Von Horst Pöttker
Abstract: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist in eine Legitimitätskrise geraten, die seine Zukunft gefährdet. Aus einer Außenperspektive wird an seinen rechtlich verankerten Sinn der Vorsorge für verlässliche Informationen sowie entsprechende Beratung, Bildung und Unterhaltung erinnert. Vor dem Hintergrund, dass die Krise an der Verknöcherung seiner Strukturen und an mangelnder Erkennbarkeit des öffentlich-rechtlichen Profils liegt, wird eine Reform mit vier Maßnahmen diskutiert: Zusammensetzung der Aufsichtsgremien nach den Kriterien Kompetenz und Unabhängigkeit; Staffelung der Pflichtabgaben nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit; Werbefreiheit der Programme; und Reduktion der Programmanzahl. Am Ende wird überlegt, wie solche Reformmaßnahmen durchzusetzen sind und welche gesellschaftlichen Chancen und Risiken damit verbunden wären.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht nicht erst seit heute, aber neuerdings immer intensiver im Kreuzfeuer der Kritik bis hin zur Forderung, ihn abzuschaffen. Besonders heftige Äußerungen kommen aus dem Mund von Politikern oder Politikerinnen, die offenbar meinen, dass er ihrem Interesse am Gewähltwerden im Wege stehen kann. Das kann kein Grund sein, auf begründete Kritik an ihm zu verzichten. Oft entzündet sich solche Kritik allerdings nur an Fehltritten seines Spitzenpersonals oder an Entgleisungen seiner Programme (vgl. Deutscher Bundestag 2022). Deshalb kommt auch der solidarische Diskurs über ihn selten über Tagesfragen hinaus.
Im Folgenden sei deshalb zunächst an die Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erinnert, seine Ursprungsidee, von deren Verwirklichung seine Legitimität abhängt. Wann und warum ist er in Deutschland entstanden, was unterscheidet ihn von anderen Rundfunk-Organisationsformen, worin besteht sein Sinn und unter welchen Bedingungen lässt der sich am besten erfüllen? Danach wird unter vier Stichworten diskutiert, was sich am Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verändern sollte, damit dieses Ziel erreicht und seine Legitimität gesichert werden kann: Aufsichtsgremien, Abgaben, Werbung und Programmumfang. Danach überlege ich, wie solche Veränderungen sich durchsetzen lassen und welche Chancen und Risiken eine tiefgreifende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit sich brächte.
1. Grundlagen
Zwischen 1933 und 1945 hatte das NS-Regime den Rundfunk als Werkzeug rassistischer und kriegslüsterner Propaganda missbraucht. Erleichtert worden war diese »Gleichschaltung« durch die in der Weimarer Republik etablierte Organisationsform privatrechtlicher Radiogesellschaften in staatlicher Hand. Als Gegenmodell dazu führten nach 1945 die westlichen Besatzungsmächte in ihren Zonen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach dem Vorbild der »British Broadcasting Corporation« (BBC) ein. Bei der Anpassung des zentralistischen BBC-Modells an die föderalen Strukturen in Deutschland haben auch deutsche Medienpolitiker wie Hans Bredow eine Rolle gespielt.[1] Wesentliches Unterscheidungsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber privatrechtlich-kommerziellen Medien ist – neben der Finanzierung durch allgemeine Pflichtabgaben – der gesetzlich verankerte Programmauftrag:
»Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die Aufgabe, die Meinungsbildung zu fördern und der Demokratie zu dienen. Dieser verfassungsrechtliche Auftrag gibt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Richtung vor, an dem die Rundfunkanstalten ihr Programmangebot messen lassen müssen. Der Grundversorgungsauftrag umfasst Information, Bildung und Kultur, aber auch Unterhaltung und Sport. Zudem muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem Prinzip des Binnenpluralismus gerecht werden.« (Deutscher Bundestag 2009: 4)
Auch wenn Rundfunk in Deutschland Ländersache ist und ihn betreffende Gesetze zwischen den 16 Bundesländern variieren (können), stimmen sie hinsichtlich des Programmauftrags weitgehend überein:
»Zu den Vorgaben zur Programmgestaltung zählen u. a. eine Verpflichtung zur Wahrheit, eine ausgewogene und angemessene Berücksichtigung der verschiedenen Auffassungen im Gesamtprogramm, die Sicherstellung, dass das Programm nicht einseitig einer Partei oder Weltanschauung dient, die Beachtung des Gebots journalistischer Fairness, die Meinungsvielfalt im Gesamtprogramm […] etc.« (Donges 2013)
Schlüsselbegriffe wie Grundversorgungsauftrag, Binnenpluralismus, Wahrheitspflicht oder Fairness lassen auf den Sinn dieser Organisationsform von Medien schließen, von dessen Verwirklichung Legitimität und Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die Dauer abhängen.
Die Verpflichtung auf Fairness und Wahrheit (genauer: Wahrhaftigkeit oder Richtigkeit, vgl. Pöttker 2017) betrifft Qualitäten der vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreiteten Informationen für sich genommen. Sie betreffen rechtliche Schranken der Pressefreiheit. Fairness entspricht dem von GG Art. 5 als Schranke errichteten »Recht der persönlichen Ehre«; und Richtigkeit stellt insofern eine zivilrechtliche Schranke dar, als die Verbreitung falscher Informationen über Personen oder Institutionen zu Sanktionen führen können, hinter denen das staatliche Gewaltmonopol steht. Beides sind Qualitätsmerkmale journalistischer Information, die sich durch Handwerksregeln sichern lassen, wie sie sich z. B. im Verhaltenskodex des Deutschen Presserats in den Ziffern 4 (»Grenzen der Recherche«) und 8 (»Schutz der Persönlichkeit«) finden (Deutscher Presserat).
Über Richtigkeit und Fairness seiner einzelnen Informationen hinaus ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk per Gesetz Binnenpluralität seines gesamten Programms vorgeschrieben. Das betrifft die Auswahl der Gegenstände, über die informiert oder nicht informiert wird, sowie die Art und Weise, wie berichtet wird. Beides hängt mit den subjektiven Erfahrungen, Interessen und Perspektiven derjenigen zusammen, die Themen und Darstellungsweisen auswählen, und ist angesichts der grenzenlosen Fülle der Möglichkeiten nicht durch professionelle Handwerksregeln zu sichern. Binnenpluralität soll dafür sorgen, dass möglichst viele Erfahrungen, Interessen und Perspektiven zur Geltung kommen, damit der Öffentlichkeit möglichst wenig verborgen bleibt: auch das eine Voraussetzung für die Selbstregulierungsfähigkeit hochkomplexer, von vielfältigen Kommunikationsbarrieren durchzogener Gesellschaften.
Das Stichwort Grundversorgung schließlich hält die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dafür fest, dass sich die Bevölkerung jederzeit auf die Zugänglichkeit einer umfassenden Vielfalt an zutreffenden und fairen Informationen – einschließlich Informationen über mögliche Meinungen – verlassen kann. Der Sinn der öffentlich-rechtlichen Organisation von Medien ist die Informationsvorsorge als Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge, wie sie vom Staat auch für andere Lebensbereiche durch öffentliche Schulen, Kliniken, Verkehrswege usw. unabhängig von der aktuellen Nutzung bereitgestellt wird. Sie entspricht dem von Grundgesetz Art. 5 garantierten Recht aller, »sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.«
Zusammengefasst ergibt sich als Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dafür zu sorgen, dass die Allgemeinheit stets auf eine Basis von verlässlicher Information zurückgreifen kann, die ausschließlich mit der professionellen Absicht erstellt und angeboten wird, die Welt so transparent zu machen, wie sie sich tatsächlich darstellt. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Pflichtabgaben finanziert wird und nicht aus dem Verkauf seiner Produkte, entspricht dem Ziel, kommerzielle Einflüsse zu unterbinden. Und das Prinzip der Staatsferne bei Finanzierung und Aufsichtsgremien soll (partei-)politische Einflüsse unterbinden.
Entscheidend ist die Sicherheit des Publikums, dass die verlässliche Informationsbasis immer und besonders in Situationen verbreiteter Unsicherheit zur Verfügung steht. Dass vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk diese Funktion tatsächlich erwartet wird, zeigt sich z. B. an Umfragedaten aus dem Jahr 2021: Über alle Altersgruppen hinweg meinen zwei Drittel der Deutschen, dass verlässliche Informationsquellen in Zukunft bedeutsamer werden (Breunig u. a.: 401); und ebenfalls zwei Drittel sind überzeugt, dass verlässliche Informationen eher beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finden sind, während private Medienanbieter eher Unterhaltung böten (Breunig u. a.: 404f.). In der Covid-Pandemie stiegen zumal am Anfang (vgl. van Eimeren u. a. 2020) und danach noch in besonders kritischen Phasen sowohl das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von ARD und ZDF als auch deren Nutzung (vgl. Arlt u. a. 2023: 4) deutlich an.
Das zeigt, dass Einschaltquoten, so wünschenswert sie sind, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kein maßgebliches Qualitätskriterium sein können.[2] Zumal er aus Pflichtabgaben finanziert wird, die im Prinzip jeder Haushalt entrichten muss, darf er seine Ressourcen nicht verschwenden, um eine bunte Vielfalt besonderer Bedürfnisse zu bedienen, sondern muss sich effektiv auf das öffentliche Gut der Informationsvorsorge als seine Kernaufgabe konzentrieren. Und dieses Vorsorgeprinzip lässt sich neben der verlässlichen Information auch auf andere Aufgabenfelder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie verlässliche Bildung und Beratung oder hochwertige Unterhaltung übertragen.
Maßgeblich für den Diskurs über Legitimität und Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Einsicht, dass er mit kommerziellen, auf größtmöglichen Absatz ihrer Produkte ausgehenden Sendern nicht um das gleiche Gut konkurriert. Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darf nicht von seiner aktuellen Nutzung abhängig gemacht werden. Entscheidend ist seine Erkennbarkeit in Hinsicht auf Zuverlässigkeit, Fairness und innere Vielfalt; also seine Unterscheidbarkeit von kommerziellen Programmen und Plattformen.
2. Gremien
Gesetzliche Vorgaben, zumal wenn sie mit Einschränkungen der in GG Art. 5 garantierten Äußerungs- und Informationsfreiheit verbunden sind, bedürfen einer Kontrolle ihrer legitimen Anwendung. Sie wird beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk neben den Intendantinnen und Intendanten von Aufsichtsgremien wahrgenommen, die nach dem Prinzip gesellschaftlicher Pluralität zusammengesetzt sein sollen. In den aktuellen Auseinandersetzungen werden gelegentlich auch Fachkompetenz und Engagement in den Blick genommen, die bisher als Auswahlkriterien kaum eine Rolle gespielt haben.
Betrachtet man die existierenden Aufsichtsgremien, drängen sich Zweifel auf, ob sie den Erwartungen an ihre Leistungen genügen (können). Im Hinblick auf das Pluralitätspostulat wird bemängelt, dass sie hinsichtlich Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Religion, Sexualität, ostdeutsch/westdeutsch usw. nicht der Zusammensetzung der Bevölkerung entsprechen, und relevante demografische Daten über Personen in den Gremien nicht verlässlich öffentlich zur Verfügung stehen, um sie zu auf Repräsentativität prüfen zu können (vgl. Schiffer u. a. 2023). Problematischer als die fehlende demografische Proportionalität ist aber ein anderes Pluralitätsdefizit: An den Listen der Rundfunkratsmitglieder fällt ein hoher Anteil von Personen auf, bei denen digitale Adressen von anderen Institutionen als Informationsquellen angegeben werden. Das erklärt sich daraus, wie die Aufsichtsgremien zusammengesetzt sind. Den sogenannten »gesellschaftlichen Gruppen«, zu denen vor allem die Bundes- und Landesregierungen, die politischen Parteien, die Kirchen, Verbände und Gewerkschaften gezählt werden, stehen jeweils eine gesetzlich festgelegte Zahl von Sitzen in den Gremien zu,[3] die in aller Regel mit Spitzenvertretern der jeweiligen Organisation besetzt werden. Dem ZDF-Fernsehrat gehören gegenwärtig u. a. die Vorsitzenden bzw. Präsidentinnen oder Präsidenten folgender Institutionen an: Kirchenamt der EKD, Paritätischer Wohlfahrtsverband Mecklenburg-Vorpommern, Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Caritasverband, Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, NABU Naturschutzstiftung sowie Dienstleistungsgewerkschaft ver.di; hinzu kommen an die 20 aktuelle oder frühere Vertreterinnen und Vertreter der Exekutive in Bund und Ländern, z. B. die Bundesfamilienministerin Paus und der Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern Geue; Vorsitzende ist Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe.[4]
Die korporatistische Besetzung mag in der Frühzeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesellschaftliche Pluralität widergespiegelt haben. Seit Roberto Michels klassischem Werk (Michels 1957) beobachten wir aber, wie Parteien und andere Organisationen[5] auf die Dauer verkrusten und sich zunehmend um ihre eigenen Belange sowie die ihres Leitungspersonals kümmern und weniger um die ihrer Mitglieder oder von Menschen außerhalb der Organisationen. Zur Zeit ist diese Oligarchisierung besonders deutlich an den großen Kirchen zu beobachten, deren Mitgliedschaft rapide schrumpft. Die Studentenbewegung der 1960er-Jahre verwendete für die privilegierte Schicht der Mächtigen in Parteien, Konzernen, Kirchen usw. den Begriff des »Establishments«.
Gesellschaftliche Pluralität spiegelt sich in den öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien schon deshalb nicht, weil die unorganisierte Bevölkerungsmehrheit dort nicht vertreten ist. Im Übrigen steht auch die Mitgliederbasis der Organisationen dort im Abseits. Bei den Funktionären und Funktionärinnen in den Aufsichtsgremien kommt zur Abgehobenheit oft noch ein Mangel an Fachkompetenz und Engagement, weil sie von anderen Aufgaben in Anspruch genommen werden und ihre Position in einem Rundfunkrat nur als ein weiteres prestigeträchtiges »Ehrenamt« betrachten. Das Plenum des ZDF-Fernsehrates kommt ganze vier Mal im Jahr zusammen, die ständigen Ausschüsse jeweils kurz davor.[6] Die Aufsichtsgremien sind daher bisher nur sehr begrenzt in der Lage, die Orientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am Gemeinwohl und die auftragsgemäße Qualität seiner Programme zu beobachten und zu garantieren.
Eine zentrale Medieninstitution, der die Verantwortung für eine verlässliche Verfügbarkeit zutreffender und umfassender Informationen für die ganze Bevölkerung zukommt, wird von einer Funktionärselite kontrolliert, die auch auf vielen anderen Gebieten Macht ausübt. Das muss die anti-elitäre Aggressivität nähren, welche neben einem latenten Anti-Pluralismus den Kern populistischer Propaganda ausmacht (vgl. Müller 2016: 26). Es würde das Problem zwar eher verharmlosen als hinreichend erklären, wenn man die an den Rundfunkgremien augenfällige, in die korporatistischen Traditionen Deutschlands (vgl. von Alemann/Heinze 1979) eingebettete Geschlossenheit der Funktionselite für die Hauptursache der wachsenden Stärke populistischer Gruppen hielte. In Ländern mit weniger korporatistischen Traditionen schwellen populistische Strömungen ebenfalls an. Gleichwohl gibt der gern als Kollegialitätsprinzip verbrämte, konfliktscheue Chorgeist des deutschen Establishments einem Populismus Nahrung, der mithilfe seiner elitenkritischen Attitüde vorgibt, besonders demokratisch zu sein.
Auch, um dem Unter-sich-Bleiben entgegenzuwirken und populistischen Forderungen nach einem Abbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Wind aus den Segeln zu nehmen, sollten dessen Aufsichtsgremien nicht mehr nach dem Gewicht anderer Organisationen rekrutiert werden. Sie sollten stattdessen nach den Kriterien proportionaler Pluralität, aber auch Fachkompetenz und persönlicher Unabhängigkeit zusammengesetzt sein. Der Schutzbehauptung, dies sei kaum zu organisieren, lässt sich u. a. mit dem Hinweis auf das Verfahren für die Zusammensetzung von Gerichten begegnen, in denen Laienrichter (Schöffinnen) mitwirken. Dieses Verfahren stützt sich auf Vorschlagslisten der Gemeinden, auf die Personen gesetzt werden, die sich für das Schöffenamt interessieren und dafür geeignet erscheinen. Die Listen können sowohl von qualifizierten Mehrheiten der Gemeindevertretungen als auch von vorgeschlagenen Personen unter bestimmten Bedingungen verändert bzw. abgelehnt werden. Letztlich entscheiden dann aktive Berufsrichterinnen und -richter, wer ins Schöffenamt gelangt.[7]
Eine solche Reform stellt hohe Anforderungen an organisatiossoziologische Kreativität und Sorgfalt. Das kann aber angesichts des Ziels, Informationsvorsorge als Voraussetzung gesellschaftlicher Selbstregulierung zu sichern, kein Grund sein, sie nicht in Angriff zu nehmen. In allgemeinerer Perspektive geht es um die Erhaltung einer für die Demokratie existenznotwendigen, aber versteinerten Institution, an der die sozialen Basisprozesse (vgl. Trappe 1973) vorbeigegangen sind.
3. Abgaben
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht die einzige der Daseinsvorsorge dienende Institution, die auf gesetzlicher Grundlage und großenteils finanziert durch die Allgemeinheit entsprechende Leistungen vorhält. Straßen, Schwimmbäder, Theater, Kliniken, Universitäten und viele andere Einrichtungen funktionieren nach den gleichen Prinzipien. Auch ihr Zweck ist, für dringende Bedürfnisse da zu sein, um im Bedarfsfall genutzt werden zu können. Wir nennen solche Einrichtungen »öffentlich«, weil sie allen potentiellen Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung stehen. Mit Ausnahme der Schule, für die es eine Nutzungspflicht gibt, ist die Inanspruchnahme solcher Einrichtungen freiwillig. Aber auch diejenigen, die sie nicht nutzen, tragen zu ihrer Erhaltung bei. Die Höhe dieser Abgaben richtet sich nicht oder nur teilweise danach, ob und in welchem Umfang von ihnen Gebrauch gemacht wird. Bei den vom Staat betriebenen Einrichtungen nennen wir diese Abgaben Steuern.
Die Zahlungsbereitschaft auch derjenigen, die die vorgehaltenen Leistungen nicht oder relativ wenig nutzen, beruht nicht zuletzt darauf, dass ein erheblicher Teil der Steuern nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gestaffelt ist. Es wird als gerecht empfunden und daher akzeptiert, dass Bürgerinnen und Bürger mit hohen Einkommen mehr zur allgemeinen Daseinsvorsorge in Bereichen wie Verkehr, Verwaltung, Bildung, Gesundheit, Justiz oder Kultur beitragen als andere mit geringerem Einkommen. Dabei wird nicht gefragt, ob und wie stark sich die einen oder anderen die für alle zur Verfügung stehenden Leistungen zunutze machen. Jede und jeder Steuerpflichtige trägt zur Finanzierung der Strafjustiz bei, auch wenn er oder sie niemals mit ihr zu tun bekommt. Jeder und jede Steuerpflichtige trägt zu Bau und Erhaltung von Autobahnen bei, auch wenn er oder sie kein Auto besitzt, um auf ihnen zu fahren. Jede und jeder Steuerpflichtige trägt über die staatliche Kulturförderung zum Opernbetrieb bei, auch wenn sie oder er nie im Leben ein Opernhaus betritt. Wäre die Einkommenssteuer allerdings nicht nach wirtschaftlichem Vermögen gestaffelt, würden also alle Haushalte Steuern in gleicher Höhe entrichten müssen, die Arbeitslose wie der Multimillionär, wäre das Einverständnis mit den Pflichtabgaben für die Daseinsvorsorge weniger selbstverständlich.
Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhält es sich anders. Hier wird das nutzungsunabhängige Vorhalten von verlässlichen Informationen durch Pflichtbeiträge ermöglicht, deren Höhe im Prinzip für alle Haushalte gleich ist: gegenwärtig 55,08 € im Vierteljahr. Zwar gibt es Möglichkeiten zur Befreiung oder Ermäßigung, die aber an komplizierte Voraussetzungen gebunden sind.[8] Im Prinzip muss eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern und Halbtagsstelle den gleichen Rundfunkbeitrag bezahlen wie ein kinderloses, gutverdienendes Akademikerpaar oder gar der Milliardär. Es liegt auf der Hand, dass das zu Unzufriedenheit besonders bei Wählerinnen und Wählern mit niedrigem Einkommen führt, die die öffentlich-rechtlichen Programme kaum nutzen.
Um diesem Legitimitätsdefizit entgegenzuwirken, bietet sich eine einkommensabhängige Staffelung der Rundfunkbeiträge an. Wenn dabei der Einfachheit halber auf die Steuerbescheide der Finanzämter zurückgegriffen würde, wäre das zwar noch keine staatliche Erhebung, hinter der auch ein auf das Gewaltmonopol von Exekutive und Judikative gegründeter Sanktionsapparat stehen müsste. Der nächste Schritt wäre dann aber eine Rundfunksteuer, um die Informationsvorsorge zu sichern. Dieser Schritt ist angesichts der deutschen Rundfunkgeschichte vor 1945 in der Medienpolitik tabuisiert.[9] Eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem allgemeinen Steueraufkommen müsste aber nicht tabu sein. Mit der Deutschen Welle gibt es bereits einen steuerfinanzierten (Auslands-)Rundfunk, der zur Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) gehört. Zu denken gibt auch, dass es mit den staatlichen Hochschulen parallele Einrichtungen gibt, deren Personal der Artikel 5 des Grundgesetzes im Absatz 3 mit der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit ähnliche Rechte garantiert wie den Journalistinnen und Journalisten im Absatz 1 mit der Pressefreiheit. Auch wenn die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit kaum über Fachöffentlichkeiten hinauswirkt: Verdient die Unabhängigkeit von Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen, die in steuerfinanzierten Einrichtungen tätig sind, nicht mindestens die gleiche skeptische Aufmerksamkeit, wie sie die Unabhängigkeit von Medienschaffenden in steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten verdienen würde?
Zweifel an der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lassen sich eher durch den Einfluss von Regierungen und Parteien in den Aufsichtsgremien begründen, als es wegen der Finanzierung durch einen Anteil am gesamten Steueraufkommen der Fall wäre. Schon jetzt kann die Zustimmung jedes Bundeslandes zur Festlegung der Beitragshöhe als Instrument staatlichen Einflusses auf den Rundfunk genutzt werden. Das hat z. B. das Ausscheren von Sachsen-Anhalt aus den Empfehlungen der KEF 2020 gezeigt.[10] Wenn die politische Auseinandersetzung über die Rundfunkgebühren nicht mehr isoliert geführt würde, sondern ein Aspekt der allgemeinen Steuerpolitik wäre, könnte das (partei-)politischen Einflüssen aus den Bundesländern sogar effektiver entgegenwirken als das gegenwärtige Finanzierungsmodell.
Als dieses aufwändige Modell in der Nachkriegszeit um der Staatsferne willen eingeführt wurde, waren die Vorstellungen vom Staat noch durch die Erfahrungen mit dem NS-Regime geprägt, auch bei den (Rundfunk-)Politikern. Das galt zumal für den Umgang mit der Medienfreiheit in der jungen Demokratie (vgl. Buchloh 2002), die es engagiert zu verteidigen und zu schützen galt. Nach fast 75 Jahren produktiver Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland (vgl. Pöttker 2016) kann in der Rundfunkpolitik differenzierter als damals in den Blick genommen werden, dass der Staat kein brutales Gewaltregime mehr ist, sondern ein demokratischer Rechtsstaat mit kulturell verankerter Gewaltenteilung (vgl. Gerlach 2010).
Eine einkommensabhänge Staffelung der Rundfunkbeiträge ist aber auch ohne deren Integration in das allgemeine Steueraufkommen möglich. Dass sie trotz ihrer Bedeutung für die Legitimitätsbasis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kaum diskutiert wird, ist ein weiteres Zeichen für die Verknöcherung seiner bestehenden, im Kern vor sieben Jahrzehnten geschaffenen Struktur. Aufgabe und Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lassen sich nur erfüllen, wenn diese überholte Struktur um der Verteidigung ihrer schwindenden Legitimität willen verändert wird. Für die Erhebung der Rundfunkbeiträge heißt das, Wege zu einer Staffelung nach wirtschaftlichem Vermögen der Beitragenden zu erkunden und zu beschreiten.
Damit muss bei sorgfältiger finanztechnischer Gestaltung kein Verlust beim gesamten Beitragsaufkommen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbunden sein; im Gegenteil: Mit einer Stärkung seiner Legitimität öffnet sich die Aussicht auf bessere Zahlungsbereitschaft des Publikums und damit auf mehr Ressourcen. Gegenwärtig lässt deren Knappheit Werbeeinnahmen nötig erscheinen.
4. Werbung
Die Einnahmen aus dem Verkauf von Sendezeiten für Werbung machen zusammen mit Zuwendungen von Sponsoren etwa sechs Prozent am Gesamtbudget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Landesmedienanstalten aus. Dessen rund sieben Milliarden Euro werden zum größten Teil (85%) aus den Pflichtbeiträgen der privaten Haushalte finanziert (ARD 2023).
Den Programmen ist die geringe Bedeutung der Werbung aber nicht anzumerken. Zwar sollen erhebliche Programmanteile frei von Werbeunterbrechungen sein. Die drei national verbreiteten Programme des Deutschlandradios kommen gemäß Staatsvertrag tatsächlich ohne Fremdwerbung und Sponsoring aus, was entscheidend zu ihrem verlässlichen Profil beiträgt. Und was das öffentlich-rechtliche Fernsehen nach 20.00 Uhr sendet, soll ebenfalls frei von persuasiven Botschaften sein.
Die Abendprogramme, zumal Sportübertragungen mit hohen Einschaltquoten, strahlen allerdings weniger Seriosität aus als beabsichtigt, da sie vom Selbstlob von Sponsoren durchzogen sind. Und das öffentlich-rechtliche Programmangebot vor 20.00 Uhr ist bis zur letzten Sekunde mit Werbeschaltungen gespickt, was besonders unseriös wirkt, wenn es ähnlich wie viele Sponsorenhinweise im thematischen Zusammenhang mit dem journalistischen Programmumfeld steht.
Werbe- und Sponsorenunterbrechungen in den öffentlich-rechtlichen Programmen schleifen deren Profil der verlässlichen Informationsvorsorge ab. Sie verwischen den Unterschied zu den kommerziellen Programmen, welche darauf angewiesen sind, möglichst viel Werbung zu möglichst hohen Preisen zu verkaufen und die deshalb sowohl auf persuasive Programmunterbrechungen wie auf hohe Einschaltquoten nicht verzichten können. Die Konvergenz zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Programmen wurde in den ersten Jahren des dualen Rundfunksystems intensiv diskutiert.[11] Zu ihr trägt u. a. bei, dass mit den öffentlich-rechtlichen Sendern konkurrierende Privatprogramme wie RTL sich neben massenattraktiver Unterhaltung auch um professionelle Nachrichten und andere professionelle Informationsanteile in ihrem Programm bemühen (vgl. RTL 2020).
Die Mischung von journalistischen mit werbenden Anteilen in beiden Fernsehsystemen begründet die Skepsis, dass der persuasive Stil des werbenden Programmumfelds in der Wahrnehmung des Publikums auf die journalistischen Anteile abfärbt, die deshalb ebenfalls für persuasiv gehalten werden. Die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Garant informationeller Grundversorgung hängt von der deutlichen Erkennbarkeit seiner Unabhängigkeit von politischen und kommerziellen Sonderinteressen ab. Jeder Eindruck von persuasiven Botschaften im Programm stellt diese Erkennbarkeit infrage.
Eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte daher auf Werbung sowie auf Sponsorenhinweise im Programm verzichten. Das führt zu der Frage, ob und wie – abgesehen von den Möglichkeiten der Abgabenstaffelung – dadurch bedingte Einnahmeverluste kompensiert werden können.
5. Programmumfang
Zurzeit werden aus dem Budget der ARD etwa 70 Hörfunk- und 20 Fernsehprogramme gequetscht (Wikipedia 2023).[12] Dass die despektierliche Metapher ihre Berechtigung hat, zeigt sich u. a. an den vielen Wiederholungen, mit denen diese Vielzahl von Programmen gefüllt wird. Wiederholungen verursachen weniger Kosten als Neuproduktionen, müssen aber besonders das Stammpublikum auf die Dauer langweilen. Das gilt nicht nur für Fiktionales wie die über ein halbes Jahrhundert laufende Krimi-Reihe Tatort oder Serien wie Großstadtrevier, Um Himmels Willen oder die Lindenstraße, aus deren riesigen Beständen weite Programmstrecken gefüllt werden. Es gilt auch für Reportagen und Features, die in der Regel rascher an Aktualität verlieren als Spielfilme.
Zurückliegende Produkte beider Programmsparten gewinnen erst dann an Relevanz, wenn sich historische Interessen darauf richten. Davor werden häufige Wiederholungen von regelmäßigen Hörern oder Zuschauerinnen, auf die die öffentlich-rechtlichen Sender angewiesen sind, als Zeitverschwendung empfunden. Das lange Interview mit einem ehemaligen Vertragsarbeiter aus Mosambik, der zusammen mit Landsleuten noch immer um seinen verdienten Lohn kämpfen muss, um den ihn die DDR betrogen hat,[13] war im Programm des Deutschlandfunks im Sommer 2023 innerhalb einer Woche mindestens vier Mal zu hören. Das wirkt belehrend, zumal der Sender den Beitrag mit anderen zum gleichen wichtigen Thema[14] weiterhin online zur Verfügung stellt.
Ermüdende Wiederholungen sind nur ein Beispiel für Qualitätsmängel in den öffentlich-rechtlichen Angeboten, die auf den nur schwer zu finanzierenden Überfluss an Programmen schließen lassen. Schwerwiegender sind Mängel an professioneller Sorgfalt und Tiefe der Recherche, die nicht zuletzt mit zu knappen Zeitressourcen der beteiligten Journalistinnen und Journalisten zusammenhängen. Auch der Deutschlandfunk verfällt z. B. anders, als sein seriöses Image glauben macht, in unzutreffende sozialpolitische Klischees, die einen allzu flüchtigen Umgang mit amtlichen Statistiken erkennbar machen (vgl. Cremer 2023). Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ohne eigene Recherche kostensparend aufgreift, was andere Medien bereits mitgeteilt haben, ist eine Praxis, die dem Auftrag der Informationsvorsorge diametral widerspricht.
Um die Enge der Finanzierung zu überwinden, bietet sich eine Reduktion der Zahl der Programme und damit auch eine Reduktion der dafür nötigen Verwaltungskosten an. Besonders im Hörfunk widerspricht die hohe Zahl von Spezialprogrammen, die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind, dem Grundversorgungsauftrag. Im Fernsehbereich dürfte die Konkurrenz zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Allgemeinprogrammen sinnvoll sein, wenn sie zur gleichen Sendezeit tatsächlich inhaltliche Alternativen anböten.[15] Darüber hinaus wäre es ausreichend, wenn jede öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ein regional gefärbtes Fernsehprogramm betreibt. Im Hörfunk würde die Hälfte der heute sendenden Programme genügen. Stichwort: weniger Programme, aber dafür bessere, was z. B. Wiederholungen, Recherchetiefe oder Pluralität betrifft.
6. Durchsetzung
Um einzuschätzen, ob und wie Reformschritte zu realisieren sind, hilft das Bewusstsein, dass die Rundfunkentwicklung aus einem Geflecht von aufeinander bezogenen Handlungsweisen dreier Akteure hervorgeht: Medienpolitiker, Rundfunkjournalistinnen und –journalisten sowie das (potentielle) Publikum (vgl. Pöttker 1991).
Der Legitimitätsverfall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vollzieht sich zwar langsamer, als in den ersten Jahren nach der Öffnung für kommerzielle Programmanbieter von skeptischen Beobachtern befürchtet wurde. Unverkennbar ist aber, dass er sich vollzieht und dass der mittlerweile in eine Existenzkrise mündende Verfall auch daran liegt, dass alle drei Akteure blind sind für langfristige Auswirkungen, die ihre eigenen Handlungsweisen auf die jeweils anderen Akteure haben.
Die (Rundfunk-)Politiker erkennen nicht, dass ihre Bemühungen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Instrument der Imagepflege zu benutzen, eher zu Vertrauensverlusten gegenüber Politik und Journalismus führt; das Publikum, potentiell der mächtigste der drei Akteure, hat wenig Sinn dafür, dass sein überwiegendes Unterhaltungsinteresse auf die Dauer nicht nur eine Abwanderung in die kommerziellen Angebote zur Folge hat, sondern auch eine Qualitätsminderung der Informationsvorsorge durch öffentlich-rechtliche Programme; und die Verantwortlichen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk halten sich ungern vor Augen, dass Willfährigkeit gegenüber den angenommenen Interessen der beiden anderen Akteure auf die Dauer zum Schwinden der eigenen Legitimitätsgrundlage führt. Weil die Handlungsweisen der drei Akteure eher rezeptiv als folgenreflexiv sind und es ihnen daher an der Selbstregulierungskraft echter Interaktionen mangelt (vgl. Pöttker 1997: 73-100), stoßen sie sich gegenseitig zu einem Spiralprozess an, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen die Interessen aller Beteiligten auf die Dauer in Legitimitätsprobleme führt.
Um diese Probleme nachhaltig zu lösen, bedarf es selbstkritischer Einsichten der Akteure in die kontraproduktiven Auswirkungen ihrer Handlungsweisen. Wohl am wenigsten ist in dieser Hinsicht vom Publikum zu erwarten, weil es sich als diffuse Gesamtheit kaum seiner Wirkungsmacht über Einschaltquoten bewusst ist. Für das Mediennutzungsverhalten vieler Menschen scheinen anthropologisch verankerte, durch Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstriebe bedingte Aufmerksamkeitspräferenzen für Bedrohliches und Erotisches, wie sie sich in den relativ konstant bleibenden Listen von Nachrichtenwertfaktoren spiegeln, die in den 1960er-Jahren zuerst von Friedensforschenden (vgl. Galtung/Ruge 1965) empirisch untersucht und weitgehend wirkungslos kritisiert worden sind, prägender zu sein als folgenreflexive Erwägungen – zumal, wenn letztere für das Individuum schwer durchschaubare Auswirkungen eigener Handlungen beträfen, die nur im Zusammenspiel mit ähnlichen Handlungen vieler anderer eintreten können (vgl. Pöttker 1997).
Von Politikerinnen und Politikern sind Einsichten in Reformmaßnahmen, die mit der Informationsvorsorge eine unerlässliche Voraussetzung für die Selbstregulierungsfähigkeit komplexer demokratischer Gesellschaften und damit deren Stabilität betreffen, eher zu erwarten. (Jedenfalls, wenn sie es aus kluger Weitsicht schaffen, auf populistische Forderungen zu verzichten und über die nächste Wahl hinauszuschauen.) Vernunftbasierte Strukturentscheidungen gehören zu dem Aufgabengebiet, in dessen Logiken sie denken und Selbstbewusstsein entwickeln (können). Im Unterschied dazu haben Journalistinnen und Journalisten keine Strukturentscheidungen zu treffen, sondern zu deren Angemessenheit beizutragen, indem sie möglichst vielen Menschen, nicht zuletzt den in der Politik Tätigen, möglichst viele richtige und wichtige Informationen auf verständliche Weise vermitteln (vgl. Pöttker 2010). Entsprechend kann sich ihr berufliches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein entwickeln.
Um Reformmaßnahmen durchzusetzen, ist daher ein Zusammenwirken von (Rundfunk-)Politik, die die dafür notwendigen Entscheidungen trifft und Verbindlichkeiten herstellt, und davon unabhängigem (Medien-)Journalismus anzustreben, der dafür sorgt, dass solche Entscheidungen – auch im Hinblick auf informierte Wählerinnen und Wähler, also das Medienpublikum – transparent und im Sinne des Allgemeinwohls getroffen werden (können). Grundlegend dafür kann die Balance von Selbstbewusstsein und Fremdverstehen in beiden Berufen sein (vgl. Pöttker 2004).
Wie realistisch diese Voraussetzungen der Durchsetzbarkeit sind, hängt auch davon ab, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk willens und fähig ist, seine Probleme, statt sie durch Selbstbeweihräucherung zu vernebeln, unerschrocken und unter professioneller Distanznahme zu sich selbst öffentlich zu machen. Das ist denkbar, wenn er die professionelle Aufgabe der Informationsvorsorge, der Grundversorgung mit umfassender Transparenz, die sowohl für individuelle Lebensgestaltung wie gesellschaftliche Selbstregulierung unentbehrlich ist, auch für sich selbst als Gegenstand seiner Berichterstattung ernst nimmt.
7. Chancen und Risiken
Welchen Beitrag können die diskutierten Reformmaßnahmen zur Lösung von Problemen leisten, denen die Gesellschaft sich in der Gegenwart gegenübersieht? Sind Risiken erkennbar, dass Probleme dadurch verschärft würden?
Das auf die Dauer bedrohlichste, weil kurzfristig nicht zu lösende Problem ist die Umweltkrise, an ihrer Spitze die Prozesse der Klimaerhitzung und des Artenverlustes. Mit der Einsicht, dass diese universalen Probleme mit der kapitalistischen Überflussökonomie zusammenhängen, in der nicht mehr die Produktion den Bedürfnissen folgt, sondern umgekehrt die Konsumstimulation einem die natürlichen Grenzen sprengenden Produktionswachstum dient (vgl. Jackson 2011; 2021), gerät auch die Werbung als Antrieb der Überflussproduktion in den kritischen Blick. Ein konsequent werbefreier öffentlich-rechtlicher Rundfunk würde die überflüssige und destruktive Produktion nicht beenden, aber deutlicher machen können, dass es lebenswerte Alternativen zu der schon von Herbert Marcuse (vgl. Marcuse 1969) kritisierten, heute aber weitgehend akzeptierten Ideologie des Wachstums von Produktion und Konsummöglichkeiten gibt. Die Verringerung der Produkteschwemme muss keinen Wohlfahrtsverlust bedeuten (vgl. Herrmann 2022).
Ein weiteres gravierendes gesellschaftliches Problem ist das schwindende Vertrauen in die Eliten, die in Politik, Medien, Kirchen, Sport und anderen Bereichen das Sagen haben. Populistische Strömungen und Parteien machen sich diese Skepsis durch antielitäre Rhetorik zunutze und stören damit bedrohlich die Funktionsweisen der parlamentarischen Demokratie (vgl. Müller 2016). Dem kann eine von persuasiver Kommunikation gereinigte Informationsvorsorge entgegenwirken, weil sie unrealistische Erwartungen an die Leistungen der Eliten dämpft. Und auch eine weniger von korporatistischen Machtansprüchen geprägte Zusammensetzung der öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien sowie eine gerechtere, nach wirtschaftlicher Potenz gestaffelte Höhe der Rundfunkbeiträge hätte dem Vertrauensschwund gegenüber dem Establishment etwas entgegenzusetzen.
Das dritte Problem, das ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt sei, ist die Gefährdung des Zusammenhalts einer Gesellschaft, die sich weiter ausdifferenziert und infolge einer aus ökonomischen und humanitären Gründen notwendigen Einwanderung vielfältiger und parzellierter wird. Es ist nicht möglich und kann auch nicht erwünscht sein, sich den gefährdeten Zusammenhalt als kulturelle Homogenität vorzustellen, in der alle das Gleiche denken und fühlen. Sinnvoller ist die Vorstellung eines Kerns an Einheit inmitten respektierter Verschiedenheit, die sich mit dem Begriff der interkulturellen Integration fassen lässt (vgl. Geißler 2005). Den einheitlichen Kern bilden die Geltung von Verfassung und Menschenrechten, die Verständigung mithilfe einer dafür hinreichend beherrschten Sprache sowie ein Differenzen überspannendes Wissen übereinander (vgl. Pöttker 2002). Der respektierten Vielfalt entspricht die zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung vor allem privater Medien z. B. nach Altersgruppen, Bildungshorizont, Musikgeschmack oder – bei den herkunftssprachlichen Diaspora-Medien (vgl. Weber-Menges 2005) – ethnischer Herkunft.
Die Aufgabe der Informationsvorsorge, für die der öffentlich-rechtliche Rundfunk Verantwortung hat, ist nicht zuletzt eine Integrationsaufgabe, zu der die Unterstützung des notwendigen Kerns an Einheit inmitten der respektierten Vielfalt gehört. Es liegt auf der Hand, dass diese Integrationsfunktion je besser erfüllt werden kann, auf desto weniger zu Binnenpluralität verpflichtete Programme die öffentlich-rechtliche Produktion und Verbreitung von Information, aber auch von Unterhaltung, Bildung und Beratung sich konzentriert. Eine Reduktion der Zahl der Programme, deren Qualität u. a. in Hinsicht auf Binnenpluralität auch des redaktionellen Personals (vgl. Pöttker u. a. 2016) durch eine konzentriertere Verwendung des Beitragsaufkommens verbessert wird, kann insofern der Integrationsaufgabe zugutekommen.
Welche Risiken zeichnen sich im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen Reformmaßnahmen ab? Denkbar ist eine Befürchtung, die von der bisher eingeschlagenen Strategie der Konkurrenz mit den kommerziellen Anbietern um Einschaltquoten nahegelegt wird, um nicht gesellschaftliche Aufmerksamkeit und damit Legitimität einzubüßen. Aus der Aufgabe der Informationsvorsorge abgeleitete Legitimität hängt aber eben nicht von aktuellen Einschaltquoten ab, sondern von der Qualität des Programms. Die Konkurrenz um Einschaltquoten bringt wie erwähnt eine seit Beginn des dualen Systems diskutierte Ähnlichkeit der öffentlich-rechtlichen mit den kommerziellen Programmen mit sich (vgl. Schatz u. a. 1989). Die Legitimitätskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kristallisiert sich am Argument, warum Beiträge für etwas gezahlt werden müssen, das man woanders umsonst bekommt.[16] Dieses bei Ähnlichkeit mit privaten Anbietern überzeugend wirkende Argument lässt sich durch eine Schärfung des Profils der öffentlich-rechtlichen Programme entkräften, die aufgrund der vorgeschlagenen Reformmaßnahmen zu erwarten ist.
Ein anderes Risiko ist der Verlust von journalistischen Arbeitsplätzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er muss nicht notwendig von den erwähnten Reformmaßnahmen verursacht werden, könnte sich damit aber begründen lassen. Ähnlich strikt wie auf die Stabilität des Beitragsaufkommens bei gestaffelten Abgaben müsste dafür gesorgt werden, dass es bei einer Verminderung der Zahl der Programme zu einer Aufstockung des journalistischen und künstlerischen Personals bei den verbleibenden Programmen einschließlich einer besseren Bezahlung der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt. Ob die dadurch mögliche Qualitätssteigerung und Profilschärfung eintritt, kann von Aufsichtsgremien kontrolliert werden, die mehr nach Kompetenz, Unabhängigkeit und Engagement zusammengesetzt wären als heute.
Ob sich das realisieren lässt, ist eine Frage rundfunkpolitischer Entschiedenheit, für die auch das aus Wählerinnen und Wählern bestehende Publikum verantwortlich ist, sofern es zwischen deutlichen Konzepten wählen kann. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter in die Legitimitätskrise schlittern zu lassen, bedroht die Informationsvorsorge und damit auch Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nicht zuletzt geht es darum, eine Institution zu stärken, die dem systemrelevanten, aber durch die Digitalisierung in die Krise geratenen Journalistenberuf weiterhin eine von politischen und kommerziellen Partikularinteressen möglichst wenig beeinflusste Entwicklung ermöglicht.
Über den Autor
Horst Pöttker, Jahrgang 1944, ist pensionierter Professor für Theorie und Praxis des Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Kontakt: horst.poettker@tu-dortmund.de
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Anhang
Im Staatsvertrag über den NDR der vier norddeutschen Bundesländer Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig Holstein z. B. bestimmt der Gesetzgeber:
»Der Rundfunkrat besteht aus höchstens 58 Mitgliedern. Von ihnen entsenden
1. höchstens elf Mitglieder die in den Landesparlamenten der Länder mit Fraktionen vertretenen Parteien, davon
a. neun Mitglieder die in den gesetzgebenden Körperschaften der Länder vertretenen Parteien, davon drei aus Niedersachsen und je zwei aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, entsprechend ihrem Stärkeverhältnis nach dem Höchstzahlverfahren d‘Hondt sowie
b. je ein Mitglied die nach der Zahl ihrer Wähler in den jeweiligen Ländern stärkste und zweitstärkste Fraktion der in den Landesparlamenten vertretenen Parteien, auf die nach dem Höchstzahlverfahren d‘Hondt kein Sitz im Rundfunkrat entfallen ist; maßgebend sind die Ergebnisse der Wahlen zu den Landesparlamenten vor dem jeweils ersten Zusammentritt des Rundfunkrats,
2. zwei Mitglieder die evangelischen Kirchen und zwei Mitglieder die römisch-katholische Kirche, davon je ein Mitglied aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein,
3. ein Mitglied die Jüdische Gemeinde in Hamburg,
4. vier Mitglieder der Deutsche Gewerkschaftsbund, ein Mitglied die Deutsche Angestelltengewerkschaft, ein Mitglied der Deutsche Beamtenbund, davon drei aus Niedersachsen und je eines aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein,
5. drei Mitglieder die Arbeitgeberverbände, davon zwei aus dem Bereich der Industrie und eines aus dem Bereich des Handels, ein Mitglied die Handwerksverbände, ein Mitglied die Verbände der Freien Berufe, und zwar zwei aus Niedersachsen und je eines aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, dabei im Falle Hamburgs für Industrie, Handel und Handwerk an Stelle der Landesvereinigungen jeweils die Kammer,
6. ein Mitglied der Bauernverband aus Mecklenburg-Vorpommern,
7. drei Mitglieder die Landesfrauenräte und Landesarbeitsgemeinschaften der Fraueninitiativen, und zwar je eines aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein,
8. je ein Mitglied der Landessportbund aus Niedersachsen und der Landessportbund aus Mecklenburg-Vorpommern,
9. ein Mitglied die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens, ein Mitglied der Haus- und Grundeigentümerverein e. V. aus Meckleburg-Vorpommern,
10. ein Mitglied der Deutsche Mieterbund, Landesverband Schleswig-Holstein e. V. sowie ein Mitglied die in Hamburg mit der Verbraucherberatung betraute Institution,
11. ein Mitglied die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen, ein Mitglied die Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Schleswig-Holstein e. V., ein Mitglied das Diakonische Werk aus Hamburg und ein Mitglied der Deutsche Caritasverband e. V. aus Mecklenburg-Vorpommern,
12. ein Mitglied der Deutsche Kinderschutzbund e. V. aus Schleswig-Holstein, ein Mitglied der Landesjugendring aus Niedersachsen, ein Mitglied der Landeselternrat aus Niedersachsen, ein Mitglied die Erwachsenenbildungsorganisationen aus Niedersachsen,
13. ein Mitglied Robin Wood e. V. aus Hamburg, ein Mitglied der BUND aus Niedersachsen, ein Mitglied der Landesnaturschutzverband Schleswig- Holstein e. V. und ein Mitglied der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz aus Niedersachsen, ein Mitglied der Landesheimatverband aus Mecklenburg-Vorpommern,
14. ein Mitglied die Arbeitsgruppe Bildende Kunst aus Hamburg, ein Mitglied der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) aus Niedersachsen und ein Mitglied der Landesmusikrat Schleswig- Holstein e. V.,
15. ein Mitglied der Reichsbund der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen e. V. aus Niedersachsen, ein Mitglied die Arbeitsgemeinschaft Kommunale Ausländervertretungen Niedersachsen und ein Mitglied der Landesseniorenrat Niedersachsen e. V.,
16. ein Mitglied der Verband der Opfer des Stalinismus aus Mecklenburg-Vorpommern und ein Mitglied die Aktion Sühnezeichen aus Niedersachsen.«
Fußnoten
1 Vgl. die eingehende Darstellung in Bausch 1980: 9-238.
2 Vgl. auch den Beitrag von Hans Peter Bull in dieser Ausgabe: Die »Klimakrise« beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
3 Vgl. Anhang
4 Vgl. im Einzelnen: https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-fernsehrat-mitglieder-100.html (11.8.2023).
5 Zu den Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Pirker 1960.
6 Vgl. https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-fernsehrat-ausschuesse-100.html (20.8.2023).
7 Vgl. genauer: GVG (https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/BJNR005130950.html#BJNR005130950BJNG000400666, 6. 11. 2023), § 28 – 58, »Schöffengerichte«.
8 Das Merkblatt dazu führt 16 solche Voraussetzungen nebst den entsprechenden Bescheinigungen auf (www.rundfunkbeitrag.de 1). Als Härtefall, der eine Befreiung ermöglicht, gilt, wenn die Höhe des Haushaltseinkommens den sozialen Bedarf um weniger als die Höhe des monatlichen Rundfunkbeitrags überschreitet.
9 Das kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass die »Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten« (KEF), die aus 16 von den Bundesländern entsandten Experten und Expertinnen besteht, nur zur Höhe und zur Verteilung der Rundfunkbeiträge Empfehlungen gibt und Arbeitsgruppen einrichtet, nicht aber zum Erhebungsverfahren selbst.
10 Um diesen Einflussversuch abzuwehren, haben ARD, ZDF und Deutschlandradio erfolgreich das Bundesverfassungsgericht angerufen (vgl. ARD 2021).
11 Es gab Urheber der Konvergenzthese (vgl. Schatz u. a. 1989) und Kritiker (vgl. Krüger 1991).
12 Vor zehn Jahren waren es noch 60 Radioprogranme (vgl. Statista 2022).
13 https://www.deutschlandfunk.de/zeitzeugen-im-gespraech-david-macou-ehem-vertragsarbeiter-in-der-ddr-dlf-f4f172c3-100.html (9.8.2023).
14 https://www.deutschlandfunk.de/gastarbeiter-in-der-ddr-eine-frage-der-verantwortung-100.html;
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ddr-vertragsarbeiter-aus-mosambik-ich-wollte-was-von-der-100.html, (9.8.2023)
15 Es hat wenig mit Pluralität zu tun, wenn sowohl im »Ersten«- als auch im ZDF-Abendprogramm mehrere ähnliche Krimis parallel laufen, was nicht selten vorkommt.
16 Das trifft genau genommen nicht zu, weil das Publikum über die in den Preisen der beworbenen Waren versteckten Kostenanteile für Werbung auch für die kommerziellen Programme aufkommt (vgl. Geiger 1988).
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Zitationsvorschlag
Horst Pöttker: Informationsvorsorge. Überlegungen zu einer überfälligen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 3_4, 2023, 6. Jg., S. 265-285. DOI: 10.1453/2569-152X-3_42023-13606-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-3_42023-13606-de
Erste Online-Veröffentlichung
Dezember 2023
- 8.2023 ↵