von Marcel Franze
Abstract: Universitäten und (Fach-)Hochschulen sind Lehr- und Forschungseinrichtungen. Disziplinen wie die Journalistik stehen dadurch mit einem Bein im Feld der Wissenschaft, mit dem anderen im Feld der Berufsvorbereitung und -qualifikation. Besonders deutlich wird dieses hybride Spannungsfeld beim Thema Theorie-/Praxisintegration. Das Hochschulpersonal bekommt in diesem Kontext zu wenig Aufmerksamkeit. Wer Ressourcen in Lehre und Lehrkompetenz investiert, wird dafür kaum honoriert: Harte Währung sind wissenschaftliche Publikationen und Drittmittelprojekte. Der vorliegende Text ist ein Plädoyer für eine differenzierte Honorierungskultur.
Universitäten und (Fach-)Hochschulen sind Lehr- und Forschungseinrichtungen. Sie stehen in einem hybriden Spannungsfeld: Mit dem einen Bein im Feld der Wissenschaftsdisziplin, mit dem anderen im Feld der Berufsvorbereitung und Berufsqualifikation. Eine zentrale Frage für die Disziplin der Journalistik ist hierbei die Theorie-/Praxisintegration. Diese Integration ist nach Bergmann und Pörksen »das entscheidende Bildungs- und Ausbildungsversprechen der Journalistik« (Bergmann/Pörksen 2007: 18). Sie wurde von Anfang an in der hochschulgebundenen Journalismusausbildung angestrebt (vgl. Altmeppen 2005: 144). In den 1970er Jahren nahm die Diskussion in Deutschland erstmals richtig Fahrt auf. So forderte eine Kommission aus Wissenschaft, Verlagen, Journalist*innengewerkschaften und Vertreter*innen des Staates im »Neuen Memorandum« unter anderem eine vierjährige Hochschulbildung und Curricula, die praktische Journalistik und ein allgemeines gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium verbinden (vgl. Deutscher Presserat 1973). Im Grundsatz ging es bei der Reform darum, die Ausbildung aus der alleinigen Verfügungsgewalt der Verlagseigentümer*innen zu lösen (vgl. Knoche 1975: 145; siehe auch Aufermann/Elitz 1975). Das »Neue Memorandum« war ein wichtiger Kick-Off für die Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Journalistik (vgl. Hömberg 2010). Rund um die Thematik der Theorie-/Praxisintegration sind wichtige Diskussionen um Kompetenzvermittlung (stellvertretend vgl. Weischenberg 1990), Qualitätsmodellentwicklung (stellv. vgl. Nowak 2007), Didaktik (stellv. vgl. Dernbach/Loosen 2012), Definitionsarbeit (stellv. vgl. Blöbaum 2000; Streitbörger 2014) und die konkrete Ausgestaltung von integrativen Lehrveranstaltungen (stellv. vgl. Blöbaum 2008; Haller 2012) geführt worden.
Hochschulpersonal im Spannungsfeld
Es fällt auf, dass das Hochschulpersonal in diesen Diskussionen wenig Aufmerksamkeit bekommt. Bezogen auf Fachhochschulen und deren Rolle in der Journalismusausbildung betont Nowak, wie wichtig die Aktualisierung des eigenen Wissens für die Lehrenden und Professor*innen ist. Allerdings liegen »Untersuchungen über die Ausstattung, Personalstruktur oder Ausbildungsleistung staatlicher Fachhochschulen […] nicht vor, sodass hier keine differenzierteren Aussagen getroffen werden können« (Nowak 2019: 114). Immerhin ergibt die Potenzanalyse, dass Fachhochschulen durch Struktur und Umfeld grundsätzlich gute Voraussetzungen mitbringen, alle journalistischen Kompetenzbereiche in der Ausbildung zu berücksichtigen, wenngleich sie sich auch in der Theorie-/Praxisintegration unterscheiden (vgl. ebd. 115f). Klaus et al. erörtern für das Fach Medien- und Kommunikationswissenschaft, dass grundsätzlich mehr Praxis im Studium gewünscht ist, jedoch Studierende, Lehrende, Absolvent*innen und Arbeitgeber*innen ein divergierendes Verständnis von Praxisbezug haben (vgl. Klaus et al. 2015: 163).
Auf die Frage, wie eine Lehrveranstaltung konzipiert sein sollte, um eine bestmögliche Theorie-/Praxisintegration zu gewährleisten, spricht sich Blöbaum für medienpraktische Projekte aus, die die Lernformen Projekt, Übung und Experiment kombinieren, auf Teamarbeit ausgerichtet sind und einen hohen Interaktionsgrad zwischen Lehrenden und Lernenden haben (vgl. Blöbaum 2008: 659.) Haller plädiert für Lehrredaktionen, die mit ausreichender Frequenz ein Medienprodukt für Leser*innen, Hörer*innen, Zuschauer*innen produzieren und dies permanent im Rezipient*innenmarkt testen (vgl. Haller 2012: 52).
Für die Umsetzung solcher Lehrveranstaltungen müssen Lehrende enorme Ressourcen investieren und über ein breites Skillset verfügen, welches mit Verweis auf Nowak auch aktuell gehalten werden muss. Leider gibt es im hybriden System hierfür wenig extrinsische Anreize. Wer Zeit und Arbeit in die Konzeption von Lehrveranstaltungen und den Aufbau der nötigen Fähigkeiten investiert, wird dafür vom System zu wenig belohnt. Die Mitarbeiter*innen stehen mitten im hybriden Spannungsfeld zwischen Lehr- und Forschungseinrichtung. Der Großteil der Beschäftigten – egal ob wissenschaftliche Mitarbeiter*in, Lehrkraft für besondere Aufgaben oder Professor*in – forscht und lehrt. Gerade hinsichtlich der Theorie-/Praxisintegration sollte dies eigentlich förderlich sein. Allerdings wird das nicht gleichwertig honoriert. Die harte Währung für Anerkennung, finanzielle Förderung und Karriereförderung sind wissenschaftliche Publikationen und die Einwerbung von Drittmitteln. Es besteht ein permanenter Anreiz, wenn nicht sogar Druck, den persönlichen Einsatz für die Lehrvorbereitung, -gestaltung und den Aufbau didaktischer und pädagogischer Fähigkeiten so gering wie möglich zu halten, um möglichst viele Ressourcen in die Forschung stecken zu können. Hinzu kommt, dass der Mittelbau zumeist befristet und in Teilzeit beschäftigt ist, was zusätzlichen Zeitdruck erzeugt.
Lösungsvorschlag Weiterbildungen
Die Journalistik muss sich, wie viele andere Disziplinen auch, folgende Frage stellen: Sollte nicht ein differenziertes Anreiz- und Honorierungssystem etabliert werden, das gleichberechtigt das Spannungsfeld zwischen Lehre und Forschung, bzw. Wissenschaftsdisziplin und Berufsvorbereitung abbildet? Ist es nicht im Interesse der Disziplin, Engagement für die Lehre und Leistungen in der Wissenschaft gleichermaßen anzuerkennen, bspw. im Bewerbungsprozess? Es fehlt hierfür jedoch eine äquivalente Währung analog zu wissenschaftlichen Publikationen. Erste Schritte gibt es: Anreize bieten zum Beispiele die Evaluation der Lehrveranstaltungen durch Studierende und die Auslobung von Lehrpreisen. Allerdings reicht das nicht aus.
Ein Lösungsansatz findet sich in der Wirtschaft. Hier sind zertifizierte Weiterbildungen in vielen Branchen Standard und teilweise sogar Voraussetzung für die Berufsausübung. Im Hochschulwesen sollten Weiterbildungen nicht zu Zugangsbeschränkungen zum Beruf werden, aber sie sollten in der Journalistik systematisch gefördert und honoriert werden. Ein Fundament existiert hierzu bereits. Weiterbildungsangebote zur Lehrentwicklung und -gestaltung, Pädagogik und Didaktik werden dem Personal quasi an jeder Hochschule gemacht. Auch gibt es Organisationen wie die Hochschulübergreifende Weiterbildung Niedersachsen (HüW), die zentral Weiterbildungsangebote entwickelt und den Hochschulen unterbreitet. Was fehlt, ist eine deutschlandweite Vereinheitlichung und Zertifizierung der Kursangebote und damit einhergehend eine Anerkennungskultur. Auch kann darüber nachgedacht werden, spezielle Kursangebote für einzelne Disziplinen wie die Journalistik zu entwerfen. In diesem Zusammenhang sollte der Ausbau von E-Learning- und Self-Learning-Angeboten, wie es sie in großen, aber auch schon in mittelständischen Unternehmen seit Jahren gibt, weiter gefördert werden. Die Corona-Pandemie erweist sich in diesem Zusammenhang als Treiber.
Plädoyer
Ich plädiere für eine äquivalente Anerkennung von zertifizierten Weiterbildungen im Bereich Lehre gegenüber wissenschaftlichen Publikationen und der Drittmittelakquise, konkret bei Einstellungsprozessen und Karrieremöglichkeiten. Die flächendeckende Einführung dieser dritten ›Währung‹ ist schwierig und geht nur im Verbund von Universitäten, Hochschulen und Fachverbänden auf nationaler Ebene. Aber die Mühen sind es wert. Langfristig würde es die Qualität der Lehre steigern, wenn die Ressourcenaufwendung dafür honoriert wird. Der Journalistik wird es helfen, die so wichtige Theorie-/Praxisintegration und die vielen guten Ideen, die seit den 1970er Jahren aus den Diskussionen entstehen, besser umzusetzen. Ein hybrides Hochschulsystem sollte eine differenzierte Honorierungskultur haben.
Über den Autor
Marcel Franze (*1991), M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für öffentliche Kommunikation der Ostfalia Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel und Doktorand am Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er widmet sich in Lehre und Forschung dem praktischen Journalismus und der Journalismusforschung. Kontakt: m.franze@ostfalia.de
Literatur
Altmeppen, Klaus-Dieter (2005): Journalistenausbildung. In: Weischenberg, Siegfried; Kleinsteuber, Hans J.; Pörksen, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz: UVK, S. 142-148.
Aufermann, Jörg; Elitz, Ernst (Hrsg.) (1975): Ausbildungswege zum Journalismus: Bestandsaufnahmen, Kritik und Alternativen der Journalistenausbildung. Wiesbaden: VS Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85398-1
Bergmann, Jens; Pörksen, Bernhard (2007): Projektarbeit unter Marktbedingungen. Zur Integration von Theorie und Praxis in Lehrveranstaltungen der Journalistik. In: Fachjournalist (1), S. 16-24.
Blöbaum, Bernd (2000): Zwischen Redaktion und Reflexion. Integration von Theorie und Praxis in der Journalistenausbildung. Münster: Lit.
Blöbaum, Bernd (2008): Die hybride Disziplin. In: Pörksen, Bernhard (Hrsg.): Paradoxien des Journalismus. Theorie – Empirie – Praxis; Festschrift für Siegfried Weischenberg. Wiesbaden: VS Verlag, S. 649-661.
Dernbach, Beatrice; Loosen, Wiebke (Hrsg.) (2012): Didaktik der Journalistik. Wiesbaden: VS Verlag.
Deutscher Presserat (1975): Neues Memorandum für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung. In: Aufermann, Jörg; Elitz, Ernst (Hrsg.): Ausbildungswege zum Journalismus. Bestandsaufnahmen, Kritik und Alternativen der Journalistenausbildung. Opladen: Westdeutscher Verlag (Studienbücher zur Sozialwissenschaft, Bd. 18), S. 286-302.
Klaus, Elisabeth; Dürager, Andrea; Kirchhoff, Susanne (2015): Mehr als der Gegensatz von Theorie. In: Publizistik, 60(2), 147-164. https://doi.org/10.1007/s11616-015-0231-y
Haller, Michael (2012): Didaktischer Etikettenschwindel? Die Theorie-Praxis-Verzahnung in der Journalistik. In: Dernbach, Beatrice; Loosen, Wiebke (Hrsg.): Didaktik der Journalistik. Wiesbaden: VS Verlag, S. 45-57.
Hömberg, Walter (2010): Journalistenausbildung an Hochschulen – eine Erfolgsgeschichte? Eine Textcollage aus vier Jahrzehnten und ein Resümee. In: Eberwein, Tobias; Müller, Daniel (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit. Wiesbaden: VS Verlag, S. 283-312.
Knoche, Manfred (1975): Ausbildungskonzepte des Deutschen Presserates und der Berufsorganisationen: Deutscher Journalisten-Verband und Deutsche Journalisten-Union. In: Aufermann, Jörg; Elitz, Ernst (Hrsg.): Ausbildungswege zum Journalismus. Bestandsaufnahmen, Kritik und Alternativen der Journalistenausbildung. Opladen: Westdeutscher Verl, S. 144-159.
Nowak, Eva (2019): Journalistenausbildung an staatlichen Fachhochschulen. In: Gossel, Britta M.; Konyen, Kathrin (Hrsg.): Quo Vadis Journalistenausbildung? Wiesbaden: Springer, S. 107-118. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23123-1_6
Nowak, Eva (2007): Qualitätsmodell für die Journalistenausbildung: Kompetenzen, Ausbildungswege, Fachdidaktik. Dortmund: Eldorado. https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/24721/2/Dissertation.pdf (25.01.2022)
Streitbörger, Wolfgang (2014): Grundbegriffe für Journalistenausbildung. Theorie, Praxis und Techne als berufliche Techniken. Wiesbaden: Springer VS.
Weischenberg, Siegfried (1990): Das »Prinzip Echternach«. In: Weischenberg, Siegfried (Hrsg.): Journalismus & Kompetenz. Wiesbaden: VS Verlag, S. 11-41.
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Zitationsvorschlag
Marcel Franze: Das hybride Hochschulsystem sollte eine differenzierte Honorierungskultur haben. Weiterbildungen für die Lehre als Währung. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 1, 2022, 5. Jg., S. 59-63. DOI: 10.1453/2569-152X-12022-12027-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-12022-12027-de
Erste Online-Veröffentlichung
März 2022