Inhaltsverzeichnis
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns über ein wachsendes, auch internationales Interesse an der Journalistik und ihrem bilingualen Konzept. Als wir vor sechs Jahren, initiiert von Horst Pöttker und unterstützt vom Herbert von Halem Verlag, die erste Ausgabe herausbrachten, leitete uns die Hoffnung, die neue Zeitschrift könnte das Angebot an wissenschaftlichen Journalen gut ergänzen und sogar für Journalistinnen und Journalisten aus der Berufspraxis interessant sein. Mittlerweile sind wir zuversichtlich, dass diese Hoffnung nicht völlig überzogen war – und können heute zudem eine Erweiterung des Kreises der Herausgeberinnen und Herausgeber verkünden: Mandy Tröger und Gunter Reus verstärken unser Team. Beide verkörpern den Anspruch unserer Zeitschrift, die Journalistik als Disziplin in ihrem Profil zu schärfen und zugleich eine Vielfalt an Themen, Perspektiven und Methoden zuzulassen – gern mit direkten Bezügen zur Berufspraxis.
Wahlen – regional, national, global Call for Paper: Journalistik/Journalism Research, Heft 3-4/2024
2024 ist gut die Hälfte der Weltbevölkerung aufgerufen an Wahlen teilzunehmen. Nachdem die Europawahl im Juni 2024 zu einer deutlichen Verschiebung nach rechts geführt hat, standen in Frankreich vorgezogene Parlamentswahlen an. Im Herbst finden regulär Landtagswahlen in den deutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg statt, in Österreich Nationalratswahlen und auch die Präsidentschaftswahl in den USA beschäftigt die Menschen weltweit schon jetzt.
Aufsätze
Die Matrix der Mediasierung Journalismus in einem neuen medialen Ökosystem
Von Thomas Birkner | Die Wechselbeziehungen und Interaktionen zwischen Politik und Medien werden in der Kommunikationswissenschaft breit diskutiert, und Medialisierung und Mediatisierung sind dabei zu beliebten und fruchtbaren Konzepten für die empirische Forschung geworden – in der Journalistik allerdings kaum. Der vorliegende konzeptionelle und theoriegeleitete Beitrag geht jedoch von der These aus, dass die Herausforderungen, denen sich der Journalismus heute gegenübersieht, mit Prozessen zusammenhängen, die wir in der Kommunikationswissenschaft mit den Konzepten Medialisierung und Mediatisierung erforschen. Hier werden diese Konzepte in die Journalismusforschung integriert. Dabei wird die Argumentation in vier aufeinander aufbauenden Schritten dargelegt. Erstens wird Journalismus in seinem interaktiven Medienökosystem verortet. Zweitens werden die beiden unterschiedlichen Traditionen von Medialisierung und Mediatisierung differenziert. In einem dritten Schritt werden Medialisierung und Mediatisierung jeweils erweitert und in einer Matrix zusammengeführt. Im abschließenden vierten Schritt wird bereits existierende empirische Journalismusforschung innerhalb dieser Matrix angeordnet, wobei wir uns auf die Wechselbeziehungen und Interaktionen zwischen mediatisiertem Journalismus und den medialisierten sozialen Systemen Politik, Wissenschaft und Sport konzentrieren. Schließlich werden neue Forschungsperspektiven eröffnet.
Gewalt gegen Frauen – Eine konstruktive Annäherung Wie durch Konstruktiven Journalismus eine verantwortungsvolle Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen erreicht werden kann
Von Christina Fleischanderl | Die Daten der 2022 veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Deutschland sind eindeutig: Sogenannte Partnerschaftsgewalt hat zugenommen, von wem sie ausgeht und wen sie trifft, ist klar. Bei 80,3% der Delikte wurde Frauen in verschiedenster Weise Gewalt angetan (vgl. BKA 2022: 33). Wie jedoch über diese Gewalt gegen Frauen berichten? Erhoben wird durch die Analyse überregional verbreiteter deutscher und österreichischer Zeitungen der Status quo der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Expert*inneninterviews geben Aufschluss über Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten. Ausgehend vom Konzept des Konstruktiven Journalismus und einer Frame-Analyse ausgewählter Artikel werden Empfehlungen erarbeitet für eine ganzheitliche Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen – ob in Breaking News oder in der Hintergrundberichterstattung.
Streitbar und umstritten Erinnerung an Karl Kraus
Von Walter Hömberg | Anfang April 1899 erschien in Wien eine neue Zeitschrift. Das feuerrote Titelblatt zeigt vor der Silhouette der Stadt eine riesengroße Fackel. Im Einleitungsbeitrag unterstreicht der Herausgeber die kämpferische Ansicht: »Das politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig; kein tönendes ›Was wir bringen‹, aber ein ehrliches ›Was wir umbringen‹ hat sie sich als Leitwort gewählt.« Als Herausgeber der Fackel ist Karl Kraus Kennern der Pressegeschichte noch heute ein Begriff. Die einen verehren ihn als größten Satiriker des 20. Jahrhunderts, als brillanten Zeitdiagnostiker, sensiblen Lyriker und hellsichtigen Theaterautor. Für andere ist er ein gnadenloser Polemiker, ein unbarmherziger Spötter, ein heilloser Egozentriker, Besserwisser und Rechthaber, ein Querulant und Nestbeschmutzer. Der Wiener Literat Hans Weigel urteilt: »Seine Kritik war sakrosankt – Kritik an ihm war Majestätsbeleidigung.«
Interview
»… einen Kampfruf gewagt« Karl Kraus (1874 – 1936) im Gespräch
Von Horst Pöttker | Karl Kraus (geboren 28.4.1874 in Jičín, damals Böhmen in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, heute Tschechien; gestorben am 12. Juni 1936 in Wien) entstammte einer Familie des wohlhabenden Mittelstands, mit der er 1877 in die Hauptstadt Wien zog. Nach abgebrochenem Jura- und Philosophie-Studium und Berufsanfängen als Journalist bei Zeitschriften und Tageszeitungen gab er von 1899 bis zu seinem Tod die kulturpolitische Zeitschrift Die Fackel heraus, die längste Zeit als deren einziger Autor. 1922 erschien die Buchausgabe seines pazifistischen Dramas Die letzten Tage der Menschheit, das wegen seiner Länge nur in teilweise vom Autor selbst bearbeiteten Fassungen aufgeführt wird. Als Publizist, Satiriker, Lyriker und Dramatiker übte Karl Kraus scharfe Kritik an der von ihm sogenannten ›Journaille‹ und ihrer Sprache. Hier äußert er sich auch über andere Probleme, u. a. den fraglichen Nutzen von intellektuellem Engagement, den Vorwurf des Antisemitismus oder die Ablehnung des Kriegs.
Essay
Was ist ein Plagiat im Journalismus? Maßstäbe, nach denen sich Redaktionen richten können
Von Klaus Meier | Der Begriff und die Bedeutung von »Plagiat« wurden in jüngster Zeit aus der Wissenschaft in den Journalismus unreflektiert übernommen. Das ist hochproblematisch und gefährlich, weil für beide Professionen andere Standards und Maßstäbe gelten, aber alleine der öffentliche Vorwurf des Plagiats das Potenzial hat, Ruf und Karrieren zu zerstören. Dieser Essay möchte zu einer differenzierten Debatte beitragen und damit auch dazu, dass Skandalisierungen zum Thema Plagiat im Journalismus vermieden werden. An welchen Maßstäben kann man sich also orientieren? Bei der Recherche und beim Schreiben – ebenso wie bei aufkommenden Vorwürfen nach der Veröffentlichung? Was ist eine gängige, was eine angemessene journalistische Praxis – und was ein »No go«?
Gegenerzählungen für »Selberdenker« Ein Versuch der Einordnung von »Alternativmedien« im konservativen Spektrum
Von Luis Paulitsch | Im digitalen Raum haben »Alternativmedien« für die extreme Rechte an Bedeutung gewonnen. Daneben lässt sich in den vergangenen Jahren eine Zunahme ähnlicher Plattformen beobachten, die tendenziell dem rechtskonservativen Spektrum zugeordnet werden. Derartige Medienprojekte vertreten zwar alternative Positionen, allerdings erweist sich ihr Verhältnis zum kritisierten »Mainstream« als deutlich ambivalenter. In diesem Essay werden mehrere Alleinstellungsmerkmale aufgezeigt, die eine Abgrenzung rechtskonservativer von anderen »Alternativmedien« erlauben. Als Beispiele hierfür dienen die Publikationen Tichys Einblick, eXXpress und NIUS.
Debatte
Die Presse und Gaza Restriktionen, Zensur und die Gefahren der Kriegsberichterstattung
Von William Lafi Youmans | In Kriegszeiten sind die Streitkräfte der Staaten strategische Kommunikatoren, die versuchen, die öffentliche Wahrnehmung zu steuern. Gleichzeitig können sie den Zugang der Presse zu Informationen besser kontrollieren, was sie zu einer Art »Kampfrichter« werden lässt. Die rechtlichen Schutzbestimmungen für Journalist*innen werden oft mit Verweis auf den Ausnahmezustand gelockert, da an den Konfliktschauplätzen juristische Grauzonen entstehen. Israel hat den Medienzugang zu militärischen Aktionen wie jüngst im Gazastreifen nach dem Angriff der Hamas auf israelische Militärbasen und Gemeinden am 7. Oktober 2023 noch weiter eingeschränkt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die israelische Pressepolitik, die Zensur durch das Militär und die Reaktion westlicher Nachrichtenorganisationen darauf sowie über die Repressalien gegen palästinensische Reporter*innen und Al Jazeera. Ferner wird erörtert, ob die israelische Pressekontrolle Auswirkungen auf die Berichterstattung hat.
Der Gaza-Krieg, die deutschen Medien und die »falsche Seite der Geschichte«?
Mandy Tröger im Gespräch mit Kai Hafez | Die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) veröffentlichte vor kurzem einen »Aufruf zum diskriminierungsfreien Diskurs«. Anlass waren die Reaktionen auf ein Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten, die das Recht Studierender auf Protest gegen den Krieg in Gaza verteidigten. Die DGPuK verurteilt Anfeindungen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, Diffamierungen oder Bedrohungen – sowohl von außen als auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft (vgl. DGPuK 2024).
Dieses Positionspapier zeigt, dass der Bedarf an Wissenschaftsexpertise und -diskurs zum Krieg in Gaza, zur Berichterstattung über diesen Krieg und den Nahost-Konflikt groß ist. Kai Hafez, seit 2003 Professor für Vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt, gilt als ausgewiesener Experte zu Fragen medialer Darstellungen des Nahen Ostens in den deutschen Medien. Er äußert sich kritisch zur aktuellen Kriegsberichterstattung, beispielsweise im Deutschlandfunk (Fröhndrich 2024), der Leipziger Zeitung (Allisat 2024) und dem SZ-Medienpodcast quoted (Minkmar/Zaboura 2023).
Im Interview mit der Journalistik fragte Hafez, welche Funktion Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben, »wenn nicht die, einen eigenen Gedanken zu entwickeln, der dann auch kontrovers verhandelt werden kann«. Diesem Anliegen folgend, sprachen wir mit ihm über die deutsche Berichterstattung zum Gaza-Krieg, über die Rolle der Wissenschaft und mögliche Hemmungen, sich zum Konflikt und zur Berichterstattung zu äußern, sowie über alternative Ansätze für die Kriegsberichterstattung (vgl. auch Richter 2023; Rottmann 2024).
Rezensionen
Die Top 10 des Buchjournalismus Hinweise auf lesenswerte Bücher von Journalist:innen
Von Fritz Hausjell, Wolfgang R. Langenbucher | Die Idee, die besten Bücher von Journalist:innen auszuwählen und vorzustellen, ist ein Projekt des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, mitbegründet von Hannes Haas (1957-2014), zusammengestellt von Wolfgang R. Langenbucher und Fritz Hausjell. Es startete mit der ersten Ausgabe im Jahre 2002 in der von Michael Haller begründeten Vierteljahreszeitschrift Message. Nach deren Einstellung wurden die Auswahlen ab 2015 im Magazin Der österreichische Journalist dokumentiert. 2020 und 2021 kam es in Folge der Covid-Pandemie zu einer Unterbrechung. Mit der Journalistik ist seit 2022 ein neuer Publikationsort gefunden worden.
Sylvia Dietl (2022): Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands
Rezensiert von Mandy Tröger | Selten gibt es Dissertationen, die einen zentralen Beitrag zum besseren Verständnis historischer Gegenwart leisten. Sylvia Dietls Buch ist solch eine Dissertation; sie schreibt ein ganzes Kapitel deutscher Mediengeschichte neu. Das ist keine kleine Leistung. Ein äußeres Indiz für die Stärke des Buches sind dessen 658 Seiten und über 1700 Fußnoten. Seine Wirkungsmacht liegt aber im Inhalt: Dietl analysiert die Transformation und Neustrukturierung des Rundfunks in Ostdeutschland vor mehr als 30 Jahren. Das tut die Politikwissenschaftlerin auf breiter Quellenbasis, mit analytischem Scharfsinn und Liebe fürs Detail.
Daniel Siemens (2022): Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert
Rezensiert von Stine Eckert | Er sei kein Frauenförderer gewesen, sagt Daniel Siemens im Online-Talk des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft am 15. März 2022 über Hermann Budzislawski, dessen Biografie er geschrieben hat. Es ist die erste, die dem Mann »Hinter der Weltbühne« gewidmet ist. Immer wieder kommt der Biograf darin auf das schwierige Verhältnis von Budzislawski zu Autorinnen zu sprechen: z. B. als er im Exil der 29-jährigen Hannah Arendt eine Absage erteilte, die ihm anbot für die Neue Weltbühne über den jüdischen Weltkongress zu schreiben, auch weil sie signalisierte, dass sie andernfalls zur Konkurrenz, dem Tage-Buch gehen könne. Oder als er Dorothy Thompson, eine der bedeutendsten U.S.-amerikanischen Journalist*innen ihrer Zeit, eine eigenständige Persönlichkeit und publizistische Leistung absprach. Doch der Reihe nach.
Stine Eckert, Ingrid Bachmann (Hrsg.) (2021): Reflections on Feminist Communication and Media Scholarship. Theory, Method, Impact
Rezensiert von Claudia Wilhelm | Der von Stine Eckert und Ingrid Bachmann herausgegebene Band versammelt zehn Essays von bedeutenden Vertreterinnen feministischer Kommunikations- und Medienforschung. Alle zehn Autorinnen wurden mit dem Teresa Award for the Advancement of Feminist Scholarship der Feminist Scholarship Division (FSD) der International Communication Association (ICA) ausgezeichnet. Der Teresa Award würdigt Arbeiten, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung, Reichweite und zum Einfluss feministischer Forschung in der Kommunikations- und Medienwissenschaft leisten. Er soll genderbezogener Forschung in der Fachgesellschaft mehr Sichtbarkeit verleihen. Anhand der Beiträge werden die Entwicklungslinien feministischer Forschung innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft nachgezeichnet.