, der aus dem Nichts auftauchte, sehen ihn viele. Er nutzte seine frisch erworbene Plattform, um gegen Nazis anzuschreiben, warb durch seinen Kontakt zu Heinrich Mann weitere große Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger an.

Doch laut Siemens, wieder im Online-Talk, hatte er »keine gute Art mit Frauen umzugehen«: Ein herablassender Brief, mit dem er »einige weibliche Töne« (S. 76) aus der Berliner Journalistin und Schriftstellerin Gabriele Tergit für die Neue Weltbühne herauslocken wollte, blieb unbeantwortet. Den Vorschlag einer französischen Autorin, die Frauenfrage in der Nazi-Ideologie zu beleuchten, lehnte er als »nicht geeignet« ab (S. 76). In der Prager Redaktion tippt derweil seine Frau Hanna die Manuskripte, macht Blattkritik und kümmert sich um alles Praktische. Siemens fasst zusammen: »Wie bei vielen politischen Exilanten blieb der weibliche Beitrag zum antifaschistischen Kampf auch bei den Budzislawskis öffentlich unsichtbar. Trotz aller sozialistischen Kameradschaftsrhetorik verschärft das Exil die Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis.« (S. 78)

Siemens stellt es vor allem als eines der größten Verdienste Budzislawskis heraus, dass er die Neue Weltbühne finanziell bis 1939 am Leben erhalten konnte, in der letzten Station als Leitartikler in Paris, bis zu seiner Internierung im Sommer. Im Juni 1940 aus der Haft entlassen und mit Hilfe der American Guild for German Cultural Freedom und der Hebrew Immigrant Aid Society samt Familie im Oktober über Spanien und Portugal in den USA angekommen, glänzte Budzislawski bereits im Januar 1941 wieder als Gastredner an der Harvard University. Durch seine politischen Analysen auf ihn aufmerksam geworden, nahm gerade eine Frau, die US-amerikanische Starreporterin Dorothy Thompson, ihn als Protegé in ihre einflussreichen Kreise auf. Budzislawski wird Ghostwriter für ihre Beiträge zu Nazi-Deutschland und bringt zugleich US-amerikanische Lebensverhältnisse Hörer*innen und Leser*innen in Europa nahe. So beschreibt Siemens eine professionelle und auch persönlich gegenseitig nützliche Beziehung. Thompson sorgte dafür, dass Budzislawski eine erstaunliche, fast nahtlose Fortsetzung seiner publizistischen Karriere samt guter Einkommensquelle im Exil möglich wird. »Trotz dieser Gelegenheiten fühlte sich Budzislawski als Mann der zweiten Reihe, zumal hinter einer Frau, schlecht platziert.« (S. 142) Wohl auch, weil er es nicht schaffte, die Weltbühne im Gastland wiederzubeleben.

Weiter mit dem Ziel, sein »Blättchen« auf die Beine zu stellen, kehrt Budzislawski 1948 nach Deutschland zurück. Interessanterweise schreibt seine Frau Hanna »wir« haben den Ruf angenommen – auf eine Professur für Internationales Pressewesen in der sowjetischen Besatzungszone in Leipzig. »Noch immer waren die Budzislawskis eine eheliche Arbeitsgemeinschaft.« (S. 175) So lässt Siemens immer wieder die unsichtbare und unbezahlte Arbeit der Ehefrauen von Publizisten aufscheinen. Der Biograf kontrastiert immer wieder den großbürgerlichen Lebensstil Budzislawskis mit seiner neuen Position. Trotz Villa mit begehrten, aus den USA importierten Mangelwaren wie Radio, Kochplatten, Kaffee und Seife sollte Budzislawski als erste Dekan der Fakultät für Journalistik an der Karl-Marx-Universität, Journalist*innen den Sozialismus vermitteln. Doch Budszislawski setzt sich für eine pragmatische Ausbildung ein: mehr journalistisches Handwerk, dafür weniger Marxismus-Leninismus, umrahmt von Fremdsprachenkenntnissen und Diskussionen zu aktuellen kulturpolitischen Problemen. Immer wieder geriet er damit an die Grenzen der SED, die ihm seine Privilegien garantierte. Dies galt auch für seine Frau. Trotz prominenter Stellung von Hanna, der Siemens ein ausgeprägtes politisches Interesse und langjährige Mitarbeit an der Neuen Weltbühne bescheinigt, kam sie in der Nachkriegszeit im DDR-Journalismus nicht über die Veröffentlichung von kulturellen Kochrezepten hinaus.

Budzislawski nutzt das Spiel mit den Geschlechtern, um seinen journalistischen Einstand in der DDR zu geben und eine Abrechnung mit seiner Unterstützerin im Exil zu liefern, als er im Neuen Deutschland vom 24. November 1948 titelt: »Ich war Amerikas berühmteste Frau.« Siemens diskutiert den Disput mit Thompson im Detail und verdichtet hier, wie an vielen weiteren Stellen, die Erzählstränge zu den – heute immer noch aktuellen – Themen Verfolgung von Minderheiten, Migration, (Kalter) Krieg, Ideologie, Geschlecht, Medienstrukturen und -eigentum, Weltpolitik und die Rolle der Sowjetunion/Russlands in Europa miteinander auf interessanteste Weise. Beispielhaft dafür ist seine Herausarbeitung der dreifachen Gefahr, der Budzislawski in der noch unsicheren DDR der 1950er-Jahre als Jude, Westremigrant aus den USA und Sozialist ausgesetzt war. Gegen wiederholte explizite und implizite Vorwürfe, Zionist, US-Geheimdienstmitarbeiter und/oder Trotzkist gewesen zu sein, konnte er sich vor allem auch durch Fürsprecher in der SED und der Universität wehren. Viele neideten dem »Amerikaner« seinen relativen Wohlstand; die Studierenden verstanden die gebrochenen Lebenswege der Exilant*innen kaum. Siemens erhellt so US-amerikanisch-deutsche Journalismusgeschichte durch vielfältige ineinander verschränkte Perspektiven.

Siemens verwendet das letzte Drittel des Buchs, um Budzislawskis holprigen Neustart genauer zu beschreiben: Partei-»Säuberungen,« öffentliche Bußgänge, Gegner an der Universität, sein Gefühl der Enge trotz Privilegien nach einer Zeit, in der er nur als wandelfähiger Weltbürger hatte überleben können. Doch den goldenen Käfig zog er dem nochmaligen Leben aus dem Koffer vor. Er verschaffte sich kleine, auch internationale, Freiräume. Sich weiter vor allem als politischer Journalist verstehend und nun mit dem Herausstellungsmerkmal, einer der wohl besten Kenner*innen der US-Politik in der DDR zu sein, pendelte er zwischen seinen universitären Aufgaben und Beiträgen für die Leipziger Volkszeitung, dem Rundfunk und Massenkundgebungen, reiste im Auftrag der DDR ins Ausland. An der 1954 neu gegründeten Fakultät für Journalistik machte er Forschung und Lehre zu deutscher und internationaler Pressegeschichte zu einem Schwerpunkt. Er schrieb – in Anbetracht seiner Spitzen gegenüber Thompson ironischerweise aufbauend auf der Arbeit von anderen an der Fakultät, die nicht als Herausgebende oder Autoren genannt werden – das Lehrbuch Sozialistische Journalistik. Eine wissenschaftliche Einführung, das 1966 im regulären Buchhandel erschien. Laut seinem Assistent Karl-Heinz Röhr, wie Siemens im Online-Talk hinzufügt, wurde das Buch allerdings nie an der Universität eingesetzt, weil Budzislawski im Kollegium Feinde hatte, während viele Studierende ihn als Ikone sahen.

Seine erzwungene Emeritierung 1967 erlaubte es ihm, parteipolitisch abgesegnet, die Weltbühne noch einmal für viereinhalb Jahre trotz angeschlagener Gesundheit als Chefredakteur zu leiten: Sein Wort war Gesetz innerhalb der Redaktion. Er bestimmte eine Blattlinie, die den Frieden förderte, während sie den Widerstand gegen die Nazis und den Holocaust in Erinnerung behielt. In dem Blatt für »systemloyale Intellektuelle« berichteten er und seine Korrespondent*innen vor allem über das westliche, kapitalistische Ausland, vermieden Kritik am eigenen Staat und lavierten um historische Ereignisse in den östlichen Nachbarländern, wie der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, mit dem minimalen Abdruck staatlicher Verlautbarungen herum. Zarte Kritik an der DDR war die Ausnahme. Das gleiche galt für Autorinnen. Nur selten kamen Frauen, etwa Elfriede Brüning oder Greta Kuckhoff zu Wort. Budzislawski testete die Grenzen des Journalismus, blieb aber parteilinientreu und persönlich unnahbar. Das redaktionelle Klein-Klein überließ er der stellvertretenden Chefredakteurin Ursula Madrasch-Groschopp. Siemens geht auch hier auf Geschlechterverhältnisse ein. Madrasch-Groschopp musste als Schlichterin dafür sorgen, dass ein Streit zwischen Budzislawski und dem österreichischen kommunistischen Schriftsteller Hugo Huppert nicht eskalierte und sich zwei »alte Männer« (236) zugunsten der Weltbühne wieder vertrugen.

Hermann Budzislawski verstarb am 28. April 1978 in seiner Geburtsstadt Berlin und wurde für seine Verdienste in der DDR sowie seinen Einsatz für die Weltbühne im Exil geehrt. Knapp ein Jahr später, am 30. März 1979, starb auch Johanna Budzislawski, der Siemens ebenfalls Absätze zu Todesumstand samt Obduktion widmet und somit erneut auf ihre wichtige Rolle in der »Arbeitsgemeinschaft« Budzislawski verweist. Die unschönen Erbquerelen um Budzislawskis Hinterlassenschaften beenden die Biografie eher bitter, zeigen aber auch die Schwierigkeiten, an Materialien aus Familienbesitz zu gelangen. Siemens resümiert: Budzislawski war mit »Leib und Seele« Journalist und die Weltbühne war seine »Heimat«; sie rahmte sein publizistisches Schaffen und er ordnete ihr vieles unter. Im Online-Talk ergänzt Siemens, dass Budzislawskis Verständnis von Journalismus in der Weimarer Republik verhaftet blieb, mit linksbürgerlichen Lesern im Kopf.

Für Absolvent*innen des »roten Klosters« – das laut Siemens seinen Spitznamen vielleicht auch wegen des »rötlichen Porphyrgesteins« des Originalgebäudes weghatte (S. 216) – und für gegenwärtig dort Studierende ist das letzte Drittel des Buchs besonders lohnend. Siemens beleuchtet darin nuanciert einen Teil früher DDR-Journalistik-Geschichte, mit ihren Ambivalenzen und Kämpfen zum Verständnis von Journalismus im Sozialismus. Er zeigt durch das teils verhinderte Wirken eines Journalisten und Journalist*innenausbilders, der selbst ständig Anpassungsarbeit leisten musste, wie zwischen der Vermittlung von pragmatischem Handwerk und ideologischen Ansprüchen gewechselt wurde. Auch mit wenigen Vorkenntnisse ist dem Buch gut zu folgen.

Siemens, der 1975 in Bielefeld geboren ist und nach eigenen Worten aus der ostwestfälischen Provinz stammt, forscht seit 2017 als Professor für Europäische Geschichte an der Newcastle University in Großbritannien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er hat akribisch recherchiert, in Archiven weltweit, in Materialien aus Privatbesitz, durch Gespräche mit Zeitzeug*innen. Wiederholt weist er Leser*innen darauf hin, wenn Quellen dürftig oder nicht vorhanden waren. Er spürt vielen Einzelheiten nach und bietet dennoch eine sehr zugängliche und kohärent geschriebene Biografie, die große Themen des 20. Jahrhunderts mit Alltäglichem verbindet und die es schafft zu zeigen, wie ein Leben als Jude, Deutscher, Sozialist und auch als Mann intersektional miteinander verschränkt sind. Er erfüllt so seine im Vorwort versprochene »vergangenheitsgeschichtliche Intervention« (S. 14), mit einer komplexen Biografie zu einem Intellektuellen in der DDR, der sich einfacher »Schubladisierung« entzieht. Er löst so sein Versprechen ein, dazu beizutragen, eine fast nur defizitäre Geschichtsschreibung der DDR zu durchbrechen, damit sich (auch jüngere) Leser*innen der DDR-Geschichte »neu nähern« können.

Siemens holt »einen Mann der zweiten Reihe« auf die Bühne, der sich für die Weltbühne immer wieder transformieren musste, allerdings auch typisch für eine männerdominierte Profession, für die sozialistische und antifaschistische Bewegung und die akademische Journalismuslehre im 20. Jahrhundert steht. Siemens’ passend gesetzte nadelstichartige Einblicke in die Geschlechterverhältnisse im bürgerlichen Journalismus in den verschiedenen politischen Formen Deutschlands bereichern und kontextualisieren. Sie lassen erahnen, dass hier Potenzial für weitere Forschung zu ostdeutscher Journalismusgeschichte schlummert. Mit dieser ersten Biografie zu Hermann Budzislawksi, den Siemens einen der wichtigsten Linksintellektuellen in Europa und den USA der 1930er- und 1940er-Jahren nennt, liefert der Autor ein wichtiges und nun besser ausgeleuchtetes Puzzlestück der Journalismusgeschichte Deutschlands vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Über die Rezensentin

Prof. Dr. Stine Eckert, Jahrgang 1982, ist Associate Professor of Journalism im Department of Communication an der Wayne State University in Detroit und Mitherausgeberin der Journalistik/Journalism Research.

Über das Buch

Daniel Siemens (2022): Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Berlin: aufbau, 413 Seiten, 28,- Euro.