von Tanjev Schultz
Gendergerechte Sprache ist noch immer ein Politikum. Für die einen ist sie unabdingbar, für andere eine Marotte. In akademischen und zunehmend auch in journalistischen Kontexten wird darauf geachtet, ob männliche und weibliche Formen verwendet werden; immer stärker verbreitet sich zudem der Asterisk (Sternchen), der die binäre Gender-Einteilung überwinden soll. Trotz der wachsenden Popularität solcher Formen ist der Sprachgebrauch, je nach sozialer Sphäre und weltanschaulichem Milieu, uneinheitlich und es gibt teilweise scharfen Widerstand gegen jede Form des Genderns. In vielen Redaktionen gilt das generische Maskulinum weiterhin als Standard.
Es sind keineswegs nur die Rechtsextremen der AfD, die in oft polemischer Überzeichnung (»Gender-Gaga«) gegen den Sprachwandel wettern. In Verlagen gilt Gendern oft als (zu) umständlich. Der konservative »Verein Deutscher Sprache« (VDS) und einige Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler kritisieren Gender-Formulierungen als in der Sache unnötig und sprachsystematisch irreführend (vgl. die Beiträge in Meinunger/Baumann 2017). Zwischen dem »natürlichen« und dem »grammatischen« Geschlecht bestehe kein fester Zusammenhang, argumentiert ein Aufruf des VDS (2019).
Während viele Frauen es leid sind, nur mitgemeint zu sein, wenn das generische Maskulinum verwendet wird, gibt es andere, die sich daran nicht stören. So schreibt die WELT-Journalistin Hannah Lühmann, sie glaube an das Recht, »im sprachlichen Alltagsgebrauch weitgehend von ideologischen Zumutungen verschont zu bleiben« (Lühmann 2019). Die Frage, ob es gut sei zu gendern oder nicht, lasse sich nicht durch linguistisches Argumentieren auflösen, letztlich sei es eine Frage des Weltbildes. »Es hat etwas damit zu tun, ob man glaubt, dass Sprache eine Art ›Instrument‹ sei, das man sorgsam hüten und zwanghaft bewachen muss, oder ob man, wie ich das tue, der Ansicht zuneigt, dass es sich bei der Sprache um etwas gleichzeitig wildwüchsig Archaisches und ultimativ Begrenzendes handelt, das nicht dazu da ist, uns ›gut‹ oder ›gerecht‹ zu behandeln.« (ebd.)
Auch wenn ich persönlich dem Gendern etwas abgewinnen kann, so erscheint es mir wichtig und richtig, auch auf jene zu hören, die wie Lühmann denken. Es stimmt nicht, dass sie und andere Gegnerinnen und Gegner des Genderns keinen Sinn für Gleichberechtigung hätten. Die Literaturwissenschaftlerin Dagmar Lorenz hält gerade gendergerechte Formulierungen für anti-emanzipatorisch: »Indem sie nämlich genau jene Diskriminierung des Weiblichen wiederherstellen, die sie ja vorgeblich beseitigen wollen. Während die traditionelle Form des generischen Maskulinums im Verlaufe der Zeiten eine Entwicklung hin zur abstrahierenden Wortbedeutung durchlaufen hat, fällt die sogenannte Feminisierung hinter diese historische Entwicklung weit zurück. Sie nämlich verweist wieder auf jene Bedeutung – das natürliche (nicht das generische) Geschlecht –, von der ja in bestimmten Zusammenhängen gerade abstrahiert werden soll, um dem Gleichheitsprinzip Genüge zu tun.« (Lorenz 2017: 235)
Gewiss lässt sich gegen Lorenz‘ Argument einiges erwidern. So zeigen Experimente, dass den Menschen bei Gebrauch des generischen Maskulinums eben doch oft nur männliche Vertreter (z. B. eines Berufs) vor Augen stehen. Allerdings gilt das nicht in allen Kontexten. In Komposita werden nur wenige überhaupt bemerken, wenn nicht durchgängig gegendert wird, also beispielsweise von einer »Bürgermeisterin« die Rede ist und nicht von einer »Bürgerinnen- und Bürgermeisterin«. Lorenz‘ Punkt betrifft ein grundlegendes Dilemma vieler Emanzipationskämpfe: dass Kategorisierungen, die diskriminierend verwendet werden können und überwunden werden sollen, zunächst (noch stärker) ins Bewusstsein gehoben und womöglich perpetuiert und verstärkt werden, sobald sie thematisiert und sprachlich explizit gemacht werden.
Letztlich hängt es von der Sprachgemeinschaft ab, wie sie mit dieser Herausforderung umgeht und welche Bedeutungen bestimmte Formen erlangen. Wir befinden uns derzeit, was den Umgang mit Gender-Formen angeht, in einer interessanten Phase eines möglichen grundlegenden Sprachwandels. Zu beobachten ist, dass vielen Jüngeren (Studierenden) der »Gender_Gap« bereits flüssig über die Lippen kommt. Es sollte allerdings nicht übersehen und überhört werden, dass die Praxis und die Selbstverständlichkeiten in speziellen akademischen Milieus meilenweit entfernt sind von dem, was andernorts gilt. Das allein ist freilich noch kein Argument für oder gegen eine bestimmte Praxis. Ich halte es nur für vermessen zu glauben, der Sprachwandel lasse sich einfach so verfügen.
Eine akademische Zeitschrift kann Vorgaben machen, auch fürs Gendern. Ich halte es jedoch in der gegenwärtigen Konstellation weder für klug noch für angemessen, etwas vorzuschreiben, das den verschiedenen Autorinnen und Autoren womöglich überhaupt nicht passt und ihrem Sprachgefühl zuwiderläuft. Deshalb bin ich dafür, eine Vielfalt an Formulierungen und Schreibweisen zuzulassen. Womöglich erreicht die Sprachgemeinschaft irgendwann einen Punkt, an dem sich ein neuer Standard herausgebildet hat. Derzeit befinden wir uns noch immer in einer Phase des Erprobens und des Diskutierens. Für mich bedeutet das zugleich: Es wäre zu begrüßen, wenn auch im Journalismus mehr Redaktionen ihren Autorinnen und Autoren die Freiheit gäben, selbst zu entscheiden, ob und wie sie gendern.
Literatur
Lorenz, Dagmar: Gendersprech: Wider die sprachliche Apartheid der Geschlechter. In: Meinunger, André; Baumann, Antje (Hrsg.): Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache. Berlin [Kadmos] 2017, S. 230-239
Lühmann, Hannah: Ein Denkfehler (Sprache und Geschlecht). In: Frankfurter Rundschau, 6.3.2019 https://www.fr.de/politik/denkfehler-contra-11828994.html (26.2.2020)
Meinunger, André; Baumann, Antje (Hrsg.): Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache. Berlin [Kadmos] 2017
VDS: »Schluss mit Gender-Unfug!« Aufruf des Vereins Deutscher Sprache (VDS), 6.3.2019, https://vds-ev.de/gegenwartsdeutsch/gendersprache/gendersprache-unterschriften/schluss-mit-dem-gender-unfug/ (26.2.2020)
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Zitationsvorschlag
Tanjev Schultz: Phase des Erprobens. Übers Gendern wird erbittert diskutiert – statt strikter Vorgaben braucht es Mut zur Vielfalt. In: Journalistik, 1, 2020, 3. Jg., S. 63-65.
ISSN
2569-152X
Erste Online-Veröffentlichung
Juni 2020