Von Teodora Trifonova und Joy Jenkins
Abstrakt: Untersucht werden die Berufspraktiken von Auslandskorrespondent:innen, die für mitteleuropäische Medien über den Krieg in der Ukraine berichten. Ausführliche Interviews mit Vertreter:innen führender Medienorganisationen in Bulgarien, Rumänien und Ungarn (N = 11) zeigen, dass die Korrespondent:innen den ukrainischen Behörden als Informationsquelle misstrauen und lokalen ukrainischen Fixern skeptisch gegenüberstehen. Sie sehen sich in einem Konflikt zwischen ihren persönlichen Überzeugungen und journalistischen Standards, da sie dem Krieg gegenüber nicht neutral sind, aber versuchen, in ihrer Berichterstattung objektiv zu bleiben. In allen drei Ländern sei der Einfluss Russlands seit Kriegsbeginn spürbar.
Keywords: Auslandskorrespondent:innen, Fixer, Propaganda, Ukraine, Russland, Ost- und Mitteleuropa, Interviews
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden mehr als 12.000 ausländische und ukrainische Journalist:innen akkreditiert, um über den Krieg in der Ukraine zu berichten (RWB 2024a). Die Liste der verletzten oder getöteten Berichterstatter:innen wird täglich länger (RWB 2025). Unter den ausländischen Journalist:innen sind auch Korrespondent:innen mittel- und osteuropäischer Medien. Während jene Auslandskorrespondent:innen, die für große, internationale Medien arbeiten, in der Ukraine über professionelle Teams verfügen, arbeiten die Journalist:innen kleinerer ausländischer Medien selten mit mehr als zwei Personen: sie selbst und eine Fotografin bzw. ein Kameramann. Manche haben nicht die finanziellen Mittel, um ein Auto zu mieten, einen Übersetzer oder eine Übersetzerin zu engagieren oder auch nur eine Armbinde zu kaufen, auf der »Presse« steht.
Wir fragen im Folgenden: Was beeinflusst die Berichterstattung bulgarischer, rumänischer und ungarischer Auslandskorrespondent:innen, die über die Ukraine berichten, und wie definieren sie ihre Rolle als Journalist:innen, die für Medien in ihrer Heimat über den Krieg in der Ukraine berichten?
Literaturübersicht
Sogenannte »Fallschirm-Journalist:innen« (Hamilton/Jenner 2004), die nur kurz kommen, um über ein Land weit entfernt von ihrem Heimatland zu berichten, neigen zu stereotypen Darstellungen (Lundstrom/Mitchell 2002; Nothias 2020). Ethnozentrismus und »Wir«- versus »Sie«-Narrative sind bei ihnen häufig (Fondren/Hamilton/McCune 2019). Solche wenig differenzierenden Berichte entstehen aufgrund des Termindrucks, der unzureichenden Kenntnisse über das Land und aufgrund der Restriktionen, denen Journalist:innen bei der Kontaktaufnahme mit lokalen Akteuren und Behörden ausgesetzt sind (Hannerz 2004). Vielgereiste und erfahrene Korrespondent:innen legen aber im allgemeinen Wert auf Nähe, Empathie und eine realistische Einschätzung der bestehenden Risiken (Hannerz 2007). Sie möchten helfen, sich ein umfassendes Bild von der Situation vor Ort zu machen, und bemühen sich um eine genaue und faire Berichterstattung, in der verschiedene Perspektiven und Personen vorkommen (Zhang/Jenkins 2023).
Kriegsberichterstattung wird nach wie vor von Männern dominiert und ist sexistisch geprägt. Die Zahl der Kriegsberichterstatterinnen ist zwar gestiegen, aber sie werden von ihren Kollegen häufig nicht akzeptiert und in ihrer Arbeit behindert (Palmer/Melki 2016). Fast alle berichten von Benachteiligungen, einige von sexuellen Übergriffen (Steiner 2017).
Auslandsberichterstattung hängt sowohl logistisch als auch inhaltlich von der Arbeit lokaler Zuarbeiter:innen (»Fixer«) ab. Die Rollen, Motivationen und Grundsätze von Fixern sind bereits untersucht worden (Grytsai 2023; Erickson/Hamilton 2006; Tumber/Webster 2006; Palmer/Fontan 2007; Murrell 2014; Palmer 2019). Zu ihren Aufgaben gehören Fahrdienste, Hotelbuchungen, Sicherheitsmanagement, Quellenbeschaffung, Interview-Organisation, Telefonanrufe usw. Fixer sind insofern direkt an der Berichterstattung beteiligt, als sie Themen und Interviewpartner:innen vorschlagen, übersetzen und internationale Medienteams mit Hintergrundinformationen versorgen (Bishara 2006; Murrell 2010; Palmer 2018, 2019; Palmer/Fontan 2007; Plaut/Klein 2019; Kotišová/Deuze 2022). Die Auslandsberichterstattung hängt sowohl logistisch als auch redaktionell entscheidend von ihrer Arbeit ab.
Journalismus in Mittel- und Osteuropa
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes Anfang der 1990er-Jahre entwickelten sich die mittel- und osteuropäischen Länder in Richtung Demokratie. Russland versucht jedoch weiterhin, Politik und Medien in diesen Ländern zu beeinflussen. Vier Medienmodelle stehen heute beispielhaft für die Region: ein politisiertes Modell in Bulgarien, Ungarn und Rumänien; Medien im Übergang in Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Moldawien; ein liberales Hybridmodell in Polen, den baltischen Ländern, Slowenien und der Tschechischen Republik; und ein autoritäres Modell in Russland und Belarus (Boshnakova/Dankova 2023; Dobek-Ostrowska 2015). In den Ländern im Übergang oder mit politisiertem Medienmodell gelten zwar demokratische Standards, doch ist z. B. der politische Einfluss auf den öffentlichen Rundfunk in Ungarn stark. In Ländern mit liberalem Hybridmodell ist die Medienfreiheit größer. Das autoritäre Modell gilt wiederum als stark politisiert. In diesen Ländern sind Medien zumeist Propagandainstrumente der Machthaber (Dobek-Ostrowska 2015).
Trotz mancher Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Ungarn, Bulgarien und Rumänien in vielerlei Hinsicht: In Ungarn sind Medien starkem politischen Einfluss ausgesetzt. Überwiegend verbreiten sie die Auffassung der Regierung. Auch die privaten Medienunternehmen sind eng mit der Regierung verbandelt. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán ist selbst an verschiedenen Medien beteiligt und unterhält gute Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die bulgarischen Medien sind ebenfalls stark von Politik und Geschäftsinteressen beeinflusst. Kritische Berichterstattung etwa über Korruption findet kaum statt (Boshnakova/Dankova 2023). In Rumänien ist das Medienangebot vielfältiger, allerdings folgen die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender häufig der Regierungslinie und es herrscht wenig Transparenz bei der Medienfinanzierung. Soziale Medien wie TikTok und Telegram haben sich bei den Wahlen Anfang Dezember 2024 als Einfallstor für russische Propaganda erwiesen, weswegen die Europäische Kommission ein Verfahren nach dem Gesetz über digitale Dienste gegen TikTok eingeleitet hat (EU Kommission 2024).
Die Freiheit der Medien ist also in allen drei Ländern gefährdet. Ökonomische Interessen verhindern eine umfassende und unabhängige Berichterstattung. Inseratenkorruption ist gang und gäbe (Lauk 2008). Bis heute sind die mittel- und osteuropäischen Mediensysteme stark von der Regierung, politischen Parteien, Einzelpersonen und Wirtschaftsunternehmen kontrolliert; zivilgesellschaftliche Organisationen, religiöse und ethnische Minderheiten haben deutlich weniger Einfluss (Gross 2004). Laut Reporter ohne Grenzen belegt Rumänien Platz 49 auf der Rangliste der Pressefreiheit, Bulgarien Platz 59 und Ungarn Platz 67 (RWB 2024b).
Theoretischer Rahmen
Der Ansatz der »hierarchy-of-influences« (Reese 2001; Shoemaker/Reese 1996) bietet einen geeigneten Rahmen für die Untersuchung all jener Faktoren, die die Nachrichtenbeschaffung der Auslandskorrespondent:innen und ihr Rollen(selbst-)verständnis prägen. Shoemaker und Reese (1996) haben fünf Ebenen des Einflusses auf die Nachrichtenproduktion identifiziert: die individuelle, die routinemäßige, die organisatorische, die außermediale (später umbenannt in »soziale Institutionen«) und die ideologische Ebene. Diese Ebenen wirken getrennt und sind zugleich in einem »web of interconnected forces« (Reese 2001: 179) miteinander verschränkt.
Die individuelle Ebene des Einflusses umfasst Faktoren wie Demografie, Bildung, Ausbildung, Berufserfahrung, Kreativität, Einstellungen, berufliche Werte und Normen sowie den Grad der Autonomie von Journalist:innen. Sie verdeutlicht, dass sich Journalist:innen in ihrer Berufsauffassung unterscheiden und dass es unterschiedliche Berufsverständnisse innerhalb und jenseits nationaler Kulturen gibt. Sie lässt auch erkennen, wie sich Journalist:innen an die existierenden Bedingungen anpassen, um ihren Job machen zu können (Reese/Shoemaker 2018). Auf der individuellen Ebene wirksam ist die Objektivitäts-Norm. Sie soll zu einer Trennung von Fakten und Meinungen führen und Journalist:innen dazu bringen, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen und gerade auch in politischen Auseinandersetzungen fair zu berichten (Schudson 2001).
Die Ebene der Routinen berücksichtigt den Einfluss beruflicher Regeln, Normen und Verfahrensweisen sowie Bedingtheiten durch Raum, Zeit und Technik. Letztere können Journalist:innen nicht immer kontrollieren. Erforscht werden »those unstated rules and ritualized enactments that are not always made explicit« (Reese/Shoemaker 2018: 399).
Auf der organisatorischen Ebene beeinflussen die redaktionelle Linie, die Größe des Unternehmens, Führungsstile und Finanzierungsmöglichkeiten die Art und Weise der Nachrichtenbeschaffung und -aufbereitung.
Von großer Bedeutung ist die extra-mediale Ebene jenseits des Journalismus. Sie umfasst Regierungen, PR- und Werbeagenturen, Technologiekonzerne und weitere einflussreiche Unternehmen. Reese und Shoemaker (2018) legen dar, wie auf dieser Meso-Ebene wirtschaftliche, politische und kulturelle Mächte wirken und institutionelle Grenzen verschwimmen. Die extra-mediale Ebene steht in Verbindung mit der Art und Weise, wie Journalist:innen das von ihnen produzierte Wissen als wertvoll rechtfertigen sowie mit den Praktiken, die sie anwenden, um »Wahrheit« zu bestimmen – ein Rahmen, der als journalistische Epistemologie bezeichnet wird (Ekström 2002).
Auf der Ebene der sozialen Systeme schließlich wird erforscht, wie Medieninstitutionen innerhalb größerer, soziale und nationale Grenzen überschreitender Systeme funktionieren. So haben Studien gezeigt, dass sich Medien wie das Fernsehen oder Online-Nachrichten an globale Standards anpassen, während der Printbereich stärker auf kulturelle Besonderheiten abstellen kann (Reese/Shoemaker 2018).
Methode
Für diese Studie wurden Interviews mit Journalist:innen aus drei mitteleuropäischen Ländern – Bulgarien, Ungarn und Rumänien – geführt. Von Interesse waren Faktoren, die die Unabhängigkeit der Berichterstattung beeinträchtigen und die Rolle, in der sich Journalist:innen sehen, wenn sie für das Publikum in ihren Heimatländern über den Krieg berichten. Das relativ kleine Sample besteht aus elf Journalist:innen, zehn Männern und einer Frau. Vier sind aus Bulgarien, vier aus Ungarn und drei aus Rumänien. Dass nur eine Journalistin (A) befragt wurde, liegt u. a. daran, dass die Medienunternehmen hauptsächlich männliche Korrespondenten in die Ukraine entsenden.
Die elf Befragten aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien arbeiten als Reporter:innen, Fotograf:innen, Videofilmer:innen und Multimedia-Journalist:innen. Wir verwenden für sie den Begriff »Auslandskorrespondent:innen« und meinen damit Reporter:innen, die ein fremdes Land besuchen oder sich dort länger aufhalten, um über die Geschehnisse zu berichten, und auch Mitarbeiter:innen etablierter Medienunternehmen, die ein Auslandsbüro unterhalten (Hamilton/Jenner 2004). Die von uns Befragten sind für öffentliche und private Medien (Fernsehen, Radio, Printmedien und Internet) tätig. Wir nennen ihre Namen nicht, sondern verwenden Abkürzungen bzw. Großbuchstaben (siehe Tabelle 1), um ihre Identität zu schützen. Die Rundfunkjournalist:innen arbeiteten in Teams mit Videofilmer:innen und Fahrer:innen. Die Journalist:innen, die für Websites arbeiten, waren allein vor Ort in der Ukraine. Einige der Befragten waren bereits seit Beginn des Konflikts und damit seit Monaten dort, andere erst seit wenigen Wochen. Vier Interviews fanden persönlich statt, sieben wurden zwischen Juli 2022 und Juni 2023 per Zoom geführt. Die Gespräche dauerten jeweils zwischen einer und drei Stunden; sie wurden aufgezeichnet und transkribiert. Sechs der Interviews wurden auf Englisch geführt, vier auf Bulgarisch, eines auf Rumänisch, letztere wurden ins Englische übersetzt.
Ergebnisse
Die Berichterstattung aus der Ukraine unterscheidet sich erheblich von der aus anderen Ländern, aus denen die Korrespondent:innen zuvor berichtet hatten. Wir betrachten im Folgenden verschiedene Ebenen.
Individuelle Ebene
Acht der elf Befragten waren vor dem Krieg noch nie in der Ukraine gewesen. Sie berichteten nun aufgrund des Krieges erstmals aus und über das Land. Nur zwei, beide aus Ungarn, hatten bereits über einen größeren Krieg berichtet; genauer über den Bosnienkrieg (1992-1995) und/oder den Krieg in Afghanistan (2001-2021). Die meisten Berichterstatter:innen wurden ohne besondere Kenntnisse über Kriegs- und Krisenjournalismus in die Ukraine entsandt. Sie mussten sich auf die Herausforderungen vor Ort einstellen, auf die Gefahren ebenso wie auf den Umgang mit Desinformation und Propaganda.
Alle elf Befragten gaben an, dass sie bei der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine versuchten, objektiv zu bleiben, wenn sie vor Ort Informationen für ihre Heimatländer aufbereiteten. Sie bemühten sich, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden, verschiedene Perspektiven einzunehmen und politische Positionen fair darzustellen. Dennoch waren sie auf persönlicher und beruflicher Ebene nicht neutral (Schudson 2001). Die Journalist:innen wollten, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Ein ungarischer Journalist (I) erklärte den Unterschied zwischen Neutralität und Objektivität:
»I am not neutral. I’m supporting Ukraine in this war, but I’m trying to be objective. So, yes, this is a special time for journalists. And I am aware, as I was saying this through the black and white story which is quite rare even in human history.«
Ein rumänischer Journalist (F) sagte, er versuche, seine Objektivität zu bewahren, gab aber zu, dass der Krieg Auswirkungen auf seine Arbeit hat. Er meinte, im Krieg sei das normal, »you have to choose a side, even as a journalist, even though you have to be impartial«. Ein anderer rumänischer Journalist (E) erklärte, er versuche, vor Ort in der Ukraine ausgewogen zu bleiben, aber das sei nicht möglich. Er meinte, seine Berichterstattung sei »pro-ukrainisch«. Rumänische Medien hätten eine »pro-Ukrainian speech«, weil die Ukraine überfallen worden sei, »it’s hard not to be on the Ukrainian side«.
Die Korrespondent:innen hinterfragten auch die Rolle Russlands in dem Konflikt. Einige erklärten, dass sie russische Perspektiven in Form von Erklärungen der Regierung in Moskau übernahmen, die sie auch von führenden westlichen Nachrichtenagenturen erhielten. Andere sagten, dass ihre Berichte aus der Ukraine die russische Sicht nicht enthielten. Einige, z. B. ein ungarischer Reporter (H), stellten die Notwendigkeit in Frage, die russische Seite zu berücksichtigen:
»I try to show the audience that this is an aggressive war against Ukraine […] and I keep repeating in my stories that this is a black-and-white story. So, we have an aggressor, and we have a country which has been attacked. This country was attacked because of territorial claims by Russia and the imperial beliefs of Russia. So probably the audience can feel that I’m on the side of the country that has been attacked.«
Einige Befragte erklärten, dass sie gerne von Russland aus über die russische Seite des Krieges vor Ort berichten würden, die Moskauer Behörden ihnen jedoch keine Visa für die Einreise erteilten. Sie befürchteten auch, dass ihr Leben in Gefahr sei, wenn sie von Russland aus über den Krieg berichteten, und dass sie möglicherweise nie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren könnten. Sie verwiesen auf die jüngsten Fälle internationaler Journalist:innen, die aufgrund des Gesetzes über ausländische Agenten ins Gefängnis kamen. Das Gesetz »criminalizes objective reporting about the war in Ukraine« (Flacks 2022). Die Korrespondent:innen erklärten auch, dass sie von der ukrainischen Regierung als russische »Spione« betrachtet würden, wenn sie aus Russland berichteten, und dass sie dann nicht in die Ukraine zurückkehren könnten.
Ebene der Routinen
Die Befragten gaben an, dass sie sich auf Informationen aus internationalen Medien und von Nachrichtenagenturen verließen. Sie nannten u. a. CNN, die New York Times, Reuters, Associated Press, BBC, Sky News, France 24, meinten jedoch, dass selbst führende internationale Agenturen ungenaue Informationen veröffentlichen könnten. Bulgarische Medien bezogen sich auf einen Bericht der Agentur Reuters, in der es um einen Friedhof für getötete ukrainische Soldaten in der Stadt Irpin ging. Die bulgarischen Korrespondent:innen in der Ukraine beschlossen, dorthin zu fahren. Als sie in Irpin waren, stellte sich die Situation aber anders dar als in dem Reuters-Bericht. Es kamen Zweifel auf und der bulgarische Journalist (D) beschloss, darüber nicht zu berichten:
»It looks incredibly photogenic, some thousands of graves that are freshly dug with crosses and with wreaths. […] However, when you start walking around the cemetery, you see that these graves, although they are fresh, are from last year and the year before. We took pictures, but then we didn’t broadcast and produce anything.«
Auch andere Befragte meinten, dass sie ukrainischen Medien eher nicht vertrauen, weil sie patriotisch-voreingenommen sein könnten. Ein ungarischer Journalist (G) erzählte, dass sich die Vorgaben für die Medien verändert hätten. Schließlich befände sich die Ukraine im Krieg und aus ukrainischer Sicht dürfe Medienberichterstattung nicht der Gegenseite nützen. Er hat dafür Verständnis:
»I don’t blame them for that. Journalists are now becoming activists in Ukraine, which is also a natural thing. I mean, patriot activism. And some of them are trying to show their patriotism by writing Russian names not with a capital letter at the beginning, so writing Putin with a small »p« in their articles.«
Zu den vertrauenswürdigen nationalen Quellen zählten die Befragten die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform, den Kyiv Independent und die Kyiv Post. Eine bulgarische Reporterin (A) erklärte, sie vertraue ihnen, weil sie von anderen Journalist:innen gehört habe, dass sie vertrauenswürdig seien. Desweiteren nannten die Journalist:innen Soziale Medien und da insbesondere X (vormals Twitter) als wichtige Informationsquelle. Da könnten sie die neuesten Entwicklungen verfolgen oder auch lokale Informationen überprüfen. Ein ungarischer Journalist erzählte, er folge mehreren X-Accounts von Journalist:innen, die für internationale Nachrichtensender arbeiteten und in der Ukraine vor Ort waren, sowie den Accounts führender internationaler Medien, um vertrauenswürdige Informationen zu finden, denn »propaganda is big in Ukraine, and it’s obvious«.
Messenger-Dienste wie WhatsApp, Viber und Telegram sind für die Journalist:innen ebenfalls wertvolle Quellen. Sie nutzen sie häufig zur Kommunikation mit Kolleg:innen, Institutionen und Organisationen. Telegram ist laut der Befragten die Hauptquelle für Echtzeitinformationen über den Krieg und wichtigste Plattform für politische Diskussionen. Sie meinten jedoch, dass die Informationen in Telegram nicht immer verlässlich seien. Ein ungarischer Reporter erklärte, dass die Kanäle auf Telegram, die sich auf den Krieg beziehen, parteiisch sein könnten, aber er nutze die App, um Informationen von ukrainischen und russischen Offiziellen zu erhalten.
Fixer spielen für die Korrespondent:innen eine überaus wichtige Rolle. Entscheidend sei in der Zusammenarbeit an äußerst gefährlichen Orten gegenseitiges Vertrauen.
Die bulgarische Reporterin (A) erzählte, dass sie auf einen Dolmetscher verzichten konnte, weil der Kameramann halb Ukrainer, halb Russe ist. Dennoch hätte sie sich mehr Unterstützung vor Ort gewünscht. Die Medien aber, für die sie arbeitete, stellten allerdings keine Fixer oder Dolmetscher ein, um Geld zu sparen.
»You cannot do it without a local because you don’t have the contacts. You may try to find the contacts, but you don’t know the people. You don’t know the customs. You don’t know the background. For the personal stories, you have to go in search of them. And if you have a fixer, you don’t waste the time to go and look for the stories.«
Die Reporterin führte aus, dass es ohne Fixer und Dolmetscher:innen schwer sei, Entscheidungsträger zu interviewen oder mit Ukrainer:innen in Kontakt zu kommen, die Interessantes zu berichten haben. Ein bulgarischer Journalist (B) meinte, ein lokaler Fixer sei wichtig, um durch das Land zu reisen, da es vielerorts ukrainische Militärkontrollpunkte gebe. Für die Kontrollpunkte verlangten die Militärs einen Presseausweis oder ein Passwort. Er erklärte:
»The fixer can have a password key. For example, with our fixer around the checkpoints in Kyiv, there’s a passcode, and it changes every day, and he knew it every day. One of the days, I remember the password was ›storm‹ and ›bee.‹ We stop at a checkpoint, and he just says ›storm‹ and ›bee‹ and we move on.«
Die Rolle der ukrainischen Fixer wurde unterschiedlich beschrieben. Ein ungarischer Journalist (I) sprach von einem »co-journalist« und hob hervor, dass der Fixer mehr Wissen als er über die soziale und politische Dynamik in der ukrainischen Gesellschaft hat. Ein rumänischer Journalist (F) bezeichnete den Fixer, mit dem er zusammenarbeitete, als Verhandlungsführer und schilderte, wie er und sein Team von der ukrainischen Polizei aufgegriffen wurden, weil sie keine Presseausweise hatten. Sie waren Stunden lang in Gewahrsam. Der Fixer sprach mit der Polizei, und die Journalist:innen wurden freigelassen. Ein ungarischer Journalist (H) erklärte, dass sein Fixer, der vor dem Krieg Marketingmanager gewesen war, Zugang zu Quellen herstellte, indem er ihnen erzählte, dass der Korrespondent für eines der wenigen unabhängigen Medienunternehmen in Ungarn arbeite. Der Journalist (H) sagte: »After establishing this communication with the fixer, it worked out perfectly.«
Bei der Anstellung eines Fixers berücksichtigen die Journalist:innen bestimmte Kriterien. Ein ungarischer Journalist (H) meinte, er suche nach einer verantwortungsbewussten Person, die nicht pro-russisch sei und über gute Kontakte zu den ukrainischen Behörden verfüge. Einige Korrespondent:innen gaben zu, dass sie ukrainischen Fixern nicht trauten, da diese versuchten, die Berichterstattung zu beeinflussen. Sie hielten Fixer für Patrioten, die nicht objektiv seien. Korrespondent:innen, die Russisch oder Ukrainisch sprachen, sagten, sie zögen es vor, keine Fixer einzusetzen. Ein langjähriger ungarischer Journalist (K) sagte, er arbeite nicht mit Fixern zusammen, weil er glaubte, dass »they have their agenda« und sich nicht an journalistische Standards hielten. Ein bulgarischer Reporter (B) erzählte, seine Fixerin in Mariupol sei eine Studentin, sie sei »very influenced by what was happening in Ukraine, and she was not impartial«.
Organisatorische Ebene
Die Befragten gaben an, dass sich die Art der erhaltenen Aufträge im Laufe der Zeit änderte. In den ersten Kriegswochen waren Liveberichte gefragt. Später waren die entsendenden Medienunternehmen eher an Hintergrundberichten und Reportagen interessiert. Journalist:innen, die für kleinere Medien, vor allem für Websites in Rumänien, Ungarn oder Bulgarien arbeiteten, produzierten Videos, Multimedia-Storys (mit Fotos, Videos und Text) sowie Dokumentationen.
Zu Beginn des Krieges lieferten die Rundfunkjournalist:innen zwischen zehn und 15 Live-Sendungen pro Tag. Die bulgarische Reporterin (A) erzählte, ihr Medium hätte sie gebeten, eine Live-Sendung zu machen, während sie an einer Tankstelle in Moldawien warteten und nach einem WC suchten. Sie sollten schildern, »how the road out of Ukraine is«. Ein bulgarischer Journalist (C) erzählte, wie er und ein Reporter den Kriegsbeginn in Kiew erlebten. Sie produzierten nur wenige Berichte, weil sie sich auf Live-Übertragungen konzentrierten. Sein Medienunternehmen hatte das Team aufgefordert, alle 30 Minuten live zu senden. Ein rumänischer Reporter (G) erklärte, dass er in den ersten Tagen des Krieges mindestens zehn Live-Übertragungen pro Tag aus der Ukraine sendete. Sein Sender drängte ihn, dramatische Berichte zu produzieren, z. B. über Bombardierungen und die Zerstörung von Gebäuden und Schutzräumen.
Journalist:innen, die für Zeitungen und Online-Anbieter arbeiteten, gaben an, dass sie in der Ukraine vor allem »Standard«-Nachrichten produzierten. Sie unterteilten ihre Berichte in zwei Arten: entweder über die Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Bevölkerung oder von der Frontlinie des Konflikts. Bei den ersteren berichteten sie über Krankenhäuser und darüber, ob die Menschen Zugang zu Nahrung, Wasser, Unterkünften und medizinischer Versorgung hatten. Bei den letzteren reisten sie in den Osten der Ukraine, an die Front und in Städte wie Bachmut und Charkiw. Sie berichteten über militärische Erfolge, den Widerstand der Ukrainer:innen und über Zivilisten, die nach Kriegsbeginn zu Soldaten wurden.
Die Korrespondent:innen konzentrierten sich darauf, persönliche Geschichten und Erlebnisse zu erzählen. Das sei ein Weg, Propaganda zu vermeiden. Ein ungarischer Korrespondent (G), der für eine kleine, unabhängige Website arbeitet, sagte, seine Geschichten konzentrierten sich auf Ukrainer:innen, die den Krieg aus erster Hand miterlebt hatten, »people who witness history, what happened […] and from their story, you will have a nice and colorful media coverage«. Er fügte hinzu, dass sich sein Fokus von dem größerer Medien unterschied, die Informationen zum Kriegsverlauf brachten, offizielle Vertreter:innen der Ukraine interviewten und Live-Übertragungen vor Ort machten.
Auch berichteten die Befragten über die in der Ukraine lebenden Menschen aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Für die heimischen Medien hätten solche Diaspora-Beiträge oberste Priorität, da so das Ausmaß des Krieges nachvollziehbar würde.
Extra-mediale Ebene
Die befragten Korrespondent:innen trauten nicht allen von den ukrainischen Behörden veröffentlichten Informationen. So wurden für Journalist:innen Reisen in Städte und Dörfer organisiert, in denen russische Militärs Zivilist:innen getötet und Häuser zerstört hatten. Ein bulgarischer Journalist (D) berichtete über eine solche vom ukrainischen Innenministerium organisierte Reise. Als er am Ort ankam, war er überrascht, denn die Behörden zeigten ihm zwei Leichen, die in einem Hof vergraben waren, und teilten ihm mit, dass jede:r Medienvertreter:in fünf Minuten Zeit gehabt habe, die Szene zu filmen. Der bulgarische Journalist weigerte sich, die Geschichte zu berichten, weil er sie für ukrainische Propaganda hielt:
»I said to my colleague (videographer): This is the first time I have seen such a thing; it is not OK to report on here. […] I can easily say it is propaganda, and it probably is. Channeling of information from the authorities. Accordingly, if you check that day – I can check the date and go into the archives – it will be clear that everybody gave the same report, the media of the world.«
Die Befragten erklärten, dass es sich bei der Propaganda in der Regel um Informationen über die Siege der ukrainischen Streitkräfte an der Front, über russische Massaker und über Gewalt gegen die ukrainische Bevölkerung handele. Es gebe Fälle, in denen die ukrainischen Behörden Berichterstattung verhindern wollten, weil sie befürchteten, dass daraus ein Vorteil für die russischen Streitkräfte entstehen könnte. Ein ungarischer Journalist (G) hatte einen Bahnhof gefilmt, der von einer russischen Rakete getroffen worden war. Daraufhin habe ihn die ukrainische Polizei einige Stunden lang festgehalten.
»I was told not to take pictures. But, of course, I’d have to do it because that’s why I went there. And it was, it was already ruined, so there was no complete information.«
Der ungarische Journalist wie auch die meisten anderen Befragten zeigten Verständnis für die Einschränkungen ihrer Arbeit durch die ukrainischen Behörden vor Ort, schließlich befinde man sich im Krieg. Dabei handele es sich auch um einen Informationskrieg zwischen der Ukraine und Russland. Ein rumänischer Journalist (E) sprach von gezielter Nachrichtenauswahl:
»The information they [the Ukrainian government] give us is not complete. I don’t think they give us fake news, but I do think they don’t give us the whole information.«
Sozialsystemische Ebene
Laut der befragten Journalist:innen ist die Ukraine-Berichterstattung wichtig, weil so die Öffentlichkeit in ihren Heimatländern über die neuesten Entwicklungen in dem Konflikt informiert werde und weil sie wissen müsse, wie Ukrainier:innen den Krieg und die Folgen russischer Aggression erleben. Sie sind der Auffassung, dass umfassende Berichterstattung wegen des russischen Einflusses und der Verbreitung russischer Propaganda in ihren Heimatländern unerlässlich sei.
So habe der russische Einfluss besonders in Ungarn und Bulgarien seit Kriegsbeginn zugenommen, die Bevölkerung sei in Bezug auf den Konflikt gespalten. Die vier ungarischen Journalist:innen nannten als Gründe für diese Spaltung, dass die führenden Medien ihres Landes pro-russisch seien und über den Krieg in der Ukraine nicht unabhängig berichteten:
»The Hungarian government is too close to Russia. And you can find a lot of proof in Hungarian public TV and media coverage that it is very biased towards the Russians, and it is very difficult to fight against this propaganda, unfortunately.«
Ein anderer ungarischer Korrespondent (K) erläuterte, dass die führenden Medien seines Landes darüber berichteten, »how the Russians are winning«, »how good are the Russians«, und »how Ukrainian President Volodimir Zelensky is a puppet of the United States«. Es gäbe nur wenige unabhängige, kritische Medien. Sie aber, so meinte ein anderer der Kriegskorrespondenten, hätten Schwierigkeiten, die Entsendung von Reporter:innen in die Ukraine zu finanzieren. Ein rumänischer Journalist (G) schilderte die Stimmung in seinem Land als geprägt von der Angst, Russland könne auch Rumänien angreifen, wenn die Ukraine verliere. Rumänien habe die Ukraine von Beginn des Krieges an unterstützt und es werde, auch von seinem Medium, intensiv über den Konflikt berichtet:
»We hope that Ukraine wins this war because if Ukraine loses, then the Russians will be one step closer to our borders, and we do not want that to happen.«
Die Korrespondent:innen aus Ungarn und Bulgarien äußerten ebenfalls Angst vor einer Niederlage der Ukraine. Daher sei die Berichterstattung über den Krieg für die Bevölkerung in ihren Heimatländern von entscheidender Bedeutung.
Die kulturelle Nähe zur Ukraine, so ein rumänischer Journalist (F), sei von Vorteil, um Kontakte zu knüpfen und Vertrauen zu Menschen und Institutionen aufzubauen. Er sehe keine großen Unterschiede zwischen Rumänien und der Ukraine. Ein Grund dafür sei die gemeinsame Geschichte beider Länder:
»We [Romania and Ukraine] were also under Russian communist influence for 30 to 40 years. And we know the toughness of what Russia means, such as the living conditions and the living environment. We are not so different. Let’s say, Romania is not as different in civilization to Ukraine as the British, France, Spain, or the United States. The difference is so small, so we can adapt much easier than Western journalists would be.«
Die osteuropäische Herkunft sei aber nicht nur von Vorteil. Einige Befragte meinten, sie hätten schwerer Zugang zu den Frontgebieten und weniger Interview-Chancen mit hochrangigen Personen als westliche Journalist:innen. Der rumänische Korrespondent (E) erzählte, wie überrascht ein CNN-Team darüber war, dass er ohne ein Team ortsansässiger Sicherheitskräfte berichtete. Die befragten Korrespondent:innen arbeiteten oft mit weniger erfahrenen lokalen Fixern zusammen, weil sie es sich nicht leisten könnten, die erfahreneren zu engagieren. Ein ungarischer Journalist (G) unterteilte die Ortskräfte in der Ukraine in zwei Kategorien – erstklassige und zweitklassige Fixer:
»If you are a fixer and doing it for the 10th year, working with international media, it’s incomparable to those fixers who have been doing it for a year since the war started. So those fixers who have been doing this since 2014 are now working for the biggest outlets, for CNN, New York Times, for major Western outlets. And we, average guys from small media from Central-Eastern Europe, can only have those who started this job now.«
Die führenden internationalen Medien hätten auch leichter Zugang zu ukrainischen Behörden. Ein ungarischer Journalist (K) sprach von Ungleichbehandlung und davon, dass ukrainische Beamte lieber westliche Medien unterstützten, die mehr Reichweite haben als mittel- und osteuropäische Medien.
Diskussion
Wir haben untersucht, wie mitteleuropäische Auslandskorrespondent:innen die Einflüsse auf ihre Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine beschreiben und wie sie ihre Rolle als Mittler zwischen dem Geschehen in der Ukraine und ihren Publika zuhause wahrnehmen. Aus Sicht dieser Journalist:innen ist die Kriegsberichterstattung aufgrund der geografischen und kulturellen Nähe ihrer Länder zum Kriegsschauplatz Ukraine essentiell. Die Ergebnisse der Befragung deuten darauf hin, dass die Journalist:innen auf mehreren Ebenen Einflüsse auf ihre Arbeit erlebten: Ihr individueller Background wirkte sich darauf ebenso aus wie die Zusammenarbeit mit Fixern, die begrenzten Möglichkeiten, an Informationen vor Ort zu gelangen, die Erwartungen ihrer Arbeitgeber:innen zuhause, was gute Stories anbelangt, oder auch die politische Situation im Heimatland.
Was die individuellen Überzeugungen, Werte und Vorurteile der Kriegskorrespondent:innen betrifft, haben wir festgestellt, dass sie einerseits bemüht waren, objektiv zu bleiben, Fakten von Meinungen zu trennen und politisch möglichst ausgewogen zu berichten. Diese Einstellung spiegelt den hohen Stellenwert wider, den objektive journalistische Berichterstattung weltweit genießt (Muñoz-Torres 2012). Andererseits sind die Journalist:innen in ihren Heimatländern verwurzelt. Die sind historisch und kulturell eng verbunden mit der Ukraine, weswegen die Befragten sich einen Sieg der Ukraine wünschten. Sie sind sowohl Mitglieder einer internationalen Berufsgemeinschaft als auch Teil einer nationalen Wertegemeinschaft (Zandberg/Neiger 2005). Dieses Spannungsverhältnis zeigte sich in den Entscheidungsprozessen, etwa bei der Auswahl von Geschichten. Einige Journalist:innen gaben zu, pro-ukrainisch zu berichten und bewusst die Aufmerksamkeit der heimischen Publika auf die Situation in der Ukraine und die Gefahr für das eigene Land zu lenken. Das zeigt auch, wie Objektivität unter Umständen in Frage gestellt wird, wenn sich die Reporter:innen von der Heimatredaktion entfernen (Schudson 2001: 163).
Die Routinen der Ukraine-Korrespondent:innen entsprachen professionellen Regeln, Normen und Verfahren (Reese/Shoemaker 2018); allerdings mangelte es an Vertrauen in die Medien vor Ort. Die Befragten hielten die Berichterstattung der ukrainischen Medien für voreingenommen. Die journalistischen Regeln der Informationsbeschaffung und -überprüfung wurden durch Propaganda sowohl der ukrainischen als auch der russischen Seite herausgefordert. Auch die Glaubwürdigkeit der Berichte internationaler Medien bezweifeln die befragten Korrespondent:innen aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn; es habe Fälle gegeben, in denen die für ausländische Medien arbeitenden Journalist:innen der ukrainischen Propaganda aufgesessen seien.
Dennoch sei die Telegram-App, selbst wenn die Informationen vielleicht nicht stimmten, eine wichtige Quelle, da sowohl ukrainische als auch russische Behörden sie nutzten, um direkt über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Ukrainische Fixer waren eine weitere wichtige Informationsquelle. Die Befragten standen den Fixern jedoch z.T. skeptisch gegenüber. Die ungarischen Journalist:innen bezeichneten sie als »biased« und als »patriots«. Frühere Untersuchungen haben bereits darauf hingewiesen, dass sich Korrespondent:innen der Gefahr bewusst sind, dass Fixer ihre eigene Agenda verfolgen und möglicherweise nicht vertrauenswürdig sind (Palmer/Fontan 2007; Murrell 2014).
Auf der organisatorischen Ebene beeinflusste die Unternehmenspolitik der entsendenden Medien, wie die Korrespondent:innen Nachrichten sammelten und aufbereiteten. Kleinere Medienunternehmen brachten mehr persönliche Geschichten, Augenzeugenberichte und Dokumentationen, auch um propagandistische Töne zu vermeiden. Größere Medienunternehmen, vor allem bulgarische und rumänische, setzten auf Live-Berichterstattung, auch um zu zeigen, dass sie Korrespondent:innen vor Ort haben. Eine solche Entscheidung auf organisatorischer Ebene ist Folge der besonderen Umstände der Nachrichtenproduktion in Kriegszeiten (Reese/Shoemaker 2018).
Auf extra-medialer Ebene erlebten die Korrespondent:innen auch Propaganda offizieller ukrainischer Stellen. Sie sollten über die Siege der ukrainischen Streitkräfte oder über russische Massaker und Gewalt gegen die ukrainische Zivilbevölkerung berichten. Mancherorts mussten die Korrespondent:innen Einschränkungen hinnehmen, da die ukrainischen Behörden befürchteten, dass sonst sensible Informationen an die Russen gelangen.
Auf der Ebene der Sozialsysteme sind Bulgarien, Rumänien und Ungarn Staaten, die bis 1989 unter sowjetischem Einfluss standen und in den 1990er-Jahren den Übergang zur Demokratie bewerkstelligten. Mit dem Krieg gegen die Ukraine wächst der Einfluss Russlands auf diese Länder wieder. Korrespondent:innen aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn arbeiteten dagegen an, indem sie die russische Aggression gegen die Ukraine thematisierten. In Ungarn sind pro-russische Berichte deutlich häufiger, zumal die meisten Medienunternehmen in der Hand von Gefolgsleuten Victor Orbáns sind, der öffentlich seine Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Ausdruck bringt (Milojević/Krstić 2018). Die kulturelle Nähe zwischen den Ländern der Region erleichtert es den Korrespondent:innen, sich mit der ukrainischen Bevölkerung zu identifizieren und sowohl informative wie emotionale Beiträge zu produzieren.
Zwischen der Ukraine und Russland findet nicht zuletzt ein Informationskrieg statt. Die befragten Korrespondent:innen waren mit Desinformation und Propaganda von beiden Seiten konfrontiert. Sie sahen in ukrainischen Behörden nur bedingt glaubwürdige Informationsquellen und waren z.T. skeptisch gegenüber lokalen ukrainischen Fixern. Vor allem waren sie hin- und hergerissen zwischen ihren persönlichen Überzeugungen und dem Anspruch, journalistische Standards einzuhalten. Ihre Berichterstattung ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil der russische Einfluss auf die öffentliche Meinung in Staaten wie Ungarn und Bulgarien zunimmt.
Übersetzung: Martina Thiele mit Unterstützung von DeepL
Über die Autorinnen
Teodora Trifonova ist Doktorandin sowie Forschungs- und Lehrassistentin an der School of Journalism der University of Missouri. Sie forscht zu internationaler Kommunikation, Mediensystemen und Pressefreiheit in Ost- und Mitteleuropa. Ein Schwerpunkt ist dabei die Arbeit von Auslands- und Kriegskorrespondent:innen.
Dr. Joy Jenkins ist Professorin an der School of Journalism der University of Missouri. Soziologische Ansätze und Theorien, einschließlich Gender Media Studies, bilden die Grundlage für ihre Forschung zu Organisationen und beruflichen Rollenbildern sowie zur journalistischen Praxis, insbesondere in den Redaktionen lokaler Medien.
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Anhang
Tabelle 1
Untersuchungssample
Journalist:in |
Geschlecht |
Land |
Art der Medienorganisation |
Berufserfahrung |
|
---|---|---|---|---|---|
1 |
A |
Weiblich |
Bulgarien |
Privat |
Reporterin, 7 Jahre |
2 |
B |
Männlich |
Bulgarien |
Öffentlich |
Reporter, 10 Jahre |
3 |
C |
Männlich |
Bulgarien |
Privat |
Videofilmer, 24 Jahre |
4 |
D |
Männlich |
Bulgarien |
Privat |
Reporter, 10 Jahre |
5 |
E |
Männlich |
Rumänien |
Öffentlich |
Videofilmer, 24 Jahre |
6 |
F |
Männlich |
Rumänien |
Privat |
Reporter, 22 Jahre |
7 |
G |
Männlich |
Rumänien |
Öffentlich |
Reporter, 14 Jahre |
8 |
H |
Männlich |
Ungarn |
Privat |
Reporter, 15 Jahre |
9 |
I |
Männlich |
Ungarn |
Privat |
Reporter, 14 Jahre |
10 |
G |
Männlich |
Ungarn |
Privat |
Reporter, 24 Jahre |
11 |
K |
Männlich |
Ungarn |
Privat |
Reporter, 25 Jahre |
Über diesen Artikel
Copyright
Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Zitationsvorschlag
Teodora Trifonova; Joy Jenkins: Die Wahrheit ans Licht bringen. Selbstverständnis und Berufspraktiken mitteleuropäischer Auslandskorrespondent:innen, die über den Krieg in der Ukraine berichten. In: Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung, 1, 2025, 8. Jg., S. 30-48. DOI: 10.1453/2569-152X-12025-14972-de
ISSN
2569-152X
DOI
https://doi.org/10.1453/2569-152X-12025-14972-de
Erste Online-Veröffentlichung
April 2025