Marcus Bölz: Sportjournalistik rezensiert von Jörg-Uwe Nieland

Im Jahr 2013 publizierte Marcus Bölz einen Band über den Fußballjournalismus in Deutschland. Die medienethnographische Arbeit gab Einblicke in die Professionalisierung und Kommerzialisierung der Sportredaktion von regionalen Zeitungen, angesichts von Medienwandel, Zeitungskrise und Unterhaltungs-/Fußballfixierung des Publikums.

Der aktuelle Band hat einen weitaus höheren Anspruch. Denn Sportjournalistik beschäftigt sich mit den »Regeln, Normen und Arbeitsweisen des Sportjournalismus« und diskutiert, »was der Sportjournalismus für die Gesellschaft leistet und welche Folgen, Effekte und Wirkungen die Rezeption von Sportmedien bei den Menschen und in der Gesellschaft auslöst« (XVIII). Bölz erhebt also den Anspruch, die Sportkommunikationsforschung (konkret die Teilbereiche: Kommunikatorforschung und Redaktionsmanagement) mit der Journalistik zusammenbringen, um so »die Wechselwirkungen von Theorie und Praxis im Sportjournalismus zu erkennen« (XVI).

Die Relevanz begründet der Autor mit folgender Beobachtung: »Tatsächlich komponieren Sportjournalisten die mediale Realität der hochemotionalen Traumwelt Sport.« (XV) Es geht noch eine Nummer größer: »Ähnlich wie das Christentum in den vergangenen Jahrhunderten verfügt der Sport heute über eine faszinierende Bildermacht, mythische Kraft und eine kommunikative Omnipräsenz« (Ebd.),

Im Theoriekapitel wird McLuhan in Zusammenhang mit der Mediatisierung genannt (vgl. 3); weitere Ausführungen zu Öffentlichkeitswandel und vor allem zur Medialisierung (bzw. Mediatisierung) aber fehlen. Hier vergibt sich der Autor die Möglichkeit, an die breite bzw. breiter werdende Forschung zur »Medialisierung des Sports« anzuschließen. Mit Verweis auf Görke betont Bölz, dass die redaktionell organisierten Sportmedien »unsere Gesellschaft sachlich, sozial und temporal« synchronisieren (4f.), aber insgesamt bleibt die Darstellung von systemtheoretischen Zugängen unterkomplex. Die Entfernung zur kommunikationswissenschaftlichen Theoriedebatte verdichtet sich im Zitat: »Dabei stellt sich für viele Sportjournalisten die Frage: ›Brauche ich überhaupt Theorien für mein alltagspraktisches redaktionelles Handeln?‹« (7) Hier sei die Frage erlaubt: Seit wann entscheiden Praktiker über den Sinn von Theorien? Auch für ein Lehrbuch enthält das Kapitel 1 wenig Literatur(-verweise) und kommt fast ohne Beispiele und vor allem Forschungsergebnisse aus.

Ein Manko, welches auch in den nachfolgenden Kapiteln durchscheint. Kapitel 2 zur alltagskulturellen Bedeutung des Sportjournalismus beschäftigt sich u. a. mit ökonomischen Aspekten und wirft dabei die Frage auf: »Kann man ein Produkt, das für teuer Geld vom eigenen Betrieb eingekauft wird und das im Zweifelsfall vielleicht gar nicht attraktiv ist, sondern ein müdes Gekicke, neutral als müdes Gekicke beschreiben« (46). Eine klare Antwort bleibt der Autor zunächst schuldig, vielmehr hält er recht allgemein fest: »Sportjournalisten sind vor dem Hintergrund der intensiven sportjournalistischen Produkte Kultur- und vor allem Sprachvermittler dieser Gesellschaft« (ebd.).

Eine der wenigen Stellen, an der auf die internationale Forschung eingegangen wird, ist der Bezug zu Maguire und seiner Bestimmung von »Sport als Spektakel«. Nach Maguire zeigt sich im Sport ein »gesellschaftlicher Probelauf, der künftige transnationale Identitäten im Zeichen der Profitmaximierung und Weltkultur und vor dem Hintergrund der Auflösung nationaler Identitätsfindungsprozesse bereits jetzt simuliert« (49). Die Konsequenzen dieser Einschätzung werden kaum behandelt.

Das Kapitel 3 erinnert daran, dass die demokratische Gesellschaft den Journalismus »als die vierte Gewalt in einem Staatswesen« bezeichnet (55), ohne dass die Spezifika des Sportjournalismus auf diese (normative) Funktion bezogen würden. Somit bleibt offen, ob der Sportjournalismus eine Kontrollfunktion zu erfüllen hat und, wenn ja, ob er sie bislang erfüllt. Dafür zeigt Bölz, dass sich das Zwiebel-Modell von Weischenberg zur Erklärung der Kontexte/Einflussfaktoren auch des Sportjournalismus heranziehen lässt (vgl. 66f.) – genau deshalb hätte für meine Begriffe dieser Aspekt mehr Platz verdient.

Eine Stärke der vorliegenden Arbeit ist die Beschäftigung mit den Pionierstudien der Sportkommunikatorforschung in Deutschland. Leider finden sich dann aber zu wenige Bezüge zu neueren Studien zum Selbstverständnis von Sportjournalisten. Deshalb haben die Veränderungen, die laut Bölz durch den »digitalen Medienwandel« hervorgerufen werden und in sieben Trends zu beobachten sind, keinen klaren Bezug zur (aktuellen) Forschung zur Digitalisierung und zum Sportjournalismus.

Das Kapitel 4 widmet sich der »Geschichte und Gegenwart des Sportjournalismus«. Bölz legt eine sehr überzeugende Aufarbeitung der Historie des Sportprintjournalismus (vgl. 90ff.) vor. Sportjournalismus im Hörfunk (vgl. 106ff.) kommt meines Erachtens zu kurz. Zum Sportjournalismus im Fernsehen werden leider keine Daten geliefert. Denkbar wäre ein Blick auf die (hohen bzw. »höchsten«) Einschaltquoten gewesen, wie sie bespielweise regelmäßig in den Media Perspektiven veröffentlicht und diskutiert werden. Stattdessen wird der (RTL-)Sportjournalist Felix Görner aus dem Jahr 1995 zitiert; er »schätzt das Fernsehen als Leitmedium des Sports besonders kritisch ein«, da das Fernsehen »das Abbild des Sports« attraktiver erscheinen lässt »als das eigentliche Spiel« (115). Gerade an dieser Stelle fehlt eine Auseinandersetzung mit der Debatte um die »Medialisierung des Sports«.

Stattdessen erinnert Bölz mit einem Einschub an den Fall von Carmen Thomas, der ersten Sportmoderatorin des »Aktuellen Sportstudio« (ZDF). Dieses Fallbeispiel hat besondere Aktualität angesichts der Anfeindungen gegen Claudia Neumann bei der Fußball-WM 2018 in Russland. In dem Unterkapitel zu den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Herausforderungen und Veränderungen hätte meiner Meinung nach die Konkurrenz der SportjournalistInnen zum so genannten Bürgerjournalismus, der Umgang mit der PR von Verbänden und SportlerInnen in den sozialen Medien sowie die Bedeutung der Twitterkommunikation von SportjournalistInnen gefragt werden können. Der Bezug zur Studie von Koch zur Recherchetätigkeit von Sportjournalisten ist weniger hilfreich, denn zitiert wird der Befund, dass aufgrund der Digitalisierung SportjournalistInnen »Informationen größtenteils durch die Meldungen von Agenturen oder Rundfunkmeldungen erhalten« (119).

Kapitel 5 behandelt den »Sportjournalismus und seine ethischen Normen«. Bölz stützt sich einerseits auf die klassischen Quellen der Journalistik, arbeitet aber andererseits mit Literatur, die wenig kommunikationswissenschaftliche Wucht hat. Geil wird mit einem Beitrag aus der Jungen Welt (aus dem Jahr 2008) zitiert, um das magische Dreieck Sport, Medien und Wirtschaft zu beschreiben. Außerdem ist zu beanstanden, dass Bölz wieder Sportjournalismus fast ausschließlich als Fußballjournalismus behandelt (bspw. vgl. 136). Gut nachvollziehbar ist dagegen die Auseinandersetzung mit der Studie von Schaffrath, aber es fehlen Hinweise auf kritischen Sportjournalismus und seiner Institutionalisierung (Stichwort: »Dopingredaktion der ARD«).

In Kapitel 6 findet eine Besprechung des Aspekts »Qualität (des Sportjournalismus)« statt. Sehr gelungen ist die Anwendung der Kriterien von Russ-Mohl (vgl. 150f.) Der Klassifikation von Schaffrath als Systemtheoretiker (vgl. 153) würde ich allerdings nicht unbedingt folgen. Das Kapitel 7 ruft den Zusammenhang von »Sportjournalismus und seine[n] Rezipienten« auf. Dieser Abschnitt liefert eine Reihe von Daten und diskutiert die Befunde verschiedener Studien (etwa von Maar sowie von Schramm). Außerdem setzt sich Bölz mit dem Niedergang der Tageszeitungen auseinander (vgl. 192). Besonders lesenswert sind die Kapitel 9 und 10 zum Redaktionsmanagement im Bereich Sport (sowohl Print wie TV).

Abschließend ist festzuhalten: Die Sportjournalistik von Bölz stellt für die Zielgruppe Studierende und auch Praktiker ein empfehlenswertes Buch dar – auch weil die Fragen am Ende der jeweiligen Kapitel sehr hilfreich für die Wissens- und Lernkontrolle sind. Für die Sportkommunikationsforschung liefert das Lehrbuch keinen Beitrag – das war aber auch nicht das Ziel.

Diese Rezension erschien zuerst in rezensionen:kommunikation:medien, 13. Juli 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/21323.

Über den Rezensenten

Dr. Jörg-Uwe Nieland hat Politikwissenschaft an den Universitäten Duisburg, Bochum und Berlin studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Darüber hinaus ist er assoziiertes Mitglied im SFB »Medien der Kooperation« an der Universität Siegen und am Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit 2014 Sprecher bzw. stell. Sprecher der Ad-hoc-Gruppe »Mediensport und Sportkommunikation« in der DGPuK; Vorstandsmitglied der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V.

Über das Buch

Marcus Bölz: Sportjournalistik. Wiesbaden [Springer VS] 2017, 310 Seiten, 25 Euro