Von Tanjev Schultz
Abstract: TV-Duelle sind markante Ereignisse in Wahlkämpfen. Über ihre Regeln und ihre Effekte wird in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft seit Jahrzehnten diskutiert. Vor diesem Hintergrund präsentiert der Beitrag Beobachtungen und Lehren aus den jüngsten TV-Duellen in Deutschland und den USA. Er regt neue Formate und Strukturen für die Sendungen an und hebt an Beispielen die Gefahren hervor, die durch politischen Populismus und Extremismus für die Seriosität und Substanz der TV-Duelle entstehen.
Keywords: TV-Duelle, presidential debates, Personalisierung, Faktencheck, Wahlkampf
In den USA sind TV-Duelle im Wahlkampf seit langer Zeit etabliert (vgl. Schroeder 2016). In Deutschland gibt es sie in dieser Form auf Bundesebene seit 2002, als Gerhard Schröder (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) gegeneinander antraten, um Kanzler zu werden (vgl. Maurer/Reinemann 2003). Vor Wahlen in den deutschen Bundesländern und den US-Bundestaaten ist das Format ebenfalls gang und gäbe, in den USA zudem bei der Vorauswahl von Kandidatinnen und Kandidaten (primary debates). TV-Duelle sind mittlerweile auch außerhalb heißer Wahlkampfzeiten zu sehen: So inszenierte Welt TV, ein Sender des deutschen Medienunternehmens Axel Springer, am 9. Oktober 2024 ein Duell zwischen Alice Weidel (AfD) und Sahra Wagenknecht (BSW). Die Sendung lief nach den Landtagswahlen in drei Bundesländern, in denen die Parteien der beiden Politikerinnen jeweils erfolgreich abgeschnitten hatten, und deutlich vor der nächsten regulären Bundestagswahl. Nicht nur bei Welt TV, auch in der Druck- und Digitalausgabe der Welt und in anderen Medien wurde groß über das Duell berichtet.
TV-Duelle können breite Aufmerksamkeit erregen, das macht sie nicht nur für Politikerinnen und Politiker, sondern auch für die Medien attraktiv. In den USA sollen laut Nielsen (2024) mehr als 67 Millionen Menschen die presidential debate des Jahres 2024 zwischen Kamala Harris und Donald Trump im TV-Sender ABC verfolgt haben. Noch höher lag die Reichweite 2016 beim TV-Duell zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. Damals sollen es 84 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer gewesen sein (Kennedy 2016). Wer die Sendung nicht live schaut, muss sich stark abschotten, um nicht doch noch in den folgenden Stunden und Tagen Inhalte und Schnipsel aus der Debatte in den sozialen Medien (vgl. Arman/McClurg 2024), in Nachrichtenangeboten oder privaten Kommunikationen mitzubekommen.
Darin liegt auch demokratietheoretisch betrachtet ein Reiz des Formats: In einer unübersichtlichen, fragmentiert erscheinenden Medienwelt werden TV-Duelle lagerübergreifend zu einem Referenzpunkt und präsentieren zentrale Personen, Botschaften und Kontroversen eines Wahlkampfs (vgl. Benoit 2014). Damit können sie den weiteren Verlauf eines Wahlkampfs und eventuell sogar den Wahlausgang beeinflussen (vgl. als Überblick Maier/Faas 2019).
In den vergangenen Jahrzehnten sind viele Studien erschienen, die diverse Aspekte von TV-Duellen untersucht haben, besonders häufig die Frage nach den Wirkungen auf das Publikum und die Wahlen. In der öffentlichen wie der wissenschaftlichen Diskussion sind dabei immer wieder kritische Töne zu hören. Dem Format wird vorgeworfen, zu einer oberflächlichen Darstellung von Politik beizutragen und diese in ein simples Gewinn-Niederlage-Schema zu pressen. Kritik gibt es an den Leistungen der Moderatorinnen und Moderatoren: dass sie nur wie »Stichwortgeber« (Tenscher 1998: 154) agierten, zu wenig nachbohrten oder relevante Themen vernachlässigten (vgl. Schultz 2006 215ff.; Maier/Faas 2019: 54ff.).
Es ist in diesem Beitrag nicht möglich, die Vielzahl an Befunden im Einzelnen darzustellen. Mit Blick auf die jüngsten TV-Duelle in den USA und Deutschland werden, anknüpfend an die Literatur, aktuelle Beobachtungen und Lehren in fünf Thesen vorgestellt. Sie sollen eine Diskussion über die Zukunft der TV-Duelle anregen.
1. TV-Duelle können sehr wirkmächtig sein
Welche Effekte TV-Duelle haben und ob sie sogar wahlentscheidend sind, beschäftigt die Forschung, seit es diese Formate gibt. Eine Antwort darauf muss differenziert ausfallen. Wie die umfangreiche Forschung aus den USA und Deutschland belegt, sind die Wirkungen »hoch kontingent und komplex« (Maier/Faas 2019: 13). Sie hängen unter anderem vom Vorwissen, den Voreinstellungen und den politischen Identifikationen der Zuschauerinnen und Zuschauer ab, zudem vom Verlauf der Debatten sowie der historischen Konstellation (vgl. McKinney/Warner 2013). In einigen Teilgruppen des Publikums können die Wirkungen größer sein als in anderen. Effekte können nicht nur das Wahlverhalten betreffen, sondern ebenso Emotionen, Wissenszuwächse (oder -verluste) sowie Verschiebungen in den Einstellungen (vgl. Maier/Faas 2019: 87ff.). TV-Duelle können die Vorstellungen von den Kandidatinnen und Kandidaten verändern – und unter Umständen tatsächlich den Wahlausgang beeinflussen (vgl. Maurer/Reinemann 2003: 219ff.).
TV-Duelle bilden nur ein Element im größeren Arrangement politischer Kommunikation. Da sie viel Aufmerksamkeit erregen und jede Menge Anschlusskommunikation nach sich ziehen, sind es aber herausgehobene Ereignisse. In den Sendungen wird der Wahlkampf im »Miniaturformat« ausgetragen (Faas/Maier 2004: 56; Maier/Faas 2011). Wie unter einem »Brennglas« (Schoen 2004: 29) können TV-Debatten zentrale Linien der Wahlkampf-Kommunikation bündeln.
Vor allem Bürgerinnen und Bürger, die noch unentschlossen sind, wen sie wählen wollen, können von den Sendungen beeinflusst werden (vgl. Maier 2024; McKinney/Warner 2013). Ist der Abstand zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten knapp, können TV-Duelle die Lage entscheidend verändern. Auswertungen zeigen, dass der Ertrag einer TV-Debatte den Amtsinhabern und Amtsinhaberinnen oft weniger nützt (Maier/Faas 2019: 102). Im Duell zwischen Harris und Trump war zwar (vor allem medial) der Eindruck verbreitet, Trump habe das Duell klar verloren. Doch der Aufwind für Harris war nicht so stark, wie dies angesichts dieses Urteils hätte erwartet werden können – und schwächte sich im Laufe der folgenden Wochen weiter ab. Dies kann damit zusammenhängen, dass Harris seit Bidens Verzicht zwar bessere Chancen hatte als er, die Wahl zu gewinnen, sie aber als Vizepräsidentin wie eine Amtsinhaberin wahrgenommen wurde.
Selbst in Fällen, in denen keine direkte Wirkung auf den Wahlausgang zu erkennen ist, sind vielfältige Effekte möglich, die schwer zu messen sind. Da die Debatten nachhallen und Ausschnitte oder Themen daraus in den sozialen Medien auftauchen, lassen sich Effekte nicht auf die unmittelbare Sendung begrenzen. Was dort passiert, verbindet sich mit weiteren Ereignissen und Eindrücken des Wahlkampfs. Und sogar wenn sich nichts an den Wahlabsichten in der Bevölkerung verändert, ist das ein wichtiges Ergebnis. Denn es bedeutet, dass es den Kandidatinnen und Kandidaten einerseits gelungen ist, ihre Basis zu halten, und sie es andererseits nicht geschafft haben, mehr Menschen von sich zu überzeugen. Sie haben keinen großen Fehler gemacht, mehr jedoch nicht erreicht. Aus der Perspektive der Politik ist es rational, den Debatten eine große Bedeutung und eine potenziell entscheidende Wirkung zuzuschreiben.
Dies wird umso nachvollziehbarer, je mehr Effekte berücksichtigt werden, die nicht allein oder direkt das Wahlergebnis betreffen. Debatten können die Agenda verändern und bestimmte Themen und Positionen in den Vordergrund bringen, andere in den Hintergrund drängen. Eine neue Dynamik zwingt die Wahlkampfstäbe zu Reaktionen, die neue Chancen und Risiken bergen. So sind die TV-Debatten ein Knotenpunkt in einem Netz von Ereignissen und Entscheidungen, die sich nicht unbedingt so ordnen lassen, dass sie eine einfache Kette von Ursachen und Wirkungen bilden.
Markante Momente und Patzer eines TV-Duells, defining moments, können das Image eines Kandidaten oder einer Kandidatin nachhaltig prägen und beschädigen (vgl. Maier/Faas 2019: 48f.). Der US-Wahlkampf hat in diesem Jahr erneut vor Augen geführt, wie wirkmächtig TV-Duelle sein können: Nach seiner weithin als sehr schwach empfundenen Performance im ersten TV-Duell musste US-Präsident Joe Biden als Kandidat seiner Partei aufgeben und Platz für die Vizepräsidentin Kamala Harris machen – ein historischer Vorgang so kurz vor einer Wahl. Natürlich sind auch solche Konsequenzen stets eingebunden in einen Kontext. Bidens Gesundheitszustand war schon länger ein Thema, bevor die Debatte die Zweifel an seiner Fitness so groß werden ließ, dass sie sich nicht mehr ignorieren ließen. In TV-Duellen können Weichen gestellt werden, die einen Wahlkampf in neue Richtungen führen.
2. TV-Duelle sind Treiber politischer Personalisierung
Wer gut informiert ist, erfährt in TV-Duellen nicht viel Neues. Die Kandidatinnen und Kandidaten führen Programmpunkte aus, die sie zuvor schon vertreten haben, und nutzen dafür oft genau die Slogans, die sie an anderer Stelle schon verwendet haben. Das ist sinnvoll, weil die Sendungen auch Menschen erreichen, die noch wenig vom Wahlkampf mitbekommen haben. Daher kann der Maßstab, den Journalistinnen und Journalisten anlegen, wenn sie Überraschendes erwarten, ungeeignet sein, um den Wert der Sendungen zu bestimmen.
Anstatt die politischen Inhalte für weitere Analysen in den Vordergrund zu rücken, werden in den Medien oft andere Fragen prominent behandelt, die Persönliches und Psychologisches betreffen: Wie nervös wirkte ein Kandidat? Wie geschickt ist jemand ausgewichen? Wie war die Mimik? Warum hat eine Kandidatin an einer Stelle gelacht? Und übergreifend: Wer hat das Duell gewonnen?
Diese Frage liegt auf der Linie einer für Wahlkämpfe so typischen wie demokratietheoretisch problematischen horse-race-Berichterstattung (vgl. Cappella/Jamieson 1997). Über den politischen Wettstreit wird berichtet wie über ein Pferderennen, die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten kommt zu kurz. Selbst bei Zuschauerinnen und Zuschauern, für die das im Duell vorgestellte Programm noch neu ist, könnte der personalisierte Wettkampf, den die Sendungen inszenieren, die Inhalte überlagern.
Wie Analysen zeigen, sprechen Kandidatinnen und Kandidaten in TV-Duellen zwar in einem beträchtlichen Teil ihrer Redezeit über Sachthemen (Maier/Faas 2019: 41f.; Benoit 2014). Aber das Format richtet die Scheinwerfer auf Personen, deren Eigenschaften in der Regel leichter erfasst werden als komplexe Programme (Maier/Faas 2019: 90). Ist ein Politiker sympathisch, wirkt eine Politikerin zupackend? Solche Fragen rücken in den Vordergrund (vgl. Maurer/Reinemann 2003: 220). Zudem neigen Moderatorinnen und Moderatoren dazu, das Strategische, Parteitaktische und Personenbezogene zu betonen (vgl. Jansen 2018; Maier/Faas 2019: 44, 54ff.). Diese Aspekte stehen oft auch im Zentrum der weiteren Berichterstattung über TV-Duelle. Journalistinnen und Journalisten bewerten die Performance wie »Punktrichter« (Maurer/Reinemann 2003: 228). Die Frage, wer ein Duell gewonnen oder verloren hat, ist wenig daran interessiert, Programme zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, sie zielt auf Personen und deren politisches Verkaufstalent.
Im Einzelnen mögen die empirischen Belege zur Personalisierung der politischen Kommunikation uneindeutig sein (vgl. Maier/Faas 2019: 109). Doch bei TV-Duellen ist das Format selbst Ausdruck einer Personalisierung, die sich bis zur Rekrutierung des politischen Personals niederschlagen kann. Wer in Deutschland als Kanzlerkandidat oder -kandidatin antritt, erhebt den Anspruch, an einer TV-Debatte teilzunehmen.
Sicherlich gibt es im Phänomen der Personalisierung Unschärfen, Ambivalenzen und gegenläufige Tendenzen (vgl. Brettschneider 2002). In Deutschland haben in den vergangenen Jahren auch Politikerinnen und Politiker Erfolge gehabt, die wie Angela Merkel oder Olaf Scholz als Personen eher sperrig wirken und Erwartungen an eine geschmeidige Kommunikation nicht erfüllen. In den USA ließen sich dagegen sowohl Harris als auch Trump, wenngleich auf völlig unterschiedliche Weise, in ihrer Person und ihrem Kommunikationsstil medial gut vermarkten.
In Deutschland steht das Mehrparteiensystem einer Konzentration auf zwei Personen entgegen. Zwar fand in der Vergangenheit eine solche Zuspitzung statt, zum Beispiel zwischen Merkel und Schröder oder zwischen Schröder und Stoiber. Im Bundestagswahlkampf 2021 gab es dann aber statt TV-Duellen sogenannte Trielle, an denen drei Personen teilnahmen: neben Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) auch Annalena Baerbock als Spitzenkandidatin der Grünen (vgl. Waldvogel et al. 2022; Maier 2024).
Die einst großen Volksparteien CDU/CSU und SPD sind in den vergangenen Jahren kleiner geworden. Ehemals kleinere Parteien wie die Grünen oder nun das BSW oder die AfD sind dagegen, zumindest zeitweise, so populär, dass sie ebenfalls einen Führungsanspruch anmelden und Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten aufstellen. Davon erhoffen sie sich offenbar noch größere (mediale) Aufmerksamkeit. So ist derzeit zu erwarten, dass es im Bundestagswahlkampf 2025 erneut kein TV-Duell mit nur zwei Personen geben wird; die Runde dürfte größer ausfallen. Damit würde sich das Angebot in Deutschland an die Zeiten der »Elefantenrunden« annähern, die in den Jahren vor Einführung der TV-Duelle Spitzenpolitikerinnen und -politiker mehrerer Parteien in einer Wahlkampf-Sendung zusammenbrachten (vgl. Klein 1990; Maurer/Reinemann 2003: 224f.).
Einerseits begrenzt dies die Personalisierung, sofern darunter die Zuspitzung auf wenige (zwei) Personen im Wahlkampf verstanden wird. Andererseits trägt die beschriebene Entwicklung dazu bei, dass nun in allen Parteien die Spitzenleute wichtiger werden. Bei den Grünen zeigt sich das an der Bedeutung, die schon seit Monaten Robert Habecks (mutmaßlicher) Kanzlerkandidatur beigemessen wird (obwohl aktuelle Umfragen keinen Anlass geben, Ansprüche auf das Kanzleramt zu erheben). Beim BSW, dem Bündnis Sahra Wagenknecht, ist der Trend daran abzulesen, dass bereits der Parteiname eine Person als Galionsfigur ausweist.
Wie es Welt TV im Oktober 2024 vorgemacht hat, kann es passieren, dass die Medien zusätzlich zu größeren Runden einzelne Duelle ausrichten. In seiner Werbung und publizistischen Begleitung des Duells hat der Privatsender das Ereignis stark personalisiert und boulevardisiert; Boris Rosenkranz beschrieb es auf dem medienkritischen Portal Übermedien so: »Es war alles großes Labertheater. ›Sie, blond, 45 Jahre, sucht möglichen Koalitionspartner für gemeinsame Zukunft‹, knarzte der Off-Sprecher in einem Ankündigungsfilm über Weidel, um dann auf Wagenknecht umzuschwenken: ›Könnte sie etwa die eine sein‹, die an einer ›Romanze‹ Interesse hätte? ›Schwarzes Haar, 55, mit, sagen wir: politischer Links-Rechts-Schwäche‹. […] Das ganze Herzblattvokabular im dünnen Mäntelchen vermeintlich seriöser Politikberichterstattung. Falls sich irgendwer fragt, wie man Populismus romantisiert, normalisiert, mit so einem Gesäusel geht’s ganz gut.« (Rosenkranz 2024)
Die in Deutschland viel erörterte Frage, ob Wahlkämpfe amerikanischer werden, lässt sich in einer ersten Reaktion leicht mit »ja« beantworten (vgl. Tapper/Quandt 2003: 244; Schroeder 2016: 339ff.). Dennoch bleiben wichtige Unterschiede, die sich durch ein anderes politisches und mediales System erklären lassen – und durch eine unterschiedliche politische Kultur, die den Raum für Persönliches absteckt. In den USA ist es üblicher als in Deutschland, dass Kandidatinnen und Kandidaten ihre Biografien und Familien thematisieren und in den Wahlkampf einbinden (und es deshalb auffällt und ein Medienthema ist, wenn zum Beispiel eine Ehefrau oft fehlt, wie im Fall von Melania Trump). Zudem sprechen Politikerinnen und Politiker in den USA häufiger als in Deutschland über ihre Religion. Ähnlich ist in beiden Ländern dagegen der Fokus auf charakterliche und äußerliche Eigenschaften und Eigenheiten, bis in die Details der Kommunikation. Jede Handbewegung, jedes Minenspiel wird seziert, keine Sprechpause, kein Verhaspeln bleibt unbemerkt.
Die Anschlussdebatten im Fernsehen und die Kommentare, Memes und Videos, die während und nach TV-Debatten in den sozialen Medien kursieren, lenken den Blick auf das rhetorische und inszenatorische Geschick der Kandidatinnen und Kandidaten. Die US-News-Sender, die rund um die Uhr ihr Programm füllen müssen, erzeugen einen schier endlos wirkenden Reigen an talking heads. In dieser zur punditocracy (Alterman 1992) aufgeblasenen Kommunikation über Kommunikation versuchen diverse Kräfte, die Deutungshoheit über TV-Duelle zu erlangen – ein oft durchsichtiges Ringen, das die Zuschauerinnen und Zuschauer wahlweise ermüden, verwirren und wohl nur selten wirklich erhellen dürfte. Die Sender in Deutschland haben in den vergangenen Jahren eine ähnliche Richtung eingeschlagen; reine News- und Doku-Channels, wie n-tv, Welt TV oder Phoenix, haben allerdings noch nicht dieselbe Bedeutung erlangt wie die großen Pendants in den USA (CNN, MSNBC, Fox News, Newsmax), die außerdem stärker als in Deutschland den Ruf haben, einem politischen Lager nahezustehen.
3. TV-Duelle werden zu Lügenschleudern
Populismus und Extremismus verschärfen die Probleme, die in geringerem Ausmaß bereits in TV-Duellen mit gemäßigteren Politikerinnen und Politikern auftauchen. Auch diese können Sachverhalte verkürzen oder verfälschen, ob aus Kalkül, Unwissen oder aufgrund der Unschärfen eines Live-Gesprächs. Die Effekte können gravierend sein: So kamen Maurer und Reinemann in ihrer empirischen Analyse der TV-Duelle zwischen Stoiber und Schröder zu dem Ergebnis, dass sich das Wissen über den Arbeitsmarkt bei den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht verbessert, sondern verschlechtert habe, »weil sie Schröders verkürzten und zum Teil offensichtlich irreführenden Darstellungen gefolgt sind« (Maurer/Reinemann 2003: 225).
In der Gegenwart kommen Faktencheck-Redaktionen kaum hinterher, die vielen falschen Darstellungen und Lügen von Politikern wie Donald Trump aufzuklären. Im TV-Duell mit Kamala Harris wimmelte es von Behauptungen, die geradegerückt oder widerlegt werden mussten (vgl. CNN 2024; NPR 2024). Besonders viel Aufmerksamkeit erregte Trump, als er die Stadt Springfield in Ohio in den Fokus nahm, indem er behauptete, dort würden Einwanderer aus Haiti die Haustiere ihrer Nachbarn verspeisen. Trump bezog sich auf Gerüchte, die es noch nicht zum nationalen Gesprächsthema geschafft hatten. Das änderte sich schlagartig durch seinen Beitrag. Zwar hat David Muir, der das Duell im Sender ABC moderierte, der Darstellung direkt widersprochen und betont, dass es keine belastbaren Belege dafür gebe. Kamala Harris ging wohlweislich nicht auf die Lage in Springfield ein und beließ es dabei, durch ihre Körpersprache zu signalisieren, dass sie Trumps Ausführungen für Unsinn hielt. Doch das rassistische Gerücht war nun auf der nationalen Bühne angekommen. Wochenlang blieb es dort. Laut einer YouGov-Umfrage nach dem Duell hielt etwa ein Viertel der US-Bevölkerung die Geschichte für wahr oder wahrscheinlich wahr (Newsweek 2024). Die Bevölkerung in Springfield sah sich Anfeindungen und einem medialen Ansturm ausgesetzt, weshalb sich sogar der republikanische Gouverneur von Ohio, Mike DeWine, genötigt sah, die Stadt und die Menschen aus Haiti in einem New York Times-Gastbeitrag zu verteidigen (DeWine 2024) – ein weiterer Beleg dafür, wie wirkmächtig TV-Duelle sein können.
Faktenchecks sind eine mögliche Korrektur, verhindern können sie das Verbreiten von Falschinformationen nur bedingt. Sie tragen in gewissem Ausmaß sogar selbst dazu bei, weil sie die falschen Aussagen wiederholen müssen, um sie zu widerlegen. Deshalb gehört es zu den Grundsätzen eines verantwortungsvollen Umgangs mit Desinformation, dass nicht jede Absurdität und jede Lüge überhaupt aufgegriffen, beachtet und korrigiert werden sollte, solange sie eine bestimmte Schwelle der Popularität und des Einflusses noch nicht überschritten hat. Seriöse Medien können nicht auf jeden Unsinn eingehen, der irgendwo kursiert. Bei einem Kandidaten für das Amt des US-Präsidenten haben sie allerdings kaum eine Wahl – und erst recht keine Chance mehr, wenn dieser live vor einem Millionenpublikum spricht. So werden TV-Duelle zu Lügenschleudern.
Seit Jahren wiederholen Trump und seine Fans die Legende von der gestohlenen Wahl im Jahr 2020, bis hinein in die diesjährigen TV-Debatten. Im Duell für das Amt des Vizepräsidenten wich Trumps running mate J. D. Vance einer Frage dazu vielsagend aus. Wie aus einem Lehrbuch für Populismus drehte er den Spieß um und warf der Demokratischen Partei vor, bei früheren Wahlen gegen die Ergebnisse protestiert zu haben – eine, wie der Faktencheck der New York Times aufzeigt, irreführende Darstellung, weil die demokratischen Politikerinnen und Politiker dennoch ihre Niederlagen anerkannten (vgl. NYT 2024).
Solche rhetorischen Manöver sind bei populistischen und extremistischen Akteurinnen und Akteuren oft zu beobachten: Vorwürfe werden ignoriert oder sofort umgedreht und der anderen Seite gemacht. So hat Alice Weidel auf die Aufforderung des Welt-TV-Moderators, zum Extremismus der AfD Stellung zu nehmen, weitgehend unwidersprochen behaupten dürfen, ihre Partei sei gar nicht extremistisch, in Wahrheit sei die Bundesregierung der Ampel-Koalition extremistisch. Es kann als mediales Versagen gedeutet werden, dass in Interviews, Talkshows und in dem zitierten TV-Duell der AfD-Spitze immer wieder von Neuem Gelegenheit gegeben wird, ihre Partei schönfärberisch darzustellen. Dabei sind die Belege für den Extremismus weiter Teile der AfD längst umfangreich dokumentiert, sodass es müßig ist, Weidel in dieser Form danach zu fragen (vgl. Schultz 2024).
Der AfD-Vorsitzenden gelang es im TV-Duell außerdem, der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Bruch des Grundgesetzes vorzuwerfen, ohne dass dies in der laufenden Sendung korrigiert oder hinterfragt worden wäre. Bei Politikerinnen wie Weidel kommt ein Moderator schnell an seine Grenzen, auch bei Trump ist es fast unmöglich, seinen Volten Einhalt zu gebieten. Im Prinzip dürfte kein Satz ohne kritische Einordnung stehenbleiben. Aber wäre das nicht Zensur? Wer so fragt, missversteht die Rolle journalistischer Angebote. Wer Trump ungestört von der Idee einer aufgeklärten Debatte hören möchte, kann seine Kundgebungen besuchen. Ein journalistisches Interview oder ein TV-Duell sollte mehr leisten.
Nun müssen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Meinung letztlich immer selbst bilden. Auch wenn das vielen gelingen sollte, ohne auf Lügen und fragwürdige rhetorische Manöver hereinzufallen: Wäre es nicht die Aufgabe der Medien, den Menschen die Meinungsbildung zu erleichtern? Ist es nicht ihre Aufgabe, den Scheinwerfer auf die wichtigen Themen und Probleme einer Gesellschaft und auf deren mögliche Lösungen zu lenken? Doch wenn sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Redaktionen einen immensen Aufwand betreiben müssen, um Tricks zu durchschauen, Lügen und Irreführungen zu entlarven und politische Nebenschauplätze zu betreten und wieder zu verlassen, bleiben immer weniger Ressourcen für die notwendigen substanziellen Auseinandersetzungen übrig.
Selbst wenn sich ein Politiker wie Trump im TV-Duell auf sachliche Gespräche einlassen würde, wäre dies höchst problematisch, solange er in anderen Settings und auf anderen Plattformen weiterhin extreme Inhalte, Lügen und Verdrehungen verbreitet. Denn diese müssten in einem TV-Duell zur Sprache kommen, sonst entstünde ein völlig falscher Eindruck von der Seriosität des Kandidaten. Nach dem Duell zwischen J. D. Vance und Tim Walz wurde in vielen Medien der vergleichsweise zivile Umgang der beiden miteinander gewürdigt. Wer genau hinhörte, hat aber vor allem bei J. D. Vance einige perfide rhetorische Manöver erkennen können (vgl. NYT 2024; Klein 2024).
Kurzum: Gegen populistische und extremistische Politikerinnen und Politiker ist in TV-Debatten kaum anzukommen. Sie dominieren und instrumentalisieren das Geschehen. Immerhin wirkte zumindest Kamala Harris im Duell mit Donald Trump recht effektiv, indem sie auf abwegige Ausführungen kaum einstieg, immer wieder selbst in die Offensive ging und Trump erkennbar reizte. Dieser relative Erfolg, der dazu führte, dass sogar etliche Republikaner und ein konservativer Sender wie Fox News Schwierigkeiten hatten, Trump als Sieger des TV-Duells auszurufen, hat eingefleischte Trump-Fans jedoch wenig beeindruckt.
In vielen Situationen gelingt es den Moderatorinnen und Moderatoren nicht, direkt einzugreifen und falschen Darstellungen zu widersprechen. Tun sie es, laufen sie Gefahr, verbissen oder einseitig zu wirken. So ist fraglich, ob TV-Duelle in Zeiten von Populismus und Extremismus überhaupt noch ein Format der demokratischen Debatte und Aufklärung sein können. Können sie es nicht, müssten seriöse Redaktionen darauf verzichten oder das Format so verändern, dass die Aussichten für eine substanzielle Auseinandersetzung wieder besser werden.
4. TV-Duelle sind journalistisch immer noch unausgereift
Dass Redaktionen im Umgang mit Populismus und Extremismus oft hilflos oder ohnmächtig wirken, ist wenig überraschend. Dem Journalismus insgesamt und ebenso anderen Institutionen fällt es schwer, populistischen und extremistischen Strategien zu begegnen. Doch auch unabhängig von dieser Schwierigkeit erscheinen TV-Duelle journalistisch unausgereift – trotz jahrzehntelanger Erfahrungen.
Es fällt auf, dass Sender die Stärken des Formats nicht ausspielen, was daran liegen mag, dass sich diese Stärken teilweise gegenseitig aufheben: Da ist auf der einen Seite die Moderation, die dazu beitragen kann, die strategische Kommunikation der Politikerinnen und Politiker so zu lenken und einzuhegen, dass die Gespräche erstens nicht aus dem Ruder laufen und sie zweitens ein Mindestmaß an Sachlichkeit und argumentativem Engagement erreichen. Und da ist auf der anderen Seite der Reiz einer direkten Konfrontation zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten, die sich gezwungen sehen, einander zu adressieren und relativ spontan aufeinander einzugehen.
Werden die TV-Debatten starr geführt, kann dies den potenziell erhellenden direkten Austausch bremsen (vgl. Tapper/Quandt 2003). Werden sie hingegen zurückhaltend oder gar nicht moderiert, kann es passieren, dass der Streit eskaliert oder eine Seite in unfairer Weise das Gespräch an sich reißt. Die Lösung, die in den Sendungen typischerweise gesucht wird, läuft auf einen Ausgleich zwischen diesen Tendenzen hinaus, was wiederum dazu führen kann, dass weder die eine noch die andere Stärke überhaupt zur Geltung kommt. Stattdessen verhindert die Moderation spontane Bezugnahmen und einen echten Schlagabtausch, ohne dass es ihr gelingt, das argumentative und zivile Niveau nennenswert zu heben und zu gewährleisten, dass relevante Themen und Fragen in ausreichender Tiefe behandelt werden. Einzelne Punkte werden schnell erledigt und gerade dann beendet, wenn die Auseinandersetzung darüber richtig losgehen könnte. Die Moderation wirkt meist gehetzt und von dem Wunsch getrieben, eine offensichtlich zu lange Liste an Themen abzuhaken. So bleibt vieles oberflächlich und die Kandidatinnen und Kandidaten kommen gut mit vorbereiteten Slogans, wenigen (oft irreführenden) Fakten und dürren Begründungen durch.
Es wäre einen Versuch wert, andere Formate auszuprobieren, beispielsweise eine Kombination aus vor- und/oder nachgeschalteten intensiven Einzelinterviews, die tiefer bohren, und einem freieren Dialog zwischen zwei oder drei Politikerinnen und Politikern, die dann stärker selbst in der Pflicht stünden, das Gespräch zu steuern und die anderen einzubinden. Es könnte dem Publikum im Beisein der Kandidatinnen und Kandidaten zuvor erläutert werden, welche Erwartungen bestehen, zum Beispiel dass niemand das Wort dauerhaft an sich reißen dürfe und es wünschenswert wäre, auf die Argumente der anderen einzugehen. Es ist unwahrscheinlich, dass bei einem solchen Setting, in dem sich die Moderation bewusst zurückhält und nur eingreift, wenn es eskaliert, die Politikerinnen und Politiker massiv gegen die Regeln eines guten Gesprächs verstoßen würden, solange diese Regeln vorher und hinterher explizit thematisiert werden. Denn sie sähen schlecht aus, wenn sie die Phase des weitgehend unmoderierten Gesprächs grob für sich und ihre Zwecke missbrauchen würden.
Ein lohnendes Experiment könnte es zudem sein, eine Debatte zeitlich nicht (oder nicht so stark) zu begrenzen. Die Zeit hat ein erfolgreiches Podcast-Format entwickelt mit dem Namen »Alles gesagt?«. Darin werden Prominente befragt, manchmal aus der Politik, die jeweils selbst entscheiden können, wann sie aufhören und den Podcast beenden. Die einzelnen Podcast-Folgen dauern teilweise mehrere Stunden. Was wie eine Kapitulation vor dem Redeschwall professioneller Rednerinnen und Redner wirkt, funktioniert oft erstaunlich gut und kann sehr spannend sein. Denn diese Gespräche können endlich das tun, was in anderen Formaten versäumt wird: zu Nuancierungen finden, Vorverständnisse klären, Begriffe und Phrasen mit Bedeutung füllen und erkennbar machen, wie eine Person denkt und was sie antreibt, jenseits vorgefertigter Standardantworten.
Die hier vorgeschlagenen Format-Ideen, die noch genauer auszuarbeiten wären, könnten ebenfalls am politischen Populismus und Extremismus scheitern. Dennoch lohnt es sich, neue Wege auszuprobieren – am besten zunächst mit solchen Politikerinnen und Politikern, von denen zu erwarten ist, dass sie sich ernsthaft darauf einlassen.
5. TV-Duelle benötigen ein wissenschaftliches Begleitpanel
Die Bedeutung von TV-Debatten vor Wahlen ist so groß, dass es sinnvoll wäre, ihre Regeln und ihre Nachbereitung, etwa die Faktenchecks, nicht den einzelnen Medienunternehmen und Parteien zu überlassen. Schon nach den ersten TV-Duellen auf Bundesebene zwischen Stoiber und Schröder haben Wissenschaftler, die sie analysierten, die Forderung nach einer unabhängigen Organisation erhoben, weil die Sendungen »nicht der Willkür einzelner Interessengruppen überlassen« werden sollten (Maurer/Reinemann 2003: 223f.).
In den USA existiert die Tradition, TV-Duelle von einer überparteilichen Kommission organisieren zu lassen (vgl. Schroeder 2016). Zuletzt spielte dieses Modell aber keine Rolle mehr (vgl. CPD 2024). Donald Trump, Joe Biden und Kamala Harris haben ohne diese Kommission mit den Sendern verhandelt und den Ablauf der Debatten festgelegt (vgl. Cooper 2024). Es wäre wünschenswert, zur Kommission oder einem anderen unabhängigen Gremium zurückzufinden, das dann unter anderem auch festlegt, wie viele TV-Duelle es wann und wo gibt (im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 wurde auch über diese Fragen heftig zwischen den Parteien gerungen).
Sicherlich wird es immer Menschen geben, die sogar einer noch so klug eingerichteten Organisation unterstellen, unfair und einseitig zu handeln. Doch für viele könnte sie die Legitimation und das Vertrauen in die Sendungen stärken. Die Aufgabe braucht sich nicht darin zu erschöpfen, die Regeln für TV-Duelle festzulegen. Das Gremium könnte ein wissenschaftliches Begleitpanel gründen, das die Gespräche nach transparenten Kriterien bewertet und einen Faktencheck erstellt, der über die Angebote einzelner Redaktionen hinausgeht.
Nun wäre es naiv anzunehmen, dass nicht auch ein solches Panel hinterfragt und angegriffen würde. Es wäre umso wichtiger, dass es in seiner Zusammensetzung aus Wissenschaft und Journalismus vielfältig und glaubwürdig ist. So wie es den großen Wissenschaftsorganisationen in den USA und Deutschland oder Gremien wie dem Ethikrat oder Akademien wie der Leopoldina noch immer gelingt, die Standards der Wissenschaft hochzuhalten, müsste ein solches Gremium methodisch streng arbeiten und sich seiner Grenzen bewusst sein. Es dürfte sich nicht anmaßen, originär politische und wertebezogene, normative Fragen zu entscheiden; populistische oder extremistische Stimmen dürften allerdings nicht normalisiert werden. Es geht um Stellungnahmen zu Tatsachenbehauptungen und um eine Kontextualisierung politischer Positionen, wie dies seriöse Faktenchecks bereits heute versuchen.
Trotz der Vertrauensverluste vieler Institutionen und der Verunsicherung, die Desinformationen auslösen, haben noch immer große Teile der Bevölkerung Vertrauen in die Arbeit von Universitäten und Forschungsinstituten. Es gibt weitere Organisationen, die ein bemerkenswert hohes Vertrauen genießen und auf ihrem Gebiet als Autoritäten anerkannt werden. In Deutschland gilt das für die Stiftung Warentest[1] (vgl. infratest dimap 2023: 13), die dem Verbraucherschutz dient und Produkte testet, von Lebensmitteln bis zu Haushaltsgeräten. In der Stiftung arbeiten Journalistinnen und Journalisten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Prüfinstituten zusammen. Ein solches Modell könnte eine Blaupause oder jedenfalls eine Inspiration für die Konstruktion der hier vorgeschlagenen Organisation sein.
Es gibt noch andere Modelle für den Aufbau eines unabhängigen Gremiums, das positiv zugunsten eines guten (besseren) Journalismus wirken soll und als Organisator und Begleiter von TV-Duellen in Frage käme: Aus der Journalismusforschung heraus ist der Vorschlag gemacht worden, eine Förderorganisation für Journalismus zu gründen, die in ihren Strukturen und ihrer Arbeitsweise an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und deren peer-review-System angelehnt ist (vgl. Latos et al. 2024). Eine solche Organisation ließe sich nicht nur zur Förderung journalistischer Konzepte und zur Bewilligung besonderer Rechercheprojekte einsetzen, sondern auch für Faktenchecks, für die Organisation von TV-Duellen – und vielleicht sogar für eine Art Medien-TÜV, der nach transparenten Kriterien die Qualität journalistischer Angebote prüft (im Sinne von Mindeststandards in der redaktionellen Struktur und der Qualität der Berichterstattung).
In den USA ließe sich entweder an die Commission on Presidential Debates (CPD) anschließen, deren Zukunft derzeit ungewiss ist, nachdem sie von Biden, Harris und Trump umgangen wurde (vgl. Cooper 2024). Oder es wird ein neues Modell gefunden, das in die skizzierte Richtung geht. Welcher Weg auch eingeschlagen wird, wichtig wäre, dass Ergebnisse dem Publikum kostenfrei zur Verfügung gestellt und eine breite institutionelle Basis gefunden werden. In Deutschland könnte dies bedeuten, dass neben Organisationen wie der DFG weitere Institutionen, die über dem Parteienstreit stehen, in die Finanzierung und Aufsicht eingebunden werden.
Die unter Druck und in die Krise geratene Demokratie braucht institutionelle Innovationen. Wer die jüngsten TV-Duelle verfolgt hat, konnte sehen und spüren, dass die politische Kommunikation der Gegenwart den großen Aufgaben der Zukunft kaum gerecht wird. Neue, bessere Debattenformate wären nur ein kleines, aber wichtiges Element, um die Öffentlichkeit zu revitalisieren und Populismus und Extremismus zu begegnen. Wie konnte es so weit kommen, dass die politische Kommunikation auf dieses Niveau sinkt? Die Gesellschaft muss ihre medialen Infrastrukturen so erneuern, dass sie tatsächlich der Demokratie dienen.
Über den Autor
Tanjev Schultz, Dr. (*1974) ist seit 2016 Professor für Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im September 2024 reiste er durch den Mittleren Westen und Süden der USA und war Gast an der Wayne State University (Detroit), der Indiana University (Bloomington) und der University of Memphis. Er ist einer der Herausgeber der Zeitschrift Journalistik / Journalism Research. Kontakt: tanjev.schultz@uni-mainz.de
Literatur
Alterman, Eric (1992): Sound and Fury. The Washington Punditocracy and the collapse of American politics. New York: HarperCollins.
Arman, Zahedur Rahman; McClurg, Scott (2024): Exploring the relationship between televised presidential debate and Twitter: A network analysis of intermedia agenda setting. In: Communication Studies (online),
DOI: 10.1080/10510974.2024.2342062
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Fußnoten
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Zitationsvorschlag
Tanjev Schultz: TV-Duelle als Lügenschleudern. Lehren aus den Fernsehdebatten im deutschen und US-amerikanischen Wahlkampf. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 3/4, 2024, 7. Jg., S. 281-296. DOI: 10.1453/2569-152X-3/42024-14628-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-3/42024-14628-de
Erste Online-Veröffentlichung
November 2024