Sabine Schiffer: Medienanalyse. Ein kritisches Lehrbuch

Rezensiert von Johannes Gemkow

Sabine Schiffer beschreibt in ihrem Lehrbuch Medienanalyse die medial geleitete Sinnkonstruktion und stellt medienanalytische Verfahren vor. Die Autorin verfolgt dabei den Anspruch der Alltagsbezogenheit. Für das Buch heißt das, dass es sowohl verständlich und anschaulich als auch mit praxisorientierten Beispielen gefüttert sein soll.

Die vier Kaptiel des Lehrbuchs können auf drei wesentliche Aspekte verdichtet werden: Den ersten Aspekt bildet die Wahrnehmung eines aktiv dekodierenden Rezipienten. Die Autorin unterscheidet hierbei zwischen einem eher angebotsorientierten und einem rezeptionsorientierten Teil. Im angebotsorientierten Teil geht sie beispielsweise auf Agenda-Setting, Wording und Frames ein. Hierzu zähle ich auch das dritte Kapitel »PR-Strategien erkennen«, welches sich kritisch mit problematischen Formen strategischer Kommunikation auseinandersetzt. Im rezeptionsorientierten Teil befasst sie sich mit Confirmation Bias und induktivem Fehlschluss und vermischt das mit journalistischen Darstellungskonventionen und abermals Agenda-Setting.

Der zweite Aspekt zielt auf die Medienanalyse. Die Autorin leitet vom bildanalytischen zum textanalytischen Teil über. Mit dem dritten Aspekt werden schließlich die Rahmenbedingungen der Medienproduktion besprochen. Hierbei geht die Autorin vor allem mit dem deutschen Mediensystem und Journalismus kritisch ins Gericht.

Die einzelnen Beiträge sind durchgängig knapp gehalten, praxisnah (sowohl mit Beispielen unterfüttert als auch alltagsnah dargestellt) und theoretisch, methodologisch und methodisch nicht überfordernd. Ein Buch zur Medienanalyse ist in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung niemals überholt; originell ist Sabine Schiffers Lehrbuch allemal. Dies liegt an der Kombination der oben skizzierten breiten Thematik mit der stets auf Alltagsnähe zielenden, pointierten Darstellung. Als kritisches Lehrbuch erwartet den Leser bei Schiffers Werk eine durchgehend distanzierte Haltung gegenüber dem Sender (vor allem Journalisten und PR-Akteure). Die Intention liegt beim Empowerment der Rezipienten über eine kritische Medienanalyse. In der durchgängigen Beschreibung von Medienhandelnden als Empfänger wirkt das Buch aufgrund der Ausblendung internetbasierter Kommunikationspraktiken jedoch etwas aus der Zeit gefallen.

Die Auswahl der im Buch aufgelisteten Literatur reicht von sozialwissenschaftlichen Klassikern über etablierte Nachschlagewerke bis zu populärwissenschaftlichen bzw. feuilletonistischen Beiträgen und ist damit durchaus heterogen. Im Fließtext wird weitestgehend auf Referenzen verzichtet. Dadurch leidet zwar die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Argumentation, gleichzeitig stärkt es aber den auf Allgemeinverständnis zielenden Lesefluss. Etwas umständlich ist die Darstellungsweise, weiterführende Literatur unterhalb der Kapitel aufzuführen, statt diese direkt an die jeweilig relevante Stelle im Fließtext zu platzieren.

Die theoretische Fundierung von Schiffers Lehrbuch zeigt sich mit dem wahrnehmungspsychologischen Schwerpunkt innovativ. Hierbei bleibt Schiffer ihrem Anspruch treu: Es soll nichts übergangen werden; wir beginnen bei Null! Dieser Ansatz verhilft dem Lehrbuch zu Attraktivität, gerade wenn man bedenkt, dass sich andere Einführungsbücher dieser Tage mit Digitalisierung und Strukturwandel ganz und gar weg vom Subjekt legitimieren.

Die menschliche Wahrnehmung als Nullpunkt sollte nicht als Versprechen zur konsistenten Vollständigkeit missverstanden werden. Dafür fehlen dem Buch zu viele Aspekte, die hier nur beispielhaft angesprochen werden können. Die Darstellung des Forschungsstandes und des theoretischen Rückbaus von medienpädagogischen Konzepten wie Medienkritik, Medienkompetenz und Media Literacy bleibt außen vor, wäre aber zu erwarten gewesen – insbesondere, wenn der Leser auf der ersten Seite der Einleitung folgendes Bekenntnis liest: »Hier geht es um das, was man auf Englisch ›Media Literacy‹ (ML) nennt. Ein vergleichbares Wort für ML gibt es im Deutschen nicht« (9). Eine methodologische und/oder methodische Einordnung und Reflexion der analytischen Verfahren wie Bild- und Inhaltsanalyse sucht der Leser vergebens. Weiterhin wären Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung erwartbar gewesen.

Die auffallenden Leerstellen im Lehrbuch müssen nicht zwangsläufig als Fehler interpretiert werden, sondern können viel eher als bewusste Reduktion von Komplexität gelten. Diese Komplexitätsreduktion mag aus fachwissenschaftlicher Sicht auffallen, kann aber dazu beitragen, dass das Lehrbuch für eine breite Öffentlichkeit handhabbar wird. Somit ist der Autorin des Lehrbuches vollumfänglich zuzustimmen, wenn sie als Zielgruppe über den wissenschaftlichen Kontext hinaus auch Eltern und Lehrkräfte nennt. Die Autorin schreibt zu beginn, dass »einzelne Instrumente [ihres medienanalytischen Ansatzes, J.G.] auch bei der täglichen Mediennutzung eingesetzt« (10) werden können. Diese tägliche Einsetzbarkeit begleitet die inhaltliche Auswahl und die durchgehenden Beispiele des Lehrbuches.

Sabine Schiffers Medienanalyse. Ein kritisches Lehrbuch bietet ein verständliches, innovatives und eigenwilliges Bild über die Bedeutung und Instrumente der Medienanalyse. Das Buch wird all jene zufriedenstellen, die sich nicht mit theoretisch, methodologisch und/oder methodisch tiefgründigen Ansätzen und Argumenten auseinandersetzen wollen, dabei aber einen einschlägigen, wenn auch selektiven, Einblick in die Medienanalyse gewinnen wollen.

Über den Rezensenten

Dr. Johannes Gemkow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung der Universität Leipzig und arbeitet für das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Populismus auf Social Media, Medienkompetenz und Wissenssoziologie.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 6. April 2021, abrufbar https://www.rkm-journal.de/archives/22717

Über das Buch

Sabine Schiffer (2021): Medienanalyse. Ein kritisches Lehrbuch. Frankfurt/M.: Westend, 304 Seiten, 20,- Euro.