Inhaltsverzeichnis
Aufsätze
Kooperation trotz Konkurrenz Arbeitsweisen und Konfliktpotenziale in einem investigativen Rechercheverbund
Von Jessica Kunert, Luka Simon und Volker Lilienthal | Die journalistische Zusammenarbeit im investigativen Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung in Deutschland wurde im Hinblick auf interne Arbeitsweisen (Arbeitsabläufe und Standards) und mögliche Probleme und Konflikte (Recherche, Ziele und Finanzierung) wissenschaftlich noch nicht untersucht. In diesem Aufsatz wird die Kooperationsform des Rechercheverbundes anhand seiner Strukturen und seines Organisationsgrades analysiert. Es wurden neun Journalist:innen mittels qualitativer Leitfadeninterviews befragt. Die Ergebnisse zu den internen Arbeitsweisen zeigen, dass sich Rechercheteams innerhalb des Verbundes themenbezogen zusammenfinden und dabei in der Arbeitsteilung von den Qualifikationen und Zugängen der anderen profitieren. Dabei sind ein intensiver Austausch und feste Absprachen essenziell. Probleme und Konflikte liegen vor allem in dem unterschiedlich hohen Aufwand der Redaktionen an personellen und finanziellen Ressourcen sowie im hohen organisatorischen Aufwand. Es zeigt sich, dass die Journalist:innen den Verbund insbesondere wegen seiner Themenvielfalt und der hohen Qualität und Quantität der Rechercheergebnisse schätzen. Als Form der Zusammenarbeit zeigt sich der untersuchte Rechercheverbund als Erfolg, der von einer Vielzahl impliziter Regeln getragen wird. Über die internen Strukturen hinaus ist der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung zu diskutieren, der durch die Kooperation zweier öffentlich-rechtlicher Sender und eines privatwirtschaftlichen Mediums aufgeworfen wird.
Gemeinnütziger Journalismus in Deutschland Eine Befragung zu Finanzierung, Sicherung der Unabhängigkeit und Arbeitsweisen
Von Sebastian Gall und Uwe Krüger | Im Zuge von Digitalisierung und ökonomischer Medienkrise hat sich ein neues Feld etabliert, um die Schwächen klassischer Medien auszugleichen: der Gemeinnützige bzw. Non-Profit-Journalismus. Er finanziert sich statt über Verkaufs- und Werbeerlöse (oder über Rundfunkbeiträge) v. a. durch Kleinspenden, Mitgliedschaften oder Stiftungsgeld. Dieser Versuch, unabhängig von Marktlogiken zu agieren und allein im öffentlichen Interesse zu arbeiten, wirft neue Fragen auf, vor allem zur Bewahrung der Unabhängigkeit gegenüber den Spender*innen. Zudem stellt er die Organisationen vor Herausforderungen bezüglich Fundraising. Dieser Beitrag untersucht anhand von zehn Leitfadeninterviews mit Mitarbeiter*innen von Non-Profit-Redaktionen, wie sich die Arbeitsweise von der in privatwirtschaftlich oder öffentlich-rechtlich finanzierten Redaktionen unterscheidet und mit welchen Strategien sie den genannten Herausforderungen begegnen. Die Ergebnisse zeigen, 1.) dass sich die Arbeit vor allem in Bezug auf Themenwahl, Recherchezeit und Organisationsstruktur von der in einer klassischen Redaktion positiv abhebt; 2.) dass die meisten untersuchten Organisationen nur eine Finanzierungsart nutzen; und 3.) dass eine befürchtete inhaltliche Einflussnahme von Seiten großer Geldgeber offenbar nicht stattfindet, sondern im Gegenteil Journalismus-fördernde Stiftungen mitunter sogar stärker auf Abgrenzung von den geförderten Redaktionen bedacht sind als andersherum. Zugleich ist zu konstatieren, dass in nur wenigen Redaktionen spezialisierte Mitarbeiter*innen für das Fundraising existieren, so dass diese Arbeit auf Schultern in Geschäftsführung, Redaktion oder Layout lastet.
Öffentlichkeit und Transformation durch Thematisierung der Nicht-Thematisierung Die Initiative Nachrichtenaufklärung und ihr Beitrag für eine transformative Kommunikationswissenschaft
Von Jörg-Uwe Nieland und Hektor Haarkötter | Wer sich fragt, warum die Kommunikationswissenschaft als »öffentliche Wissenschaft« in den Medien so wenig thematisiert wird, muss die Thematisierungsfunktion der Medien kritisch hinterfragen. Seit bald 30 Jahren nimmt sich die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. dieser Aufgabe an und stellt sich dem Einfluss der sogenannten Künstlichen Intelligenz, der Desinformation sowie der Macht der Plattformen, der Ohnmacht der Rezipient:innen wie auch der Wissenschaft entgegen. Im Sinne einer transformativen öffentlichen Forschung publiziert die Initiative nach gemeinsamer Recherche und Diskussion von Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Expert:innen jährlich eine Liste vernachlässigter Nachrichten. Nachrichtenaufklärung wird verstanden und praktiziert als Kritik an der fehlenden Thematisierung und der Unterdrückung von Nachrichten und Diskursen. Nachrichtenvernachlässigung ist so gesehen auch eine Kategorie von Desinformation. Der Beitrag stellt die Forschungserträge zur »negativen Nachrichtenwerttheorie«, zu »Agenda Cutting« sowie zu »Junk News« vor.
Social-Media-Dynamik im rumänischen Präsidentschaftswahlkampf 2024–2025 Die disruptive Rolle von TikTok und die bleibende Bedeutung von Journalismus und traditionellen Medien
Von Eduard-Claudiu Gross und Tanjev Schultz | Der Beitrag untersucht das Zusammenspiel zwischen sozialen Medien und etablierten Medien bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen 2024/25 und betont die zentrale Rolle von Journalismus und Pressefreiheit in einer von digitalen Plattformen dominierten Ära. Soziale Medien, insbesondere TikTok, avancierten zu einer disruptiven Kraft, die den Diskurs beeinflussen und rechtsradikale Kandidaten durch orchestrierte Kampagnen und algorithmische Verzerrungen begünstigen konnten. Zugleich zeigt die Studie die anhaltende Bedeutung etablierter Medien, denen es in Rumänien gelungen ist, falsche politische Behauptungen zu korrigieren und ernsthafte Debatten zu führen. Der Fall des am Ende siegreichen, politisch gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Nicușor Dan veranschaulicht, wie eine Kombination aus traditionellen Medienauftritten und kreativem Einsatz digitaler Kommunikation auf Plattformen wie TikTok und Meta den Bedrohungen durch Populismus und Extremismus trotzen kann. Das Beispiel Rumäniens ist lehrreich auch für andere Länder, die in der digitalen Ära die Integrität demokratischer Debatten und Wahlen schützen müssen.
Gedenken an Journalistinnen Nachrufe auf journalistische Vorbilder
Von Ella Hackett, Teodora Tavares und Gregory Perreault | Nachrufe, auch wenn sie auf den ersten Blick wenig komplex wirken mögen, sind eine gute Möglichkeit, über die journalistische Arbeit von Frauen nachzudenken. In dieser Studie werden Nachrufe auf US-amerikanische Journalistinnen (n=1064) aus dem Blickwinkel des ›metajournalistischen Diskurses‹ untersucht. Die Analyse zeigt, dass das Gedenken an diese Journalistinnen zur Reflexion ihrer Rolle als Fürsprecherinnen innerhalb und außerhalb der Redaktion wird. Journalistinnen definieren nicht nur ihren Beruf neu, sondern setzen sich auch für gesellschaftlichen Fortschritt und Gleichberechtigung ein.
Essay
»Ich glaube, dass Journalismus sich zwingend verändern muss« Zum Verhältnis von akademischer Journalismus-Ausbildung und journalistischer Praxis
Von Gabriele Hooffacker und Nicola Moser | Generative Sprachmodelle und KI-Tools sind im Journalismus zu unverzichtbaren Werkzeugen geworden – bei der Datenanalyse, Recherche, Übersetzung, Ideenfindung und vielem mehr. Wie wird sich der Einsatz von Tools wie Chat-GPT auf das journalistische Berufsbild und die akademische Lehre auswirken? Die Auswertung der vorliegenden Experteninterviews zeigt, dass Chat-GPT und ähnliche KI-Tools in der akademischen Journalismus-Ausbildung bereits jetzt eine Rolle spielen. Doch während die Hochschullehre vermutet, dass generative Sprachmodelle das Berufsbild des Journalisten nicht grundlegend verändern, sondern lediglich erweitern, sieht der befragte Experte aus der Praxis eine grundlegende Verschiebung im Verhältnis zwischen Redaktion und Publikum. Zudem beschreibt er, wie KI-Tools längst gängige Praxis in den Redaktionen sind.
Rezensionen
Vera Katzenberger (2024): Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Kompetenzen und Ausbildung für professionellen Journalismus
Rezensiert von Gabriele Hooffacker
Martín Oller Alonso (2024): Decolonizing Journalistic Knowledge: Deliberative Communication in Central and Eastern EU Member States
Rezensiert von Tanjev Schultz
Ernst Tradinik (Hrsg.)(2024): Inklusive Medienarbeit. Menschen mit Behinderung in Journalismus, Radio, Moderation und Film
Rezensiert von Hannah Wahl
Felix Koltermann (2023): Fotografie im Journalismus. Bildredaktionelle Praktiken in Print- und Online-Medien
Rezensiert von Kristina Wied

